Befragung
In der Wirtschaftssoziologie: Umfrage, Untersuchung insbesonders von Einstellungen und Meinungen in einer Bevölkerung mit Hilfe des Interviews.
Befragungen sind das am häufigsten angewandte Erhebungsinstrument. Probanden geben unmittelbar selbst Auskunft über die interessierenden Sachverhalte. Die unterschiedlichen Arten der Befragung lassen sich differenzieren nach der Art der Kommunikation (schriftlich (Fragebogen), mündlich, telefonisch, online), dem Grad der Standardisierung (freies Interview vs. standardisierter Fragenkatalog), der Zahl der gleichzeitig befragten Personen (Einzelinterview vs. Gruppeninterview), der Häufigkeit der Befragung (einmalig vs. mehrmalig) und dem Gegenstand der Befragung (Einthemenbefragung vs. Mehrthemenbefragung/Omnibusbefragung). Siehe auch Marktforschungsmethoden und Marktforschung, jeweils mit Literaturangaben.
Unter demBegriff Befragung werden mehrere Erhebungsmethoden der Primärforschung zusammengefaßt, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass die Auskunftsperson durch verbale und andere Stimuli (schriftliche Fragen, Bildvorlagen, Produkte etc.) zu Aussagen über den Untersuchungsgegenstand veranlaßt werden. Befragungsmethoden können nach dem Standardisierungsgrad, nach der Art der Fragestellung, nach der Kommunikationsform, nach dem Befragungsgegenstand, nach dem Befragtenkreis und nach der Befragungshäufigkeit eingeteilt werden. Der Standardisierungsgrad einer Befragung bringt zum Ausdruck, inwieweit Wortlaut und Reihenfolge der Fragen festgelegt sind. Im Extremfall einer vollständig standardisierten Befragung liegt ein strikt einzuhaltender Fragebogen vor, in dem die Formulierung, die Reihenfolge, die Anzahl der Fragen und die Antwortmöglichkeiten vollständig vorgegeben sind. Weitere Regelungen betreffen das Interviewerverhalten. Der Vorteil standardisierter Befragung liegt in der Vollständigkeit der Antworten, in der leichten Quantifizierbarkeit der Ergebnisse und in der hohen Zuverlässigkeit (Reliabilität), da der Interviewer keine Fragen hinzufügen und die Fragenformulierung und -reihenfolge nicht ändern kann (Interviewereinfluß). Einschränkungen können sich mitunter hinsichtlich der Gültigkeit (Validität) ergeben, wenn die Fragestellung und die Antwortvorgabe nicht die wahre Situation der Befragten erfaßt. Bei teil- bzw. nichtstandardisierten Befragungen liegt im ersten Fall nur ein Interviewerleitfaden vor, wobei die Reihenfolge und die Formulierung der Fragen von Fall zu Fall variiert. Im zweiten Fall ist nur ein Rahmenthema vorgegeben und dem Interviewer ist völlige Freiheit hinsichtlich der Abwicklung gegeben. Solche, auch als Tiefeninterviews bezeichnete Befragungen, sind v.a. in der Anfangsphase von Forschungsvorhaben wertvoll, wenn es um die Präzisierung des Untersuchungsgegenstandes geht, da hier die verschiedensten Aspekte beleuchtet werden können, und die freie Gesprächsführung die Auskunftsbereitschaft und Spontaneität der Befragten erhöht. Nachteilig sind die hohen Kosten und damit die geringe Anzahl der durchführbaren Interviews, der starke Interviewereinfluß und die geringe Reliabilität und Validität der Ergebnisse. Nach der Art der Fragestellung (Fragebogen) unterscheidet man die direkte Befragung, bei der ohne Umschweife der zu erforschende Sachverhalt ermittelt wird (z.B. „Wie alt sind Sie“?), sowie die indirekte Befragung mit den beiden Unterformen der psychologisch zweckmäßigen Frage- und Antwortformulierung sowie der projektiven Tests (Tests). Im ersten Fall versucht man, unwahre Angaben (z. B. Prestigeantworten) durch geschickte Gestaltung der Fragen und Antwortvorgaben zu vermeiden. Im zweiten Fall soll der Befragte durch Präsentation mehrdeutiger Stimuli (z.B. Bilder, die den Konsum einer Marke oder eine Einkaufssituation zeigen) in die Antworten seine Meinung, Werte oder Vorurteile hineinprojizieren, so dass auf diesem Wege Aussagen gewonnen werden, die bei direkter Fragestellung nicht zu erhalten sind, da der Befragte diese Antworten nicht geben kann oder geben will. Die drei Grundformen der Kommunikation sind die mündliche, die telefonische und die schriftliche Befragung. Daneben finden sich die Sonderformen der computergestützten Befragung. Alle drei Grundformen weisen spezifische Vor- und Nachteile auf, die bei ihrem Einsatz abzuwägen sind: Bei mündlicher Befragung ist durch Anwendung geeigneter Auswahlverfahren und durch die relativ hohe Antwortquote die Repräsentanz der Ergebnisse am ehesten gewährleistet. Hinzu kommt die große Flexibilität des Verfahrens, da grundsätzlich alle Arten von Stimuli und das gesamte Spektrum des Frage- und Antwortinstrumentariums einsetzbar sind. Nachteilig sind die lange Abwicklungsdauer, die hohen Kosten und die Möglichkeit des Interviewereinflusses. Telefonische Befragungen leiden darunter, dass in manchen Grundgesamtheiten ein mehr oder weniger großer Teil der Befragten kein Telefon besitzt und eine höhere Änt- wortverweigerungsrate als bei mündlicher Befragung vorliegt. Daneben können nur einfache Sachverhalte und ein begrenzter Themenkreis erhoben werden. Vorteilhaft sind die schnelle Abwicklung (Blitzumfrage), die vergleichsweise niedrigen Kosten und die Abschwächung des Interviewereinflusses. Nach einer Context-Umfrage bei 121 der 125 deutschen Marktforschungsinstitute beträgt der Umsatzanteil der insgesamt 1,67 Mio. Telefonbefragungen 17,6%, der Anteil an allen Interviews (5,4 Mio.) dagegen 31%. Schriftliche Befragungen weisen zumeist nur eine geringe Rücklaufquote auf, wodurch mitunter die Repräsentanz sehr eingeschränktwird. Hinzu kommt, dass j e nach Befragtenkreis erhebliche Rücksichten auf die Auskunftsfähigkeit der Personen genommen werden müssen. Des weiteren fehlt die Kontrolle des Verständnisses, der Antwortvollständigkeit, der Einhaltung der Fragenreihenfolge und der Person, die den Fragebogen ausfüllt. Andererseits sind die Kosten relativ niedrigund der Interviewereinfluß entfällt. Die Wahl der Kommunikationsform muss daher letztlich unter Beachtung der Forschungsfrage, der notwendigen Informationsqualität sowie der Zeit- und Kostenbeschränkungen erfolgen. In der Praxis werden zur Vermeidung der Vor- und Nachteile häufig Kombinationen eingesetzt (z.B. telefonische Gewinnung von Auskunftspersonen für eine schriftliche Befragung). Dem Befragungsgegenstand entsprechend gibt es die Formen der Einthemen- und der Mehrthemenbefragung („Omnibusbefragung“ ). Einthemenbefragungen erlauben die ausführliche Auseinandersetzung mit einem Themenkreis, Mehrthemenumfragen ermöglichen die Abfrage mehrerer unabhängiger Themenbereiche. Hierdurch lassen sich bei mehreren verschiedenen Auftraggebern nicht nur die Kosten senken, sondern auch unerwünschte Ausstrahlungseffekte und Konsistenzeffekte durch entsprechende Anforderung der verschiedenen Fragestellungen im Fragebogen verringern. Hinsichtlich des Befragtenkreises kann sich die Befragung an Abnehmer (Konsumenten, industrielle Verwender), an Händler oder an Experten richten. Expertenbefragungen empfehlen sich insb. in der Anfangsphase größerer Forschungsvorhaben, wenn es darum geht, das Untersuchungsproblem zu präzisieren oder zusätzliche Einsichten zu gewinnen. In allen Fällen können die Personen einzeln (Einzelinterview) oder in Gruppen (Gruppeninterview) befragt werden. Gruppeninterviews haben den Vorteil, dass sich die Erhebungskosten verringern lassen und dass sich bei unstrukturierten Interviews die Teilnehmer wechselseitig ergänzen und anregen, so dass tiefergehende Einsichten gewonnen werden können. Nachteilig ist wiederum die mögliche Verzerrung der Ergebnisse durch Dominanz einzelner Personen oder durch Gruppendruck. Nach der Befragungshäufigkeit ist zwischen einmaliger Befragung zu einem Thema und mehrmaliger Befragung zu unterscheiden. Die mehrmalige Befragung zum gleichen Untersuchungsgegenstand kann sich an jeweils unterschiedliche Stichproben wenden, wobei hier die Aktualisierung der Forschungsfrage im Vordergrund steht (z. B. die Analyse des Medienverhaltens), oder sie wird bei einer im Zeitablauf gleichbleibenden Stichprobe durchgeführt (Panel), um insb. Veränderungen im Zeitablauf bei einzelnen Zielgruppen festzustellen (z.B. Markenwechsel, Reaktionen auf Änderungen der Marketingmaßnahmen, Änderung der Konsumgewohnheiten etc.). In der Marktforschungspraxis werden diese Grundformen zumeist zu geläufigen Erhebungsmethoden kombiniert. So werden in der explorativen Forschung Endverbraucher und Experten durch Interviewer mündlich befragt, wobei die indirekte Befragung eingesetzt wird, um die Befragten in ihren Antwortspielräumen bzw. in den anzusprechenden Themenfacetten nicht einzuengen. Andererseits wird die bei deskriptiver Forschung geläufige mündliche, schriftliche, telefonische oder Btx- bzw. computergestützte Befragung zumeist als standardisierte Befragung mit einem strikt einzuhaltenden Fragebogen durchgeführt, um die Vergleichbarkeit der Fragen und Antworten zu gewährleisten und um den Erhebungs- und Auswertungsaufwand bei großzahligen Stichproben in Grenzen zu halten.
Literatur: Berekoven, L.; Eckert, W.; Ellenrieder, P., Marktforschung, 5. Aufl., Wiesbaden 1991, S. 88 - 118. Böhler, H., Marktforschung, Stuttgart u.a. 1985, S.75-86. Hammann, P.; Erichson, B., Marktforschung,
2. Aufl., Stuttgart 1990, S. 77-93. Hüttner, M., Grundzüge der Marktforschung, Aufl., Berlin, New York 1989, S. 39-64.
|