Netzwerke
Inhaltsübersicht
I. Interorganisationale Netzwerke
II. Determinanten des Erfolgs regionaler Netzwerke
III. Kritische Würdigung
I. Interorganisationale Netzwerke
Wenn heute von neuen Leitbildern für Organisation und Unternehmensführung gesprochen wird, dann ist auch von besonderen Herausforderungen für Beziehungen zwischen Organisationen die Rede. Formen organisationsübergreifender Zusammenarbeit können auf bilaterale Beziehungen beschränkt sein. Sie können aber auch eine größere Anzahl interagierender Organisationen mit einschließen. In diesem Fall wird von einem interorganisationalen Netzwerk gesprochen, das sich durch eine mehr oder weniger kooperative, formalisierte und stabile Arbeitsteilung und Zusammenarbeit rechtlich selbstständiger Organisationen auszeichnet.
In der Literatur finden sich je nach Tätigkeit und Gestaltung unterschiedliche Bezeichnungen für interorganisationale Netzwerke, wie strategische Netzwerke, Wertschöpfungsnetzwerke, Innovationsnetzwerke, virtuelle Netzwerke und industrielle Distrikte (Grabher, Gernot 1993). Es gibt auch eine Vielzahl unterschiedlicher Kriterien, die zur Typologisierung der verschiedenen Formen interorganisationaler Netzwerkbeziehungen herangezogen werden. Dazu gehören z.B. die Art der Interdependenz (komplementär oder kommensalistisch), die Richtung der Beziehungen (horizontal oder vertikal), die Intensität der Beziehung (direkter oder indirekter Austausch) und die räumliche Verteilung der vernetzten Organisationen (regional, international oder global) (Langlois, Richard/Robertson, Paul 1995).
Ein gesteigertes Interesse ist in letzter Zeit besonders an der Entstehung und Weiterentwicklung von interorganisationalen Netzwerken, in denen sich hauptsächlich kleine und mittlere und auf wenige Produktionsschritte spezialisierte Unternehmen kooperativ zusammenfinden, festzustellen. Hierbei handelt es sich oft um räumlich konzentrierte Unternehmensnetzwerke, die bzgl. ihrer Innovations- und Lernpotenziale eine wesentliche Grundlage regionaler Leistungsfähigkeit bilden und auch kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit geben, sich im globalen Wettbewerb mit Produzenten in Niedrigkostenländern zu behaupten. Der vorliegende Beitrag soll einen Überblick über die Grundaussagen in der Literatur zu regionalen Netzwerken bieten. Als empirische Beispiele für die Aussagen dienen die Erfahrungen der Industriedistrikte im nördlichen Italien, dem sog. „ Dritten Italien “ .
1. Das regionale Unternehmensnetzwerk als Typus interorganisationaler Netzwerke
Ein wesentliches Merkmal regionaler Unternehmensnetzwerke ist das gemeinsame soziale Milieu, in das die Unternehmen, ihre Mitarbeiter und die lokalen institutionellen Organisationen eingebunden sind (Maillat, Denis 1995). Dieses Milieu zeigt sich in einem gemeinsamen Verständnis von Kooperation, Kommunikation und Konfliktlösung und in dem intensiven Austausch von materiellen Ressourcen, Informationen und insb. nicht standardisierbarem Wissen. Man spricht von solchen Netzwerken als „ socio-territorial entity which is characterised by the active presence of both a community of people and a population of firms in one naturally and historically bounded area “ (Becattini, Giacomo 1990, S. 38). Demnach ist das Zusammenfließen von Unternehmen und Gesellschaft in der Region für die Leistungsfähigkeit der Netzwerke von herausragender Bedeutung.
Die kooperative Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen erstreckt sich nicht auf alle Bereiche. Tatsächlich besteht ein ausgeprägter Wettbewerb unter den Firmen, der jedoch weniger über den Preis von Gütern und Dienstleistungen als über die Differenzierung des Outputs und der Produktionsprozesse verläuft (Lazerson, Mark 1988). Der Wettbewerb beschränkt sich hauptsächlich auf die Bereiche, in denen Unternehmen eine eigene und distinkte Kompetenz entwickeln können und in denen idiosynkratisches Wissen eine wichtige Rolle spielt (z.B. in den Bereichen Design, Forschung und Prototypentwicklung). Kooperative Austauschbeziehungen beschränken sich mehr auf Aktivitäten mit einem hohen Standardisierungsgrad (z.B. Buchhaltung und Mitarbeiterausbildung in den Grundfähigkeiten) und Bereiche, in denen Skalenerträge sich über die Grenzen der Unternehmen hinweg erstrecken (z.B. Einkauf und Teilnahme an Industriemessen). Die vermeintlichen Inkompatibilitäten von Kooperation und Wettbewerb lösen sich in einer gemeinsamen Netzwerkstrategie auf, in der eine für alle Beteiligten optimale Mischung der beiden Kräfte angestrebt wird und so die Transaktionskosten innerhalb des Netzwerkes (anstatt innerhalb der Unternehmen) reduziert werden.
2. Beispiele regionaler Netzwerke
Beispiele für innovative Regionen mit intensiven, soziokulturell verankerten und institutionell stabilisierten Organisations- und Kommunikationsnetzwerken sind die hochtechnologieorientierten Distrikte in Kalifornien im Bereich Halbleiterfertigung und Biotechnologie und das medizintechnische Cluster im baden-württembergischen Tuttlingen, die Pariser Modeindustrie, die Finanzdienstleistungsdistrikte in London und New York, die Multimedia- und Kulturdistrikte in Südkalifornien und die größere Anzahl von Industriedistrikten in Norditalien in Bereichen wie Schuhwaren, Textil und Keramik. Diese Beispiele zeigen, wie unterschiedlich die wirtschaftlichen Bereiche sind, in denen regionale Netzwerke sich neben anderen Formen der Produktion und des Austauschs behaupten und sogar prosperieren können. In einigen dieser Netzwerke steht die Entwicklung fortgeschrittener Technologien im Vordergrund, in anderen geht es um die Bereitstellung innovativer Dienstleistungen oder um die Entwicklung modischer und kurzlebiger Produkte. Auch traditionelle und gereifte Branchen können erfolgreich über regionale Netzwerke organisiert sein, wie z.B. die Möbel- und Nahrungsmittelproduktion in einigen Teilen Dänemarks (Maskell, Peter 1998).
Ein Beispiel für ein produktspezialisiertes, regionales Netzwerk ist der Strickwarendistrikt von Modena, Italien (Lazerson, Mark 1995). Der Modena-Distrikt gehört zu den Regionen Italiens, in denen traditionelle Handwerkstrukturen eine bedeutende Rolle spielen und die ansässigen mittelständischen Unternehmen sich auf die Herstellung qualitativ hochwertiger Produkte spezialisieren. Die Unternehmen sind im Durchschnitt sehr klein und werden als Familienbetriebe geführt. Von den etwa 2.500 Strickwarenherstellern Mitte der 1990er-Jahre beschäftigten 70 Prozent weniger als fünf Arbeiter (mithelfende Familienmitglieder mitgerechnet). Weniger als ein Drittel der Hersteller produzieren ein Endprodukt und nur etwa fünf Prozent dieser Firmen stellen eine mehr oder weniger komplette Palette an Bekleidungsstücken her. Die meisten der Unternehmen sind reine Zulieferer, die im Auftrag anderer Firmen bestimmte Produktionsaufgaben übernehmen, oder Firmen, die ein Endprodukt vermarkten, sich auf Design konzentrieren oder den Produktionsablauf innerhalb der Wertschöpfungskette koordinieren. Die Hersteller beschränken sich in der Regel auf wenige Verarbeitungsschritte, wie z.B. das Bedrucken oder Besticken von Stoffen, die Herstellung von Knöpfen oder das Anbringen von Etiketten.
Diese ausgeprägte, unternehmensübergreifende Arbeitsteilung erfordert ein ausgeklügeltes und anpassungsfähiges Koordinationssystem. Hilfreich dabei ist die räumliche Nähe der Unternehmen. Sie erleichtert den Warenverkehr sowie den Austausch von Informationen, insb. den Austausch von nur schwer artikulierbarem Wissen. Doch sie garantiert nicht die für Innovationen nötige soziale Nähe. Diese nährt sich aus einer historisch gewachsenen Kooperationskultur und wird durch vertrauensfördernde, institutionelle Maßnahmen und Organisationen unterstützt.
II. Determinanten des Erfolgs regionaler Netzwerke
1. Flexible Spezialisierung
Typisch für die in zahlreichen Fallstudien untersuchten erfolgreichen Netzwerke ist der hohe Spezialisierungsgrad der Unternehmen und die dadurch erforderliche hohe Verflechtung der Akteure sowohl auf personaler wie organisationaler Ebene. Unter den Bedingungen wechselhafter Nachfrage und stark segmentierter Märkte können sich kleine Unternehmen einen komparativen Vorteil erarbeiten, indem sie sich innerhalb der Wertschöpfungskette auf bestimmte produkt- und/oder prozessbezogene Kompetenzen beschränken. Spezialisierte Unternehmen können so schneller auf unvorhergesehene Marktschwankungen reagieren als integrierte Massenhersteller, die eine ihrer Größe entsprechende rigide, bürokratische Kontrollstruktur benötigen. Der Sinn für Fokus, unterstützt durch den Einsatz flexibler Technologien, bedeutet niedrigere Overheadkosten, schlanke Organisationsstrukturen und schnelle Entscheidungsprozesse. Außerdem schafft die Spezialisierung der lokalen Unternehmen in unterschiedlichen Kompetenzen eine für Innovationen förderliche Diversität, wie sie in evolutionstheoretischen Studien gewöhnlich betont wird (Staber, Udo 2001a). In dem Maße, wie die spezialisierten Kompetenzen der Unternehmen in einem interorganisationalen Verflechtungsnetzwerk aufeinander abgestimmt sind, wird die Flexibilität der gesamten Wertschöpfungskette in der Region erhöht.
Die wirtschaftlichen Vorteile der flexiblen Spezialisierung werden gewöhnlich im Rahmen der neuen Institutionenökonomik thematisiert. Aus der Sicht der Williamson\'schen Transaktionskostentheorie löst flexible Spezialisierung das Problem der Anpassung von Unternehmen in Märkten mit hoher Nachfrageunsicherheit und Aufgabenkomplexität (Williamson, Oliver E. 1985). So ist es nicht überraschend, dass regionale Netzwerke mit einem hohen Spezialisierungsgrad besonders in Industrien entstehen, die in Nischenmärkten mit starken Nachfrageschwankungen und unter hohem Innovationsdruck operieren (z.B. Elektronik, Kultur/Unterhaltung und Modekleidung). Mit Blick auf die durch Steuerung anfallenden Transaktionskosten bedeutet dies, dass die Probleme der Koordination von der Ebene der Einzelunternehmung auf die des Netzwerkes verlagert werden und somit ein wirksames, interorganisationales Steuerungsinstrument erfordern. Aus transaktionskostentheoretischer Sicht bieten Netzwerke eine effiziente Organisationsform, die unter Bedingungen hoher Nachfrageunsicherheit, Aufgabenkomplexität und Innovationsdruck alternativen Formen des Austauschs überlegen ist. Doch ein hoher Spezialisierungsgrad führt zu Abhängigkeiten von Netzwerkpartnern, die wegen der damit einhergehenden Unsicherheiten Abstimmungsprozesse und intensiven Informationsaustausch notwendig machen und hohe Anforderungen an die organisatorische Leitung des Netzwerkes stellen.
2. Soziale Einbettung und Vertrauen
Räumliche Nähe erleichtert den Austausch von Informationen und Ressourcen insofern, als sie die entfernungsabhängigen Kosten reduziert und direkten, persönlichen Austausch unter Personen ermöglicht. Sie bedeutet jedoch nicht unbedingt eine für effizienten Austausch notwendige soziale Nähe und das damit zusammenhängende Sichverstehen. Netzwerkorientierte Aktivitäten, wie z.B. die Auswahl geeigneter Partner und die Bewertung der Ergebnisse, erfordern ein gewisses Maß an Vertrauen unter den beteiligten Akteuren, d.h. die Bereitschaft, Vorleistungen ohne die Gewissheit des Erhalts von Gegenleistungen zu erbringen.
Fallstudien zeigen, wie eine effektive Steuerung regionaler Netzwerke durch die Einbettung der beteiligten Akteure in lokale soziale Strukturen, die einen gewissen Zusammenhalt der unter Wettbewerbsdruck stehenden Hersteller ermöglichen, unterstützt wird. Diese soziale Einbettung wird von vielen Forschern als eine zentrale Ursache für das Entstehen und die Stabilität regionaler Netzwerke gesehen (Lorenzen, Mark 1998). Es lassen sich drei Dimensionen der sozialen Einbettung unterscheiden: eine strukturelle, eine relationale und eine kognitive Dimension.
Die strukturelle Dimension beinhaltet das personenunabhängige Gefüge der Netzwerkverbindungen. Sie umfasst damit bspw. das Vorhandensein oder Fehlen von Verbindungen zwischen einzelnen Akteuren, die Konfiguration eines Netzwerkes oder das Beziehungsportfolio eines Akteurs. In der Literatur sind es insb. die Heterogenität des Netzwerkes sowie die Multiplexität spezifischer Netzwerkbeziehungen, die als erfolgskritisch gesehen werden. Die Rollenüberlagerung in multiplexen Beziehungen erhöht das Ausmaß und die Unterschiedlichkeit an Ressourcen, die Akteuren zur Verfügung stehen, und somit die Lern- und Innovationsfähigkeit des Netzwerkes. In den industriellen Distrikten des „ Dritten Italiens “ kommen diese strukturellen Aspekte der Netzwerke durch Familienverbünde zustande. In anderen Distrikten ist es eher eine hohe berufliche Mobilität von Mitarbeitern, die die Unternehmen miteinander verbindet und das Vertrauen stärkt.
Die relationale Dimension der sozialen Einbettung beschreibt die Eigenschaften einer spezifischen Beziehung, auf deren Basis die Beziehung funktioniert. In diesem Zusammenhang sind bspw. gemeinsam geteilte Normen und Verpflichtungen zwischen Akteuren von Bedeutung. Sie stellen Orientierungshilfen für Handlungsentwürfe dar, die das Verhalten der Akteure koordinieren und einschätzbar machen helfen. In Netzwerken zeigt sich die relationale Dimension in der Art, wie soziale Kontrollmechanismen zur Verhinderung von Vertrauensmissbrauch durch betrügerische Handlungen einzelner Personen eingesetzt werden.
Die kognitive Dimension der sozialen Einbettung stellt einen bedeutenden Aspekt des sozialen Zusammenhalts eines Netzwerkes dar, da sie Akteuren eine wechselseitige Interpretation ihrer Handlungsabsichten und Deutung von Ereignissen ermöglicht. Die interpretativen Schemata können als Filter verstanden werden, durch die Informationen aufgenommen und anschließend verarbeitet werden. In der Folge entsteht eine spezifische Ressource, die ein gemeinsames Verständnis kollektiver Ziele sowie ein gemeinschaftliches Handeln überhaupt erst möglich macht. So sind z.B. die Regionen des „ Dritten Italiens “ durch ein historisch tief verwurzeltes Gemeinschaftsgefühl gekennzeichnet, das zur Reduzierung der Transaktionskosten beiträgt.
3. Institutionelle Ordnung
Aufgrund des wirtschaftlichen Wettbewerbsdrucks von außen sind die Mechanismen sozialer Kontrolle und gemeinsam geteilter Deutungsmuster oft nicht ausreichend, um Auflösungsgefahren der Netzwerke entgegenzuwirken. Auch die erfolgreichen industriellen Distrikte in Italien unterliegen einem Strukturwandel, der durch Importe aus Niedrigkostenländern, Produktionsverlagerungen ins Ausland und dem Eindringen von Großunternehmen von außen über Allianzen und Firmenaufkäufe angetrieben wird. Diese Entwicklungen stellen eine Herausforderung für die Stabilität eines historisch gewachsenen Netzwerkes dar, die durch eine ergänzende institutionelle Ordnung aufgefangen werden sollen.
In dem Maße, wie die Unternehmen der Region funktional spezialisiert sind, sind Netzwerke für ihre Funktionalität und Leistungsfähigkeit auf branchenbezogene, nicht zuletzt aber auch auf gesellschaftsweite Institutionen angewiesen. Institutionen wie Forschungslabors, Schulungseinrichtungen, Beratungszentren und Finanzeinrichtungen sollen, im Zusammenspiel mit den Unternehmen der Region, für die notwendigen Ressourcen sorgen. Durch die Vernetzung der Institutionen sollen kollektiv nutzbare Leistungen wie Kontakte zu Finanzgebern, Vermittlung von qualifiziertem Personal und Teilnahme an gemeinsamen Messeveranstaltungen bereitgestellt werden (Storper, Michael 1997). Institutionen sollen auch der Sicherung einer kollektiven Ordnung dienen, die unternehmensübergreifende Lernprozesse, schnellen Wissenstransfer und gemeinsame Problemlösungen unterstützt (Lawson, Clive/Lorenz, Edward 1999).
Amin und Thrift (Amin, Ash/Thrift, Nigel 1994) sprechen in diesem Zusammenhang von einer für die kollektive Ordnung notwendigen „ institutionellen Dichte “ . Dabei geht es nicht ausschließlich um die einfache Präsenz formaler institutioneller Einrichtungen, die kollektiv nutzbare Leistungen bieten. Ebenso entscheidend sind die institutionellen Prozesse und Mechanismen, mit denen Erwartungen gefestigt, Informationen ausgetauscht und die Netzwerkakteure zu gemeinsamem Handeln ermutigt werden. Als Ergebnis institutioneller Dichte bilden sich kollektive Strukturen heraus, die die Organisation unterschiedlicher Interessen erleichtern und gleichzeitig opportunistisches Handeln einzudämmen helfen.
Erleichtert wird die Koordination im Netzwerk dadurch, dass die Institutionen den sozialen Konsens fördern und die Verbreitung von Ideen beschleunigen. Mit dem Bezug auf sozialen Konsens ist jedoch nicht gesagt, dass Interessenunterschieden und Machtdifferenzen keine Bedeutung zukommt. Im Gegenteil: Ebenso wie die Entstehung und Koordination von Netzwerken ist auch die Entwicklung der institutionellen Ordnung, nicht zuletzt aufgrund asymmetrisch verteilter Ressourcen, ein machtdurchtränkter Prozess, der den sozialen Konsens grundsätzlich in Frage stellt. Insofern ist die oben beschriebene soziale Einbettung der Netzwerkakteure auch für die Stabilität der institutionellen kollektiven Ordnung von Bedeutung.
III. Kritische Würdigung
Ob die interorganisationalen Netzwerke, wie oben beschrieben, historische Einzelfälle sind oder Prototypen für eine effektive Unternehmens- und Industriepolitik darstellen, ist in der Literatur heftig umstritten. Zum einen ist die empirische Validität einer sog. regionalen Netzwerktheorie auch nach zwei Dekaden intensiver Forschung noch offen (Staber, Udo 2001b). Die meisten Untersuchungen befassen sich jeweils nur mit einzelnen Facetten der Gesamtproblematik, basieren auf nicht repräsentativen Erhebungen einzelner Fälle und arbeiten selten mit multivariaten statistischen Verfahren. Die bestehenden Datensätze reichen nicht aus, um die Allgemeingültigkeit eines generischen Netzwerkmodells zu bestätigen und entsprechende Handlungsempfehlungen für erfolgversprechende Unternehmensstrategien abzuleiten. Aufgrund der Hinzunahme unterschiedlicher theoretischer Ansätze, die fast die gesamte Bandbreite von wirtschaftswissenschaftlichen bis gesellschaftswissenschaftlichen Bereichen abdecken, ist es ebenso schwierig, vom Idealtypus abweichende Forschungsergebnisse zusammenfassend zu bewerten. Und ohne gesichertes Wissen über die Kontextbedingungen, unter denen die Hauptaussagen Gültigkeit besitzen, ist es schwierig, die in einzelnen Netzwerken gesammelten Erfahrungen auf andere Netzwerke problemlos zu übertragen.
Zum anderen gibt auch die interne Komplexität eines regional eingebetteten Netzwerkes Anlass zu einer vorsichtigen Interpretierung der theoretischen Aussagen. Die hohe Anzahl an interagierenden und schwer messbaren Variablen, wie Qualität des Informationsflusses und gegenseitiges Vertrauen, führt zu einem komplexen Modell mit häufigen „ sowohl-als-auch “ -Aussagen. So sind z.B. die oben beschriebenen Vorteile der sozialen Einbettung keineswegs so eindeutig, dass sie nicht auch Risiken bergen können. Beispielsweise können zu großes Vertrauen und zu enge soziale Beziehungen zu Blockierungen möglicher Innovationen führen, wenn sie die Akteure dazu verleiten, neue Anforderungen, kritische Bewertungen und Warnsignale zu verdrängen. Innovationsfreudige Netzwerkkulturen erfordern offene Strukturen, die auch Möglichkeiten zum Infragestellen und Experimentieren bieten und die so negative Folgen von Pfadabhängigkeiten in Entwicklungsprozessen mindern helfen.
Trotz dieser Ambiguitäten liefern regional konzentrierte interorganisationale Netzwerke einen ernst zu nehmenden Beitrag zum Repertoire möglicher Strategien der Unternehmensführung sowie regionaler Wirtschaftspolitik. Netzwerke können von kleinen und mittleren Unternehmen dazu genutzt werden, eigene Schwächen in ihrer Ressourcenausstattung auszugleichen und mit Blick auf Verbundvorteile und Kostensynergieeffekte ähnlich effektiv wie ein integriertes Großunternehmen zu handeln. Für Großunternehmen erweitern interorganisationale Netzwerke die Möglichkeiten zur räumlichen Aufgliederung von Unternehmensfunktionen, erhöhen die Flexibilität der Standortwahl und schaffen Zugang zu standortspezifischen Ressourcen. Gleichzeitig benötigen regional konzentrierte Netzwerke Verbindungen mit globalen Netzwerken, um Innovationsimpulse von außen aufnehmen zu können, auch auf die Gefahr hin, dass regionenexterne Verflechtungen den inneren Zusammenhalt des Netzwerkes aushöhlen. Bereits theoretisch wird aufgrund der komplexen Zusammenhänge deutlich, dass die verschiedenen Formen interorganisationaler Netzwerke empirisch oft nur schwer zu trennen sind. Regional konzentrierte Netzwerke haben auch internationale Momente und tragen zur Wertschöpfung eines gesamten Produktionssystems bei. Diejenigen Netzwerke werden im internationalen Innovationswettbewerb am erfolgreichsten sein, die die für sie unter den jeweiligen lokalen und institutionellen Bedingungen passende Kombination von Wettbewerb und Kooperation gefunden haben.
Literatur:
Amin, Ash/Thrift, Nigel : Living in the global, in: Globalization, Institutions and Regional Development in Europe, hrsg. v. Amin, Ash/Thrift, Nigel, Oxford 1994, S. 1 – 22
Becattini, Giacomo : The Marshallian industrial district as a socio-economic notion, in: Industrial districts and interfirm cooperation in Italy, hrsg. v. Pyke, Frank/Becattini, Giacomo/Sengenberger, Werner, Geneva 1990, S. 37 – 51
Grabher, Gernot : The embedded firm: On the socioeconomics of industrial networks, London 1993
Langlois, Richard/Robertson, Paul : Firms, markets and economic change, London 1995
Lawson, Clive/Lorenz, Edward : Collective learning, tacit knowledge and regional innovative capacity, in: Regional Studies, Jg. 33, 1999, S. 305 – 317
Lazerson, Mark : A new phoenix? Modern putting-out in the Modena knitwear district, in: ASQ, Jg. 40, 1995, S. 34 – 59
Lazerson, Mark : Organizational growth of small firms: An outcome of markets and hierarchies?, in: ASR, Jg. 53, 1988, S. 330 – 342
Lorenzen, Mark : Specialisation and localised learning, Copenhagen 1998
Maillat, Denis : Territorial dynamic, innovative milieus and regional policy, in: Entrepreneurship and Regional Development, Jg. 7, 1995, S. 157 – 165
Maskell, Peter : Learning in the village economy of Denmark, in: Regional innovation systems, hrsg. v. Braczyk, Hans-Joachim/Cooke, Philip/Heidenreich, Martin, London 1998, S. 190 – 213
Staber, Udo : Spatial proximity and firm survival in a declining industrial district: The case of knitwear firms in Baden-Württemberg, in: Regional Studies, Jg. 35, 2001a, S. 329 – 341
Staber, Udo : The structure of networks in industrial districts, in: International Journal of Urban and Regional Research, Jg. 25, 2001b, S. 537 – 552
Storper, Michael : The regional world, New York 1997
Williamson, Oliver E. : The economic institutions of capitalism, New York 1985
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