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Geldnachfrage


1. Mit G. wird das Verhalten der Kassenhalter (Haushalte, Unternehmen (Betrieb, I.), Staat) bezeichnet, Geld für erwartete Zahlungen zu halten. Dieses Verhalten ist in einer Geldwirtschaft notwendige Konsequenz des indirekten Tausches, bei dem letztlich nachgefragte Güter (und Dienste) temporär gegen Geld "getauscht" werden und die eingehenden mit den ausgehenden Zahlungen nicht synchronisiert sind. Der gesamtwirtschaftliche Rahmen für die G. läßt sich durch die Cambridgegleichung verdeutlichen. Da sich in einer bestimmten Zeitperiode die Werte der Geldtransaktionen (M * Vy) und Gütertransaktionen (Yr * P), die zu Einkommen führen, decken (Tauschgleichung), gilt
(1)      M * Vy = Yr * P oder für 1/Vy = k
(2)      M/P = k * Yr In diesen Gleichungen bezeichnet M die nominale, M/P die reale Geldmenge , k die Kassenhaltungsdauer des Geldes (die Reziproke Vy die Einkommenskreislaufgeschwindigkeit), Yr das reale (preisbereinigte) Volkseinkommen und P das Preisniveau der Endprodukte einer bestimmten Zeitperiode. In der Theorie der G. wird unterstellt  anders als in der Geldangebotstheorie , daß die nominale Geldmenge M vorgegeben ist, also durch das Verhalten der Kassenhalter nicht geändert werden kann; partielle Kassenminderungen führen zu partiellen Kassenerhöhungen an anderer Stelle und umgekehrt. Das eigentliche ökonomische Problem ist, daß die Kassenhalter die reale Geldmenge M/P durch ihr Verhalten beeinflussen können. Änderungen der Kassenhaltungsdauer k wirken unter sonst gleichen Umständen auf P, damit auf die reale Geldmenge ein. Die geldpolitischen Instanzen können, i. Ggs. zu den Kassenhaltern, die Realkasse nicht beeinflussen, wenn Änderungen von M sich in proportionalen Änderungen von P (Quantitätstheorie) niederschlagen. Ein temporärer geldpolitischer Einfluß auf die Realkasse ist denkbar, wenn das Preisniveau träge auf Änderungen von M reagiert, oder wenn die nominale Geldmenge sich für die Kassenhalter unerwartet entwickelt. Die G.-theorie wird damit zu einem wesentlichen Element der gesamten Geldtheorie. Die Theorie der G. untersucht insbesondere folgende, miteinander verzahnte Probleme: die Geldmengenabgrenzung (2.), die maßgeblichen Bestimmungsgrößen der G. (3.), die Stabilität der G. (4.) und die Konsequenzen wissenschaftlicher Einsichten für die Wirtschaftspolitik  (Theorie der Wirtschaftspolitik) (5.).
2. Geld wird nach vorherrschendem Verständnis als eine Sache definiert, die die Funktionen Recheneinheit, Tauschmedium und Wertspeicher wahrnimmt (Geldfunktionen). Da die Funktion Recheneinheit abstrakt ist, kommen für die G. nur die beiden anderen Funktionen in Betracht. Gleichwohl ist die Geldmengenabgrenzung bei der G. kontrovers. Für eine empirisch gehaltvolle Wissenschaft kommt es nicht darauf an, wozu Geld verwendet werden kann, sondern tatsächlich verwendet wird. Unstreitig ist, daß Geld als Tauschmedium dient und dienen muß. Die Bedeutung des Vermögensgutes Geld für die G. scheint weniger klar. Erstens teilt Geld diese Funktion mit vielen anderen Gütern, wie "geldnahen" Wertpapieren , Edelmetallen und Grundstücken. Zweitens ist Geldvermögen nur eine "Zwischenstation" zur Transaktionskasse , die für Umsätze am Markt gehalten wird. Deshalb spricht einiges dafür, die Geldmengenabgrenzung nicht von vorneherein theoretisch festzulegen, sondern empirisch zu ermitteln. Dieser Linie ist die Theorie der G. in den letzten Jahrzehnten gefolgt. Es sind Geldmengen in unterschiedlicher Abgrenzung (u.a. M1 , M2 und M3) mit dem Ziel getestet worden, die Geldmenge mit den besten statistischen Eigenschaften herauszufinden. Wenn auch die Ergebnisse nicht völlig eindeutig sind, so kann doch für die meisten Länder festgestellt werden, daß enge Geldmengenabgrenzungen, die auf die Tauschfunktion des Geldes abheben, der Geldpolitik die besten Hinweise auf das Verhalten der Geldnachfrager liefern.
3. Die entscheidende Frage bei der G. ist, welche Gründe das Verhalten von Haushalten, Unternehmen und Staat bestimmen. Zunächst scheint es zweckmäßig, zwischen normalen sowie kurz- und mittelfristigen Zuständen einerseits und ungewöhnlichen sowie langfristigen andererseits zu unterscheiden. In exorbitanten Zeiten, z.B. bei einer grassierenden Inflation, oder in langer Sicht, z.B. bei den vom technischen Stand des Überweisungsverkehrs abhängigen Zahlungssitten, treten Verhaltensweisen auf, die ansonsten vernachlässigt werden können. Sieht man  wie üblich  von solchen Fällen ab, so gibt es ein hohes Maß an Übereinstimmung, daß die G. nach "Realkasse" (M/P) vom Volkseinkommen (Y), Zins (i) und Vermögen (W) bestimmt wird; (3a)                                M/P = f(Y, i, W) Der Einfluß jeder einzelnen Größe scheint offensichtlich: Geld wird gehalten in Abhängigkeit von der Höhe der laufenden Transaktionen , für die das Volkseinkommen der beste Indikator ist, von den Opportunitätskosten (Kosten) der unverzinslichen Bargeldhaltung (Bargeld), die durch den Zinssatz gemessen werden, und dem Vermögen. Da sich dieses als künftig erwartetes Einkommen verstehen läßt, kann man Gleichung (3a) auch schreiben: (3b)                                M/P = f(i, X), wobei X einen Skalenfaktor darstellt, der aus dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Einkommen gebildet wird.
4. Es ist üblich, eine Funktion vom Typ der Gleichung
(3) als Einzelgleichung ökonometrisch zu schätzen und zu fragen, wie "stabil" diese im Zeitablauf ist. Eine Schätzgleichung hätte  legt man Gleichung (3b) zugrunde  also die Form
(4)     M/P = a1 + a2 * i + a3 * X + e wobei a1, a2 und a3 die Parameter sind, die sich schätzen lassen, z.B. nach der Methode der kleinsten Fehlerquadratsumme (Methode der kleinsten Quadrate). Die Störgröße wird in
(4) mit e bezeichnet. Dieses gängige Verfahren scheint methodisch nicht unproblematisch, ist aber bewährter als alternative Vorgehensweisen. Auch bei vorsichtiger Interpretation der Schätzergebnisse kann folgendes zum Kassenverhalten ausgesagt werden: Die kurzfristige G. schwankt jahreszeitlich sehr stark, vor allem in Abhängigkeit von Feiertagen, Urlaubszeiten und Steuerzahlungsterminen. Die mittelfristige G. ist in normalen Zeiten relativ stabil. Einbrüche gibt es nur bei größeren Schocks, wie z.B. bei der ersten "Ölpreisexplosion" im Jahre 1973/74.
5. Die Konsequenzen aus der Theorie und Empirie der G. für die Wirtschaftspolitik lassen sich wie folgt charakterisieren: Eine auf Stabilität ausgerichtete Wirtschaftspolitik  auf Sicherung des Geldwertes und Aufrechterhaltung eines hohen Beschäftigungsniveaus (Beschäftigung)  muß mittelfristig angelegt werden. Wg. unvermeidlicher Schwankungen  auch im Hinblick auf Wirkungsverzögerungen  ist Stabilität kurzfristig unerreichbar. Eine mittelfristig orientierte Wirtschaftspolitik, die Schocks zu vermeiden trachtet, kann von einer stabilen Geldnachfrage ausgehen. Dies gilt vor allem dann, wenn das Geldangebot, die Ausweitung der nominalen Geldmenge M, von den Geldnachfragern vorhergesehen werden kann. Eine instabile Geldnachfrage ist oft nur Reflex einer hektischen Wirtschaftspolitik. Wird in der Politik ein ständiges stop and go vermieden, dürfte einer dauerhaften Stabilität das Verhalten der Geldnachfrager nicht im Wege stehen.

Literatur: W. Kösters, Theoretische und empirische Grundlagen der Geldnachfrage. Eine kritische Analyse der wirtschaftspolitischen Aussagefähigkeit isolierter Untersuchungen der Geldnachfragefunktion. Göttingen 1974. D. E. W. Laidler, The Demand for Money: Theories, Evidence, and Problems.
3. e., New York 1985. A. Woll, Geldtheorie und Geldpolitik VIII: Geldnachfrage, in: HdWW,
3. Bd. Stuttgart  New York u.a. 1981.

 

 


 

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