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Neoklassische Theorie

Individualverhalten: In einem weiten Sinn bezeichnet man alle ökonomischen Theorien als neoklassisch, die davon ausgehen, daß alle Entscheidungsträger (v.a.  Haushalte , Unternehmen) ihre Entscheidungen unabhängig voneinander aufgrund ihrer individuellen Präferenzen (Präferenzordnung) so treffen, daß ihr subjektiver Nutzen maximiert (Nutzenmaximum) wird. Diese Entscheidungen bilden den Ausgangs- und Mittelpunkt der neoklassischen Analyse, an deren Anfang die "Marginalrevolution" (Marginalismus) der Grenznutzenanalyse steht, die um 1870 durch Jevons, Menger und Walras erfolgte. Gemäß dieser Analyse verteilen die Haushalte wegen des abnehmenden Grenznutzens aller Güter ihre Ausgaben so, daß der Nutzen der letzten Ausgabeneinheit bei jedem Gut gleich groß ist. Diese Situation ist erreicht, wenn der relative Nutzen der letzten gekauften Einheit eines jeden Gutes gleich dessen relativem Preis ist. Verschieben sich die Preisrelationen, werden Einheiten der relativ teuer gewordenen Güter solange durch Einheiten der relativ billiger gewordenen Güter ersetzt (substituiert), bis die Grenznutzenrelationen wieder den Preisrelationen entsprechen. Derartige Substitutionsprozesse stehen auch im Mittelpunkt der neoklassischen Analyse von Unternehmen: Diese werden ebenfalls als isoliert agierende Einheiten betrachtet, die sich durch Mengenvariationen den gegebenen relativen Preisen der Güter und der Produktionsfaktoren so lange anpassen, bis der maximal mögliche Gewinn erreicht wird. Preisbildung: Die für den einzelnen Haushalt und das einzelne Unternehmen gegebenen Marktpreise (Güter- und Faktorpreise) werden in der neoklassischen Theorie aus Angebot und Nachfrage auf den einzelnen Märkten (Markt) erklärt. Dabei wird die Nachfrage aus dem Grenznutzen der Güter abgeleitet (bei Produktionsfaktoren aus deren Grenzertrag (Ertrag)) und das Güterangebot aus den Grenzkosten (Kosten) der Produktion. Fallen bei gegebenen Preisen Angebot und Nachfrage auseinander, besteht mithin kein Marktgleichgewicht (Gleichgewicht), so sind bezüglich des Zeitbedarfs der Anpassung zwei Richtungen der Neoklassik zu unterscheiden, die auf Walras bzw. Marshall zurückgehen: Im Modell von Walras (Walras -Gesetz) erfolgt die Anpassung von Preisen und Mengen unverzögert und damit so rasch, daß alle Transaktionen erst erfolgen, wenn die Gleichgewichtspreise gefunden sind. Die Anpassungsvorgänge selbst haben mithin keine realen Konsequenzen, sondern nur ihr Endergebnis. Marshall dagegen berücksichtigt, daß Anpassungen des Angebots Zeit benötigen. Er unterscheidet drei (ansatzweise sogar vier) Perioden und dementsprechend mehrere Arten von Preisen: Die Marktpreise bilden sich in der ultrakurzen Periode, in der die Bestände an angebotenen Waren gegeben sind (Beispiel: Fisch); die "normalen Preise" bilden sich in der kurzen Periode ("short run") durch die Anpassung des Angebots (der Produktion) an die Nachfrage bei gegebenen Produktionsanlagen und Arbeitskräftebestand (nach Menge und Qualität). Den Begriff der "long run normal prices" bezieht Marshall auf "lange Perioden" von mehreren Jahren, in denen die Produktion durch Änderung (der Struktur) des Sachkapitalbestandes (Kapital, II.) und der Qualifikation der Arbeitskräfte angepaßt werden. Beide Richtungen stimmen dann darin wieder überein, daß Abweichungen zwischen Angebot und Nachfrage durch flexible Preise beseitigt und ein Marktgleichgewicht erreicht wird. Dauerhafte Nachfrage- oder Angebotsüberschüsse können daher nur auf zu wenig flexiblen, evtl. sogar völlig starren Preisen beruhen. Die Einwände gegen diese neoklassische Analyse i.w.S. betreffen die Realitätsferne ihrer Annahmen. Bezweifelt wird die behauptete Unabhängigkeit der Präferenzen, weil diese auch ein Ergebnis des gesellschaftlichen Umfeldes seien, sowie die Bereitschaft und Fähigkeit der Individuen, ihren Nutzen zu maximieren, weil diese die dafür notwendigen Informationen u.a. über die Zukunft sich weder beschaffen können noch wollen; vielmehr genügt den Individuen ein befriedigendes Nutzen- oder Gewinnniveau. Bei der Preistheorie wird die Vernachlässigung von Marktmacht und von Beschränkungen der Konkurrenz kritisiert. Ungeachtet dessen führt die neoklassische Analyse einzelner Märkte zu wichtigen Einsichten, die durch Berücksichtigung der genannten Einwände häufig nur leicht modifiziert werden. Gesamtwirtschaftliche Aussagen: Auf einer anderen Ebene liegen die Aussagen der Neoklassik über gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge. Diese werden vor allem auf zwei Wegen gewonnen. Zum einen sind neoklassische Makrotheorien (Makroökonomik) ausgearbeitet worden, Theorien also, die mit gesamtwirtschaftlichen Aggregaten arbeiten, wie z.B. die neoklassische Produktions-, Verteilungs- und Wachstumstheorie, deren wichtigster Baustein eine makroökonomische Produktionsfunktion ist. Charakteristisch für solche neoklassischen Theorien ist allerdings nicht diese Produktionsfunktion, sondern die Annahme, die Entscheidungen und Entwicklungen auf den einzelnen Teilmärkten würden durch den Marktmechanismus so koordiniert, daß alle Produktionsfaktoren voll beschäftigt sind. Mit Hilfe dieser Annahme erreicht die neoklassische Theorie eindeutige Ergebnisse, deren Realitätsgehalt allerdings von konkurrierenden Theoriesystemen, insb. dem Keynesianismus (Keynessche Theorie), bestritten wird. Den theoretischen Unterbau für diese Annahme bildet das walrasianische mikroökonomische (Mikroökonomik) Totalmodell, das über die beschriebene (Partial-)Analyse einzelner Märkte hinausgeht und die Hypothese vertritt, die individuellen Nachfrage- und Produktionsentscheidungen würden insgesamt bei freiem Spiel der Marktkräfte derart effizient koordiniert, daß alle Produktionsfaktoren nicht nur stets voll beschäftigt sind, sondern auch so eingesetzt werden, daß der Nutzen aller Wirtschaftssubjekte maximiert wird. Walras (Walras -Gesetz) leitete diese Koordinationsleistung der Märkte in seinem mikroökonomischen Totalmodell für eine gegebene Bevölkerung mit gegebenen Bedürfnissen (Präferenzen) im Besitz von gegebenen Produktionsmitteln, Qualifikationen und technischem Wissen ab. Damit diese optimale Allokation der Ressourcen allein durch Marktkoordination erreicht wird, müssen allerdings Annahmen getroffen werden, die Aussagen über die Realität fragwürdig machen. Erstens produzieren im Modell alle Unternehmen schon bei kleinen Mengen mit steigenden Grenzkosten (mithin treten keine Vorteile der Massenproduktion auf) und agieren auf vollkommenen Märkten als Mengenanpasser  nehmen also Marktpreise als gegebene Größen hin. Zweitens gibt es einen Koordinator ("Auktionator"), der sämtliche Nachfrage- und Angebotskurven aller Wirtschaftssubjekte kennt und daraus die optimalen Marktpreise errechnet. Dank dieses fiktiven Koordinators spielt die nach Ansicht des konkurrierenden keynesianischen Paradigmas für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zentrale und von Keynes (Keynessche Theorie) in den Mittelpunkt gestellte effektive Nachfrage keine Rolle: Während bei Keynes z.B. der Konsum eines Arbeitslosen von seinem niedrigen tatsächlichen Einkommen abhängt, meldet im Walras-Modell jeder Anbieter von Arbeit (ob beschäftigt oder arbeitslos) beim Aktionator diejenige Konsumgüternachfrage an, die er bei dem ihm aus seiner gewünschten Erwerbstätigkeit zufließenden Einkommen verwirklichen würde. Somit kann der Auktionator diese gewünschte Nachfrage berücksichtigen; entsprechend höher ist die gleichgewichtige Produktion und damit der gleichgewichtige Arbeitseinsatz. Da der Auktionator außerdem das Investitionsvolumen (Investition) mit der gewünschten Ersparnis aus den gewünschten Einkommen in Übereinstimmung bringt, gibt es bei flexiblen Preisen keine unbeschäftigten Produktionsfaktoren, also auch keine unfreiwilligen Arbeitslosen. Also kann unfreiwillige Arbeitslosigkeit nur das Ergebnis zu hoher Löhne sein. Dieses wirtschaftspolitisch brisante Ergebnis gilt allerdings nur für die Modellwelt der neoklassischen "Allgemeinen Gleichgewichtstheorie", zu der das Walras-Modell ausgebaut worden ist; auch bei ihr sind die Rückwirkungen von Ungleichgewichten auf einem Markt (z.B. Nachfragemangel auf dem Gütermarkt) auf andere Märkte (z.B. den Arbeitsmarkt) ausgeschlossen: An die Stelle des fiktiven Auktionators tritt die Annahme vollständiger Information und vollständiger Voraussicht. Diese Grenzen der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie sind deren Hauptvertretern durchaus bewußt. So bezeichnen Arrow und Hahn diese Theorie als Beschreibung einer "idealen Welt, bei der man aus den Antworten auf die Frage ,Könnte diese Welt existieren?‘ Schlüsse ableiten kann, warum diese Welt in der Realität nicht existiert". Um den Widerspruch zur Realität zu verringern, ist aus dieser Theorie seit den 1970er Jahren eine "Theorie temporärer Gleichgewichte mit Mengenrestriktionen" entwickelt worden, in der Aussagen für alternative, vorübergehende Zustände der Erwartungen ermittelt werden und in der sich Mengenbeschränkungen auf den einen Märkten auf die übrigen Märkte auswirken. In dieser Theorie geht dann die Eindeutigkeit der Ergebnisse verloren; so kann unfreiwillige Arbeitslosigkeit die Folge zu hoher Reallöhne , aber auch zu niedriger Gesamtnachfrage sein; neoklassische und keynesianische Erklärung sind mithin beide möglich. Da die neoklassische Theorie die relativen Preise und deren Änderungen in den Mittelpunkt stellt, bleibt das absolute Preisniveau und dessen Veränderungen (also die Inflationsrate) zunächst unerklärt. Diese Lücke hat die neoklassische Theorie durch die Quantitätstheorie (Quantitätstheorie des Geldes) geschlossen, derzufolge die Geldmenge das Preisniveau bestimmt. Monetarismus: Den quantitätstheoretischen Ansatz haben die Monetaristen aufgegriffen und verfeinert. Insbesondere Friedman hat die Quantitätstheorie neu formuliert und die Hypothesen präzisiert, aufgrund deren Änderungen der Geldmenge zwar kurzfristige Auswirkungen auf Produktion und Beschäftigung haben, aber nicht auf Dauer. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Annahme abnehmenden Grenzertrages der Arbeit (Ertrag). Sie hat zur Konsequenz, daß eine Erhöhung der Beschäftigung eine Senkung des Reallohnniveaus verlangt. Wenn die Arbeitnehmer (und Arbeitslosen) auf eine Senkung des Reallohns mit verringertem Arbeitsangebot reagieren, dann kann eine höhere Beschäftigung nur vorübergehend zustande kommen, und zwar aufgrund von Erwartungsirrtümern: Die Unternehmen bieten den Arbeitnehmern höhere Löhne an, um eine durch Geldmengenexpansion hervorgerufene Mehrnachfrage befriedigen zu können; dabei wissen sie, daß sie wegen des steigenden Grenzkostenverlaufs (Kosten) die Preise stärker als die Nominallöhne erhöhen werden, die Reallöhne also sinken werden. Wenn die Arbeitnehmer auf steigende Reallöhne schließen, sind sie bereit, mehr zu arbeiten: Die Beschäftigung steigt. Werden die Erwartungsfehler erkannt, geht die Beschäftigung wieder zurück. Wirtschaftspolitische Konsequenzen (Theorie der Wirtschaftspolitik): Für die neoklassische Theorie resultieren Fehlentwicklungen und Ungleichgewichte auf allen Märkten aus Behinderungen des Marktmechanismus; die wirtschaftspolitische Therapie besteht folglich in der Beseitigung von institutionellen und individuellen Starrheiten, die der Flexibilität der Preise und dem ungehinderten Wirken des Marktmechanismus im Wege stehen. Dazu paßt (obwohl nicht alle Neoklassiker Monetaristen sind), daß nach monetaristischer Ansicht weder Geldpolitik noch Fiskalpolitik (Finanzpolitik) auf Dauer reale Wirkungen haben, sondern nur auf das Preisniveau wirken. Daraus resultiert Friedmans Forderung, die Geldpolitik zur Inflationsbekämpfung einzusetzen und nach erreichter Geldwertstabilität (Geldwert) die Geldmenge mit konstanter Rate wachsen zu lassen.

Literatur: B. Felderer/St. Homburg, Makroökonomik und neue Makroökonomik.
5. A., Berlin u.a. 1991. Kap. IV (Die klassisch-neoklassische Theorie), F. Hahn, Die allgemeine Gleichgewichtstheorie. In: D. Bell u. I. Kristol (Hrsg.), Die Krise in der Wirtschaftstheorie, Berlin etc. 1984.

 

 


 

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