Komplexitätsmanagement
Inhaltsübersicht
I. Begriffsklärung „ Komplexität “
II. Komplexitätsmanagement: Komplexitätsaufbau oder Komplexitätsreduktion?
III. Ansätze
IV. Organisationale Anpassungen an Komplexität
I. Begriffsklärung „ Komplexität “
Nach Pfeiffle wurde das Wort Komplexität „ dem Partizipialadjektiv des lateinischen complecti entlehnt, das im eigentlichen Wortsinn einen Gegenstand beflechten, beschlingen, d.i. umschlingen, umfassen heißt “ (Pfeiffle, Horst 2000, S. 7). Davon abgeleitet wird ein Spektrum von Bedeutungen. „ Der Begriff \'Komplexität\' wird zumeist undefiniert verwendet, und für die These alles sei komplex, wird man leicht Zustimmung finden können. Andererseits ist diese Lösung nur eine Notlösung – ebenso wie alle tautologischen Varianten im Sinne von: komplex ist, was für einen Beobachter komplex ist. Der Begriff selbst verliert damit jede Form und läßt sich schließlich nur noch als Seufzer verwenden. “ (Luhmann, Niklas 1990, S. 61). In der Managementforschung und -lehre ist Komplexität „ fraglos ein schillernder Begriff, der vielen vieles bedeutet “ (Ahlemeyer, Heinrich W./Königswieser, Roswita 1998, S. 9). Die – zugegebenermaßen tautologische Aussage – „ Komplex ist, was für einen Beobachter komplex ist “ (Ahlemeyer, Heinrich W./Königswieser, Roswita 1998, S. 10) verweist darauf, dass Komplexität nicht ohne einen Beobachter zustande kommt. „ Nicht an der Welt, sondern am Beobachter, der selbst Teil dieser Welt ist, gibt sich die Komplexität zu erkennen. “ (Baecker, Dirk 1998, S. 24). Nach Maßgabe von eigenen Beobachtungen werden v.a. solche Situationen als komplex wahrgenommen, die eine sehr große Zahl an Komponenten und Variablen umfassen.
Komplexität ist auch bei der Beschreibung von Systemen relevant. So ist ein System und/oder die Umwelt eines Systems für das System umso komplexer, je mehr Elemente es aufweist, je größer die Zahl der Beziehungen zwischen diesen Elementen ist, je verschiedenartiger die Beziehungen sind und je ungewisser es ist, wie sich die Zahl der Elemente, die Zahl der Beziehungen und die Verschiedenartigkeit der Beziehungen im Zeitablauf verändern (Luhmann, Niklas 1980). Diese Begriffe finden sich auch in ausgewählten Ansätzen von Komplexitätsmanagement wieder.
II. Komplexitätsmanagement: Komplexitätsaufbau oder Komplexitätsreduktion?
Der „ traditionellen “ Betriebswirtschaftslehre wird folgendes Komplexitätsverständnis zugeschrieben: „ Komplexität macht die Dinge unübersichtlich. Man muß nach Vereinfachungen suchen, mit denen man die Dinge wieder überschaubar machen kann. Es geht nichts über eine Technik der Reduktion von Komplexität. “ (Baecker, Dirk 1998, S. 21). In dieser Perspektive wird Komplexitätsmanagement nur als Technik gesehen, durch die Komplexität reduziert werden kann. Eine Extremisierung dieser Perspektive ist die im Flugwesen, in der Industrie, aber auch bei Menschenführung (exemplarisch „ McDonalds “ , Morgan, Gareth 1997, S. 14) eingesetzte „ Checklist “ : die Liste von genauen Handlungsanweisungen und deren richtige Ausführung führt (unabhängig von Zustimmung oder Ablehnung) zu einem genau vorhersagbaren Ergebnis (Pietschmann, Herbert 2002, S. 24 f.).
„ Nicht-betriebswirtschaftliche “ Konzepte gehen von einem anderen Komplexitätsbegriff aus: „ Komplexität ist die Form der Welt selbst. Komplexität ist die Art und Weise, wie die Welt mit sich selbst umgeht. Komplexität erlaubt Ambivalenz. Und Ambivalenz ist der Stoff, aus dem das Leben ist. “ (Baecker, Dirk 1998, S. 28). Dieser zweite Ansatz liegt auf der Linie kybernetischer (vonFoerster, Heinz von 1985) und soziologischer (Luhmann, Niklas 1984) Einwände gegen allzu rasche Versuche, Komplexität beherrschbar zu machen. Ashby (Ashby, W. Ross 1956) formulierte in seinem Grundgesetz der „ Requisite Variety “ , dass nur Varietät Varietät „ zerstören “ kann: Wenn man ein System (Unternehmung) konstruieren will, das ein hohes Maß an Umweltvarietät (Komplexität) verarbeiten können soll, muss man (= Management) für ein hohes Maß an Systemvarietät (Komplexität) sorgen.
Übertragen auf Formen des Managements bedeutet dies: „ Es geht um den Einbau von strukturellen Spannungen in die Organisation, die es der Organisation gegenüber der eigenen und der Umweltkomplexität ermöglichen, immer wieder andere Reduktionen zu wählen und insofern komplex zu reagieren. “ (Baecker, Dirk 1998, S. 23). Kurzum: Es geht nicht um das Management von Komplexität, sondern Management durch Komplexität. Daher wird im Folgenden nach der Begriffsklärung „ Komplexität “ auf jene drei komplexen Theorieangebote eingegangen, die für die Auseinandersetzung mit „ Management durch Komplexität “ prägend sind: Heinz von Foersters „ Trivialmaschine “ versus „ Nichttrivialer Maschine “ (= komplexes soziales System), die Auffassung von Komplexität nach dem Verständnis von Niklas Luhmann und Karl Weicks „ konstruktivem Prozess des Organisierens “ .
III. Ansätze
Die angeführten diametral gegensätzlichen Auffassungen von Komplexitätsmanagement – einerseits die Absicht, soziale Systeme gleich Maschinensystemen zu trivialisieren und damit einer möglichen Komplexität zu begegnen, andererseits die Komplexität von sozialen Systemen zu respektieren – sind maßgeblich beeinflusst von Heinz von Foerster.
1. Management von Trivialmaschine und Nicht-Trivialmaschine nach Heinz von Foerster
Von Foerster (vonFoerster, Heinz von 1985; vonFoerster, Heinz von 1988) unterscheidet grundlegend zwischen zwei Möglichkeiten, Organisationsprozesse zu steuern. Aus „ traditioneller “ , die BWL dominierende Sichtweise, können Prozesse in Organisationen mit der Metapher einer „ Trivialmaschine “ verglichen werden. Damit meint von Foerster nicht eine Maschine im herkömmlichen Sprachgebrauch, sondern eine bestimmte Art zu denken. Dieses Denken geht von einer simplen Funktionsweise einer einfachen Maschine aus, von der nach einem gezielten Input ein erhoffter Output erwartet wird. Managen läuft demnach nach dem Muster eines einfachen technischen Systems ab. Diese Auffassung impliziert u.a. auch, dass
- | der Eigenzustand des Systems immer gleich bleibt, | - | der Eigenzustand vollständig analysierbar ist, | - | der Ablauf beliebig wiederholbar ist, | - | die Zukunft berechenbar ist und | - | die Führungskraft die Dinge fest im Griff zu haben hat, und dass | - | diese Gleichheit Stabilität schafft. |
Falls sich die erhofften Abläufe nicht einstellen, liegt nach dieser Auffassung eine Störung vor, die beseitigt werden muss. Steuerung ist kein großes Problem, es sei denn, es fehlt am notwendigen Führungswissen oder an persönlicher Durchschlagskraft. (Wimmer, Rudolf 1989, S. 24 f.)
Das Maschinenmodell ist in der Organisationslehre weit verbreitet und in der Managementpraxis überaus beliebt. Es übersieht jedoch menschliche Aspekte ebenso wie den Umstand, dass viele Situationen für Organisationsmaschinen zu komplex und unvorhersehbar sind. Insbesondere das funktionale Erfordernis, dass sich die „ menschlichen Maschinen-Teile “ in der vorgesehenen Weise verhalten müssen, ist pure Illusion. Menschliches Verhalten, und daher auch das Verhalten in und von lebenden komplexen sozialen Systemen, ist weder beherrschbar, berechenbar noch vorhersagbar. Verhalten ist im Zeitablauf auch nicht stabil und nicht wiederholbar. Somit führt sich das „ triviale “ Maschinenmodell selbst ad absurdum.
Komplexe und daher „ nicht-triviale Maschinen “ verhalten sich völlig anders: Bei einem bestimmten Input ist die Transformation in einen (vorher)bestimmten Output nicht vorauszusagen. Hohe Komplexität bedeutet ja hohe Veränderlichkeit im Zeitablauf (Dynamik) und in der Verknüpfung einer Vielzahl/Vielfalt von Elementen, die nicht mehr überschaubar ist. Das komplexe soziale System besteht somit nicht wie die triviale Maschine aus unveränderlichen, bestimmten Funktionen, sondern die Funktionen ändern sich selbstständig und permanent. Das System hat ein Eigenleben, eine Eigendynamik, sodass es auf denselben Input zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich reagiert – abhängig vom aktuellen Eigenzustand. Darüber hinaus verändert möglicherweise der Input selbst die Funktionsweise(n) des Systems. Dadurch wird der Output nicht nur abhängig vom Input, sondern auch von früheren Systemzuständen (Ulrich, Hans/Probst, Gilbert J. B. 1991, S. 60). Die Annahmen hinsichtlich nicht-trivialer Maschinen sind zusammengefasst, dass
- | sie aus vielen, verschiedenen Elementen, mit starker Vernetztheit und vielen, veränderlichen Wirkungsverläufen bestehen, | - | sich ihr Eigenzustand nach jedem Prozess verändert, | - | die Funktionen nicht vorhersagbar sind, | - | sie beschränkt analysier- und quantifizierbar sind, | - | sie sich mit Eigenleben selbst reproduzieren, indem sie die eigenen Strukturen regelmäßig wieder nutzen, | - | die Eingriffsmöglichkeiten von außen durch das Management (auf die Transformationsprozesse) durch die Autonomie des Systems prinzipiell eingeschränkt sind. |
Daraus resultieren grundlegend verschiedene Annahmen über angemessenes Management-Verhalten innerhalb dieser beiden Denkmodelle. Abb. 1 gibt dazu einen Überblick (vgl. Kasper, Helmut 1995, S. 201).
Abb. 1: „ Trivialmaschine versus komplexe soziale Systeme “ nach von Foerster, Heinz von 1988
Bei von Foerster steht, wie bei allen kybernetischen Regeln, die interne Komplexität (Zahl, Verschiedenheit und Veränderbarkeit der Elemente) im Zentrum, also die Form, in der ein System die Umwelt in sich selbst abbildet, ohne jemals „ requisite variety “ erreichen zu können.
2. Komplexitätsmanagement auf der Basis der Theorie sozialer Systeme
Luhmann (Luhmann, Niklas 2000, S. 314) definiert Eigenkomplexität umfassender: Eigenkomplexität ist demnach keine wie immer geartete und von Abstrichen geprägte adäquate Repräsentation der Umwelt, sondern eine Rekonstruktion dessen, was das System als Umwelt voraussetzt. Entscheidend ist die Differenz zwischen dem System und seiner Umwelt: d.h. die selektive Wahrnehmung eigener Möglichkeiten im Hinblick auf eine spezifische Umwelt, die das System zugleich mit Ansatzpunkten zur Bewältigung der Komplexität versorgt. Ohne eigene Komplexität, d.h. ohne die Möglichkeiten der Wahrnehmung verschiedener Verknüpfungen zwischen den eigenen Elementen, hätte das System keine Möglichkeit der Selektivität. Wichtig ist die Selektivität der Verknüpfung. Komplexität bestimmt sich nicht dadurch, dass etwas komplex ist, während etwas anderes einfach ist. Sondern Komplexität bestimmt sich durch die Fähigkeit zur Selektivität (Baecker, Dirk 1998, S. 26). Die Komplexität eines Systems ist dadurch steigerbar, dass seine Selektivität gesteigert wird und ein System steigert seine Selektivität, indem es seine Elemente und die möglichen Beziehungen zwischen den Elementen immer weiter spezifiziert. Mit der Selektivität erhöht sich jedoch auch die Komplexität des Systems selbst.
Bei aller autopoietischen Geschlossenheit ist das System immer auf Anregungen angewiesen, die es sich aus der Umwelt holt und die seine geschlossenen Operationen anreichern (genauer „ strukturelle Koppelung “ ). Die Umweltbeziehungen werden jedoch durch die interne Regelstruktur des komplexen sozialen Systems bestimmt. Die Umwelt „ enthält “ keine fertigen Informationen. In ihr sind viele Daten enthalten, die Systeme in Informationen umwandeln können – oder auch nicht. Umwelt wird somit vom System strukturiert, interpretiert, kurzum: erzeugt. Information ist keine objektive systemunabhängige Einheit, die aus der Umwelt in das System eingeführt werden könnte, sondern immer von rein systemintern generierter Qualität (Kasper, Helmut/Mayrhofer, Wolfgang/Meyer, Michael 1999, S. 27). Zwischen System und Umwelt besteht notwendigerweise immer ein Komplexitätsgefälle. „ Eine Punkt-Für-Punkt-Entsprechung zwischen System und Umwelt kann es nicht geben, sie käme einer Auflösung des Systems gleich. “ (Steinmann, Horst/Schreyögg, Georg 1997, S. 125). Entwickelte Muster im System (z.B. Beobachtungsschematismen oder Unterschiede, die einen Unterschied machen) gründen auf Selektivität und laufen Gefahr, ihre Gültigkeit jederzeit wieder zu verlieren. Fazit: Das Management muss die Hoffnung aufgeben, komplexe Vorgänge in einfache auseinander nehmen und nach Bedarf neu kombinieren zu können. Das Kennzeichen von Komplexität ist, dass sie sich nicht in Einfachteile zerstückeln lässt (Luhmann, Niklas 1990, S. 59 f.; Baecker, Dirk 1993, S. 216 f.).
3. Komplexitätsmanagement nach Weicks „ Konstruktivem Prozess des Organisierens “
Nach Weicks Auffassung „ lebt “ die Organisation in den Interaktions- und Kommunikationsprozessen, entsteht aus ihnen und besteht durch sie (Weick, Karl 1985, S. 226). Organisieren ist „ Einigung darüber was Wirklichkeit und was Illusion ist “ (Weick, Karl 1985, S. 12). Damit wird deutlich, dass Weick unter dem Prozess des Organisierens primär eine Sinngebungsaktivität versteht und nicht sachlich-logische oder politische Gestaltungsprozesse. Manager müssen sich beim Organisieren also mit Prozessen befassen (Weick, Karl 1985, S. 67). Aber selbst das, was „ organisiert “ wurde, bleibt mehrdeutig. Und vieles bleibt überhaupt „ unorganisiert “ .
Organisationen bestehen aus Beziehungen und die kleinsten Analyse-Einheiten im Beziehungsgeflecht „ Organisation “ sind nach Weick (Weick, Karl 1985, S. 162 ff.) doppelte Interaktionen. Damit sind folgende Sequenzen gemeint:
(1) Eine Handlung von A ruft die Reaktion von B hervor, (2) auf die dann A seinerseits reagiert. Doppelte Interaktionen können sich zu stabilen Untereinheiten (= Subsystemen) zusammenfügen und diese wieder zu lose gekoppelten Strukturen. Innerhalb der Untereinheiten kann es feste Bindungen geben, während die Bindungen zwischen den Untereinheiten in den meisten Organisationen relativ locker sind. Lose Koppelung bedeutet nach Weick: Ist eine Variable gestört, so wird diese Störung nicht mechanisch auch an alle anderen Systemteile weitergegeben, sondern bleibt eher abgegrenzt. Weitet sich die Störung dennoch aus, so wird es eine Zeitlang dauern, bis andere Variablen – geringfügig – beeinflusst werden. Die Verknüpfungen zwischen den interagierenden Variablen werden also – im Gegensatz zu physikalischen oder mechanischen Störungen – als relativ locker angenommen. Zum Beispiel: Hat eine Organisation mit einer einzelnen Abteilung Probleme, kann sie diese Einheit vom Rest des Unternehmens viel leichter isolieren oder abkoppeln. „ Mehr noch, die Anpassung einer einzelnen Abteilung an eine problematische Umwelt verschafft dem Rest des Unternehmens eine größere Funktionsfähigkeit und mehr Stabilität. “ (Scott, William Richard 1986, S. 333).
Weick entwickelt für Organisationen ein „ Modell des Organisierens “ , das dem Muster der biologischen Evolution entspricht. Die vier Elemente des Organisierens sind: ökologischer Wandel, Gestaltung, Selektion und Retention. Weicks Modell enthält folgende Kernthesen:
- | Organisationsmitglieder schaffen sich ihre Umwelten selbst: Weick geht davon aus, dass Organisationsmitglieder die scheinbar „ objektiven “ Züge ihrer Umgebung selbst konstruieren, umgruppieren, ausblenden, kurzum: (nicht) wahrnehmen wollen und/oder können. Es gibt für eine Organisation auch nicht eine einzige Umwelt, sondern „ Umwelten sind vielgestaltig, existieren im Auge des Betrachters und sind für Zerbrechen und Wiederzusammenfügen anfälliger als gewöhnlich erkannt wird. “ (Weick, Karl 1985, S. 242). | - | Sinngebung ist immer retrospektiv: Organisationen schreiben ihrem Handeln immer erst im nachhinein Sinn und Bedeutung zu. „ Wenn die Leute irgendetwas verwirklicht haben, schauen sie darauf und schließen, dass das, was sie verwirklicht haben, eine Strategie war. “ (Weick, Karl 1985, S. 268). | - | Nicht „ Wahrheit “ , sondern „ Angemessenheit “ ist entscheidend: Wenn eine Organisation „ gestaltete Umwelten “ (= enacted environments) produziert, wird sie sich nicht mehr fragen, ob etwas wahr ist oder nicht (Weick, Karl 1985, S. 243). Sie wird sich vielmehr stärker für Probleme der Angemessenheit interessieren. Im Abrücken von der Wahrheitssuche und im Fokussieren der „ Angemessenheit “ manifestiert sich die grundsätzliche Reorientierung zu brauchbarem, d.h. für den Menschen nützlichem Wissen. In der Wissenschaftstheorie wird diese Orientierung als „ Konstruktivismus “ (Kasper, Helmut 1990; Luhmann, Niklas 1990) bezeichnet. |
Die wichtigste Konsequenz von Weick (Weick, Karl 1985, S. 116) in Bezug auf organisatorischen Wandel lautet: „ Der einzige Ort, an dem sie einen bedeutsamen Wandel herbeiführen können, liegt zwischen den Variablen. “ Um Umweltveränderungen zu bewältigen, brauchen Organisationen einerseits ein ausreichendes Maß an Verschiedenheit (= Variation), um aber Effektivität zu entwickeln, benötigen sie andererseits eine eindeutige Orientierung, die sich aus einer starken Anlehnung an die eigene Vergangenheit ergeben kann (Weick, Karl 1985, S. 269). Der „ Trick “ zur Befriedigung dieser gegensätzlichen Anforderungen liegt laut Weick darin, dass Organisationen von ihrer Vergangenheit einen „ gespaltenen Gebrauch “ machen: Organisationen müssen das, was sie wissen, teilweise in Frage stellen (Weick, Karl 1985, S. 315). Sie müssen ihrem Gedächtnis gleichzeitig vertrauen und misstrauen.
Brown/Eisenhardt (Brown, Shona L./Eisenhardt, Kathleen M. 1998) verstehen in der Tradition von Weick Organisationen als lose gekoppelte Systeme, die nur dann erfolgreich sein können, wenn sie ihr kreatives und innovatives Potenzial durch unterstützende Organisationsstrukturen freisetzen. Ihre empirischen Arbeiten über die Bedingungen für erfolgreiche Produktinnovationen in der Computerindustrie in den USA in den Jahren 1993 bis 1995 zeigt, dass sich die erfolgreichen Produktgruppen einerseits durch eine klare Strukturierung von Prioritäten und Verantwortlichkeiten, andererseits aber durch extensive Kommunikation und Gestaltungsfreiheit auszeichnen (Kappelhoff, Peter 2002, S. 67).
IV. Organisationale Anpassungen an Komplexität
Als neues Ideal figuriert demnach die sich ständig selbst neu erfindende Organisation, die sich nicht nur zwischen rigiden Strukturen und chaotischer Beliebigkeit hindurch laviert, sondern auch danach trachtet, sich selbst an die Spitze des Veränderungsrhythmus zu setzen. Aufgabe des Managements ist es, Kontextsteuerung vorzunehmen.
Für Kappelhoff (Kappelhoff, Peter 2002, S. 90) ist Komplexitätsmanagement immer auch Wissensmanagement. Er verweist auf neuere empirische Studien über Kognitionsleistungen in Gruppen von Hutchins (Hutchins, Edwin 1995) beim Steuern eines Flugzeugträgers oder auch auf die Simulationsexperimente von Carley (Carley, Kathleen M. 1999). Diese Untersuchungen haben den emergenten Aspekt von Intelligenz als Zusammenspiel sozial verteilter, komplex vernetzter kultureller Praktiken herausgearbeitet und setzen einen Kontrapunkt zu individualistischen Denkansätzen, welche komplex strukturierte Intelligenzleistungen konzeptuell nicht zu erfassen vermögen. Es überrascht daher mit Kappelhoff nicht, dass unter dem Titel der lernfähigen Organisation (Senge, Peter 1990; Willke, Helmut 1998) Anforderungen an ein Wissensmanagement formuliert werden, die sich aus den Prinzipien des Komplexitätsmanagements ableiten. „ Wenn Wissen integraler Bestandteil der Prozesse des Unternehmens ist, kann es weder beliebig übertragen noch manipuliert werden ? Entscheidende Aspekte organisationalen Wissens entziehen sich damit der direkten steuernden Kontrolle. “ (Kappelhoff, Peter 2002, S. 90).
Komplexitätsmanagement wirft mehr Fragen auf, als man auf diesen Seiten beantworten kann. Zu den wesentlichen „ Antworten “ zählen: Prozessteams (Königswieser, Roswita/Heintel, Peter 1998), Führung durch Kontextsteuerung (Kasper, Helmut/Mayrhofer, Wolfgang/Meyer, Michael 1999), lernfähige Organisation (Senge, Peter 1990; Schreyögg, Georg/Noss, Christian 1995), Wissensmanagement (Willke, Helmut 1998), Netzwerke, (Sydow, Jörg/Windeler, Arnold 1998), modulare Organisationsmuster (Osterloh, Margit/Frost, Jetta 2000) und die Hypertext-Organisation (Nonaka, Ikujiro/Takeuchi, Hirotaka 1995): Statt sich lediglich auf klassisch-hierarchische Bürokratie oder Projektorganisationsformen festzulegen, kombinieren Nonaka und Takeuchi beides miteinander und ergänzen sie um eine organisationale Wissensbasis, die die Funktion einer dritten, wissenspeichernden Ebene übernimmt (dazu Kasper, Helmut/Mühlbacher, Jürgen 2002, S. 152). So sehr die angeführten Ansätze im Einzelnen divergieren (Selektion!) mögen, gemeinsam ist ihnen die Ablehnung der Trivialisierung und die Hypostasierung des Grundsatzes: Komplexe Umwelten verlangen komplexe Organisationsmuster.
Literatur:
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Baecker, Dirk : Die Form des Unternehmens, Frankfurt am Main 1993
Brown, Shona L./Eisenhardt, Kathleen M. : Competing on the edge. Strategy as structured chaos, Boston et al. 1998
Carley, Kathleen M. : On the Evolution of Social and Organizational Networks, in: Research in the Sociology of Organization, Jg. 16, 1999, S. 3 – 30
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Hutchins, Edwin : Cognition in the Wild, Cambridge et al. 1995
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