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Entwicklungspolitik


1. Begriffliche Klärungen. Unter E. ist die Summe aller Maßnahmen und Anstrengungen der Politikträger zuverstehen, die auf Überwindung der Unterentwicklung bzw. Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung in Ländern der Dritten Welt ausgerichtet sind. Soweit diese Maßnahmen und Anstrengungen vom Ausland ausgehen, ist von Entwicklungshilfepolitik die Rede. Die sozio-ökonomische Entwicklung als Ziel der E. wurde früher weitgehend mit wirtschaftlichem Wachstum (Wachstumstheorie,
1.) gleichgesetzt. Streng genommen ist dieses zwar sicherlich die zentrale Komponente des Entwicklungsphänomens, es darf aber nicht als Entwicklung schlechthin gesehen werden. So berücksichtigt die Erfassung des wirtschaftlichen Wachstums im Sinne vom Sozialproduktwachstum  (Sozialprodukt) nicht alle aus dem Wirtschaftsprozeß resultierenden Wohlfahrtswirkungen (Wohlfahrtsökonomik) wie etwa die verursachten Umweltschäden, manche erzeugten nicht-marktmäßigen Leistungen oder die sich ergebende Einkommensverteilung . Ferner kommt in den Wachstumsergebnissen die unterschiedliche Effizienz bzw. Funktionsfähigkeit der betrachteten Volkswirtschaften (Wirtschaft) nicht voll zum Ausdruck. Würde man alleine auf das Sozialprodukt abstellen, so könnten manche Ölländer wie Kuwait, Libyen oder Saudi-Arabien "entwickelter" erscheinen als die meisten Industriestaaten, obwohl sie arm an Humankapital sind, ein kaum nennenswertes technologisches Potential haben und eine mangelhafte Allokationseffizienz (Allokation) aufweisen. Es erscheint deshalb sinnvoll, Entwicklung in einem erweiterten Sinne als Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt und der Effizienz bzw. Funktionsfähigkeit der Wirtschaft als Ganzes zu sehen.
2. Marktwirtschaftliche vs. interventionistische bzw. sozialistisch orientierte E. Eine Kernfrage der E. ist die Systemfrage, d.h., für welche ordnungspolitische Orientierung sich die Systemträger entscheiden. In der entwicklungstheoretischen und-politischen Diskussion findet die Meinung, daß die Wettbewerbsordnung (Wettbewerbstheorie , Wettbewerbspolitik) für die Entwicklungsländer wenig geeignet sei, weite Verbreitung. Dementsprechend wird für diese Länder häufig eine mehr oder weniger starke Ausdehnung der staatlichen Aktivitäten und Lenkung bis hin zu einer sozialistischen Orientierung im Sinne einer vollen Kontrolle des Wirtschaftsprozesses empfohlen. Und in der Tat wird in der Mehrzahl der Entwicklungsländer eine ausgeprägt interventionistische Politik (Intervention) betrieben, wobei die Wirtschaft, besonders der Industriesektor, durch staatliche Investitionen dominiert wird. Die Argumente zur Begründung der Positionen gegen Markt und Wettbewerb gehen hauptsächlich in drei Richtungen:          -           Es wird auf allgemeine, als ,wesensimmanent‘ angesehene Schwächen der Wettbewerbsordnung, wie etwa, daß der Wettbewerb eine "ungerechte" Einkommensverteilung ergibt, hingewiesen.          -           Es wird aufzuzeigen versucht, daß ,Schwächen‘ der Wettbewerbsordnung in Entwicklungsländern stärker ausgeprägt sind bzw. bedenklichere Konsequenzen haben, indem z.B. argumentiert wird, daß die "ungerechten" Verteilungsergebnisse dort mehr rechnen, weil in vielen der betreffenden Länder große Bevölkerungsteile ein Einkommen erzielen, welches das Existenzminimum nicht sichert.          -           Es werden die Voraussetzungen für ein befriedigendes Funktionieren der Wettbewerbsordnung in diesen Ländern bestritten, indem es z.B. heißt, daß Faktoren wie Kastensysteme und traditionelle Rollenverteilung den Marktzugang beschränken, daß der notwendige Wettbewerbsschutz und die erforderliche rechtliche Sicherheit nicht gewährleistet sind, und daß eine leistungsfähige Staatsverwaltung, die den Erfordernissen einer funktionierenden Marktwirtschaft genügt, dort kaum zu finden ist. Betrachtet man solche, gegen die Wettbewerbsordnung in Entwicklungsländern angeführten Argumente, zeigt sich ihre Fragwürdigkeit in verschiedener Hinsicht: Sie sind meistens zu wenig fundiert, stellen eine erfolgreiche Anwendung der Wettbewerbsordnung nicht grundsätzlich in Frage oder zeigen Probleme und Unzulänglichkeiten auf, die im gleichen, wenn nicht höherem Maße für die Realisierung einer staatlichen Lenkung und Kontrolle der Wirtschaft gelten. So wird z.B. bei dem Vorwurf der "ungerechten" Verteilung übersehen, daß eine Korrektur der aus dem Wettbewerb resultierenden Verteilung keineswegs im Widerspruch zum marktwirtschaftlichen System steht, daß die durch den Wettbewerb erbrachte Leistung eine bessere Basis für die Finanzierung der Sozialpolitik schafft, daß stärker marktwirtschaftlich orientierte Entwicklungsländer oft eine nivelliertere Verteilung aufweisen als andere und daß vielfach selbst die unteren Einkommensgruppen in diesen Ländern ein höheres Einkommen erzielen als die Mehrheit der Bevölkerung in manchen sozialistisch orientierten Entwicklungsländern. Hinsichtlich des Arguments der fehlenden Voraussetzungen ist u.a. festzustellen, daß empirisch eine Abnahme der Rigidität traditioneller sozialer Strukturen und ihrer Bedeutung als Marktzugangshemmnisse zu beobachten ist. Daß Faktoren wie das Fehlen rechtlicher Sicherheit und einer fähigen Staatsverwaltung auch die Leistungsfähigkeit interventionistischer Systeme beeinträchtigen, braucht nicht betont zu werden. Schließlich stellt sich die Frage, warum ein Land, dessen Fähigkeit, den notwendigen Wettbewerbsschutz zu gewährleisten und die sonstigen Rahmenbedingungen für eine befriedigende Funktion der Wettbewerbsordnung zu schaffen, bezweifelt wird, in der Lage sein sollte, eine erfolgreiche Lenkung und Kontrolle des Wirtschaftsprozesses zu bewerkstelligen. Überhaupt scheinen die Gegner einer marktwirtschaftlichen Orientierung in Entwicklungsländern die Funktionsprobleme und mangelhafte Effizienz einer staatlichen Lenkung und Kontrolle der Wirtschaft außer acht zu lassen bzw. in ihrer Bedeutung zu unterschätzen. Dabei kommen gerade die betreffenden Unzulänglichkeiten in Mißerfolgen der sozialistischen Experimente vieler Entwicklungsländer deutlich zum Ausdruck, was auch eine Reihe von Ländern in der Dritten Welt veranlaßt hat, sich mehr der Marktwirtschaft zuzuwenden.
3. Integrations- vs. dissoziationsorientierte E. Neben der Entscheidung für eine ordnungspolitische Richtung im Inneren bildet die Entscheidung über die Gestaltungsprinzipien der außenwirtschaftlichen Beziehungen die zweite zentrale Komponente der E. Dabei ist festzustellen, daß zwar kein Land einen vollständigen Freihandel oder gar volle Freizügigkeit der Faktorbewegungen praktiziert, ebensowenig wie daß sich ein Land gegen das Ausland voll abschirmt, daß sich aber die verschiedenen Länder durchaus mehr auf Integration oder Abschirmung bzw. Dissoziation ausrichten. Länder, die im Inneren eine stärkere marktwirtschaftliche Ausrichtung aufweisen, sind i.d.R. auch diejenigen, die eine liberalere Außenwirtschaftspolitik betreiben. Und es ist interessant, festzustellen, daß diese Länder, wie nicht zuletzt die Beispiele Hongkong, Singapur, Korea und Taiwan zeigen, wesentlich bessere Entwicklungsergebnisse aufweisen als solche Länder, die eine ausgeprägt protektionistische (Protektionismus) bzw. restriktive Außenwirtschaftspolitik betreiben. Dies gilt nicht nur für Wachstum des Sozialprodukts, sondern auch für weitere Entwicklungsindikatoren wie Beschäftigungszunahme, Produktivitätssteigerung und Armutsreduzierung. Die positiveren Ergebnisse in Ländern mit liberaler Außenwirtschaftspolitik sind nicht zuletzt auf die vielfältigen Integrationsgewinne zurückzuführen, welche sich nicht nur durch die Nutzung absoluter und komparativer Kostenvorteile (Theorie der komparativen Kosten) ergeben, sondern auch durch eine Reihe dynamischer Vorteile wie Technologietransfer, Intensivierung des Wettbewerbs, Mobilisierung brachliegender Ressourcen bzw. nicht genutzter Produktionskapazitäten (vent for surplus) und bessere Nutzung der Größenvorteile. Die Mißerfolge in vielen Entwicklungsländern, die mehr auf Protektionismus und eine restriktive Außenwirtschaftspolitik ausgerichtet sind, erklären sich u.a. schon dadurch, daß selbst theoretisch fundierte Protektionismusargumente wie das Erziehungsschutzargument von Friedrich List (Zolltheorie) in der praktischen Anwendung vielfach versagen, weil der Schutz etwa übertrieben und wenig differenziert gehandhabt wird, einen Dauercharakter gewinnt oder in seiner Wirkung durch Inkonsistenzen der Politik (z.B. überbewertete Wechselkurse) durchkreuzt wird.

Literatur: J. B. Donges, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik. Berlin-Heidelberg-New York 1981. E.-S. El-Shagi, Die Wettbewerbsordnung und ihre Relevanz für die Länder der Dritten Welt, in: List Forum, Bd. 12 (1983/84), Heft 2 (Juni 1983). H.-R. Hemmer, Wirtschaftsprobleme der Entwicklungsländer.
2. A., München 1988.

 

 


 

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