Geldangebotstheorie
1. In modernen Volkswirtschaften (Wirtschaft) besteht Geld (das allgemeine Tauschmittel; Geldfunktionen) hauptsächlich aus Münzen und Banknoten (Papiergeld) sowie Einlagen (Sicht- u.a. Depositen) bei den Geschäftsbanken (Banken), über die mit Scheck , Überweisung , Kreditkarte oder durch Abhebung verfügt werden kann. Münzen werden in der Bundesrepublik in staatlichen Münzstätten im Auftrag und für Rechnung des Bundes als Inhaber des Münzprägerechtes (Münzregal) geprägt und von der Bundesbank (Deutsche Bundesbank) in Umlauf gebracht. Da dem Konto des Bundes bei der Bundesbank der Münzgewinn (Nennwert der Münzen minus Herstellungskosten) gutgeschrieben wird, wäre aus fiskalischen Gründen mit einer Münzherstellung nach den klassischen Prinzipien der Geldproduktion zu rechnen (Gewinnmaximierung, Produktion bis Grenzerlös (= Nennwert einer Münze) gleich Grenzkosten). Da die Bundesbank jeder Erhöhung des Münzumlaufs zustimmen muß, wird im Interesse der Währungsstabilität das klassische Geldproduktionsprinzip verletzt. Das gleiche gilt für den Druck und die Ausgabe der Banknoten, zu der die Bundesbank allein befugt ist.
2. Die Geschäftsbanken als Produzenten der Bankeinlagen, die sie gegen Bargeld (Münzen und Noten), gegen Buchgeld (Sichteinlagen anderer Geschäftsbanken) oder gegen Kredittitel (Kredit) (Zahlungsversprechen in der Zukunft) verkaufen, folgen den klassischen Prinzipien der Geldproduktion (Gewinnmaximierung), allerdings unter Beachtung von Beschränkungen durch die Bundesbank (Mindestreservevorschriften (Mindestreservepolitik)) und Bereitstellung von Zentralbankgeld (Geldarten) und des Liquiditätsrisikos (Liquidität). Dieses besteht für eine Geschäftsbank darin, daß Kundenkredite nicht gerade dann zurückgerufen werden können, wenn Einleger ihre Depositen abheben oder an andere Banken transferieren wollen. Die Geschäftsbanken können als Pool von Einlegern Fristentransformation betreiben (aus Einlagen mit kurzen Laufzeiten werden Kredite mit längeren Laufzeiten), weil bei einer Vielzahl von Einlegern Zu- und Abgänge an Depositen sich weitgehend ausgleichen. Für Salden halten die Geschäftsbanken Liquiditätsreserven bereit, die aus aktuellem Zentralbankgeld (Bargeld und Zentralbankguthaben und potentiellem Zentralbankgeld (unausgenutzte Kontingente für Rediskont- (Diskontpolitik) und Lombardkredit (Lombardpolitik) von der Bundesbank) bestehen. Im Durchschnitt liegen die tatsächlichen Bestände an Bargeld und Zentralbankguthaben der Geschäftsbanken in der Bundesrepublik kaum über den vorgeschriebenen Mindestreserven (Mindestreservepolitik) (vernachlässigbare Überschußreserven). Die Mindestreserven dienen de facto weitgehend auch der Liquiditätsvorsorge und als Transaktionskasse , weil sie von den Geschäftsbanken nicht täglich, sondern nur im Durchschnitt eines Monats gehalten werden müssen. Geschäftsbanken können sich auch von anderen Geschäftsbanken Zentralbankgeld besorgen. Entsprechende Kreditlinien dienen ebenfalls der Liquiditätsvorsorge.
3. Für die Produktion der Bankeinlagen benötigen die Geschäftsbanken zwar die üblichen Produktionsfaktoren sowie zur Liquiditätsvorsorge und wg. der Mindestreservevorschriften tatsächliches und potentielles Zentralbankgeld. In der modernen Geldproduktion sind die üblichen Produktionskosten jedoch unbedeutend ("Depositen entstehen durch einen Federstrich") und die modernen G. konzentrieren sich auf den Produktionsfaktor Zentralbankgeld, dessen Verfügbarkeit von der Bundesbank nach geldpolitischen Erwägungen beschränkt wird. Die Bundesbank fixiert durch Käufe von fremden Währungen (Devisen), durch Netto-Kreditgewährung an den Staat, durch Käufe von Wertpapieren am offenen Markt (Offenmarktpolitik, Geldmarktpapiere) einen Teil (A) des Zentralbankgeldbestandes beim Publikum und den Geschäftsbanken. Daneben gewährt sie den Geschäftsbanken über Kontingente für Rediskont- und Lombardkredit einen Refinanzierungsspielraum (S), den diese aus Gründen der Liquiditätsvorsorge nur unvollständig (im Umfang B) ausnutzen. Die Summe aus A und B heißt aktuelle Geldbasis, die Summe aus A und S potentielle Geldbasis (BP) (Entstehungsseite) (Geldbasis). Der Produktionsfaktor potentielle Geldbasis teilt sich auf der Verwendungsseite in die Bargeldhaltung des Nichtbankenpublikums (C), die Mindestreservehaltung (R) und in die Haltung freier Liquiditätsreserven (F = Liquiditätsreserven minus Mindestreserven) der Geschäftsbanken. Das Publikum strebt zwischen Bargeld (C) und Sichtdepositen (D) eine bestimmte, von verschiedenen Zinssätzen und anderen Faktoren abhängige Proportion k an (C = kD). Entsprechendes gilt für die Geschäftsbankenwünsche nach freien Liquiditätsreserven (F = fD), während die Bundesbank einen Mindestreservesatz r vorschreibt (R = rD).
4. Die Depositenproduktion ist durch die vorhandene potentielle Geldbasis beschränkt ((r + f + k) D £ BP). Das Depositenvolumen bei Vollausnutzung des Produktionsfaktors BP unter Beachtung der Wünsche k und f und der Vorschrift r heißt makroökonomisches Depositenangebot (DS):DS = BP/(r + f + k) . Das Depositenangebot und die damit korrespondierende Bargeldhaltung (kDS) bilden das makroökonomische Geldangebot (MS): MS = DS + kDS = mB mit m = (1 + k)/(r + f + k) . Empirisch ist r + f kleiner als 1 und der Geldschöpfungsmultiplikator m daher größer als
1. (Bei m kleiner als 1 läge Geldvernichtung vor.) Die Marktzinssätze (für Bankkredit, Depositen u.a.), die von der Bundesbank geldpolitisch gesetzten Rediskont- und Lombardsätze und andere Faktoren beeinflussen das Verhalten von Publikum und Geschäftsbanken und treten daher als Argumente der Funktionen k und f auf. Das Geldangebot als Funktion der potentiellen Geldbasis, der Zinssätze und anderer Determinanten heißt Geldangebotsfunktion. Mit m nimmt das Geldangebot zu, wenn der Bankkreditzins steigt.
5. Das Geldangebot nach obiger Formel wird dadurch effektiv, daß Geschäftsbanken und Nichtbanken Abweichungen zwischen gewünschter und tatsächlicher Bargeld- und Reservehaltung beseitigen. (Zuviel Bargeld beseitigt das Publikum z.B. durch Erhöhung der Bankeinlagen, wodurch die freien Liquiditätsreserven der Banken zunehmen. Wenn die Geschäftsbanken ihre überschüssigen (unerwünschten) freien Liquiditätsreserven durch Ankauf von Kundenwechseln abbauen, dann steigt das Kreditvolumen der Geschäftsbanken und die Sichtguthaben ihrer Kunden (Bilanzverlängerung). Die Geldmenge nimmt zu, denn der Zuwachs der Bankdepositen ist insgesamt größer als der ursprüngliche ihn auslösende Abbau der Bargeldhaltung des Publikums.)
6. Eine G., die Höhe und Einfluß "des" Marktzinssatzes durch eine Analyse des Gleichgewichts auf dem Bankkreditmarkt (Geldmarkt) bestimmt, heißt Kreditmarkttheorie (Geldmarkttheorie). Die Berücksichtigung von Termin -, Spar - und anderen Bankeinlagen neben den Sichtdepositen und die Beachtung alternativer Geldmengenbegriffe (Geldmengenabgrenzung) würde den hier gegebenen Rahmen sprengen. Der Ansatz der G., der sich auf das potentielle Geldbasiskonzept stützt, ist für die Bundesrepublik institutionell adäquat und aus Gründen besserer geldpolitischer Steuerbarkeit der potentiellen Geldbasis jenen Ansätzen der G. überlegen, welche die Überschußreserven an die Stelle der freien Liquiditätsreserven und die aktuelle an die Stelle der potentiellen Geldbasis setzen und die Kontingentierung des Zentralbankkredits der Geschäftsbanken vernachlässigen. (Das gilt auch für solche Zeitabschnitte, in denen die Bundesbank Lombardkontingente nicht explizit formuliert. Hier treten die subjektiven Vorstellungen der Geschäftsbanken von den Obergrenzen des Lombardkredits an die Stelle der objektiven Kontingente.)
Literatur: N. K. A. Läufer, Makroökonomik einer neuen Geldangebotshypothese für die BRD, in: Kredit und Kapital, 22. Jg. 1989, 66-91. N. K. A. Läufer, Die Multiplikatorform einer neuen Geldangebotshypothese für die Bundesrepublik Deutschland, in: W.- R. Heilmann u.a. (Hrsg.), Geld, Banken und Versicherungen. Bd. 1, Karlsruhe 1984. N. K. A. Läufer, Mikroökonomische Grundlagen einer Geldangebotstheorie für die BRD, in: H. Göppl/R. Henn (Hrsg.), Geld, Banken, Versicherungen. Bd. 1, Karlsruhe 1984. H. J. Jarchow, Theorie und Politik des Geldes. Bd. I. u. II.
8. bzw.
5. A., Göttingen 1990 bzw. 1988. A. Woll/G. Vogl, Geldpolitik. Stuttgart 1976.
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