Arbeits- und Organisationspsychologie
Inhaltsübersicht
I. Gegenstand und Begriff der Arbeits- und Organisationspsychologie
II. Historische Entwicklung
III. Gebiete der Psychologie
IV. Zukunftsentwicklung
I. Gegenstand und Begriff der Arbeits- und Organisationspsychologie
1. Typische Fragen an die Psychologie
Viele Fragen aus dem Personalwesen an die Psychologie beziehen sich auf Verbesserungen der Arbeitsleistungen von Menschen. Oft wird gefragt, wie sich die Mitarbeiter(innen) zu höheren Leistungen motivieren lassen. Häufig sind auch Fragen nach psychologischen Methoden zur Personalauswahl oder danach, wie Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen wie Teamfähigkeiten, Kreativität und Methodenkompetenzen erlernt oder trainiert werden können. In vielen Unternehmen sollen Arbeitsorganisationen verändert oder andere Neuerungen eingeführt werden. Eine typische Frage ist hier, wie man Änderungswiderstände überwinden kann.
Nicht alle Fragen lassen sich nach heutigem Erkenntnisstand praktisch befriedigend und wissenschaftlich abgesichert beantworten. Die Fragensteller wollen oft schnelle und einfache Lösungen. Menschen sind aber nicht einfach, sondern außerordentlich komplizierte Lebewesen. Außerdem sind sie sehr eigenständig, mitunter eigenwillig und nicht leicht beeinflussbar. Die Antworten der Psychologie müssen deshalb eher vorsichtig formuliert werden und sind selten einfach. Um beispielsweise die Mitarbeiter(innen) zu besseren Leistungen zu motivieren, ist es oft erforderlich, die Arbeitsaufgaben komplexer und herausfordernder zu gestalten, die Handlungsspielräume und Verantwortungsbereiche zu erweitern und die Mitarbeiter(innen) durch gezielte Fortbildungsmaßnahmen für die Bewältigung der neuen Anforderungen zu qualifizieren (vgl. Ulich, 2005). Für die Leistungsmotivation günstig ist es ferner, wenn gute Leistungen von den Vorgesetzten und Kolleg(inn)en beachtet und anerkannt werden. Alle aufgeführten, allgemein wichtigen und weitere im Einzelfall zusätzlich bedeutsamen Voraussetzungen zur Motivierung der Mitarbeiter(innen) in der Praxis konsequent umzusetzen, ist kompliziert und aufwendig. Menschen zu demotivieren ist dagegen einfacher. Es genügt, wenn Vorgesetzte oder Kollegen sie ein paar Male unbedacht und persönlich abwertend kritisieren.
II. Historische Entwicklung
1. Anfänge
Das erste Lehrbuch zur Anwendung der Psychologie in diesem Feld wurde 1912 von Hugo Münsterberg, herausgegeben. Seine „ Psychologie des Wirtschaftslebens “ ist bis heute lesenswert und behandelt ein breites Spektrum von Themen: Methoden zur Auslese der geeigneten Persönlichkeiten (z.B. Straßenbahnführer, Schiffsführer und Telefonisten), Erkenntnisse zur „ Gewinnung der bestmöglichen Leistungen “ (z.B. durch Übungs- und Lernmethoden, Zeit- und Bewegungsstudien, Verhinderung von leistungsmindernden Monotonie- und Ermüdungseffekten), Untersuchungen zur Wirkung von Anzeigen und Werbemitteln sowie zum Kaufen und Verkaufen. Im Folgenden werden kurz ausgewählte Entwicklungslinien geschildert, die für das Personalwesen besonders interessant erscheinen (s. Greif, 2004).
2. Eignungsdiagnostische Methoden
Psychologen haben bereits vor dem Ersten Weltkrieg erfindungsreiche technische Apparaturen zur Simulation beruflicher Tätigkeiten konstruiert. In ihren Methoden orientierten sie sich an der damaligen experimentellen Psychologie. So hat Münsterberg (Münsterberg, 1912) für ein Ausleseverfahren die Tätigkeiten von Straßenbahnführern durch optisch dargebotene Aufgaben und Hebel modelliert. Die Aufgaben wurden mit Karten und Informationen mit Hilfe eines technischen Geräts hinter einer Glaswand dargeboten. „ Gefahrensituationen “ wurden durch Karten mit roten Ziffern symbolisiert. Zum „ Bremsen “ sollte die Testperson möglichst schnell einen „ Bremshebel “ ziehen. Wie in modernen computerunterstützten Simulationssystemen (z.B. für Flugzeugpiloten) konnten Fehler und Reaktionszeiten bereits sehr genau registriert und ausgewertet werden. Ähnliche Methoden wurden später in der Weimarer Republik und Nazi-Zeit insbesondere für die Offiziersauslese eingesetzt. Aufgaben wie Gruppendiskussionen (damals Rundgespräche genannt) werden bis heute in Assessment Centern verwendet.
Der Verlauf des Ersten Weltkriegs zwang die Vereinigten Staaten zu einer schnellen Mobilmachung. Die amerikanischen „ Experimentalisten “ ergriffen die Initiative und konstruierten zur Auswahl von Offiziersanwärtern Kurztests zur Erfassung der allgemeinen Intelligenz. In nur 15 Monaten wurden damit insgesamt 1.726.966 Personen getestet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden in den USA neben Intelligenz- und Leistungstests auch die Methoden der deutschen Wehrmachtspsychologen erprobt und bildeten die Grundlage für die Entwicklung von Assessment Centern.
Heute wird zur Personalauswahl ein Methodenmix aus biografischen Fragebögen zur Vorauswahl, systematisch strukturierten multimodalen Auswahlinterviews, Assessment Centern, Intelligenz-/Leistungstests und computerunterstützten Simulations- und Testaufgaben empfohlen und nach vorausgehenden Anforderungsanalysen (s.u.) zusammengestellt (vgl. Schuler, 2006; Etzel, /Küppers, 2002).
3. Das Konzept der teilautonomen Arbeitsgruppen
Menschen arbeiten seit jeher in Gruppen zusammen, um Aufgaben zu bewältigen, die allein nicht oder nicht so effizient bewältig werden können. Die meisten Organisationsformen für die Arbeit in Gruppen sind spontan in der Praxis entstanden. Wie Cherns (Cherns, 1997) berichtet, geht das bis heute aktuelle Konzept der teilautonomen Arbeitsgruppen (TAG) auf eine um 1950 von Bergleuten im englischen Kohlebergbau in einem Schacht in South Yorkshire vorgeschlagene Lösung zurück. Damals waren im Bergbau mechanisierte Abbautechniken eingeführt worden, die mit einer fließbandähnlichen Arbeitsteilung verbunden waren. Die Bergleute bevorzugten aber eine Gruppenorganisation aus der Zeit vor der Mechanisierung. Damals mussten die Schichten ihre Arbeit noch selbst organisieren. Jeder erfahrene Bergmann konnte alle Arbeitsaufgaben ausführen und war dadurch sehr flexibel einsetzbar. Bei der gefährlichen Untertagearbeit fühlten sich die Bergleute sicherer, wenn sie sich auf selbst ausgewählte, zuverlässige Kollegen mit breitem Erfahrungswissen verlassen konnten. Das Konzept der Bergleute bestand nun einfach darin, diese frühere Organisationsform mit der neuen Technologie zu verbinden. Sozialpsychologen vom Londoner Tavistock-Institut erfuhren von der Lösung und erhielten den Auftrag, sie zu analysieren und mit der arbeitsteiligen Organisation in anderen Schächten zu vergleichen. Die Ergebnisse zeigten, dass in den arbeitsteilig organisierten Schichten jeder Bergmann wie erwartet nur eine einzige Hauptaufgabe hatte und nur in einer Tätigkeitsgruppe mitarbeitete. Im Schacht mit Gruppenarbeit lag der Durchschnitt dagegen bei 3,6 Hauptaufgaben und 5,5 Tätigkeitsgruppen. Die Produktivität war um 17% höher, die Unfallrate um 3,6% niedriger, die Abwesenheitsrate ohne Angabe von Gründen um 3,9% und aus Krankheitsgründen um 4,3% geringer. Außerdem konnten Kosten für eine Leitungsebene und für die Verwaltung der Schichteinsatzplanung eingespart werden.
Wie viele andere Innovationen, war die untersuchte Lösung nicht vollkommen neu, sondern lediglich eine neue Kombination aus bekannten Teillösungen. Ein Verdienst der Wissenschaftler ist, dass sie diese aus der Praxis entstandene Kombination der Technik (technisches System) und Gruppenorganisation (soziales System) sehr sorgfältig evaluiert und erkannt haben, dass diese Kombinationslösung auch für viele andere Bereiche interessant ist. Auf dieser Grundlage entwickelten sie die „ soziotechnische Systemtheorie “ . Der Grundgedanke der Theorie ist, dass das technische System und das soziale System gemeinsam optimiert werden müssen. Trotz einer eindeutig nachgewiesenen praktischen Überlegenheit konnte sich das Gruppenarbeitskonzept aber weder im Bergbau noch in anderen Unternehmen praktisch durchsetzen. Wie Ulich (Ulich, 2005) in seiner Bilanzierung der wechselvollen Geschichte der Gruppenarbeit darstellt, gewannen Gruppenarbeitskonzepte erst Anfang der 1990er-Jahre mit der Ablösung starrer Formen der Fließbandarbeit an Bedeutung. Neben anderen Organisationsformen wurde das inzwischen weiterentwickelte europäische Konzept der teilautonomen Arbeitsgruppen (TAG) zwar nicht flächendeckend, aber in vielen Unternehmen mit sehr guten wirtschaftlichen Ergebnissen eingeführt.
III. Gebiete der Psychologie
1. Grundlagenforschung
Viele Fragen an die Psychologie lassen sich durch Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung beantworten (einführend siehe Schönpflug, /Schönpflug, 1997). Bereits im 19. Jahrhundert wurde die bis heute allgemein interessante Frage untersucht, ob Menschen ihre Umgebung unverfälscht wahrnehmen und wie sie sich täuschen lassen. Die menschliche Wahrnehmung liefert kein „ objektives “ oder fotografisches Abbild der Wirklichkeit, sondern ein selektiv vereinfachtes, nach Vorerfahrungen vervollständigtes und subjektiv reinterpretiertes Bild. Anders kann das menschliche Aufmerksamkeitssystem die unendliche Fülle ständig wechselnder Informationen kaum reaktionsschnell und effizient verarbeiten. Das vom menschlichen Gehirn aktiv konstruierte Bild der Wirklichkeit wird auch „ Wirklichkeitskonstruktion “ genannt. Für das Personalwesen besonders wichtige Erkenntnisse in diesem Gebiet liefert die Forschung über die Personenwahrnehmung und die so genannten Vorurteile oder soziale Stereotype. Danach neigen Menschen dazu, anderen Menschen vorschnell generalisierend positive oder negative Eigenschaften zuzuschreiben. Führungskräfte und Personalleute, von deren Beurteilung die Auswahl geeigneter Mitarbeiter(innen) abhängt, müssen diese typischen Urteilsfehler kennen und versuchen, sie zu verringern, um Fehlentscheidungen zu vermeiden.
2. Angewandte Psychologie
Die meisten Fragen aus dem Personalwesen an die Psychologie sind keine Grundlagen-, sondern Anwendungsfragen. Die Fragenden suchen nach praktischen Lösungen oder Antworten darauf, wie man vorgehen kann, um ein Ziel zu erreichen oder ein Problem zu klären und zu lösen. Die Angewandte Psychologie gliedert sich nach historisch gewachsenen Anwendungsdisziplinen. Die drei Hauptanwendungsfächer sind heute (1) die Klinische Psychologie (ihr zentraler Gegenstand ist die Analyse und Behandlung psychischer Störungen), (2) die Pädagogische Psychologie (Gegenstandsfelder sind die Schule und Erwachsenenbildung) und (3) die Arbeits- und Organisationspsychologie (Hauptgegenstandsfeld ist die Analyse und Veränderung der menschlichen Arbeit und ihrer Organisation). Die Anwendungsfächer werden im Studiengang Psychologie im zweiten Studienabschnitt studiert. Im Betriebswirtschaftsstudium kann die Arbeits- und Organisationspsychologie an vielen Studienorten als Nebenfach gewählt werden.
3. Gegenstand der Arbeits- und Organisationspsychologie
Gegenstand der Arbeits- und Organisationspsychologie ist die Beschreibung, Analyse, Erklärung, Prognose und Gestaltung menschlicher Arbeit und Organisation. Arbeit und Organisation sind interdisziplinäre Gegenstandsfelder. Die Arbeits- und Organisationspsychologie bearbeitet diese Felder zusammen mit anderen Disziplinen wie der Betriebswirtschaft, den Ingenieurwissenschaften, der Arbeitsmedizin, der Betriebspädagogik oder der Betriebs- und Organisationssoziologie sowie der interdisziplinär angelegten Arbeitswissenschaft und Ergonomie. Als psychologische Fachdisziplin liegt die spezifische Aufgabe der Arbeits- und Organisationspsychologie in der Untersuchung und Veränderung des menschlichen Verhaltens, Handelns, Denkens oder Fühlens sowie der Entwicklung von Menschen in Organisationen durch Rückgriff auf psychologische Begriffe, Theorien und Methoden (vgl. die Denkschrift zur Arbeits- und Organisationspsychologie von Greif, /Bamberg, 1994). a) Arbeit und Organisation
Menschliche Arbeit kann allgemein als eine Leistungserbringung definiert werden, die aus der Ausführung oder Bearbeitung von Aufgaben durch Personen resultiert und die für andere Personen oder die arbeitende Person selbst finanziellen oder anderen Nutzen erwarten lässt. Arbeit ist aber nicht nur die mit Geld entlohnte sogenannte Lohn- oder Erwerbsarbeit, sondern auch die unbezahlte Hausarbeit oder ehrenamtliche Leistungserbringung. Die Arbeit wird oft bewusst geplant und arbeitsteilig organisiert mit anderen Menschen ausgeführt. Nach Auffassung psychologischer Handlungstheorien (vgl. Hacker, 2005) eignen sich die Menschen durch ihre Arbeitstätigkeit Erfahrungen und Wissen über die physische und soziale Wirklichkeit sowie eigene Fähigkeiten und Möglichkeiten an und verändern sich durch Lernen in der Arbeit.
Der Begriff der Organisation wird im vorliegenden Zusammenhang als Oberbegriff für verschiedenartige soziale Gebilde oder Systeme verwendet, wie Industriebetriebe, Behörden, Schulen oder Krankenhäuser. Von Rosenstiel (Rosenstiel, von, 2003) hebt als Bestimmungsmerkmale hervor, dass Organisationen als offene Systeme gegenüber ihrer Umwelt eine zeitlich überdauernde Existenz aufweisen, spezifische Ziele verfolgen und aus Individuen bzw. Gruppen zusammengesetzt sind, die eine bestimmte Struktur (Arbeitsteilung, Hierarchie von Verantwortung etc.) aufweisen. Die Begriffe Arbeit und Organisation lassen sich aufeinander beziehen. Es wird jedoch nicht nur innerhalb von Organisationen gearbeitet, Arbeit findet auch außerhalb von Organisationen statt (a.a.O.). Organisationen können allgemein auch als Systeme von Menschen, Aufgaben und Regeln definiert werden (Greif, /Bamberg, 1994). Während Aufgaben beschreiben, was getan werden soll, beziehen sich Regeln darauf, wie dies geschehen soll (z.B. welche Qualitätsstandards eingehalten werden sollen). b) Gebietsbezeichnungen und Berufsverbände
Die Gebietsbezeichnung Arbeits- und Organisationspsychologie hat sich in Deutschland erst in den 1970er Jahren durchgesetzt. 1985 hat sich eine Fachgruppe Arbeits- und Organisationspsychologie in der wissenschaftlich ausgerichteten Deutschen Gesellschaft für Psychologie konstituiert. Im Berufsverband Deutscher Psychologen, in dem sich die Praxisvertreter organisiert haben, nennt sich die entsprechende Sektion Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie (ABO-Psychologie), im Berufsverband Österreichischer Psychologen Organisations-, Wirtschafts- und Arbeitspsychologie und in der Schweizerischen Gesellschaft Arbeits- und Organisationspsychologie. Der Europäische Verband heißt European Work and Organizational Psychology (EWOP). Die American Psychological Association in den USA verwendet die Bezeichnung Industrial and Organizational Psychology (Society of Industrial and Organizational Psychology, SIOP).
4. Teilgebiete der Arbeits- und Organisationspsychologie und Bezüge zu anderen Anwendungsfächern der Psychologie
Die Arbeitspsychologie und die Organisationspsychologie werden oft als zwei unterscheidbare, aber einander überschneidende Teilgebiete angesehen. Die Arbeitspsychologie wird dabei als das Teilgebiet verstanden, das sich vorrangig mit der menschlichen Arbeit und Arbeitsgestaltung (Einzel- und Gruppenarbeit) beschäftigt. Das Gebiet der Organisationspsychologie im engeren Sinne bezieht sich dagegen vorrangig auf Fragen der Führung, Kommunikation von Menschen, Strukturen und Prozesse in größeren sozialen Systemen (Abteilungen und Organisationen). Da sich die Gegenstandsfelder der Arbeitspsychologie und der Organisationspsychologie nicht systematisch voneinander trennen lassen, hat sich als gemeinsame Gebietsbezeichnung der Oberbegriff Arbeits- und Organisationspsychologie durchgesetzt. Im Folgenden werden die beiden Teilgebiete sowie typische Fragestellungen und Methoden kurz angesprochen, die für das Personalwesen interessant erscheinen.
Abb. 1: Arbeitspsychologie versus Organisationspsychologie – Unterschiedliche Gegenstandsgebiete und Überschneidungen a) Arbeitspsychologie
Nach weitgefasstem Verständnis behandelt die Arbeitspsychologie das gesamte Feld der menschlichen Arbeit unter Einschluss der Mikro- und Makroebenen der Organisation und Gesellschaft sowie ihrer historischen Entwicklungslinien (vgl. Ulich, 2005). Die Arbeitspsychologie liefert zusammen mit anderen Disziplinen (Ergonomie und Arbeitswissenschaft) Methoden zur Arbeitsanalyse (Dunckel, 1999) und Theorien und Konzepte zur Verbesserung der Arbeitsgestaltung, um die menschlichen Arbeitsleistungen, die Motivation und die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter(innen) zu erhöhen. Die Arbeitsbedingungen und Belastungen und Stressoren Zeitdruck, organisatorische Probleme oder körperliche Belastungen werden durch spezielle Instrumente (a.a.O.) analysiert. Die Gereiztheit/Belastetheit, psychosomatische Beschwerden und krankheitsbedingte Abwesenheitszeiten lassen sich durch Befragungsinstrumente erfassen. Nach Erkenntnissen der Forschung über psychischen Stress am Arbeitsplatz (Semmer, /Mohr, 2001) kann der Krankenstand durch eine Kombination von Arbeitgestaltungsmaßnahmen und Stressmanagementtraining vermindert werden. Wenn sich die Stressoren nicht direkt verändern lassen, können die Stressfolgen durch Kurzpausen, eine Erweiterung des Handlungsspielraums oder eine Verbesserung der sozialen Unterstützung im Team zumindest abgepuffert werden.
Im interdisziplinären Feld der Mensch-Computer Interaktion liefert die Arbeitspsychologie Beiträge zur Untersuchung der Mikroprozesse (insbesondere Schnelligkeit, Fehler und Stressreaktionen) bei der Bearbeitung von Aufgaben mit Computersystemen und zur benutzerfreundlichen Gestaltung der Hard- und Software, auch von Multimediasystemen oder Internetseiten bis hin zur Gestaltung von Telearbeit. Auch für das Personalwesen gibt es in diesem Feld viele computerunterstützte Systeme, deren Benutzerfreundlichkeit analysiert werden sollte, wie Bewerbungen über Internet, Intranet-Systeme für das Wissensmanagement sowie multi- und hypermediale Aus- und Fortbildungssysteme.
Die Fort- und Weiterbildung ist ein großes interdisziplinäres Feld, in dem auch viele psychologische Theorien, Lern- und Trainingsmethoden verwendet werden (s. Greif, /Kluge, 2004). Um etwa die Bildungsmaßnahmen praxis- und bedarfsorientiert zu gestalten, werden Methoden der Aufgaben- und Anforderungsanalyse (z.B. so genannte Task Inventories, a.a.O.) eingesetzt. Auch zum Transfer des Gelernten in die Praxis und zur Evaluation der betrieblichen Bildungsarbeit gibt es viele methodische Beiträge der Psychologie. b) Organisationspsychologie
Nach weitgefasstem Verständnis umfasst die Organisationspsychologie die psychologische Analyse von Arbeitstätigkeiten oder allgemein des Erlebens und Verhaltens von Individuen und Gruppen in allen Arten von Organisationen (Rosenstiel, von, 2003). Schwerpunktmäßig beschäftigt sich die Organisationspsychologie mit der Analyse und Veränderung der Interaktionen zwischen mehreren Menschen in Organisationen, z.B. mit Fragen der Führung, Teamentwicklung oder auch mit der psychologischen Bedeutung von organisationalen Strukturen und Prozessen, z.B. Hierarchien und Macht in Organisationen oder Konflikt- und Kooperationsmanagement sowie mit Veränderungen und Innovationsprozessen in der gesamten Organisation (Greif, /Runde, /Seeberg, 2004). Beispiele für Methoden sind Mitarbeiterbefragungen oder andere auf Befragungen basierende Organisationsanalysen. Psychologische Themen im interdisziplinären Gebiet der Personalentwicklung werden meistens eher der Organisationspsychologie als der Arbeitspsychologie zugeordnet. c) Berufspsychologie
Die Berufspsychologie (engl. Vocational Psychology) ist ein heute in Deutschland seltener vertretenes spezielles Teilgebiet der angewandten Psychologie, das insbesondere die Berufsberatung (a), die Erforschung der einzelnen Berufe unter psychologischem Aspekt und (b) die berufliche Entwicklung des Individuums zum Gegenstand hat. Sie beschäftigt sich mit Phasen der Vorbereitung auf den Beruf, mit der Berufswahl, mit dem Beginn der Erwerbstätigkeit, mit Einarbeitungs- und Eingliederungsprozessen, mit Veränderungen von Arbeitstätigkeiten oder typischen Übergängen zwischen Firmen, zwischen Beruf und Familienarbeit sowie Wechsel zwischen Beruf und Arbeitslosigkeit oder in den Ruhestand. Die Berufspsychologie wird von einigen Autoren als Teilgebiet der Arbeits- und Organisationspsychologie, von anderen als selbstständiges Gebiet angesehen.
Abb. 2: Arbeits- u. Organisationspsychologie versus Berufspsychologie d) Personalpsychologie
Neuerdings hat Schuler (Schuler, 2006) unter Bezug auf Erkenntnisse und Methoden aus der Berufspsychologie im deutschsprachigen Bereich den Begriff Personalpsychologie aktualisiert (in der englischsprachigen Psychologie seit langem als Personnel Psychology bekannt). Er versteht darunter das Teilgebiet der Arbeits- und Organisationspsychologie, das sich mit der „ auf die Betrachtung des Individuums in seinen Verhaltens-, Befindens-, Leistungs- und Entwicklungszusammenhängen als Mitarbeiter einer Organisation “ (a.a.O. S. 11) beschäftigt. Die Bezüge zum Personalwesen sind hier besonders eng. Schuler akzentuiert bei seiner Sicht des Gebiets zugleich auch ausdrücklich die organisationale Perspektive eines Human Resource Management.
Für das Personalwesen wichtig sind hier vor allem die im Lehrbuch von Schuler (Schuler, 2006) beschriebenen psychologischen Methoden zur Leistungsbeurteilung sowie Personalbeurteilung und die vielfältigen Instrumente zur Personalauswahl.
Abb. 3: Arbeits- u. Organisationspsychologie versus Personalpsychologie e) Wirtschaftspsychologie als umfassendes Feld
Die Wirtschaftspsychologie (engl. Economic Psychology, Wiswede, 2000) ist eines der umfassendsten Gebiete der Angewandten Psychologie. Sie untersucht das gesamte Feld der Anwendung der Psychologie auf wirtschaftliche Probleme. Sie integriert das gesamte Feld der Arbeits- und Organisationspsychologie, aber zusätzlich auch psychologische Untersuchungen makroökonomischer Probleme (wirtschaftliche Entwicklungen, z.B. Probleme der Industrialisierung oder der Entwicklungsländer und Schattenwirtschaft), Fragen zur Finanzpsychologie (z.B. Umgang mit Geld, Spar- und Anlageentscheidungen oder Akzeptanz von Steuern) und mikroökonomischer Probleme, die in der Arbeits- und Organisationspsychologie meist vernachlässigt wurden, insbesondere Fragen zur Markt-, Kunden- und Konsumentenpsychologie mit Bezügen zum interdisziplinären Gebiet des Marketings oder zur Dienstleistungspsychologie (z.B. Käufer- und Konsumentenverhalten, Messung und Verbesserung der Kundenzufriedenheit, Wirkung von Werbung für Produkte und Dienstleistungen).
Abb. 4: Arbeitspsychologie u. Organisationspsychologie versus Wirtschaftspsychologie
IV. Zukunftsentwicklung
Die Psychologie ist in vielen Feldern mit ihren theoretischen Grundlagen, insbesondere aber praktischen Konzepten und Methoden eine innovative Partnerdisziplin des Personalwesens. Im Folgenden werden absehbare Trends und Bereiche aufgeführt, in denen sich interessante und nützliche neue Beiträge der Psychologie abzeichnen, die zukünftig stärker genutzt werden können:
Das Innovationstempo bei der Entwicklung der Produkte, Dienstleistungen, Technologien und Arbeitsorganisationen nimmt weiter zu. Die aktive Mitarbeit an Veränderungen und Veränderungsmanagement wird zunehmend zu einer der wichtigsten Aufgaben nicht nur für Führungskräfte und Berater, sondern auch für die Mitarbeiter(innen). Vom Personalwesen wird zur Unterstützung der Veränderungen neben methodischem Wissen auch psychologisches Know-how erwartet (Greif, /Runde, /Seeberg, 2004).
Die konventionellen Formen der Arbeitsorganisation ändern sich allmählich hin zu flexibel einsetzbaren Formen der Gruppenarbeit und raffinierten Konzepten der selbstorganisierten computer- und wissensunterstützten Gruppen- und Einzelarbeit in sehr flachen Organisationen (vgl. z.B. Drucker, 1998).
Die Bedeutung der betrieblichen Fort- und Weiterbildung wird zweifellos weiter wachsen. Die Vielfalt der eingesetzten Lernmedien (vom konventionellen Unterricht bis zu hypermedialen Internetmedien) wird zunehmen. Aber aus Kostengründen und zur Gewährleistung nützlicher Ergebnisse und Qualitätsstandards müssen die Maßnahmen nach Anforderungsanalysen bedarfsorientierter und effizienter gestaltet, überprüft und evaluiert werden. Dabei wird zukünftig immer mehr Eigenverantwortlichkeit beim Lernen erforderlich sein. Hier bieten sich Methoden des selbstorganisierten Lernens von Individuen, Gruppen und Organisationen und Konzepte zur Umgestaltung von Arbeitsbereichen als exploratorische Lernumgebungen an (Greif, /Kluge, 2004).
Coaching von Führungskräften gewinnt an Bedeutung und wird durch spezialisierte Coaching-Konzepte für Spezialisten, interkulturelles Coaching, Team- und Projektcoaching erweitert (vgl. Rauen, 2005).
Klassische Methoden der Personalauswahl und Assessment Center werden durch Einzel-Assessment und Selbst-Assessment sowie computerunterstützte psychodiagnostische Methoden erweitert (Etzel, /Küppers, 2002).
Persönliche Initiative ist eine wichtige psychologische Voraussetzung für erfolgreiche Unternehmensgründungen und für aktives unternehmerisches Handeln in Organisationen (Frese, 1998). Zur Förderung können neuartige Programme entwickelt und eingesetzt werden.
Unternehmen operieren zunehmend global und müssen ihre Leistungen mit Menschen aus vielen Ländern und Kulturen erbringen. In multinationalen Unternehmen werden für die Auswahl bei Auslandsentsendungen sowie generell für interkulturelles Lernen, Management und Veränderungsmanagement mehr anwendungsbezogene Erkenntnisse und Methoden aus der interkulturellen psychologischen Forschung und Anwendung benötigt (Thomas, 1996).
Wie die Geschichte zeigt, hat es meist Jahrzehnte gedauert, bis die oft komplizierten Theorien und Methoden aus der Psychologie ihren Weg in die betriebliche Anwendung gefunden haben. Es könnte sich lohnen, wenn Experten aus dem Personalwesen künftig gezielt Erkenntnisse aus der Psychologie aufarbeiten und schneller für das Unternehmen nutzbar machen. Wirtschaftsunternehmen, deren Wertschöpfung wesentlich vom Wissen, den Erfahrungen und den Lernfähigkeiten der Führungskräfte und Mitarbeiter(innen) sowie einer effizienten Arbeitsgestaltung, Organisation und Zusammenarbeit abhängt, könnten davon enorm profitieren.
Literatur:
Cherns, A. : Die Tavistock-Untersuchungen und ihre Auswirkungen, in: Arbeits- und Organisationspsychologie. Internationales Handbuch in Schlüsselbegriffen, hrsg. v. Greif, S./Nicholson, N./Holling, H., 3. A., Weinheim 1997, S. 483 – 488
Drucker, P. F. : The Coming of the New Organization, in: Harvard Business Review on Knowledge Management, H. 6, 1998, S. 1 – 20
Dunckel, H. : Handbuch pschologischer Arbeitsanalyseverfahren, Zürich 1999
Etzel, S./Küppers, A. : Innovative Managementdiagnostik, Göttingen 2002
Frese, M. : Erfolgreiche Unternehmensgründer, Göttingen 1998
Greif, S. : Geschichte der Organisationspsychologie, in: Lehrbuch Organisationspsychologie, hrsg. v. Schuler, H., Bern 2004, S. 15 – 48
Greif, S./Bamberg, E. : Die Arbeits- und Organisationspsychologie – Gegenstand und Aufgabenfelder – Lehre und Forschung – Fort- und Weiterbildung, Göttingen 1994
Greif, S./Kluge, A. : Lernen in Organisationen, in: Enzyklopädie der Psychologie. Organisationspsychologie 1 – Grundlagen der Personalpsychologie, hrsg. v. Schuler, H., Göttingen 2004, S. 751 – 825
Greif, S./Runde, B./Seeberg, I. : Erfolge und Misserfolge beim Change Management, Göttingen 2004
Hacker, W. : Allgemeine Arbeitspsychologie. Psychische Regulation von Arbeitstätigkeiten, 2. A., Bern 2005
Münsterberg, H. : Psychologie und Wirtschaftsleben, Leipzig 1912
Rauen, C. : Handbuch Coaching, 3. A., Göttingen 2005
Rosenstiel, L. von : Grundlagen der Organisationspsychologie, 5. A., Stuttgart 2003
Schönpflug, W./Schönpflug, U. : Psychologie, 4. A., Weinheim 1997
Schuler, H. : Lehrbuch Organisationspsychologie, 2. A., Bern 2003
Schuler, H. : Lehrbuch der Personalpsychologie, 2. A., Göttingen 2006
Semmer, N./Mohr, G. : Arbeit und Gesundheit: Konzepte und Ergebnisse der arbeitspsychologischen Stressforschung, in: Psychologische Rundschau, Jg. 52, Bd. 3, 2001, S. 150 – 158
Thomas, A. : Psychologie interkulturellen Handelns, Göttingen 1996
Ulich, E. : Arbeitspsychologie, 6. A., Stuttgart 2005
Wiswede, G. : Einführung in die Wirtschaftspsychologie, 3. A., München 2000
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