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Absentismus


Inhaltsübersicht
I. Fehlzeiten und Absentismus
II. Bedeutung der Fehlzeiten und des Absentismus
III. Entwicklung und Ausmaß der Fehlzeiten
IV. Ursachen von Absentismus
V. Maßnahmen zur Reduzierung von Fehlzeiten

I. Fehlzeiten und Absentismus


Das zeitlich befristete Fernbleiben von der Arbeit wird weder in der Literatur noch in der Betriebspraxis einheitlich definiert und begrifflich umschrieben. Häufig wird zwischen dem umfassenderen Begriff Ausfallzeiten und Fehlzeiten unterschieden. Ausfallzeiten beinhalten alle Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Aufgaben, zu der er sich vertraglich verpflichtet hat, nicht zur Verfügung steht. Hierunter fallen auch Urlaub, Feiertage und andere durch Gesetz und Vertrag begründete Abwesenheiten. Fehlzeiten – als der engere Begriff – stützen sich zwar überwiegend ebenfalls auf gesetzliche und tarifliche Bestimmungen, ihr Umfang ist aber mehr personenabhängig. Sie umfassen Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Krankheit oder Unfall, Mutterschutz und Erziehungsurlaub, Kuren, Freistellungen auf gesetzlicher und tariflicher Basis, entschuldigtes oder unentschuldigtes Fehlen, Zuspätkommen sowie vorzeitiges Verlassen der Arbeit (Kador, /Brock,  1999). Einige Autoren plädieren darüber hinaus dafür, die Fehlzeiten nochmals in Abwesenheitszeiten zu unterteilen, die dem Einfluss der Personen weitgehend entzogen sind, und Zeiten, die aus dem motivational bedingten Entschluss zur Abwesenheit resultieren. Letztere werden mit dem Begriff \'Absentismus\' von den übrigen Fehlzeiten abgegrenzt.
Die zahlenmäßige Erfassung der Fehlzeiten erfolgt ebenfalls nicht einheitlich, sodass die veröffentlichten Statistiken nicht unmittelbar vergleichbar sind. Während z.B. der Bundesverband der Betriebskrankenkassen eine vollständige Erhebung aller Arbeitsunfähigkeitsfälle mit ihrer jeweiligen Dauer berücksichtigt, ermitteln die gesetzlichen Krankenkassen dagegen die Daten stichtagsbezogen.

II. Bedeutung der Fehlzeiten und des Absentismus


Fehlzeiten und Absentismus haben das Interesse einer ganzen Reihe von Fachdisziplinen auf sich gelenkt wie z.B. der Volks- und Betriebswirtschaftslehre, der Soziologie, Arbeitsmedizin und Ergonomie sowie – nicht zuletzt – der Arbeits- und Organisationspsychologie. Dieses breite Interesse dürfte vor allem in der praktischen Relevanz der Folgen begründet sein, die aus Fehlzeiten auf mehreren Ebenen resultieren.
Auf der volkswirtschaftlichen Ebene und der Ebene der Betriebe stellen Fehlzeiten einen bedeutsamen Kostenfaktor dar. Nach neueren Untersuchungen aus der BRD kann man davon ausgehen, dass Betrieben durch 1% Fehlzeiten zusätzliche Kosten von fast 1% des Personal- und Sozialaufwandes entstehen (Kador, /Brock,  1999). Ein anderer Berechnungsansatz kommt zu dem Ergebnis, dass pro 100 Beschäftigte durch 1% Fehlzeiten Kosten von ca. 25.000 Euro anfallen (Eissing,  1991). Für die Betriebe können mit Fehlzeiten und Absentismus daneben weitere Folgen verbunden sein wie z.B. die Notwendigkeit der Einstellung von Ersatzkräften, kurzfristige Umsetzungen der anwesenden Mitarbeiter, Qualitätseinbußen oder auch Terminschwierigkeiten. Auf der individuellen Ebene gehen mit Fehlzeiten u.U. gravierende Beeinträchtigungen der Gesundheit einher; die Kollegen der fehlenden Mitarbeiter können von Mehrarbeit, Überstunden und Umsetzungen betroffen sein. Schließlich haben die Vorgesetzten den durch Fehlzeiten und Absentismus verursachten Aufwand der Umorganisation der Arbeit zu tragen.
Fehlzeiten und Absentismus gelten – wie die Fluktuation – darüber hinaus als bedeutsame Indikatoren für die Wirkung anderer Größen, die in den angeführten Fachdisziplinen zum Gegenstand der Forschung gehören. Fehlzeiten werden z.B. als Hinweis darauf gewertet, dass gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen sowie technische oder ergonomische Gestaltungsmängel an Arbeitssystemen vorliegen, dass die Organisation der Arbeit zu unzumutbaren Belastungen führt oder dass Vorgesetzte ihre Aufsichts- und Fürsorgepflichten nicht angemessen wahrnehmen. In Verbindung mit dieser Indikatorfunktion wird Fehlzeiten in einschlägigen Untersuchungen häufig der Status einer Kriteriumsvariable zugewiesen, anhand derer die Gültigkeit von Theorien und die Wirksamkeit von Interventionen überprüft werden, die auf die genannten Problemfelder bezogen sind.

III. Entwicklung und Ausmaß der Fehlzeiten


Das Ausmaß der Fehlzeiten in deutschen Betrieben ist in den letzten fünf Jahren kontinuierlich gesunken. Während in den alten Bundesländern die Fehlzeitenquote zu Beginn der 1990er-Jahre noch um 5% schwankte, hat sich seit 1997 eine Stabilisierung auf niedrigerem Niveau eingestellt. In den Jahren 1997 und 1998 lag die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeitsquote bei 4.1%, in den Jahren 1999 und 2000 bei 4.2%. Die Fehlzeitenentwicklung in den neuen Bundesländern zeigt einen etwas anderen Verlauf. Nach einer Fehlzeitenquote von 4.0% im Jahre 1991 haben die neuen Bundesländer 1995 mit dem Westen gleichgezogen und sich danach dem Abwärtstrend der alten Bundesländer angeschlossen (Hofmann,  2001). Der überwiegende Anteil der Arbeitsunfähigkeitstage geht auf Langzeiterkrankungen mit einer Dauer von mehr als sechs Wochen zurück. Nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft resultieren durchschnittlich 11% aller Fehltage aus Arbeitsunfähigkeitsfällen mit einer Dauer von ein bis drei Tagen.

IV. Ursachen von Absentismus


Für das Auftreten von Fehlzeiten kommen prinzipiell vier Klassen von Verursachungsfaktoren in Frage (Kleinbeck, /Wegge,  1996):

-

die Mitarbeiter sind organisch oder psychisch krank bzw. arbeitsunfähig;

-

die Mitarbeiter fühlen sich ohne objektivierbare Krankheitssymptome arbeitsunfähig;

-

die Mitarbeiter sind gesund, werden aber durch äußere Umstände davon abgehalten, am Arbeitsplatz zu erscheinen;

-

die Mitarbeiter sind gesund, entscheiden sich aber, der Arbeit fernzubleiben, ohne dass hierfür ein äußerer Anlass oder Zwang vorliegt.


Wenngleich diese Klassifikation alle denkbaren Abwesenheitsursachen abdecken dürfte, so sind die empirischen Analysen dieser Ursachen doch mit einigen Problemen belastet. Ein zentrales Problem besteht darin, dass die beobachtbaren Fehlzeitenereignisse nicht erkennen lassen, welcher Verursachungsklasse sie genau zuzuordnen sind. Will man bspw. die Faktoren analysieren, die Einfluss auf die willentliche Entscheidung der Personen nehmen, der Arbeit fernzubleiben, dann sind die verfügbaren Kriteriumsmaße des Absentismus gewöhnlich mit Fehlzeiten konfundiert, die ganz andere Ursachen haben. Diese Konfundierung schränkt naturgemäß den Anteil der Kriteriumsvarianz ein, der durch die an der Entscheidung beteiligten Faktoren aufklärbar ist. Eine Lösung dieses Problems könnte nun darin bestehen, bei der Analyse der Ursachen des Absentismus diejenigen Fehlzeitenereignisse auszuschließen, die Folge von Krankheit bzw. Arbeitsunfähigkeit sind. Dieser Lösungsversuch stößt jedoch rasch an Grenzen. Denn was Krankheit und Gesundheit ist, entzieht sich einer eindeutigen Definition und Abgrenzung. Krankheit ist nicht ein objektiv gegebener Tatbestand, sondern wird in einem komplexen Beurteilungsprozess festgestellt, in den sowohl Befindlichkeiten und Bewertungen der Patienten, medizinische Voreingenommenheiten der Ärzte als auch kulturelle Normen über Krankheit und Gesundheit einfließen. D.h., bei der Attestierung der Arbeitsunfähigkeit ist immer ein Ermessensspielraum gegeben, der von den betroffenen Personen interessengeleitet beeinflusst werden kann (Steel,  2003).
Dies erklärt, warum die empirisch ermittelten Effektstärken der bisher untersuchten Absentismusdeterminanten relativ gering ausfallen und in ihren jeweiligen Kombinationen selten mehr als 30% der Kriteriumsvarianz aufklären. Gleichwohl haben die Forschungsarbeiten der letzten Jahrzehnte ein komplexes Geflecht von Einflussfaktoren zutage gefördert, die in Abb. 1 in einer Modellstruktur geordnet sind, auf die häufig Bezug genommen wird (Rhodes, /Steers,  1990).
Absentismus
Abb. 1: Prozessmodell des Anwesenheitsverhaltens
Das Modell geht davon aus, dass das Fehlzeitengeschehen durch zwei zentrale Variablen determiniert wird: (a) der (mangelnden) Motivation zur Anwesenheit (Arbeitsmotivation und Motivationstheorien; Anreizsysteme) und (b) der (fehlenden) Fähigkeit, am Arbeitsplatz zu erscheinen. Auf die Anwesenheitsmotivation wirken wiederum zwei Klassen von Faktoren ein. Die erste Klasse beinhaltet affektive Reaktionen der Person auf die gegebene Arbeitssituation, die in der Arbeitszufriedenheit ihren Niederschlag finden. Die zweite Klasse bilden Faktoren, von denen ein mehr oder weniger starker Druck zur Anwesenheit ausgeht.
Die Arbeitszufriedenheit wird von einer Vielzahl von Merkmalen der Arbeitssituation beeinflusst, die sich auf den Arbeitsinhalt und die Tätigkeit sowie das soziale Umfeld beziehen, in das die Arbeit eingebettet ist. Diese Merkmale wirken sowohl unmittelbar auf die Arbeitszufriedenheit und Fehlzeiten ein als auch in Wechselwirkung mit Werten und Erwartungen der Mitarbeiter. Bei Personen z.B., die den Entfaltungsmöglichkeiten in ihrer Arbeit einen hohen Wert beimessen, fällt der Zusammenhang zwischen Merkmalen des Arbeitsinhaltes (wie Autonomie und Anforderungsvielfalt) und Fehlzeiten stärker aus als bei Personen, die in diesen Möglichkeiten keinen Anreiz sehen (Schmidt, /Daume,  1996). Solche Wechselwirkungen können auch aus Arbeitsbelastungen (wie Zeitdruck, Aufgabenkomplexität) und Erwartungen der Personen resultieren, die eigene Arbeit weitgehend selbst organisieren und gestalten zu können. Die negativen Wirkungen dieser Arbeitsbelastungen auf die Anwesenheitsmotivation und Fehlzeiten schwächen sich mit dem Erleben eigener Gestaltungsspielräume ab (Dwyer, /Ganster,  1991). Derartige Spielräume können nicht zuletzt durch Vorgesetzte erweitert oder eingeengt werden. Vorgesetzte, die ihre Mitarbeiter an der Organisation und Gestaltung der Arbeit beteiligen, können deren Anwesenheitsmotivation nachhaltig stärken (Schmidt,  1996).
Daneben wird die Anwesenheitsmotivation durch Faktoren determiniert, die mehr als \'Schub\'- bzw. \'Druckmotivatoren\' wirken. Situative Faktoren dieser Art sind etwa betriebliche Anreiz- und Sanktionssysteme, die an das An- bzw. Abwesenheitsverhalten gekoppelt sind. Zu diesen Faktoren gehören ebenfalls die in jüngster Zeit viel beachteten Abwesenheitsnormen oder Abwesenheitskulturen, die sich in Gruppen, Abteilungen und Betrieben ausbilden können, und die die Anwesenheitsmotivation bedeutsam prägen (Schmidt,  2002). Darüber hinaus wirken auch innerhalb der Person liegende Faktoren – wie ein ausgeprägtes Pflichtgefühl oder eine enge affektive Bindung an die Organisation – motivationsstärkend. Die Anwesenheitsmotivation wird allerdings nur dann verhaltenswirksam, wenn keine Faktoren vorliegen, die ein entsprechend motiviertes Verhalten verhindern bzw. unmöglich machen. Neben Krankheiten und Unfällen können Verkehrs- oder Transportprobleme sowie außerberufliche Verpflichtungen (z.B. Betreuung kranker Familienmitglieder) selbst bei hoher Anwesenheitsmotivation Anlass dafür geben, nicht am Arbeitsplatz zu erscheinen. Entsprechend des Prozesscharakters des Modells ist schließlich davon auszugehen, dass das aktuelle An- bzw. Abwesenheitsverhalten die künftige Arbeitssituation verändern kann.

V. Maßnahmen zur Reduzierung von Fehlzeiten


In den Betrieben wird eine Vielzahl von Maßnahmen zur Senkung der Fehlzeiten eingesetzt. Nach neueren Erhebungen (Kuhn,  1996) suchen 29% der Unternehmen das Gespräch mit häufig fehlenden Mitarbeitern (in Form sog. Rückkehrgespräche). Jedes sechste Unternehmen setzt auf eine stärkere Kontrolle durch Vertrauensärzte. Nahezu 10% versuchen, über eine Veränderung des Führungsstils der Fehlzeitenproblematik zu begegnen. Ebenso viele Betriebe praktizieren regelmäßige Gesundheitsprüfungen durch den Betriebsarzt, und 7% schreiben bzw. rufen zum Anfang einer Erkrankung an. 6% der Unternehmen zahlen Anwesenheitsprämien, 4% führen Krankenbesuche durch und 3% setzen Abmahnungen und Kündigungen als Maßnahmen ein.
Vor dem Hintergrund des dargestellten Modells wird deutlich, dass diese Maßnahmen der Komplexität der potenziellen Einflussfaktoren nicht gerecht werden. Die Mehrzahl der Maßnahmen ist zudem darauf gerichtet, das Verhalten der Personen über betriebliche Reaktionen auf das Fehlen zu beeinflussen. Diese Symptomorientierung sieht von einer Analyse der Fehlzeitenursachen weitgehend ab. Viele der durch das Modell nahegelegten Ansatzpunkte zur Beeinflussung der Fehlzeiten bleiben daher ungenutzt.
Diese ungenutzten Potenziale betreffen insbesondere eine an den Wertvorstellungen und Erwartungen der Mitarbeiter ausgerichtete Arbeits- und Organisationsgestaltung, die den Mitarbeitern eigene Gestaltungsräume lässt. Die positiven Wirkungen, die hiervon ausgehen, sind zudem nicht auf Fehlzeiten begrenzt, sondern schließen andere Produktivitätsaspekte wie Arbeitsengagement und Leistung ein. Die Gestaltungsspielräume der Mitarbeiter können neben dem Arbeitsinhalt auch die Arbeitszeitorganisation betreffen. Deren individuelle Flexibilisierung hat sich als wirksames Mittel erwiesen, Anforderungen der Arbeit und der außerberuflichen Lebenssituation konfliktfreier zu bewältigen mit entsprechenden Fehlzeitenwirkungen (Johns,  1997).
Literatur:
Dwyer, D. J./Ganster, D. C. : The effects of job demands and control on employee attendance and satisfaction, in: Journal of Organizational Behavior, Jg. 11, 1991, S. 595 – 608
Eissing, G. : Fehlzeiten. Betriebliche Ursachenanalyse und Maßnahmen, in: Angewandte Arbeitswissenschaft, Jg. 130, 1991, S. 44 – 104
Hofmann, A. : Reduzierung von Fehlzeiten: Ansatzpunkte, Beispiele, Erfahrungen, in: Angewandte Arbeitswissenschaft, Jg. 168, 2001, S. 1 – 21
Johns, G. : Contemporary research on absence from work: correlates, causes and consequences, in: International Review of Industrial and Organizational Psychology, Jg. 12, 1997, S. 115 – 173
Kador, F. J./Brock, G. : Fehlzeiten senken. Ursachen, Analysen, Maßnahmen, Bergisch Gladbach 1999
Kleinbeck, U./Wegge, J. : Fehlzeiten in Organisationen: Motivationspsychologische Ansätze zur Ursachenanalyse und Vorschläge für die Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz, in: Zeitschrift für Arbeits- u. Organisationspsychologie, Jg. 40, 1996, S. 161 – 172
Kuhn, K. : Krankenstand im Betrieb als Alltagsproblem, in: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, Jg. 40, 1996, S. 200 – 203
Rhodes, S. R./Steers, R. M. : Managing employee absenteeism, Reading, MA 1990
Schmidt, K. H. : Wahrgenommenes Vorgesetztenverhalten, Fehlzeiten u. Fluktuation, in: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, Jg. 40, 1996, S. 54 – 62
Schmidt, K. H. : Organisationales u. individuelles Abwesenheitsverhalten: Eine Cross-Level-Studie, in: Zeitschrift für Arbeits- u. Organisationspsychologie, Jg. 46, 2002, S. 69 – 77
Schmidt, K. H./Daume, B. : Beziehungen zwischen Aufgabenmerkmalen, Fehlzeiten u. Fluktuation, in: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, Jg. 40, 1996, S. 181 – 189
Steel, R. : Methodological and operational issues in the construction of absense variables, in: Human Resources Management Review, Jg. 13, 2003, S. 243 – 251

 

 


 

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