A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
wirtschaftslexikon wirtschaftslexikon
 
Wirtschaftslexikon Wirtschaftslexikon

 

wirtschaftslexikon online lexikon wirtschaftslexikon
   
 
     
wirtschaftslexikon    
   
    betriebswirtschaft
     
 
x

Marxistische Wachstumstheorie

Die Marxistische Wachstumstheorie steht  fußend auf der Marxschen Werttheorie  in der Tradition der klassischen politischen Ökonomie: Aufgabe der Werttheorie des ersten Bands des "Kapitals" (MEW 23) ist es, eine mikroökonomische Grundlage der Theorie der Akkumulation, des technischen Fortschritts und der langfristigen Entwicklung der Einkommensverteilung zu schaffen, auf der aufbauend im dritten Band des "Kapitals" (MEW 25) die Theorie der fallenden Profitrate (Kapitaltheorie) im Rahmen einer allgemeinen, makroökonomisch orientierten Akkumulationstheorie behandelt wird.
1. Eine zentrale und zu überprüfende These der M. ist, daß mit fortschreitender Entwicklung des kapitalistischen Systems die organische Zusammensetzung  des Kapitals (konstantes Kapital (c)/variables Kapital (v)) auf Grund der dem Kapitalismus inhärenten Eigenschaft eines arbeitssparenden technischen Fortschritts (technischer Fortschritt) steigt, was zur Folge hat, daß die Profitrate fällt. Marx wollte eine Messung von c und v durch Arbeitswerte, was zu Inkonsistenzen führte; wir gehen von einer Messung in:Preisen (genauer "Produktionspreise") aus; formal im einfachsten Fall (1 + r) (Ap + wl) = p, mit A als = Input-output matrix, r Profit-, w Lohnrate, p Preisvektor. Mit e = (1, ..., 1) ist eAp = c und wel = v (Lohnsumme).
2. Arbeitssparender technischer Fortschritt. Während bei A. Smith zunehmende Arbeitsteilung die dominante Form des technischen Fortschritts ist, durch die  ohne nennenswerten zusätzlichen Einsatz von Produktionsmitteln  dank Spezialisierung und Arbeitsdisziplin eine Erhöhung der Produktivität erzielt wird, ist das von Marx beschriebene Zeitalter der Industriellen Revolution durch zunehmende Mechanisierung der Produktionsprozesse gekennzeichnet. Arbeitssparender technischer Fortschritt heißt demnach, daß sich das Verhältnis von Produktionsmitteln zu eingesetzter Arbeit pro Outputeinheit erhöht. Der damit verbundene Anstieg der Kosten auf Grund der gestiegenen Menge verbrauchter Rohstoffe muß durch Freisetzung von Arbeit überkompensiert werden, damit sich die Einführung der mechanisierteren Technik lohnt.
3. Auswirkungen der Mechanisierung auf die organische Zusammensetzung des Kapitals. Während eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität ohne zusätzlichen Einsatz von Maschinen die organische Zusammensetzung als einer Wertgröße  was zunächst überrascht  weitgehend unverändert läßt (bei gegebener Profitrate wird der Rückgang der pro Outputeinheit gezahlten Löhne durch die niedrigeren Preise bzw. Werte der Waren in gewisser Weise kompensiert), läßt sich bei Mechanisierung als einer spezifischen Form der Produktion relativen Mehrwerts eine eindeutige Tendenz formulieren: Sofern die Mechanisierung im mechanisierten Prozeß kein Rohmaterial, sondern nur Arbeit einspart, kann man zeigen, daß c/v i.d.R. tatsächlich steigt (Schefold 1976). Unter Berücksichtigung der Möglichkeit, daß auch eine Rohstoffeinsparung stattfindet, ist es allerdings durchaus auch vorstellbar, daß der Anstieg der Masse  der materiellen Produktionsmittel nicht zu einer Erhöhung ihrer Wertsumme relativ zum variablen Kapital führt. Um zu zeigen, daß trotz der von ihm erkannten "gegenläufigen Tendenzen" langfristig ein Anstieg der organischen Zusammensetzung resultiert, griff Marx in den Theorien über den Mehrwert (MEW 26.3, S. 360) auf die von ihm hinsichtlich ihrer Erklärungsfunktion einer fallenden Profitrate zuvor heftig kritisierte Rententheorie Ricardos zurück.
4. Tendenzieller Fall der Profitrate. Im "Kapital" sieht Marx die Ursache für die fallende Profitrate in einer allgemeinen durch Mechanisierung bewirkten Steigerung der Arbeitsproduktivität im industriellen Sektor, die langfristig die organische Zusammensetzung steigen läßt. Der Zusammenhang kann mit Hilfe der Marxschen Definition der Profitrate verdeutlicht werden:
r = s/(c + v) = (s/v) / (c/v + 1)

mit s bzw. (s/v) als dem Mehrwert bzw. der Mehrwertrate; bei Messung in Preisen sind s die Gewinne. Einer schrankenlosen Vergrößerung von c/v bei fortschreitender Mechanisierung im Akkumulationsprozeß steht eine nur begrenzte Steigerungsmöglichkeit der im Mittelpunkt der Verteilungskämpfe stehenden Mehrwertrate gegenüber, so daß die Profitrate unabhängig von einer unzureichenden effektiven Nachfrage und somit unabhängig von sog. Realisierungsproblemen des Mehrwerts sinkt. Als Ergebnis erhält man, daß die durch die Einführung von technischem Fortschritt angestrebte Steigerung der Profite von der konkreten Form dieses technischen Fortschritts und dessen makroökonomischen Konsequenzen selbst zunichte gemacht wird  eine Situation, die J. Robinson treffend als "a technocrat’s nightmare" bezeichnet hat (J. Robinson 1969). Wenn allerdings, wie angedeutet, keine eindeutige und allgemeine Tendenz der Steigerung von c/v abgeleitet werden kann, so existiert auch keine "allgemeine" Tendenz eines Falls der Profitrate.
5. Ist die Marxistische Wachstumstheorie  eine obsolete Theorie? Diese Schlußfolgerung ist nicht zulässig, auch wenn sich die These einer säkularen Entwicklungsrichtung von organischer Zusammensetzung und Profitrate nicht aufrechterhalten läßt. Die M. bietet einen Erklärungsansatz für Perioden eines steigenden Kapitalkoeffizienten (insbes. Anfang 19. Jh.). Über den Erklärungszusammenhang für einen bestimmten Abschnitt kapitalistischer Entwicklung hinaus, behält die M. ihre Bedeutung, wenn man die monokausale Erklärung einer fallenden Profitrate aufgibt bzw. den entgegengesetzt gerichteten Einflüssen auf die organische Zusammensetzung ggf. gleiches oder größeres Gewicht einräumt: Gegenstand der Analyse sind dann die sich historisch verändernden Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Formen der Kapitalakkumulation und des Verteilungskampfs. Die Ursache für eine Reduktion der Profitrate können vielfältig sein, z.B. steigende Reallöhne , Streiks und unternehmerische Konkurrenz. Die Bemühungen der Investoren, dieser Reduktion entgegenzusteuern, hängen von den technischen Möglichkeiten ab, die Kosten zu senken: Für den Fall, daß einer weitergehenden Arbeitszerlegung Grenzen gesetzt sind, kommt der Mechanisierung der Produktionsprozesse entscheidende Bedeutung zu. Da letztere jedoch ein Sinken der Profitrate bewirken kann, bedarf es dann anderer Formen des technischen Fortschritts, die geeignet sind, der Steigerung der organischen Zusammensetzung entgegenzuwirken (Einsparung von Rohstoffen durch Ausnutzung steigender Skalenerträge , kapitalsparender technischer Fortschritt (technischer Fortschritt)). Die M., welche der Neoklassischen Theorie entgegengesetzt ist, scheint so mit der modernen Theorie des induzierten technischen Fortschritts (technischer Fortschritt) verwandt zu sein. Ein wichtiger Aspekt der M. besteht in ihrer Nähe zu der postkeynesianischen  Wachstumstheorie. In der M. (zweiter Band des "Kapitals", MEW 24) werden zum ersten Mal in umfassender Weise im Rahmen eines Zweisektorenmodells die Bedingungen eines gleichgewichtigen Wachstumspfads für eine kapitalistische Ökonomie abgeleitet (Krelle 1971). Ebenso wie in der postkeynesianischen Wachstumstheorie verlangen diese Gleichgewichtsbedingungen eine bestimmte Relation zwischen den Sektoren und somit zwischen makroökonomischen Größen. Die normative Setzung eines gleichgewichtigen Wachstumspfads führt jedoch zu einem Referenzmodell, das gegenüber der Wirklichkeit der kapitalistischen Entwicklung mit ihren Ungleichgewichten und Instabilitäten nur die Bedingungen eines störungsfreien Ablaufs zu formulieren gestattet.

Literatur: W. Krelle, Marx as a Growth Theorist. German Economic Review 9 (1971), 122-133. K. Marx/F. Engels, Werke (MEW). Berlin 1971. J. Robinson, The Accumulation of Capital.
3. A., London 1969. B. Schefold, Different Forms of Technical Progress. Economic Journal 86 (1976), 806-819.

 

 


 

<< vorhergehender Begriff
nächster Begriff >>
Marxismus
 
Marxsches Mehrwertgesetz