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Wirtschaftskreislauf


1. In formaler Betrachtung läßt sich ein W. als ein geordnetes System von gegebenen wohlunterscheidbaren Polen und Strömen , die zwischen den Polen fließen, definieren. Die geforderte Wohlunterscheidbarkeit sichert dabei, daß Pole und Ströme überschneidungsfrei definiert sind, eine Forderung, die theoretisch einleuchtet, in der Praxis aber oft unangenehme Abgrenzungsprobleme aufwirft. Diese allgemein gehaltene Definition eines Wirtschaftskreislauf erlaubt nun allerdings die Existenz von Sektoren , die nur Ströme abgeben (Quellen) und von Sektoren, die nur Ströme empfangen (Senken). Will man der Idee eines Allzusammenhanges der beteiligten Sektoren im Sinne einer wechselseitigen Beeinflussung Rechnung tragen, kann man solche Konstellationen durch die folgende engere Definition eines W. ausschließen: Ein W. ist ein geordnetes System gegebener wohlunterscheidbarer Pole, zwischen denen Ströme derart fließen, daß von jedem Pol mindestens ein Strom wegfließt und zu jedem Pol mindestens ein Strom hinfließt (Input- und Outputeinbindung aller Pole). Vorausgesetzt, es handelt sich um einen Kreislauf, d.h. um ein nicht in mehrere unabhängige Teilkreisläufe zerlegbares (indekomposibles) System, sichert diese engere Definition, daß alle Pole direkt (über einen Strom) oder indirekt (über mehrere Ströme) miteinander verbunden sind.Die Kreislaufidee liefert eine Ordnungsvorstellung, die es ermöglichen soll, die vielen vom Ökonomen als relevant erachteten Vorgänge der Realität in einen überschaubaren widerspruchsfreien Zusammenhang zu bringen, ohne dabei auf die Abbildung der oft komplexen wechselseitigen Verflechtungen zu verzichten. Diese Transformation von zunächst ungeordneten und verwirrenden Einzelvorgängen in ein quantifizierbares und handhabbares System, das zudem über Umformungen vielfältige Einblicke in seine strukturellen Details erlaubt, hat das Instrument des W. zu einem unverzichtbaren Bestandteil der modernen Wirtschaftstheorie gemacht. Dabei sind es gerade die indirekten Zusammenhänge bzw. (erwünschten oder unerwünschten) Wirkungen, die bei ökonomischen Fragestellungen besonderes Interesse beanspruchen und die ohne die Keislaufvorstellung quantitativ nicht in den Griff zu bekommen sind.
2. Für die vielfältigen Anwendungen der Kreislaufidee hat es sich dabei als vorteilhaft erwiesen, daß man W. auf verschiedene Arten darstellen kann, deren unterschiedliche Vorzüge je nach der Fragestellung und der Komplexität des Stromsystems zu nutzen sind:    (a)  Die graphische Darstellung    (b)  Die Darstellung in Konten    (c)  Die algebraisch Formulierung    (d)  Die Darstellung in Matrixform. Bei der graphischen Darstellung werden die Pole als Kreise oder Rechtecke und die Ströme als Pfeile gezeichnet. Man findet solche graphischen Darstellungen vor allem in populärer gehaltenen Publikationen sowie in Lehrbüchern, wo die didaktische Wirkung visuell vorgeführter Schaubilder genutzt wird. Bei mehr als sechs Sektoren wird ein graphisches Kreislaufbild aber rasch unübersichtlich, so daß diese Darstellungsform auf kleine (das sind meist hochaggregierte) überschaubare Kreisläufe beschränkt bleibt. Allerdings kann man einen Graphen zum Ausgangspunkt formaler graphentheoretischer Überlegungen machen, die vielfältige Anwendungsmöglichkeiten eröffnen. Diese graphentheoretischen Methoden sind für die Analyse struktureller Eigenschaften von Kreisläufen in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Die Darstellung in Konten ordnet jedem Pol ein Konto zu, auf dem die Ströme gemäß den Prinzipien der doppelten Buchführung in eine Soll- und in eine Habenbuchung zerlegt werden. Die Vorzüge dieser Vorgangsweise liegen auf der Hand: bei vielen Sektoren und insbesondere Strömen ist die Kontendarstellung übersichtlicher als die graphische Darstellung. Außerdem erscheinen nun die Ströme explizit mit ihren quantitativen Werten und man kann die Konten saldieren. Diesen Vorzügen steht aber immer noch der gerade für ein Arbeiten mit Modellen gravierende Nachteil gegenüber, daß eine weitere mathematische Verarbeitung nicht möglich ist. Bei der algebraischen Formulierung werden die beiden Seiten eines jeden Kontos (Sektors) einander gegenübergestellt und durch ein "ist gleich", "kleiner" oder "größer" miteinander verknüpft. Die Darstellung in Matrixform schließlich weist den einzelnen Strömen ein Feld einer (i.d.R. quadratischen) Matrix zu. Ordnet man die Sektoren in den Zeilen und Spalten in derselben Reihenfolge (quadratische Matrix), dann erscheinen die In-Sich-Ströme auf der Hauptdiagonalen und jeder einzelne Strom kann durch eine doppelte Indizierung, wobei der erste Index i.d.R. die Zeile und der zweite die Spalte angibt, leicht eingeordnet werden. Die beiden letztgenannten Darstellungsarten sind auf den ersten Blick nicht so anschaulich wie die graphische Darstellung, sie erlauben es aber, das ganze Arsenal mathematischer Methoden für die Kreislaufbetrachtung nutzbar zu machen.
3. Liegt buchungstechnisch kein Fehler vor, so ist unmittelbar einsichtig, daß die Wertsumme aller Zuflüsse im W. gleich der Wertsumme aller Abflüsse sein muß. Für die Analyse wirtschaftlicher Vorgänge ist es nun zweckmäßig, die strengere Definition eines geschlossenen WK zu verwenden. Ein solcher liegt vor, wenn für jeden Pol die Wertsumme aller zufließenden Ströme gleich der Wertsumme aller abfließenden Ströme ist (Kreislaufaxiom). Diese Bedingung ist i. Ggs. zur obigen Feststellung nicht mehr selbstverständlich gegeben. Sie beinhaltet in der Kontendarstellung ein System saldierter Konten, in der algebraischen Darstellung die ausschließliche Verwendung von Gleichungen und in der Matrixform die Gleichheit von jeweiliger Spaltensumme und Zeilensumme. Das Arbeiten mit geschlossenen Kreisläufen (und damit mit Gleichungen) erlaubt es, auf eine bestimmte Anzahl unbekannter Ströme zu schließen. Auch können einzelne Ströme isoliert auf eine Seite der Gleichung gebracht und diese dann als Definition verwendet werden (man denke etwa an die Definition des Sparens in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR)). Zudem läßt sich jeder offene (d.h. nicht geschlossene) Kreislauf durch Einführung einer oder mehrerer zusätzlicher "Hilfssektoren" schließen. Da es sich bei einem geschlossenen Kreislauf um ein System linearer Gleichungen handelt, gelten darüberhinaus die entsprechenden Sätze der linearen Algebra. Ist z.B. das Kreislaufaxiom für n-1 Pole erfüllt, so ist es immer auch für den n-ten Pol erfüllt (Walras-Gesetz).
4. Bisher wurde der WK losgelöst von jeder konkreten Interpretation als reines Prinzip erörtert. In den Wirtschaftswissenschaften liegt, beginnend mit dem ersten vollständigen Kreislauf von Francois Quesnay, dem sog. "Tableau Économique (1758), eine große Zahl von konkreten Ausgestaltungen der Kreislaufidee vor. So hat Joseph Lang bereits 1807 und 1811 einen dreipoligen Kreislauf anhand eines linearen Gleichungssystems formal analysiert. Karl Marx (1855) verwendete explizit einen Kreislauf mit einer Zweiteilung der Produktionssphäre, Eugen v. Böhm-Bawerk (1889) stellte eine Strukturanalyse der Umwegproduktion dar, eine Kreislaufvorstellung steht hinter den Theorien von John Maynard Keynes (1930, 1936) und im deutschsprachigen Raum haben sich insbesondere Carl Föhl (1937) und Hans Peter (1943, 1954) um die Weiterentwicklung der Kreislaufidee verdient gemacht. Die wohl bekanntesten Ausformungen des W. stellen die VGR und die auf Wassily Leontief zurückgehende Input-Output-Rechnung dar. Die VGR wird i.d.R. in Kontenform präsentiert. Sie stellt einen Ex-Post-Kreislauf dar, der einen quantitativen Gesamtabriß einer Volkswirtschaft im Sinne definitorischer Zusammenhänge vermittelt. Diese unvollständige Aufzählung sollte einen Eindruck von der Vielfalt vorhandener Kreislaufsysteme vermitteln. Es gibt kein wahres Kreislaufschema, die Kreislauftheorie stellt vielmehr ein sehr flexibles Gerüst dar, das je nach Fragestellung, gesellschaftlichen Gegebenheiten und statistischer Verfügbarkeit der Daten sehr unterschiedlich aufgefüllt werden kann. W. sind auch keineswegs auf eine Abbildung von Wertströmen (monetäre Kreisläufe (Geldkreislauf)) beschränkt. Die Ströme können grundsätzlich in Arbeitsstunden, Joule, Tonnen oder Stück gemessen werden. Auch das uns selbstverständlich gewordene Kreislaufschema der VGR stellt unter diesem Aspekt nur eine mögliche Ausprägung der Kreislaufidee dar, die modifiziert werden kann (und auch bereits mehrfach erheblich modifiziert wurde). Ergänzt man die Ex-Post-Systeme um Aussagen über funktionelle Abhängigkeiten, reichert man also das Kreislaufschema mit Hypothesen an, dann begibt man sich auf das Gebiet von Ex-Ante-Kreisläufen. Solche Systeme haben gerade als makroökonomische Modelle große Bedeutung auch für die Wirtschaftspolitik (Theorie der Wirtschaftspolitik) erlangt und existieren mittlerweile in vielen Varianten. Erwähnenswert ist noch, daß die Kreislaufidee in vielen wissenschaftlichen Disziplinen (Medizin, Physik, Elektrotechnik, Biologie etc.) verwendet wird. In letzter Zeit wird fachübergreifend versucht, Gesamtsysteme zu erstellen, die ökonomische und ökologische Kreisläufe in einem Gesamtmodell vereinen.

Literatur: R. G. Busacker, T. L. Saaty, Endliche Graphen und Netzwerke. München 1968. H. W. Holub/H. Schnabl, Input-Output-Rechnung: Input-Output-Tabellen.
3. A., München, Wien 1994, Kap. I und II. W. Krelle, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Berlin 1959, Kap. I und II. H. Reichardt, Kreislaufaspekte in der Ökonomik. Tübingen 1967.

 

 


 

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