Strukturpolitik
1. Theoretische und praktizierende S. Es gibt drei Grundformen der S., und zwar a) theoretische S., b) praktische S., c) angewandte S. Während die theoretische S. wissenschaftlich geprägt ist, setzt sich die praktische S. aus ad hoc geschaffenen Elementen der strukturpolitischen Praxis zusammen. Die angewandte S. erstreckt sich auf die Anwendung der theoretisch vorgeformten S. in der strukturpolitischen Praxis. Die praktizierende S., die in der Wirklichkeit betrieben wird, umfaßt sowohl die praktische und i.d.R. pragmatische S. als auch die angewandte und mehr konzeptionell geprägte S. Da sich die praktische und die angewandte zur praktizierenden S. zusammenfassen lassen, reduziert sich die Analyse de facto auf zwei Hauptformen der S. Die theoretische S. darf nicht in Gegensatz zu praktikabler S. gebracht werden. Im Gegenteil, eine wohldurchdachte und ausgereifte theoretische S. zeigt sich am möglichst hohen Grad der Praktikabilität und dem Umfang ihrer tatsächlichen Anwendung in der strukturpolitischen Praxis. Hauptaufgabe der theoretischen S. ist es, zur Erhöhung des Rationalitätsgrades der praktizierenden S. beizutragen. Sie kann einen Beitrag hierzu leisten, indem sie a) wirklichkeitsgetreue strukturelle Situationsanalysen erarbeitet, b) verdeckte (interpretationsbedürftige oder getarnte) Ziele der S. in offene Ziele umwandelt, c) eventuelle Zielkollisionen innerhalb der S. und mit anderen Zielen der Wirtschaftspolitik(Theorie der Wirtschaftspolitik) aufzeigt, d) zielkonforme Instrumente vorformt, e) die Systemkonformität der Instrumente überprüft und den eventuellen Grad der Systemveränderung beim Instrumenteneinsatz aufzeigt, f) praktikable Kriterien für die optimale Dosierung und den zeitlichen Einsatz strukturpollitischer Mittel erarbeitet, g) Aufwands-Nutzen-Vergleiche über mögliche strukturpolitische Maßnahmen anstellt, h) Vergleiche zwischen strukturpolitischer Konzeption und praktizierter S. vornimmt und im Falle eines Auseinanderklaffens von Konzeption und Wirklichkeit Vorschläge zur Annäherung der praktizierenden Politik an das Leitbild der S. macht.
2. Einbindungsschema der S. Die S. ist in ihrer theoretischen Form ein Teil der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und in ihrer praktizierenden Form ein Teil der praktizierenden Politik. Primär ist die S. ein Teil der Wirtschaftspolitik, und teilweise ist sie mit der Umwelt -, Sozial - und Bildungspolitik (Bildungsökonomik) verzahnt. Gliedert man die Volkswirtschaftslehre in Mikro-, Meso- und Makroökonomie, so hat die S. ihren wissenschaftlichen Standort im Bereich der Mesoökonomie. Die S. ist ein wesentlicher Teil der Mesoökonomie, die zwischen Mikro- und Makroökonomie angesiedelt ist und primär der Erforschung struktureller Erscheinungen und Probleme von Branchen, Regionen und Gruppen also mittleren Aggregaten zwischen Einzel- und Gesamtwirtschaft dient.
3. Begriff und Arten der S. S. ist neben der Ordnungs - und der Konjunkturpolitik der dritte Parameter staatlichen Handelns in marktwirtschaftlich (Marktwirtschaft) orientierten Wirtschaftssystemen . Die praktizierende S. umfaßt alle Bestrebungen und Maßnahmen strukturpolitischer Instanzen, die darauf abzielen - Strukturwandlungen innerhalb von und zwischen Teilaggregaten (Wirtschaftszweigen, Regionen, Betriebsgrößen-Klassen) in einer Gesamtwirtschaft auszulösen, zu verstärken, abzuschwächen oder zu unterbinden (Strukturprozeßpolitik) - und strukturbestimmende Relationen bestimmter Teilaggregate einer Gesamtwirtschaft (z.B. die Wettbewerbsverhältnisse bestimmter Wirtschaftszweige oder die Ansiedlungsbedingungen in bestimmten Regionen) abweichend von den allgemeingültigen Ordnungsprinzipien zu regeln (Regulierungspolitik). Neben der Strukturprozeßpolitik und der Regulierungspolitik gibt es noch eine Struktursozialpolitik, die aber primär der Sozialpolitik zuzurechnen ist. Sie dient hauptsächlich dazu, sozial schädliche Folgen bei den vom Strukturwandel Betroffenen zu beseitigen und soziale Härten im Zuge unvermeidbarer Strukturanpassungen zu mildern. Strukturwandlungen sind dauerhafte Veränderungen, die entweder plötzlich wie z.B. als Entwicklungsbruch infolge von Naturkatastrophen oder revolutionären Erfindungen oder stetig vor sich gehen und deren Trend stabil ist. I.d.R. ist die Entwicklung einer Volkswirtschaft von Wandlungen ihres inneren Gefüges, d.h. vor allem ihrer sektoralen und regionalen Struktur sowie ihrer außenwirtschaftlichen Verflechtungen begleitet. Strukturwandlungen sind sowohl eine Begleiterscheinung als auch eine Voraussetzung des ökonomischen Entwicklungsprozesses bzw. des Wirtschaftswachstums (Wachstumstheorie). Der Strukturwandel kann ökonomische und soziale Probleme mit sich bringen, die strukturpolitisches Handeln des Staates erfordern. So kommt es trotz erfahrungsgemäß im großen und ganzen funktionierender Marktsteuerung gelegentlich wg. mangelnder Anpassungsfähigkeit der Wirtschaftssubjekte zu hartnäckigen Ungleichgewichten auf den sektoralen und regionalen Arbeitsmärkten oder zu langandauernden Überkapazitäten oder vereinzelt auch zu Produktionsengpässen in bestimmten Branchen. In Fällen, in denen die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft versagen oder einen zu langwierigen und sozial zu schmerzhaften Anpassungsprozeß bewirken würden, versucht häufig der Staat, die Anpassungsprozesse in den Wirtschaftszweigen und Regionen abzukürzen und für die vom Strukturwandel belasteten Wirtschaftssubjekte sozial erträglich zu machen. Dabei zielt die S. auf die Beeinflussung verschiedener Teilaggregate ab. Richten sich die strukturpolitischen Maßnahmen primär auf Wirtschaftszweige, so handelt es sich um sektorale S., zielen sie dagegen auf Regionen, so haben wir es mit regionaler S. zu tun. Daneben werden die Probleme kleiner und mittlerer Unternehmen gelegentlich noch im Rahmen einer speziell betriebsgrößenorientierten S. (manchmal auch als Mittelstandspolitik bezeichnet) behandelt. Da Klein- und Mittelbetriebe häufig in bestimmten Branchen (wie Einzelhandel, Gaststätten- und Fremdenverkehrsgewerbe) konzentriert sind, kann die Problematik mittelständischer Betriebe ebenfalls im Rahmen der sektoralen S. analysiert werden. Dieses bringt zudem den Vorteil, daß durch Branchenvergleiche eventuelle Fehlurteile vermieden werden, wie z.B. die irrige Annahme, daß Kleinbetriebe stets und auf allen Gebieten Großbetrieben angeblich unterlegen sind. Regulierungspolitik wird notwendig bei Markt- und Wettbewerbsversagen, das vorliegt - wenn kein Marktangebot erfolgt, weil das Ausschlußprinzip wie im Fall öffentlicher Güter nicht angewandt werden kann oder soll, - wenn bei bestimmten (insbesondere umweltbelastenden) Produktionen negative externe Effekte nicht den Verursachern angelastet werden können, - wenn aufgrund von Größenvorteilen der Massenproduktion (economies of scale) ein "natürliches Monopol" die nachgefragte Gütermenge kostengünstiger und zu niedrigeren Abgabepreisen bereitstellen kann, als es mehrere Unternehmen unter Wettbewerbsbedingungen vermögen, - wenn in bestimmten Bereichen aufgrund von Besonderheiten der Produktion eine ständige Tendenz zu ruinösem Wettbewerb besteht. Erfahrungsgemäß sind auch funktionsfähige Märkte nicht vor (unnötigen) Regulierungen geschützt. Manche Regulierungen, die weniger wegen Markt- und Wettbewerbsversagens als vielmehr aus(wahl-) politischen Gründen eingeführt wurden, haben in der praktischen Anwendung zu Fehlallokationen der Ressourcen und zu Schädigungen des Gemeinwohls geführt. In solchen Fällen von offensichtlichem Politikversagen sind Deregulierungen notwendig.
4. Marktkonforme und dirigistische S. Zur Bewältigung der Probleme des Strukturwandels werden zwei grundsätzlich verschiedene Strategien verfolgt, die sich in marktkonformer S. oder in dirigistischer S. niederschlagen. Die marktkonforme S. läßt grundsätzlich die Marktkräfte darüber entscheiden, wann, wie und wo ein ökonomischer Strukturwandel stattfindet. Sie versucht aber, rechtliche und faktische Anpassungshemmnisse zu beseitigen und die Mobilität der Produktionsfaktoren zu steigern, um die Fähigkeit der Wirtschaftssubjekte zur Anpassung an den Strukturwandel zu verbessern. Direkte Eingriffe in den Prozeß der Strukturbildung werden vermieden. Es wird davon ausgegangen, daß je vollkommener die Rahmenbedingungen für den Leistungswettbewerb und die Strukturflexibilität sind, um so eher und besser gelingt den Wirtschaftssubjekten die Anpassung an den Strukturwandel aus eigener Kraft. Dagegen will die dirigistische S. mittels Strukturplanung und direkter Eingriffe die sektoralen und regionalen Strukturen eventuell auch gegen Markttendenzen in eine bestimmte Richtung lenken. Da eine umfassende imperative Strukturplanung zu einem zentral geleiteten Wirtschaftssystem, wie in den sozialistischen Ländern führen würde, wird meist versucht, mittels einer indikativen (richtungsweisenden) Strukturplanung die ökonomischen Strukturbildungen und den Strukturwandel zu beeinflussen. Die bisherigen Erfahrungen mit einer indikativen Strukturplanung auf Basis einer sektoralen Programmierung (so z.B. in Frankreich) sind jedoch nicht ermutigend, weil die Fehlplanungen eher zu- statt abgenommen haben. Es hat sich nämlich gezeigt, daß zentrale Planungsgremien unter der Regie des Staates den differenzierten ökonomischen und technologischen Strukturwandel meist ungenauer als die unmittelbaren Marktbeteiligten voraussehen.
Literatur: H.-R. Peters, Grundlagen der Mesoökonomie und Strukturpolitik. Reihe Uni-Taschenbücher (UTB) Nr. 1087. Bern und Stuttgart 1981. H.-R. Peters, Sektorale Strukturpolitik. München und Wien 1988.
|