Wettbewerbstheorie
1. Gegenstand der W. W. bezieht sich auf alle von Wirtschaftseinheiten im Wettbewerb eingesetzten Aktionsparameter wie Preise , Güterqualitäten, Werbemaßnahmen und sonstige Absatzmethoden bis hin zum Service. Insofern ist sie von vornherein Mehrparametertheorie und konzentriert sich nicht nur z.B. auf den Preis als Aktionsparameter wie Preistheorie . Aufgabe der W. entsprechend jeder Wirtschaftstheorie ist es, für Wettbewerb generell Ursache-Wirkungszusammenhänge in logischer und/od. empirischer Analyse aufzudecken. Zusätzlich wird von ihr erwartet, daß ihre Erkenntnisse anwendungsbezogen eine geeignete Grundlage für die zweckmäßige Gestaltung der Wettbewerbspolitik bilden können. Wirtschaftlichen Wettbewerb charakterisiert das direkt empfundene oder indirekt vorhandene Rivalisieren von Wirtschaftseinheiten (vor allem Unternehmen und Haushalten) um für die einzelnen vorteilhafte Geschäftsabschlüsse und damit für die Tauschpartner um Auswahlmöglichkeiten , indem die sich gegenseitig im Wirtschaftserfolg beeinflussenden Anbieter oder Nachfrager ihren Tauschpartnern günstige Geschäftsbedingungen bei Preisen, Güterqualitäten und/od. sonstigen Aktionsparametern im Rahmen der gesetzlichen und gewohnheitsmäßigen Grenzen (Spielregeln) offerieren. Damit ist wirtschaftlicher Wettbewerb allerdings nicht für alle Zwecke hinreichend umschrieben, weil es sich um einen Oberbegriff für hochkomplexe Sachverhalte und Wechselbeziehungen mit vielfältigen Dimensionen handelt. Insbesondere muß z.B. das, was Wirtschaftseinheiten üblicherweise als Wettbewerb bezeichnen, nicht mit dem wirtschaftspolitisch zu schützenden oder zu schaffenden Wettbewerb übereinstimmen. Im Rahmen der W. geht es besonders um die im folgenden erörterten Auswirkungen des Wettbewerbs (Wettbewerbsfunktionen) sowie die maßgeblichen Bedingungskonstellationen für wettbewerbliches Verhalten (Wettbewerbsvoraussetzungen).
2. Wettbewerbsfunktionen. Es ist nur scheinbar paradox, daß in Marktwirtschaften die Verbraucherinteressen im Prinzip um so besser erfüllt werden, je konsequenter die einzelnen Wirtschaftseinheiten ihre Eigeninteressen wahrnehmen. Durch den Zwang zu Leistungsangeboten, die aus der Sicht der jeweiligen Tauschpartner vorteilhaft erscheinen, löst nämlich der Wettbewerb das Grundproblem, Millionen von an sich im Eigeninteresse verfolgten wirtschaftlichen Aktivitäten ohne staatliche Anordnung gleichsam durch eine "invisible hand" (Adam Smith) auf das Gesamtinteresse an einer günstigen Versorgung umzulenken. Als klassisch-politische Wettbewerbsfunktionen wg. ihrer Betonung schon durch die klassische Schule der Nationalökonomie (A. Smith 1723-1790, J. S. Mill 1806-1873 u.a.) können
(1) die Begrenzung staatlicher Macht gegenüber Privaten sowie
(2) die Kontrolle staatlicher Wirtschaftsmacht bei wettbewerblicher Selbststeuerung herausgestellt werden. Sogenannte statische Wettbewerbsfunktionen, die bei als konstant unterstellten "gesamtwirtschaftlichen Daten" wie Konsumentenpräferenzen, Produktionsfaktoren und technisch-organisatorischem Wissen (technischer Fortschritt) wirksam sind, führen aufgrund des Strebens der Unternehmen, Gewinnchancen im Wettbewerb auszunutzen, zu einer
(3) Zusammensetzung des Güterangebots nach den Konsumentenpräferenzen und zu einer
(4) Lenkung der Produktionsfaktoren in die produktivste Verwendung in der Volkswirtschaft . Außerdem besteht eine Tendenz zum aktuellen
(5) Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf den Märkten . Darüber hinaus erfolgt eine
(6) primäre Einkommensverteilung (Einkommensverteilung, Einkommensverteilungstheorie) nach der Marktleistung, d.h. es kommt darauf an, in welchen Mengen und zu welchen Preisen die einzelnen Wirtschaftseinheiten ihre Produktionsfaktoren bei den für sie maßgeblichen Wettbewerbsprozessen auf den Produktionsfaktormärkten verwerten können. Die so aufgrund des Wettbewerbs verwirklichte Marktleistungsgerechtigkeit kann unter anderen Wertungsgesichtspunkten (Bedürftigkeit, Aufwands- und Müheausgleich oder absolute Gleichheit) als "Unbarmherzigkeit des Marktes" erscheinen, und deshalb wird die primäre Einkommensverteilung inzwischen in allen entwickelten Marktwirtschaften durch staatliche Umverteilungsmaßnahmen (Einkommensumverteilung) teilweise korrigiert. Je stärker von der Marktleistungsgerechtigkeit abgewichen wird, desto größer ist allerdings die Gefahr, daß die Leistungsbereitschaft der Wirtschaftssubjekte in den Wettbewerbsprozessen beeinträchtigt wird und entsprechend die Selbststeuerungseffizienz des Wettbewerbs generell sinkt. Dynamische Wettbewerbsfunktionen erfassen auch gesamtwirtschaftliche Datenänderungen. So besteht für die Unternehmer bei Wettbewerb ein dauernder Anreiz, durch
(7) Innovationen bei Produkten und/od. Produktionsverfahren zu Pionier-Unternehmen (im Sinne Schumpeters) zu werden. Außerdem sorgt Wettbewerb im Anschluß an die durch wirtschaftlich vorteilhafte Produkt- oder Prozeßinnovationen hervorgerufenen Datenänderungen dafür, daß sich diese Verbesserungen in der Wirtschaft ausbreiten (Diffusion) und überholte wirtschaftliche Verhältnisse verdrängt werden ("Prozeß der schöpferischen Zerstörung" gemäß Schumpeter). Da es zusätzlich zu solchen gesamtwirtschaftlichen Datenänderungen, die aus den Wettbewerbsprozessen selbst resultieren, auch um deren autonome Änderungen geht, für die der Wettbewerb seine Steuerungseffizienz im Prinzip in gleicher Weise entfaltet, handelt es sich zusammenfassend als weitere dynamische Wettbewerbsfunktion um die
(8) Anpassungseffizienz an Änderungen gesamtwirtschaftlicher Daten wie Konsumentenpräferenzen, Produktionsfaktoren, technisch-organisatorisches Wissen oder Elemente der Rechts- und Sozialordnung. Funktionsfähiger Wettbewerb verwirklicht diese genannten Wettbewerbsfunktionen in hinreichendem Maß. Allerdings ist teils umstritten und im folgenden noch mitzuberücksichtigen , wieweit die verschiedenen Wettbewerbsfunktionen miteinander vereinbar sind und welches Gewicht ihnen im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zukommen kann.
3. Wettbewerbsvoraussetzungen. Die lange Zeit als maßgeblich und weitgehend starr angesehene Kausalbeziehung von einer gegebenen Marktstruktur zum Marktverhalten und schließlich zu den Marktergebnissen erfaßt die komplexen Vor- und Rückwirkungen zwischen diesen Kategorien, wie sie in der Wirklichkeit vorliegen, zu wenig. Eher bündelt das Marktphasenmodell Wettbewerbsdeterminanten, die sich oft gleichzeitig und in charakteristischer Stufenfolge ändern. Danach lassen sich in Anlehnung an die Idee vom Produktlebenszyklus vier Marktphasen unterscheiden. In der Einführungsphase wird das Produkt kreiert, ein Produktionsverfahren entwickelt und erste Nachfrage befriedigt. In der Wachstumsphase steigt die vorher nur geringe Nachfrage an, lassen sich durch Rationalisierung und Ausschöpfung von Größenvorteilen Kostensenkungen bei den Produktionsverfahren erzielen und wird das Produkt häufig qualitativ noch wesentlich verbessert. Für das erfolgreiche Neueintreten von Wettbewerbern in den Markt bieten sich i.d.R. große Chancen. Das zusätzliche Angebot der Neuanbieter muß dann nicht zu Lasten des Absatzes der etablierten Unternehmen gehen. Mit Übergang zur Reifephase engt sich auf der Angebotsseite der Spielraum für weitere Produktverbesserungen sowie Kostensenkungen ein und stabilisiert sich die Nachfrage weitgehend auf dem Niveau der Ersatznachfrage. Schließlich kann in der Rückbildungsphase durch das Aufkommen neuer Produkte die Nachfrage nach den alten Gütern zurückgedrängt werden, so daß die alten Produkte schließlich ganz verdrängt werden oder eine Verfestigung auf niedrigem Niveau eintritt. Insgesamt schwanken allerdings die zeitliche Länge der Phasen und auch das Ausmaß der Änderungen so unvorhersehbar, daß sich auch mit Hilfe des Marktphasenschemas die Wettbewerbsprozesse in ihrem konkreten Verlauf und Ausgang nicht im voraus prognostizieren lassen. Vielmehr bleiben sie im einzelnen prinzipiell offene und hochgradig komplexe Phänomene, bei denen sich das ökonomische Potential jeweils erst im und durch Wettbewerb herausbildet. Unabhängig von den speziell vorliegenden Marktphasen erkannten schon die Klassiker als allein hinreichende Wettbewerbsvoraussetzung das weitgehende Fehlen von Marktzutrittsschranken. Potentielle Konkurrenten und somit "contestable markets" können nämlich Individualmonopolisten und Kollektivmonopolisten (die als Gruppe von Anbietern im Außenverhältnis als solidarische Einheit am Markt agieren, um gemeinsame Interessen durchzusetzen, und im Innenverhältnis prinzipiell unabhängig bleiben und eigene Interessen verfolgen) im Grundsatz genauso entmachten wie ein Wettbewerbsdruck von bereits auf einem Markt etablierten Unternehmen. Wenn hohe Marktzutrittsschranken vorliegen, ist Wettbewerbsvoraussetzung, daß Polypole oder weite Oligopole gegeben sind. Die weitergehende und nicht endgültig geklärte Frage, ob Polypole (z.B. "Freiburger Schule") oder weite Oligopole (z.B. Kantzenbach) funktionsfähiger sind und vor allem die dynamischen Wettbewerbsfunktionen besser erfüllen, ist nicht so bedeutsam. Selbst wenn die genannten marktstrukturellen Wettbewerbsvoraussetzungen vorliegen, können wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen lähmend sein. Entsprechend ist dann zusätzliche Wettbewerbsvoraussetzung, daß ein Verbot von wettbewerbsbeschränkend wirkenden
(1) Kartellen (mit ihrer vertraglichen Bindung von Aktionsparametern zwischen Konkurrenten),
(2) Fusionen (bei denen durch Unternehmenszusammenschluß mindestens eine Wirtschaftseinheit ihre Selbständigkeit aufgibt),
(3) vertikalen Preisbindungen (mit der vertraglichen Verpflichtung von Händlern gegenüber Vorlieferanten, beim Wiederverkauf bestimmte Verkaufspreise einzuhalten),
(4) sonstigen Verträgen wie Ausschließlichkeitsbindungen (mit ihrem vereinbarten ausschließlichen Geschäftsverkehr zwischen den Partnern),
(5) "aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen" oder Empfehlungen (die zu koordiniertem Aktionsparametereinsatz durch außerhalb der Marktaktivität stattfindende formlose Direktkontakte führen) sowie
(6) Behinderungs- und Verdrängungspraktiken (die nicht marktleistungsbedingt potentielle Konkurrenten am Marktzutritt hindern oder auch gegen etablierte Wettbewerber gerichtet sein können). Solche Verbote wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen sind allerdings bei Vorliegen von engen Oligopolen (als Kollektivmonopol) oder Individualmonopolen, die durch hohe Marktzutrittsschranken vor potentiellen Konkurrenten geschützt sind, unzureichend. Solche verfestigt-vermachteten Marktstrukturen erfordern als Wettbewerbsvoraussetzung, daß die Marktzutrittsschranken gesenkt werden und/od. daß die dominante Marktmacht durch Förderung Marktschwacher und eventuell geeignete Entflechtung Marktmächtiger abgebaut wird. Alternativ könnte die nichtwettbewerbliche Situation als solche unangetastet bestehenbleiben und lediglich neutralisierend versucht werden, die unerwünschten Folgen der Wettbewerbsbeschränkungen durch Mißbrauchsaufsicht und Schaffung wettbewerblicher Ausnahmebereiche zu dämpfen. Mit Vergleichsmarktkonzepten, bei denen die Marktergebnisse der zu überwachenden Wirtschaftseinheiten mit den bei wirksamem Wettbewerb zu erwartenden Marktergebnissen verglichen werden, sind allerdings angesichts der empirisch oder fiktiv nur unsicher ableitbaren Als-ob-Wettbewerbsmaßstäbe schlechte Erfahrungen gemacht worden. Insofern ist, soweit die Wettbewerbsvoraussetzungen geschaffen und geschützt werden können, der "invisible hand" wettbewerblicher Selbststeuerung der Vorzug vor einer Lenkung durch die "visible hand" des Staates zu geben.
Literatur: M. Borchert/H. Grossekettler, Preis- und Wettbewerbstheorie. Stuttgart u.a. 1985. H. Bartling, Leitbilder der Wettbewerbspolitik. München 1980. E. Kaufer, Industrieökonomik, Eine Einführung in die Wettbewerbstheorie. München 1980. R. Schmalensee/R. D. Willig (Eds.), Handbook of Industrial Organization, Volume I and II. Amsterdam u.a. 1989.
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