Konjunkturpolitik
Da der Markt die zyklischen Schwankungen der Nachfrage nur unzureichend, zumindest aber mit einem als nicht hinnehmbar angesehenen Zeitbedarf korrigiert, greift die K. unterstützend ein. In die durch die Preisstarrheit entstandene Steuerungslücke tritt sie, indem sie mit befristeten Belastungsvariationen "künstliche" Preisdifferenzen schafft, um Einfluß auf die zeitliche Verteilung der Käufe zu nehmen. Sie hat dabei Entscheidungen über die Dosierung, die Dauer und den Zeitpunkt des Mitteleinsatzes zu treffen.
1. Die Ziele der K. sind: stabile Preise Vollbeschäftigung Ausgleich der Zahlungsbilanz. Preise und Beschäftigungsgrad sind Indikatoren des Zyklus, auch Symptome genannt, und nicht Faktoren, die den konjunkturellen Verlauf (Konjunkturtheorie) bestimmen. Obgleich beide den konjunkturrelevanten Entscheidungen mit beträchtlichem zeitlichen Abstand nachfolgen, wird mit ihnen das konjunkturpolitische Ziel beschrieben. Die antizyklischen Maßnahmen werden trotz aller Kritik häufig noch an ihnen orientiert, da vor allem einschneidende Restriktionen meist erst bei sichtbaren Verletzungen des Stabilitätsgebots durchsetzbar werden. Zahlungsbilanzfragen (Zahlungsbilanz) bestimmen die Konjunkturpolitik meist erst dann, wenn die Devisenreserven zu erschöpfen drohen oder wenn der Inflationsimport (Inflationstheorie ,
3. 3.) bedrohliche Ausmaße annimmt. Dies trägt der K. den Vorwurf ein, an den "Symptomen herumzukurieren". Sie ginge nicht an die Ursachen zyklischer Schwankungen heran, um sie nach Möglichkeit von vornherei auszuschalten.Es gibt keine stabile politische Rangfolge bzw. Wertigkeit der Ziele; sieht man davon ab, daß das Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts in der politischen Diskussion weitgehend vernachlässigt wird. Lediglich vor der Bundestagswahl 1969 gelang es Schiller, die Aufwertung zur dominierenden Sachfrage im Wahlkampf zu machen. Im Vordergrund stand damals allerdings nicht die Suche nach dem Ausgleich der Zahlungsbilanz; die Aufwertung sollte das Inland vor der importierten Inflation schützen. Meinungsumfragen zeigen immer wieder, daß das Ziel, das in den vergangenen Monaten am stärksten gefährdet war, sich in der politischen Diskussion in den Vordergrund drängt in inflatorischen Zeiten das Stabilisierungsgebot, bei Arbeitslosigkeit das Beschäftigungsziel.
2. Die K. kann vom Ziel her gesehen a) abloße Glättung der Zyklen (reine Verstetigungspolitik) und/od., wie die K. üblicherweise verstanden wird, b) als gleichzeitiges Anstreben eines bestimmten Beschäftigungsstandes (Niveausteuerung) definiert werden.Beide Ziele lassen sich mit unterschiedlichen Vorgehensweisen verfolgen: c) mit einer Politik, welche die Ursachen der konjunkturellen Schwankungen ausschalten will (der Ursachentherapie) und mit d) einer Politik, die deren Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage auszugleichen versucht.
3. Steuerungsdefizite lassen sich auf drei interdependente (Interdependenz) Gründe zurückführen. Zu nennen sind zum ersten Informationsmängel. Sie verzögern die Marktkorrektur über den Preismechanismus (Preisfunktion) und lassen die Investoren (aber auch die Konsumenten), die angesichts der konjukturellen Risiken auf deutliche expansive Zeichen warten, ihre Pläne zurückstellen. Als zweiter Grund ist der Verteilungsdefekt zu nennen. Er führt zu rationiertem Angebot (mit Entlassungen und Investitionskürzungen als Folge), wenn die geforderten Renditen nicht erreichbar sind. Dritter Grund für zyklische Prozesse ist eine Nachfragelücke (deflatorische Lücke) (bzw. -überschuß; inflatorische Lücke) durch Zufall oder externe Einflüsse verursacht, aber auch rückführbar auf Informationsmängel und Verteilungsdefekte, aufgegriffen und verstärkt jeweils durch den Akzelerator -Multiplikator-Prozeß. Trotz des unbestrittenen Vorrangs der Ursachentherapie bleiben dem Konjunkturpolitiker doch zumeist nur nachträgliche kompensierende Maßnahmen, da die Kausalfaktoren des Zyklus, die nicht von vornherein ausgeschaltet werden können, häufig erst an ihren späteren Auswirkungen zu erkennen sind. Zudem sind die Mittel, die an der Ursache ansetzen können, z.B. an der Lohnverzögerung im Aufschwung, im geeigneten Moment meist noch nicht verfügbar. Solange aber der Ansatz an den Ursachen aus prognostischen (Prognose) bzw. aus Gründen der politischen Durchsetzbarkeit nicht gelingt, bleibt der Konjunkturpolitiker auf den nachträglichen Ausgleich entstandener Nachfragelücken oder vorhandener Überhänge angewiesen. Konjunkturelle Störungen können zwar aus den genannten Gründen meist nicht von vornherein ausgeschaltet werden, einzelne "bekannte Bruchstellen" aber, bezogen auf die Bundesrepublik vor allem die Exportüberschüsse und die Geldzuflüsse aus dem Ausland, ließen sich mit den Mitteln der außenwirtschaftlichen Absicherung abdichten. Als Ersatzstrategie gegen andere unausschaltbare Kausalfaktoren könnte versucht werden, zumindest die kumulativen Effekte der ungewollten konjunkturellen Impulse zu unterbinden, also den primären Anstoß zu isolieren. Gelingt es der Ursachentherapie also beispielsweise nicht, einen Rückgang der Investitionen aufzuhalten, so sollte sie doch zumindest umgehend den negativen Einkommenseffekt auszugleichen versuchen, um das mit Verzögerung auf die Investitionen folgende Sinken des Konsums aufzuhalten, das seinerseits wiederum die Investitionsneigung beeinträchtigt. Mit dem steuerlichen Ausgleich des Einkommensausfalls, möglich auch durch Rentenerhöhungen oder Arbeitslosenunterstützung, ließe sich der konjunkturelle Impuls isolieren.
4. Auch die kompensatorische K. begnügt sich heute nicht mehr mit dem bloßen Ausgleich globaler Lücken oder Überschüsse in der Nachfrage. Sie integriert zunehmend strukturelle Komponenten. So meidet sie nicht nur konjunktursteuernde Instrumente, deren intensiver Einsatz in vergangenen Jahren nicht selten ungewollte strukturelle Nebeneffekte hatte. Sie verzichtet heute beispielsweise auf scharfe geldpolitische Restriktionen, die kleineren und mittleren Unternehmen (Betrieb, I.) den Zugang zum Kredit versperren. Sie sorgt darüberhinaus inzwischen für eine ausgewogenere strukturelle Wirkung der Nachfragesteuerung. So nimmt sie den öffentlichen Investitionen die Last der Konjunktursteuerung und überträgt sie zunehmend auf die breiter ansetzende Steuerpolitik. Auch der Außenhandel wird heute in die K. einbezogen und bleibt nicht länger verschont. Die Vielfalt der eingesetzten Instrumente mit dem breit gestreuten Zugriff auf sämtliche Nachfragesektoren soll die ausgewogene strukturelle Wirkung der K. bringen. Zeigen sich im konjunkturellen Abschwung strukturelle Schwächen in einzelnen Wirtschaftszweigen oder Regionen, dann wird ihnen heute durch Sonderprogramme begegnet. Diese gezielten Hilfen sind als Ausfluß der Dominanz des Beschäftigungszieles zu sehen, das auf Kosten langfristig wirksamer Marktfaktoren den Vorrang für die Gegenwart reklamiert. Die Sonderprogramme verstoßen zwar gegen den Grundsatz der Globalsteuerung , die Lösung struktureller Fragen dem Markt zu belassen. Sie geben der K. aber andererseits die Chance, Restriktionen zugunsten des Preisdämpfungseffektes länger und damit erfolgversprechender durchzuhalten, bevor der Anstieg der Arbeitslosenzahlen im Zuge des konjunkturellen Abwärtsprozesses die Wende zur expansiven K. erzwingt. Die Beschäftigungssicherung durch die Sonderprogramme kann der restriktiven K. die Zeit geben, die sie braucht, um sichtbare Stabilisierungserfolge zu realisieren. Ganz anders sieht es indes aus, wenn es in der Rezession nicht nur gilt, eine vorübergehende Nachfragelücke auszugleichen, sondern wenn die Wachstumsdynamik erlahmt ist, wenn also der Angebotswille belebt werden muß ("Revitalisierung"). Durch kostenmäßige Entlastungen muß dann Investieren wieder gewinnversprechend gemacht werden, soll Spielraum und Anreiz für steigende Investitionen geschaffen werden (bezeichnet als angebotsorientierte K.).
5. Geld - und Fiskalpolitik (Finanzpolitik) bieten neben der Lohnpolitik und den Mitteln der außenwirtschaftlichen Absicherung der Konjunkturpolitik die Instrumente an. Während die Geldpolitik indirekt, sozusagen im "monetären Vorfeld" ansetzt, kann die Fiskalpolitik direkter, das will heißen: nachfragenäher, eingreifen. Über die Ausgabenpolitik wird sie selbst als Nachfrager tätig, über die Steuerpolitik kann sie immerhin noch den langen Übertragungsweg des monetären Impulses verkürzen. Sie braucht nicht abzuwarten, bis der monetäre Anstoß die Letztnachfrager erreicht, sie trifft unmittelbar die Kasse der Investoren und Konsumenten. Die Fiskalpolitik hat demnach die geringere Wirkungsverzögerung. Sie verkürzt den Übertragungsweg. Die direkte Art ihres Zugriffs bringt aber politische Probleme. Interessenkonflikte werden mit der Steuer- und Ausgabenpolitik deutlich angesprochen. Partielle Interessen werden sich zusammenfinden und Entscheidungen in ihrem Sinn verlangen oder die im Zuge einer restriktiven K. erforderlich werdenden Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen zu blockieren trachten (das bringt eine längere Verzögerung der Entscheidungen). Geld- und Fiskalpolitik, abgeschirmt durch eine wirkungsvolle außenwirtschaftliche Absicherung, müssen aufeinander abgestimmt werden. Die Geldpolitik gibt der Fiskalpolitik den monetären Rahmen vor. Der Fiskus kann ihn allerdings durch Geldstillegungen im Zuge der Realisierung seines restriktiven Programmes darüber hinausgehend einengen od., falls er einen direkten Zugang zum Notenbankkredit hat oder Konjunkturausgleichsrücklagen auflösen kann, auch erweitern. Eine restriktive Fiskalpolitik, die nicht von einer gleichgerichteten Geldpolitik begleitet wird, scheitert i.d.R. daran, daß sie den Weg der Überwälzung der erhöhten Steuerbelastung offenläßt. Die Steuererhöhung wird auf die Preise aufgeschlagen, der steigende Finanzierungsbedarf durch Kreditaufnahmen abgedeckt. Umgekehrt können expansive Fiskalimpulse bei einer kurzen Geldmengendecke (Geldmenge) ein schnelles Ende finden, bei gleichgerichteter Geldpolitik zusammen mit dem Geldmengeneffekt aber die gewünschte konjunkturelle Belebung bringen. Für die Lohnpolitik sind die autonomen Tarifverbände (Tarifparteien) verantwortlich. Die Koordinierungsfrage stellt sich hier nicht nur im Mittelbereich, es müssen mit dem Staat und den Tarifverbänden voneinander unabhängige Träger konjunkturpolitischer Entscheidungskompetenzen zu einem abgestimmten Handeln gebracht werden.
Literatur: U. Teichmann, Grundriß der Konjunkturpolitik.
4. A., München 1988. D. Cassel/H. J. Thieme, Stabilitätspolitik, in: D. Bender u.a. (Hrsg.), Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd.
2.
5. A., München 1992.
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