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Börsenpsychologie


Inhaltsübersicht
I. Einführung
II. Entscheidungsanomalien
III. Psychologische Aspekte der Anlageentscheidung
IV. Psychologische Effekte der Kursbildung
V. Fazit

I. Einführung


Dem Entschluss eines Anlegers, Wertpapiere zu kaufen oder zu verkaufen, geht ein Entscheidungsprozess voraus, in dem Informationen beschafft, wahrgenommen und zu bereits bestehenden Informationen in Bezug gesetzt werden. Dieser Prozess der Informationsverarbeitung stellt eine klassische Disziplin psychologischer Forschung dar und bildet die Verbindung zwischen Kapitalmarkttheorie und Psychologie.
In der modernen Kapitalmarkttheorie wird vereinfachend unterstellt, dass Entscheidungen von rationalen Investoren in einheitlicher Weise getroffen werden. Annahmegemäß besitzt der „ homo oeconomicus “ sämtliche entscheidungsrelevanten Informationen und ist in der Lage, diese zu verarbeiten, ohne sich von Stimmungen, Stress oder anderen nach dieser Theorie „ irrelevanten “ Faktoren beeinflussen zu lassen. Die Anlageentscheidung wird erst dann wieder überdacht, wenn neue Informationen eintreffen und der homo oeconomicus seine Erwartungen anpasst. Die Anleger an der Börse werden von der ökonomischen Theorie also als gefühllose Maschinen dargestellt, die unbeeindruckt von anderen Faktoren Anlageentscheidungen treffen und ihren Erwartungsnutzen maximieren. Sie handeln als „ Anlegerandroiden “ (Gerke, 1997).
Ergebnisse psychologischer Forschung zeigen jedoch, dass das tatsächliche Entscheidungsverhalten den Annahmen der Kapitalmarkttheorie häufig widerspricht. Dies wird darauf zurückgeführt, dass der menschliche Entscheider lediglich eingeschränkte kognitive Verarbeitungskapazität zur Verfügung hat, und infolgedessen vom rationalen Verhalten abweicht, also nur in begrenztem Umfang rational handelt (bounded rationality, Simon, H. 1955). Die resultierenden „ irrationalen “ Verhaltensweisen werden als „ Anomalien “ bezeichnet. Erst in jüngerer Zeit werden von ökonomischer Seite Versuche unternommen, nachgewiesene Verhaltensanomalien in die Kapitalmarkttheorie zu integrieren. Diese neuen verhaltenswissenschaftlichen Ansätze der Finanzierungstheorie werden unter den Begriff „ Behavioral Finance “ gefasst.
Nachfolgend werden zunächst einige nachgewiesene Verhaltensanomalien aufgeführt, die für den Anleger an der Börse relevant sind. Danach werden Ansätze aus der Psychologie vorgestellt, die zum einen als Erklärung für die individuellen Irrationalitäten des Anlegers, zum anderen für Börsenstimmungen herangezogen werden können. Abschließend wird der Frage nachgegangen, ob sich die psychologischen Faktoren auf aggregierter Marktebene systematisch niederschlagen und Möglichkeiten zum Erzielen von Überrenditen bieten.

II. Entscheidungsanomalien


Anleger verhalten sich rational im Sinne der Neumann/Morgenstern-Nutzentheorie, wenn sie ihren erwarteten Nutzen maximieren. Damit sich die Präferenzen eines Anlegers konsistent in einer Risikonutzenfunktion abbilden lassen, müssen verschiedene Anforderungen an das Präferenzsystem gestellt werden. Experimentell können diese Axiome getestet werden, indem Probanden verschiedene Lotterien vorgelegt werden, deren relative Vorteilhaftigkeit bewertet werden soll. Durch Variation der Lotterien wird überprüft, ob das beobachtete Teilnehmerverhalten den Axiomen der Theorie widerspricht. Bereits in diesen sehr einfachen Wahlentscheidungen werden Verhaltensweisen beobachtet, die nicht mit den getroffenen Annahmen der klassischen Nutzentheorie übereinstimmen und als „ Irrationalitäten “ bezeichnet werden müssen.
Die wohl bekanntesten Entscheidungsanomalien stellen das Allais- und das Ellsberg-Paradoxon dar. Hiernach liegt die Verletzung der Erwartungsnutzentheorie zum einen in der Überbewertung sicherer Ergebnisse gegenüber unsicheren. Zum anderen wird Unsicherheit über Wahrscheinlichkeiten (Ambiguität) tendenziell gemieden. Ein Überblick über weitere nachgewiesene Widersprüche zur Erwartungsnutzentheorie ist bspw. bei Bienert (Bienert, H. 1996), Eichenberger (Eichenberger, R. 1992), Unser (Unser, M. 1999) und Weber (Weber, M. 1991) zu finden.
Neben den Verstößen gegen die Axiome der Erwartungsnutzentheorie wurden in der experimentellen Forschung auch Verhaltensweisen nachgewiesen, die zeigen, dass Informationen bei Entscheidungen unter Unsicherheit systematisch falsch verarbeitet werden. Der menschliche Entscheider wendet vor allem in komplexen Situationen Vereinfachungsregeln an. Diese sog. Heuristiken ermöglichen ihm ein schnelles Entscheiden. In Anlehnung an Tversky/Kahneman (Tversky, A./Kahneman, D. 1974) werden drei typische Verhaltensweisen vorgestellt, die Auswirkungen auf Entscheidungen an der Börse besitzen.
Eine Art „ Aberglaube “ wird beim Roulette beobachtet und als „ gambler\'s fallacy “ bezeichnet: Nach fünfmal rot in Folge glauben Spieler, dass schwarz als nächste Ziehung wahrscheinlicher ist als rot. Im Rahmen einer Repräsentativ-Heuristik werden Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten eines Ergebnisses anhand dessen Repräsentativität für eine Grundgesamtheit gebildet. Die Wahrscheinlichkeit, dass z.B. eine Zahlenfolge aus einer bestimmten Grundgesamtheit gezogen wurde, wird danach beurteilt, wie repräsentativ das Ergebnis für die Grundgesamtheit ist. Umgekehrt kann nachgewiesen werden, dass nicht vorhandene kausale Zusammenhänge zwischen früheren Ereignissen und Zufallsprozessen impliziert werden. Die Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis, das eine bereits vorhandene Stichprobe „ repräsentativer “ macht, wird höher eingeschätzt. Auch in Experimenten, in denen den Anlegern bekannt ist, dass sich die Aktienkurse ähnlich dem Wurf einer Münze zufällig verändern, also keinerlei Regelmäßigkeiten zu erwarten sind, entwickeln Investoren diesen Aberglauben. Sie verkaufen die Aktien, mit denen sie Geld gewonnen haben, und kaufen die, die im Kurs gefallen sind (Maital, S./Filer, R./Simon, J. 1986; Weber, M./Camerer, C. 1992).
Eine weitere Faustregel wird als Verfügbarkeits-Heuristik bezeichnet. Kahneman/Tversky (Kahneman, D./Tversky, A. 1973) beobachten, dass die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Ereignisses umso höher eingeschätzt wird, je verfügbarer hierfür sprechende Informationen sind. Je konkreter, auffälliger oder aktueller eine Information, desto besser ist sie verfügbar und desto stärker wird sie bei der Beurteilung einer Situation gewichtet. Am Aktienmarkt macht sich diese Urteilsvereinfachung durch Überreaktionen auf neue Nachrichten bemerkbar. De Bondt/Thaler (De Bondt, W. F. M./Thaler, R. 1985) stellen fest, dass dramatische und unerwartete Neuigkeiten zu stark gewichtet werden.
Systematische Verzerrungen bei Schätzung von komplexen Sachverhalten können auf einer weiteren Heuristik beruhen, die als Verankerung und Anpassung bezeichnet wird (Tversky, A./Kahneman, D. 1974). Bei komplizierteren Rechenaufgaben zeigt sich, dass das geschätzte Ergebnis von dem Anfangswert (Anker) beeinflusst wird. Dass von außen vorgegebene, irrelevante Faktoren auf die Anlageentscheidung einwirken, erklärt auch der Framing-Effekt: Bei unterschiedlicher Darstellung derselben Entscheidungssituation werden unterschiedliche Entscheidungen getroffen (Tversky, A./Kahneman, D. 1981).
Eine Reihe anderer Anomalien lässt sich auf die Verwendung von Urteilsheuristiken zurückführen. Experimente von Knetsch/Sinden (Knetsch, J. L./Sinden, J. A. 1984) zeigen, dass einer Sache, die man besitzt, ein höherer Wert beigemessen wird, als man für dieselbe bereit wäre zu zahlen (Endowment-Effect). Anleger an der Börse unterliegen auch dem Dispositionseffekt (Shefrin, H. M./Statman, M. 1985). Experimentell wurde nachgewiesen, dass Aktien im Gewinn systematisch zu früh verkauft werden, während Verluste ausgesessen werden (Gerke, W./Bienert, H. 1993; Weber, M./Camerer, C. 1998). Vor diesem Effekt soll die vereinfachende Börsenregel schützen: Gewinne laufen lassen und Verluste beschränken. Dass Börsenverluste tendenziell nicht realisiert werden, kann darauf zurückgeführt werden, dass der Mensch für unterschiedliche Sachverhalte jeweils getrennte „ mentale Konten “ (mental accounts) „ verbucht “ . Der Effekt resultiert aus dem menschlichen Streben, den Abschluss von Verlustkonten zu vermeiden (Tversky, A./Kahneman, D. 1981).
Die aufgeführten experimentellen Ergebnisse zeigen deutlich, dass das tatsächliche menschliche Anlageverhalten nicht dem des von der Theorie unterstellten homo oeconomicus entspricht. Es wurde deshalb versucht, einzelne der genannten Irrationalitäten in eine deskriptive Erwartungsnutzentheorie zu integrieren (für einen Überblick Frey, B. S./Eichenberger, R. 1989; Unser, M. 1999). Den bekanntesten Ansatz stellt die Prospect Theory von Kahneman/Tversky (Kahneman, D./Tversky, A. 1979) dar.

III. Psychologische Aspekte der Anlageentscheidung


Neben den nachgewiesenen Entscheidungsanomalien sprechen weitere Erkenntnisse der psychologischen Forschung gegen die Annahme des von der Theorie unterstellten, rationalen Aktienkäufers. Im Folgenden werden einige „ menschliche “ Einflussfaktoren auf das Entscheidungsverhalten von Anlegern aufgezeigt, die als psychologische Erklärung für die oben aufgeführten Anomalien herangezogen werden können, die aber auch Erklärungsansätze für mögliche Effekte auf Marktebene (Bubbles, Crashes) darstellen.
Informationsverarbeitung setzt voraus, dass Informationen gesucht und wahrgenommen werden. Entgegen den theoretischen Annahmen geschieht die menschliche Informationsverarbeitung jedoch weder vollständig noch völlig rational. Die Informationsbasis beim Treffen von Anlageentscheidung ist unvollständig, da Informationssuche mit Kosten verbunden ist. Der Anleger bricht die Informationssuche ab, wenn er glaubt, ausreichend informiert zu sein. Bei Entscheidungen unter Zeitdruck – wie an der Börse – ist dieser Punkt relativ schnell erreicht. Zudem werden nicht alle vorliegenden Informationen richtig und homogen weiterverarbeitet. Die Interpretation der Information verläuft individuell verschieden und ist von der vorherrschenden Stimmung, den bereits vorhandenen Informationen, den aktuellen Erwartungen sowie den früheren subjektiven Erfahrungen beeinflusst (einen Überblick geben die in Maas/Weibler (Maas, P./Weibler, J. 1990) enthaltenen Beiträge).
Gesetzmäßigkeiten aus der Gestaltpsychologie (Katz, D. 1969; Maas, P./Weibler, J. 1990) zufolge, werden die Informationen bevorzugt zur Kenntnis genommen und verarbeitet, die zum bereits bestehenden Bild bzw. zu den bestehenden Erwartungen eines Individuums passen (Prinzip der Ähnlichkeit). Fehlende Informationen werden selbständig ergänzt, um eine Situation schlüssig beurteilen zu können (Prinzip der Vollständigkeit). Dass vorliegende Informationen, die dem momentanen Bild widersprechen, eher unterdrückt werden, erklärt die Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger, L. 1957; Frey, D./Gaska, A. 1993). Zugrunde liegt hier das Bedürfnis des Menschen nach einem Gleichgewicht im kognitiven System. Um Widersprüche zu bestehenden Erwartungen zu vermeiden, werden dissonante Informationen entweder ignoriert oder uminterpretiert. Eine weitere Möglichkeit, kognitive Spannungen zu vermeiden, besteht in der gezielten Suche nach weiteren Informationen, die bestehende Erwartung bestätigen (Schwarz, N./Bohner, G. 1990).
Die genannten psychologischen Mechanismen erschweren die Revision bestehender Meinungen. Je öfter die bestehende Erwartung in ähnlichen Börsensituationen der Vergangenheit bestätigt wurde, je geringer die Anzahl verfügbarer alternativer Erklärungen und je stärker die bestehende Erwartung den Wünschen und Bedürfnissen des Anlegers entgegenkommt, desto mehr bzw. desto bedeutendere Informationen sind notwendig, um eine Meinung zu revidieren (Frey, D./Stahlberg, D. 1990). Während Informationen bevorzugt verarbeitet werden, die eine bereits bestehende Erwartung des Anlegers stützen, werden solche, die nicht ins vorherrschende Bild passen, tendenziell ausgeblendet.
Ein weiterer Aspekt, der die Handelsaktivität von Anlegern beeinflusst, ist die wahrgenommene Kontrollmöglichkeit des Börsengeschehens. Dem psychologischen Kontrollkonzept (White, R. W. 1959; Bungard, W./Schultz-Gambard, J. 1990) liegt die menschliche Illusion zugrunde, Ereignisse die ihn selbst betreffen, steuern (primäre Kontrolle) oder zumindest erklären (sekundäre Kontrolle) zu können. Ist dies nicht der Fall, führt die mangelnde Kontrolle zur Passivität. Obwohl echte Kontrollmöglichkeiten an der Börse nur in geringem Umfang bestehen, demonstriert ein Großteil des Handelsvolumen, dass Kontrolle auch dann handlungswirksam wird, wenn sie lediglich als solche empfunden wird (illusionäre Kontrolle, Langer, E. 1975) oder wenn sie stellvertretend anderen Personen zugeschrieben wird, deren Handeln man folgt (stellvertretende Kontrolle). Die hohe Bedeutung von Finanzanalysten oder Börsengurus und deren Einfluss auf die Kurse (Gerke, /Oerke, 1998) – vor allem in Märkten mit fallenden Kursen – kann durch die stellvertretende Kontrolle erklärt werden (Schachter, S. et al. 1986).
Die genannten börsenpsychologischen Ansätze können Effekte gleichgerichteten Verhaltens vieler Anleger erklären. In einem Trend steigender Kurse kann es bspw. dazu kommen, dass Kursgewinne die wahrgenommene Kontrolle erhöhen und zur Verfestigung von bestehenden Erwartungen führen. Aufgrund des Anlageerfolges wird die eigene Prognosefähigkeit überschätzt (over confidence). Dies wiederum führt dazu, dass schlechte Nachrichten anfangs ignoriert werden bzw. die Kontrollillusion solange erhalten bleibt, bis eine gewichtige Information oder Kursreaktion folgt. Dies kann in der Folge eine Stimmungsänderung bei den Anlegern herbeiführen. Da der empfundene Kontrollverlust nach Kursrückschlägen bei allen Anlegern in gleicher Weise auftritt, kann dies zu einem Rückzug vom Börsenmarkt und Börsencrash führen.

IV. Psychologische Effekte der Kursbildung


Ein Großteil der Ökonomen geht davon aus, dass individuelle Entscheidungsanomalien keinen Einfluss auf der aggregierten Marktebene besitzen. Damit sprechen sie sich gleichzeitig für eine Beibehaltung der idealisierten Verhaltensannahmen der Theorie effizienter Kapitalmärkte aus. Sie führen eine Reihe von Argumenten an, weshalb individuelle Paradoxa die Kursbildung nicht verzerren (für eine ausführliche Diskussion vgl. Camerer, C. 1992, S. 240ff.; Eichenberger, R. 1992, S. 54f.; Weber, M. 1989). Kein Einfluss lässt sich festmachen, wenn die Anomalien einzelner Anleger entweder unabhängig voneinander sind und sich gegenseitig aufheben oder wenn die Irrationalitäten von (wenigen) rationalen Börsenhändlern ausgenutzt und dadurch eliminiert werden. Anomalien haben auch dann keine Wirkung auf die Kursbildung, wenn Marktteilnehmer aus eigenen bzw. fremden Fehlern lernen und die Anomalien nicht wiederholt auftreten oder wenn der Wettbewerb unter den Anlegern dazu führt, dass irrationale Investoren systematisch Geld verlieren und aus dem Markt ausscheiden. Allerdings überzeugt keines der angeführten Argumente völlig (Bienert, H. 1996, S. 94) womit die Frage weiterhin offenbleibt, ob psychologische Anomalien die Börsenkurse beeinflussen.
Um psychologische Effekte am Aktienmarkt zur Generierung von Überrenditen heranziehen zu können, müssen Indikatoren formulierbar sein, aufgrund derer Kauf- und Verkaufsignale abgeleitet werden. Der Suche nach solchen Handelsregeln kommen Tests der schwachen Form der Informationseffizienz gleich. In diesem gut erforschten Gebiet kommt die überwiegende Zahl der Studien zu dem Ergebnis, dass der Kapitalmarkt als effizient im schwachen Sinne betrachtet werden kann. Folglich können keine Handelsregeln auf Basis von vergangenen Kurs- und Umsatzdaten gefunden werden, die Überrenditen versprechen (für einen Überblick siehe Fama, 1991; Campell, J. Y./Lo, A. W./MacKinlay, A. C. 1997). Einige Ausnahmen sind festgestellte Überrenditen bei Verwendung von zyklischen und antizyklischen Handelsstrategien (De Bondt, /Thaler, 1985; Schiereck, D./Weber, M. 1995). Weitere Renditeeffekte, die sich nicht mit der Kapitalmarkttheorie erklären lassen betreffen Kalendereffekte wie z.B. den Januareffekt (vgl. die in Thaler, R. H. 1992 enthaltenen Artikel), Überrenditen bei kleinen Unternehmen (small firm-Effekt, vgl. Banz, R. W. 1981) und den Wettereffekt (Hirshleifer, D./Shumway, T. 2003). Shiller (Shiller, R. J. 1981) zeigt, dass Aktienrenditen zu sehr schwanken, als dass sie mit neuen Informationen erklärt werden könnten (vgl. auch West, K. S. 1988).
Diese in der Vergangenheit beobachteten Renditeanomalien lassen sich jedoch nicht zwingend mit Börsenpsychologie erklären, sondern können oft auch auf die Unvollkommenheit der Märkte wie z.B. mangelnde Liquidität zurückzuführen sein. In einigen Fällen lassen sich nach einer Variation der Untersuchungsmethode die vorher beobachteten Effekte nicht mehr nachweisen (vgl. bspw. Fama, E. F. 1998).

V. Fazit


Der junge Forschungszweig der Börsenpsychologie ist noch weit davon entfernt, eine geschlossene Abbildung des begrenzt rationalen Verhaltens der Anleger und ihrer Wirkung auf die Kursbildung zu bieten. Das komplexe Verhalten des Menschen bei Finanzentscheidungen lässt sich bisher nicht geschlossen abbilden. Die experimentelle Forschung im Bereich der Behavioral Finance trägt jedoch zur Erklärung des menschlichen Verhaltens an den Finanzmärkten bei und hilft bestehende Theorien weiterzuentwickeln. Die Existenz erfolgversprechender Handelsregeln auf Basis psychologischer Effekte wird kontrovers diskutiert. Dennoch kann der Anleger von den Erkenntnissen der Börsenpsychologie profitieren. Das Wissen um seine beschränkte Rationalität hilft „ irrationales “ Verhalten zu erkennen und die Anlagerendite zu optimieren.
Anleger neigen zu selektiver Wahrnehmung, werden von Angst, Neid und Gier getrieben, folgen dem Herdentrieb in der Hausse und dem Lemmingeverhalten im Crash. Diese sehr anschaulichen Charakterisierungen des Anlegerverhaltens werden in Modellen der klassischen Kapitalmarkttheorie wie zum Beispiel dem Capital Asset Pricing Model (CAPM) ignoriert. Solange die Börsenpsychologie aber nicht in der Lage ist, Anlegerverhalten systematisch zu erklären und zu prognostizieren, liefert die Vorstellung von seelenlosen ß-Anlegerandroiden (Gerke, 1997) die besten Näherungsmodelle für die Preisbildung an den Kapitalmärkten.
Literatur:
Banz, R. W. : The Relationship between Return and Market Value of a Common Stock, in: Journal of Financial Economics 1981, Vol. 9, S. 3 – 18
Bienert, H. : Der Marktprozeß an Aktienbörsen – Bewertungseffizienz und Umverteilung, Wiesbaden 1996
Bungard, W./Schultz-Gambard, J. : Überlegungen zum Verhalten von Börsenakteuren aus kontrolltheoretischer Sicht, in: Börse und Psychologie, hrsg. v. Maas, P./Weibler, J., Köln 1990, S. 140 – 161
Camerer, C. : Do Biases in Probability Judgment Matter in Markets? Experimental Evidence, in: American Economic Review 1992, Vol. 77, S. 981 – 997
Campell, J. Y./Lo, A. W./MacKinlay, A. C. : The Econometrics of Financial Markets, Princeton 1997
De Bondt, W. F. M./Thaler, R. : Does the Stock Market Overreact?, in: Journal of Finance 1985, Vol. 40, S. 793 – 805
Eichenberger, R. : Verhaltensanomalien und Wirtschaftswissenschaft: Herausforderungen, Reaktionen, Perspektiven, Wiesbaden 1992
Fama, E. F. : Efficient Capital Markets II, in: Journal of Finance 1991, Vol. 46, S. 1575 – 1617
Fama, E. F. : Market Efficiency, Long-Term Returns, and Behavioral Finance, In: Journal of Financial Economics 1998, Vol. 49, S. 283 – 306
Festinger, L. : A Theory of Cognitive Dissonance, Stanford 1957
Frey, B. S./Eichenberger, R. : Zu Bedeutung entscheidungstheoretischer Anomalien für die Ökonomik, in: Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik 1989, 206. Jg., S. 81 – 101
Frey, D./Gaska, A. : Die Theorie der kognitiven Dissonanz, in: Theorien der Sozialpsychologie, Band 1: Kognitive Theorien, 2. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, hrsg. v. Frey, D./Irle, M., Bern 1993, S. 275 – 324
Frey, D./Stahlberg, D. : Erwartungsbildung und Erwartungsveränderung bei Börsenakteuren, in: Börse und Psychologie, hrsg. v. Maas, P./Weibler, J., Köln 1990, S.102 – 139
Gerke, W. : Herrschaft der Androiden? Konsequenzen der Kapitalmarkttheorie für das Anlegerverhalten, in: Psychologie für Börsenprofis – Die Macht der Gefühle bei der Geldanlage, hrsg. v. Jünemann, B./Schellenberger, D., Stuttgart 1997, S. 19 – 40
Gerke, W./Bienert, H. : Überprüfung des Dispositionseffektes und seiner Auswirkungen in computerisierten Börsenexperimenten, in: Empirische Kapitalmarktforschung, zfbf-Sonderheft 31 1993, hrsg. v. Bühler, W./Hax, H./Schmidt, R., S. 169 – 194
Gerke, /Oerke, M. : Marktbeeinflussung durch Analystenempfehlungen – eine empirische Studie, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Ergänzungsheft 1998, S. 187 – 200
Hirshleifer, D./Shumway, T. : Good day sunshine: Stock returns and the weather, in: Journal of Finance 2003, Vol. 58, S. 1009 – 1032
Kahneman, D./Tversky, A. : On the Psychology of Prediction, in: Psychological Review 1973, Vol. 3, S. 193 – 206
Kahneman, D./Tversky, A. : Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk, in: Econometrica 1979, Vol. 47, S. 263 – 291
Katz, D. : Gestaltpsychologie, Basel et al. 1969
Knetsch, J. L./Sinden, J. A. : Willingness to Pay and Compensation Demanded: Experimental Evidence of an Unexpected Disparity in Measures of Value, in: Quarterly Journal of Economics 1984, Vol. 99, S. 507 – 521
Langer, E. : The Illusion of Control, in: Journal of Personality and Social Psychology 1975, Vol. 32, S. 311 – 328
Maas, P./Weibler, J. : Börse und Psychologie – Plädoyer für eine neue Perspektive, Köln 1990
Maas, P./Weibler, J. : Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse an der Börse, in: Börse und Psychologie, hrsg. v. Maas, P./Weibler, J., Köln 1990, S.72 – 101
Maital, S./Filer, R./Simon, J. : What do People bring to the Stock Market besides Money, in: Handbook of Behavioral Economics, Vol. A: Behavioral Microeconomics, hrsg. v. Gilad, B./Kaish, S., Greenwich, London 1986, S. 273 – 307
Schachter, S. : Aggregate Variables in Psychology and Economics: Dependence and the Stock Market, in: Handbook of behavioral Economics, Vol. B: Behavioral Macroeconomics, hrsg. v. Gilad, B./Kaish, S., Greenwich, London 1986, S. 237 – 271
Schiereck, D./Weber, M. : Zyklische und antizyklische Handelsstrategien am deutschen Kapitalmark, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (zfbf) 1995, S. 3 – 24
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Shefrin, H. M./Statman, M. : The Disposition to Sell Winners Too early and Ride Losers Too Long: Theory and Evidence, in: Journal of Finance 1985, Vol. 40, S. 777 – 792
Shiller, R. J. : Do Stock Prices Move too Much to be Justified by Subsequent Changes in Dividends?, in: American Economic Review 1981, Vol. 71, S. 421 – 436
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Thaler, R. H. : The Winners\'s Curse, Princeton 1992
Tversky, A./Kahneman, D. : Judgement under uncertainty: Heuristics and Biases, in: Science 1974, Vol. 185, S. 1124 – 1131
Tversky, A./Kahneman, D. : The Framing of Decision and the Psychology of Choice, in: Science 1981, Vol. 22, S. 453 – 458
Unser, M. : Behavioral Finance am Aktienmarkt: Empirische Analysen zum Risikoverhalten individueller Anleger, Bad Soden 1999
Weber, M. : Risikoentscheidungskalküle in der Finanzierungstheorie, Stuttgart 1991
Weber, M. : Ambiguität in Finanz- und Kapitalmärkten, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (zfbf) 1989, S. 447 – 471
Weber, M./Camerer, C. : Ein Experiment zum Anlegerverhalten, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (zfbf) 1992, S. 131 – 148
Weber, M./Camerer, C. : The Disposition Effect in Securities Trading: An Experimental Analysis, in: Journal of Economic Behavior and Organization 1998, Vol. 33, S. 167 – 184
West, K. S. : Bubbles, Fads and Stock Price Volatility Tests: A Partial Evaluation, in: Journal of Finance 1988, Vol. 43, S. 639656
White, R. W. : Motivation Reconsidered: The Concept of Competence, in: Psychological Review 1959, Vol. 66, S. 297 – 333

 

 


 

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