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Gleichgewicht


1. Begriff. Im naturwissenschaftlichen Verständnis befindet sich ein Körper im Zustand des G., wenn sich die auf ihn einwirkenden Kräfte gegenseitig aufheben. Das Beispiel der zweiarmigen Hebelwaage veranschaulicht das G. in seiner wörtlichen Bedeutung. Werden in beide Waagschalen "gleiche Gewichte" gelegt, kommen die beiden gleichlangen Hebelarme in horizontaler Lage zur Ruhe. Dieses Bild beschreibt jedoch nur eine spezielle Situation des G. Nach der physikalischen Definition befindet sich die Hebelwaage auch dann im Gleichgewicht (der Kräfte), wenn sie mit ungleichen Gewichten beladen einen  wenn auch vertikalen  Ruhezustand erreicht. In der Wirtschaftswissenschaft ist die Definition des G. nicht in dieser Eindeutigkeit gegeben. Es existieren zahlreiche Definitionsvarianten. Überwiegend wird G. i.e.S. des "gleichen Gewichts" verstanden. Ein G. liegt z.B. in Form eines Marktgleichgewichts vor, wenn bei einem bestimmten Preis die angebotene und nachgefragte Menge eines Gutes gleich sind. Allgemein formuliert ist i.d.R. unter G. ein Zustand zu verstehen, in dem zwei gleichartige aus unterschiedlichen, meist gegensätzlichen Verhaltenskräften erzeugte Wirkungswerte übereinstimmen. Daneben existieren weitere, insbesondere auf spezielle Fragestellungen beruhende Definitionen des G. (Kreislaufgleichgewicht, Dispositionsgleichgewicht,  Entwicklungsgleichgewicht). Einige Definitionen des G. heben den Ruhezustand hervor, der bei einem G. erreicht wird. Demnach bezeichnet das G. einen Zustand, in dem die Wirtschaftssubjekte keine Veranlassung sehen, ihre festgelegten Plan- und Dispositionsgrößen zu ändern. Diese Definitionsvariante berührt Aspekte, die sich auf Änderungen des G., insbesondere im Zeitablauf, beziehen und unterschiedliche Typen des G. herausstellen.
2. Typen des G. Das erste Kriterium für die Typisierung eines G. beruht auf der Frage: Was passiert, wenn die den G.-szustand herbeiführenden Kräfte eine kurzfristige Änderung (Impuls) erfahren, im physikalischen Beispiel eine Waagschale der Hebelwaage nach oben oder unten angestoßen wird? Erfolgt z.B. bei einem G. auf dem Gütermarkt ein momentaner Nachfrageschub (Rechtsverschiebung der Nachfragekurve), der in der nächsten Periode wieder zurückgenommen wird, kann entweder die alte G.-smenge wieder erreicht werden (stabiles G.), eine neue G.-smenge vorliegen, weil z.B. der Nachfrageimpuls eine nicht nur vorübergehende Verschiebung der Angebotskurve erzeugt hat, (indifferentes G.) oder eine G.-sbildung nicht mehr möglich sein, weil z.B. nun kein Angebot mehr existiert (labiles G.). Bei Betonung des zeitlichen Ablaufs der Betrachtung wird im Falle der beiden instabilen G. auch von einem temporären, kurzfristigen oder transitorischen G., im Falle des stabilen von einem intertemporalen, langfristigen oder permanenten G. gesprochen. Häufig werden die temporären G. als Ungleichgewichte analysiert. Ein zweites Kriterium für die Typisierung eines G. bezieht sich auf die Betrachtung der zeitlichen Entwicklung der G.-swerte. Sind die G.-swerte absolut konstant, liegt ein stationäres G., im anderen Fall ein dynamisches G. vor. Einen Sonderfall bildet das dynamische G. mit konstanten Wachstumsraten der Gleichgewicht-swerte, das als quasi-stationäres oder "steady-state"-G. bezeichnet wird. Temporär und dynamisch ist häufig ein G., dessen Verhaltenskräfte von anderen G.-szuständen bestimmt wird. Das G. auf dem makroökonomischen (Makroökonomik) Gütermarkt wird z.B. vom G.-szustand auf dem Geldmarkt beeinflußt. Die separate Ermittlung eines dependenten G. wird als partielles G., die simultane Erreichung sämtlicher verbundener G.-szustände als totales G. bezeichnet. Auf den Aggregationsgrad der Betrachtung hebt die Unterscheidung zwischen mikro- (Mikroökonomik) und makroökonomisches G. ab.
3. Gleichgewichtsmodelle. In der Wirtschaftstheorie (Wirtschaftswissenschaft) wird häufig die Auswirkung eines Gleichgewichtszustandes innerhalb eines theoretischen Modells analysiert. Dazu werden drei in ihrer grundsätzlichen Bedeutung stets vorzufindende Gleichungen gebildet. Die Wirkung der beiden unterschiedlichen Verhaltenskräfte wird in zwei separaten Funktionen (Verhaltensgleichungen) erfaßt, wobei die wirkenden Kräfte als variabel angesehen werden (exogene Variablen), so daß das Wirkungsergebnis (endogene Variable) unterschiedlich sein kann. Z.B. kann durch die Funktion Y1 = f(X) die Wirkung f(X) der Kräfte X mit dem Ergebnis Y1 und durch Y2 = g(Z) die Wirkung g(Z) der Kräfte Z mit dem Ergebnis Y2 beschrieben werden. Die Kräftevektoren X und Z können teilweise oder vollständig identisch sein. Die dritte Gleichung besteht in der Gleichgewichtsbedingung Y1 = Y2, mit der die Wertgleichheit der Wirkungsergebnisse gefordert wird. Die G.-sbedingung ist als Modellannahme ein ex ante-G., das nur gedanklich als erfüllt gilt. Ob es auch ein ex post-G. darstellt, ist eine Frage der empirischen Überprüfung. I.d.R. lassen sich G.-smodelle nur in ihrer reduzierten Form, d.h. über die theoretische Lösung des modellierten Gleichungssystems, empirisch überprüfen, so daß beide Verhaltensgleichungen und die G.-sbedingung simultan getestet werden. Bei negativem Ergebnis kann nicht unterschieden werden, ob die Verhaltensgleichungen fehlerhaft sind oder die G.-s bedingung nicht erfüllt ist. Von der G.-sbedingung scharf zu trennen ist eine Identität, die ein definitorisches "Gleichgewicht" darstellt. Typisches Beispiel ist das Kreislauf-G., das die wertmäßige Übereinstimmung der im Güterkreislauf zum Preisniveau P umgesetzten Gütermenge Q und der im Geldkreislauf mit der Häufigkeit V geflossenen  Geldmenge M beschreibt (Tauschgleichung). Das G. (P * Q º M * V) liegt ex post stets vor. Innerhalb eines theoretischen Modells stellt es keine G.-sbedingung, sondern als Tautologie eine Identitätsgleichung dar. Wird jedoch z.B. die Verwendungshäufigkeit als von bestimmten Kräften abhängig angenommen
Gleichgewicht

, so daß die ex-post-Realisierung von der ex ante-Annahme abweichen kann, bildet die Modellannahme
Gleichgewicht

 eine G.-sbedingung.
4. Eigenschaften des G. In der theoretischen Analyse eines G. per se sind drei Aspekte bedeutsam. Der erste betrifft die Existenz der G. generell. Ob ein G. überhaupt vorliegen kann, läßt sich theoretisch durch die Überprüfung der Lösbarkeit des o.g. Gleichungssystems entscheiden. Existiert mindestens eine Kombination von Werten der exogenen Variablen X und Z, die die Gleichung f(X) = g(Z) erfüllt, dann ist die Existenz des G. gesichert. Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Eindeutigkeit des G., die gegeben ist, wenn genau eine Lösungskombination existiert. Z.B. ist im Falle teilweiser oder vollständig überlagerter Angebots- und Nachfragekurven die Existenz eines Markt-G. gegeben, der G.-swert jedoch nicht eindeutig bestimmbar. Drittens ist nach der Stabilität des G. gefragt. Ihre Überprüfung erfolgt i.d.R. im Rahmen einer dynamischen oder komparativ-statischen Analyse eines Gleichgewicht-smodells und führt zu einer Charakterisierung der Stabilität des G. entsprechend den o.g. Typen. Gelegentlich wird als weitere Eigenschaft des G. insbesondere im Rahmen der Wirtschaftspolitik die Optimalität hinsichtlich normativer oder positivistischer Vorüberlegungen (insbesondere bzgl. der Pareto-Optimalität) untersucht.
5. Gleichgewichtstheorie. Ein zentrales Anwendungsgebiet des G.-sbegriffs ist die G.-stheorie. Sie basiert auf der mehr intuitiv gewonnenen Vorstellung von Adam Smith, wonach die individuellen ökonomischen Pläne und Handlungen einer Vielzahl von Wirtschaftsakteuren  von einer "unsichtbaren Hand" (invisible hand) gelenkt  zu einem Marktgleichgewicht mit effizienter Allokation der Ressourcen führen. Von Alfred Marshall und Leon Walras wurden später entsprechende G.-smodelle entwickelt und mathematisch ausformuliert. Gerard Debreu und Kenneth Arrow haben schließlich in jüngster Zeit die Bedingungen für die eindeutige Lösbarkeit und die Optimalität dieser G.-smodelle analysiert. Die Kritiker der G.-stheorie, insbesondere John Maynard Keynes und seine Anhänger, werfen ihr angesichts bestehender Ungleichgewichtssituationen Realitätsferne vor. Dies hat u.a. zu der Entwicklung von Ungleichgewichtsmodellen oder temporären G.-smodellen geführt. Dagegen werden von den neoklassischen Vertretern der G.-stheorie (Neoklassische Theorie) die ungleichgewichtigen Zustände mit einer i.d.R. durch staatliche Regulierungen verursachten Störung der zum G. führenden Marktkräfte erklärt.

Literatur: K. Jaeger, Gleichgewicht, ökonomisches. HdWW, Bd.
3. Göttingen-Stuttgart-Tübingen 1981, 671-99. K. Brandt, Gleichgewicht, ökonomisches. HdSW, Bd.
4. Göttingen-Stuttgart-Tübingen 1965, 599-606.

 

 


 

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