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Wachstumspolitik


1. Einleitung. Das StabG hat in § 1 das "stetige und angemessene Wirtschaftswachstum " zu einer richtunggebenden Norm der staatlichen Wirtschaftspolitik (Theorie der Wirtschaftspolitik) erhoben. Der Umstand, daß das Wachstum durch die Präposition "bei" mit den drei weiteren Zielen des StabG zwar verbunden, aber zugleich von ihnen abgesetzt ist, läßt auf eine Sonderstellung des Wachstumsziels innerhalb des Zielbündels der Wirtschaftspolitik schließen. Tatsächlich wird diskutiert, ob Wachstum überhaupt ein eigenständiges Ziel der Wirtschaftpolitik abgibt, da es das unbekannte Ergebnis der ökonomischen Aktivitäten von Millionen Haushalten , Unternehmen und staatlichen Stellen verkörpert. Pflichtet man jedoch der Ansicht bei, daß die Mehrung des Wohlstands zu den grundlegenden Aufgaben des Staates gehört, ist auch die Vorstellung einer auf Wachstumsförderung ausgerichteten Politik akzeptiert. In dieser Sicht fallen unter den Begriff der W. alle auf die Beeinflussung des Wachstums abzielenden staatlichen Maßnahmen. Welche Wachstumsstrategie im einzelnen gewählt wird, bleibt bei dieser Umschreibung der W. offen.
2. Ziele der W. Häufig wird Wachstum definiert als Zunahme des realen Bruttosozialprodukts (Sozialprodukt). Eine Aussage über die verbesserte Güterversorgung muß jedoch auf das Sozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung abstellen. Dementsprechend wird als Ziel der W. die Zunahme des realen Bruttosozialprodukts pro Kopf postuliert. Resultiert die Zunahme ausschließlich aus der verbesserten Auslastung der vorhandenen Produktionsfaktoren , so sind die hierfür ergriffenen Maßnahmen konjunkturpolitischer (Konjunkturtheorie) Natur; das spezifisch w. Anliegen kommt damit nicht zum Tragen. Daher wird das Ziel der W. neuerdings in der Ausweitung des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotentials gesehen. Diesen beiden mengenorientierten Betrachtungsweisen werden Zielformulierungen gegenübergestellt, welche die Wachstumsvorstellung mit der Forderung nach mehr Lebensqualität kombinieren. Das geschieht etwa in der Weise, daß die in wohlfahrtsmäßiger Hinsicht begrenzte Aussagekraft des Sozialprodukts durch zusätzlich in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung eingeführte Elemente ergänzt wird. Ein anderer Ansatz besteht in der Entwicklung eines Systems von sozialen Indikatoren. Schließlich ist hier auch die Forderung nach Nullwachstum zu nennen. Unverkennbar liegt den verschiedenen Ansätzen die Annahme zugrunde, daß von einem bestimmten Versorgungsstand an der Grenznutzen eines rein mengenmäßigen Wachstums abnimmt. Wenn diese Annahme auch eine gewisse Berechtigung besitzt, so liegt ihre methodische Schwäche doch darin, daß wohl das Sozialproduktswachstum exakt gemessen werden kann, in bezug auf die gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion aber keine verbindliche Aussage und somit keine zuverlässige Messung möglich ist.
3. Strategien der W. Bejaht man die Wachstumsförderung als staatliche Aufgabe, so stellt sich die Frage nach den Strategien der W. Eine erste Strategie besteht in der direkten staatlichen Planung des Wachstumsprozesses , die im Rahmen eines nationalen Wirtschaftsplanes eine zahlenmäßig bestimmte Wachstumsrate fest vorgibt. Dabei kann die Planung so weit reichen, daß der Staat nicht nur seine eigenen wirtschaftspolitischen Aktivitäten strikt auf die vorgegebene Wachstumsrate ausrichtet, sondern auch die privaten Unternehmungen mit Hilfe von Anreizen und Benachteiligungen auf die Einhaltung des Wachstumsziels festlegt. Im Rahmen der französischen Planifikation hat insbesondere der IV. Plan (1962-1965) diese Wachstumsstrategie verfolgt. Bei der milderen Variante der Wachstumsplanung ist die Wachstumsrate lediglich für das staatliche Handeln verbindlich, während sie für die privaten Unternehmungen nur indikativen Charakter besitzt. Wird von einer direkten Planung des Wachstumsprozesses Abstand genommen, so müssen sich die w. Aktivitäten darauf beschränken, die bestehenden Wachstumsbedingungen zu verbessern. Diese vorwiegend von neoliberalem (Neoliberalismus) Gedankengut geprägte Strategie betreibt mithin Rahmen- bzw. Ordnungspolitik (Theorie der Wirtschaftspolitik,
5. 2.). Dabei ist nicht ausgeschlossen, daß ein Teil der w. Maßnahmen direkt auf den vermehrten bzw. verbesserten Einsatz der Produktionsfaktoren gerichtet ist. Allerdings dürfen sich die Maßnahmen nur geeigneter Anreize bedienen, nicht aber Methoden des Zwanges.
4. Die Produktionsfaktoren als Ansatzpunkte der W. Der Einsatz des Produktionsfaktors Kapital  bewirkt, daß der Produktionsprozeß zu höherer Ergiebigkeit gebracht wird. Vor allem im Gefolge des Domar-Harrod-Modells ist die w. Tragweite verstärkter Investitionen in den Vordergrund gerückt worden. Als Maßnahmen der quantitativen Investitionspolitik bieten sich an: Förderung der privaten Ersparnisbildung, Erleichterung der Selbstfinanzierung durch bessere Abschreibungsmöglichkeiten (Abschreibung) und Gewährung von Investitionsprämien, sodann die Sicherung eines angemessenen Zugangs zu den Finanzierungsmitteln. Dagegen erscheint die Einflußnahme auf die Investitionsstruktur und damit auf einzelne Branchen problematisch, nicht zuletzt wg. der komplexen Produktionsverflechtungen. Die neoklassische Variante der Wachstumstheorie (Wachstumstheorie) hat die Bedeutung des Kapitalkoeffizienten und in der Folge des technischen Fortschritts herausgestellt. Aus diesen Überlegungen folgt die qualitative Investitionspolitik. Zu ihr zählen die Maßnahmen, die auf eine Stärkung der unternehmerischen Forschungsaktivitäten zielen resp. die Investitionen mit Innovationscharakter (Innovation) fördern. Beim Produktionsfaktor Arbeit erfolgt dessen vermehrter Einsatz entweder bei gleichbleibender Beschäftigtenzahl; alsdann ist eine größere individuelle Arbeitsleistung erforderlich, z.B. durch Überstunden. oder die Zahl der Beschäftigten wird erhöht. Hier kommen in Frage: Ausschöpfung des Reservoirs an weiblichen Arbeitskräften, Wiedereingliederung von Rentnern und  vor allem in den sechziger und frühen siebziger Jahren bedeutsam  Heranziehung von Gastarbeitern. Qualitative Verbesserung des Arbeitseinsatzes bedeutet Steigerung der Leistungsfähigkeit des Faktors Arbeit. Dabei bietet sich als Zwischenvariante die strukturelle Verbesserung des Arbeitseinsatzes an, welche die vorhandenen Arbeitskräfte entsprechend ihrem gegebenen Leistungspotential bestmöglich einzusetzen versucht. Eine eigentliche Verbesserung wird durch die Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus und die Intensivierung der spezifischen Ausbildung der Arbeitskräfte auf allen Stufen erzielt. In der Tat ist der Ausbau des gesamten Bildungswesens bis vor kurzem stark unter w. Aspekten betrieben worden, wenngleich der Wert der Bildung viel umfassender gesehen werden muß (Bildungsökonomik).
5. Gesamtwirtschaftlicher Rahmen und Infrastruktur . Der Wachstumsprozeß spielt sich innerhalb eines weit gefaßten, mitunter auch als Datenkranz bezeichneten Rahmens ab. Seine unterschiedliche Ausprägung führt zu unterschiedlichen Bedingungen für das unternehmerische Handeln und beeinflußt daher die Art und Weise des Faktoreinsatzes. Unverkennbar fällt ein Großteil der zur Ausgestaltung dieses Rahmens möglichen Maßnahmen unter die, bereits als Rahmen- bzw. Ordnungspolitik bezeichnete w. Strategie. Zu nennen sind verschiedene, vorwiegend der Wettbewerbspolitik zuzuordnende Maßnahmen wie die Schaffung funktionsfähiger Märkte (Sicherung der freien Preisbildung , Verbesserung der Marktorganisation, Sicherung des freien Marktzugangs) und damit die Garantie der Handels- und Gewerbefreiheit. Schließlich hat es der Staat in der Hand, einzelne Institutionen gezielt auszubauen. Dies trifft insbesondere für die Infrastruktur zu. Sie läßt sich umschreiben als Ausstattung einer Volkswirtschaft mit Basisdiensten wie etwa Verkehrsnetz, Nachrichtenübermittlung und Energieversorgung. Ihr ausreichendes Vorhandensein bildet eine wichtige Voraussetzung dafür, daß der gesamte Produktionsprozeß kontinuierlich ablaufen bzw. auf eine höhere Ebene gebracht werden kann.

Literatur: E. Dürr, Wachstumspolitik. Bern-Stuttgart 1977. R. L. Frey, Wachstumspolitik. Stuttgart 1979. J. Werner, Wachstumspolitik, in: J. Werner/B. Külp, Wachstumspolitik-Verteilungspolitik. Stuttgart 1971.

 

 


 

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