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Gesamtwirtschaftliches Rechnungswesen


1. Zielsetzung und Aufgabe. Lenkende Eingriffe in den Wirtschaftsablauf durch die Wirtschaftspolitik (Theorie der Wirtschaftspolitik) setzen, um erfolgreich zu sein, eine möglichst genaue und umfassende Kenntnis der Wirtschaftsentwicklung bzw. der jeweiligen Wirtschaftslage voraus. Diese Kenntnis soll das G. vermitteln. Es hat zum Ziel, ein in sich widerspruchsfreies, umfassendes und übersichtliches quantitatives Gesamtbild des Wirtschaftsgeschehens einer bestimmten Volkswirtschaft (Wirtschaft) zu liefern. Die im Rahmen des G. ermittelten statistischen Daten stellen wichtige empirische Informationen für Analysen und Prognosen der wirtschaftlichen Entwicklung bereit, die eine Beurteilung ermöglichen sollen, ob in bestimmten Situationen ein wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf gegeben ist und welche Maßnahmen erforderlichenfalls zu ergreifen sind. Datenmäßig ausgewiesen werden im G. nur Vorgänge, die bereits stattgefunden haben. Man spricht daher auch von der  ex-post-Analyse des Wirtschaftsgeschehens i. Ggs. zur ex-ante-Analyse , die die Planungen der Individuen zum Gegenstand hat. Letztere ist die Domäne der Wirtschaftstheorie (Wirtschaftswissenschaft). Der Bedarf nach relevanten Daten selbst ist fortlaufenden Änderungen unterworfen. Die Ursachen dafür liegen vor allem in den sich wandelnden politischen Zielsetzungen sowie in den sich ändernden theoretischen Einsichten über ökonomische Wirkungszusammenhänge. Dadurch muß das G. von Zeit zu Zeit ergänzt bzw. revidiert werden. Praktisch besteht daher das G. aus einer Vielzahl historisch gewachsenen, jedoch weitgehend aufeinander abgestimmten Teilrechnungen, von denen jede besonderen Zielsetzungen dient und bestimmte Aspekte des Wirtschaftsgeschehens quantitativ erfaßt und beleuchtet. Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Teilrechnungen unterscheiden, u. zw. Stromrechnungen einerseits und Bestandsrechnungen andererseits. Im Rahmen von Stromrechnungen werden Meßgrößen (Stromgrößen oder flows) erfaßt, deren Werte auf einen bestimmten Zeitraum bezogen sind, wie z.B. das jährliche Einkommen eines privaten Haushaltes (Haushalt ,
1.) oder seine monatlichen Konsumausgaben. Durch Bestandsrechnungen werden dagegen Meßgrößen (Bestandsgrößen oder stocks) ausgewiesen, deren Werte jeweils zu bestimmten Zeitpunkten erhoben werden, wie z.B. der Wert eines Vermögens , die Bargeldbestände  einer Bank oder die Arbeitslosenziffern (z.B. Arbeitslosenquote) einer Volkswirtschaft an einem bestimmten Stichtag. Bestandsgrößen weisen normalerweise, an verschiedenen Stichtagen gemessen, verschiedene Werte auf. Die stattgefundene Bestandsänderung ergibt sich aus der Differenz (bzw. dem Saldo) von Zuströmen und Abströmen, zum bzw. vom jeweiligen Anfangsbestand, während einer Periode. Allgemein gelten die Gleichungen:         
(1)        Endbestand (z.B. am 31.12.87) = Anfangsbestand (z.B. am 1.1.87) + Bestandsänderung (während 1987); sowie        
(2)   Bestandsänderung = Zuströme - Abströme; woraus sich
(3) ergibt:        
(3)   Endbestand = Anfangsbestand + Zuströme - Abströme. Dadurch ergibt sich ein Zusammenhang zwischen Strom- und Bestandsrechnungen.
2. Die wichtigsten Stromrechnungen des G. und ihre Voraussetzungen. Ehe man darangeht, eine Stromrechnung zu erstellen, hat man sich zu verdeutlichen, an welchen Gesichtspunkten des Wirtschaftsgeschehens man genau interessiert ist bzw. für welche Problemstellung man Daten benötigt. Die Problemstellung ist dann bestimmend dafür, welche Daten als relevant zu erachten sind. Dadurch wird dann auch die Auswahl der Darstellungseinheiten (Wirtschaftssubjekte) festgelegt, deren Entscheidungen (= ökonomische Aktivitäten) das betreffende Wirtschaftsgeschehen, an dem man interessiert ist, bestimmen. In Verfolgung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten übertragen Wirtschaftssubjekte (z.B. Haushalte, Unternehmen und Staat) sogenannte Wirtschaftsobjekte, das sind Waren, Dienst- und Faktorleistungen sowie Forderungen durch Transaktionen an andere Wirtschaftssubjekte. Üblicherweise knüpfen die statistischen Erhebungen im Rahmen von Stromrechnungen an diesen Transaktionen an. In einzelnen Fällen, in denen zwar tatsächlich keine Transaktionen stattfinden, werden solche unterstellt (z.B. Produktion zum eigenen Ge- oder Verbrauch), um Ungereimtheiten zu vermeiden. Sämtliche Transaktionen werden in Geldeinheiten bewertet, und es ist ferner zu bestimmen, ob sie in eine bestimmte Rechnungsperiode (z.B. ein bestimmtes Kalenderjahr) und ob sie in die betreffende Volkswirtschaft fielen oder nicht. Jede Stromrechnung macht eine Klärung dieser Voraussetzungen erforderlich. Durch Aggregation, d.h. durch geeignete Zusammenfassung der Werte, einer Vielzahl von Transaktionen zwischen bestimmten Gruppen von Wirtschaftssubjekten, gelangt man zu überschaubaren Zusammenhängen. Durch die Aggregation gehen zwar Detailinformationen verloren, andererseits aber gewinnt man größere Übersicht. Welcher Grad der Aggregation am zweckmäßigsten erscheint, hängt von der jeweiligen Fragestellung ab. Herzstück des G. ist die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) . Aus ihr werden wichtige gesamtwirtschaftliche Kenngrößen, wie z.B. das Sozialprodukt , ermittelt. Sie liefert jedoch für bestimmte Fragestellungen nur unzureichende bzw. unzweckmäßig aufbereitete Informationen. Um die Lieferungsströme zwischen den einzelnen Industrien und so die wechselseitige Abhängigkeit der Produktion der einzelnen Industrien von Produktionsleistungen anderer Industrien transparent zu machen, werden ergänzend zur VGR vom Statistischen Bundesamt auch Input-Output-Tabellen erstellt. Diese vermitteln Einsichten in die Verflechtung der Produktionsbereiche und bilden die Grundlage für Analysen (Input-Output-Analysen) der Produktionsstruktur. Detailliertere Informationen über die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Ausland sind in der Zahlungsbilanz zusammengefaßt. Als ein wichtiges Bindeglied zwischen der VGR und den Vermögensrechnungen (Bestandsrechnungen) steht die Finanzierungsrechnung . Sie soll die während einer Rechnungsperiode geflossenen Finanzierungsströme zwischen den Sektoren private und öffentliche Haushalte (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungsträger), Unternehmen (Betrieb , I.), Banken, Bausparkassen , Versicherungen und Ausland systematisch erfassen und ausweisen. Dabei werden für einzelne Anlageformen (z.B. Geldanlagen bei Banken, Wertpapiere , Kredite) jeweils Salden aus Zuströmen und Abströmen für die genannten Sektoren detailliert wiedergegeben, um die Finanzierungsstruktur der Ersparnis- und Vermögensbildung offenzulegen. Da im Rahmen der Finanzierungsrechnung  oder "Vermögensbildungs- und Finanzierungsrechnung" in der Bezeichnung der Deutschen Bundesbank, die sie in jährlichen Abständen erstellt  nur Salden ausgewiesen werden, handelt es sich strenggenommen nicht um eine Strom-, sondern um eine Bestandsänderungsrechnung. Sie liefert wichtige Informationen über die Finanzierungs-und Anlagegewohnheiten einer Volkswirtschaft.
3. Bestandsrechnungen im Rahmen des G. In enger Verbindung zur Finanzierungsrechnung steht der jährliche Nachweis der "Geldvermögen und Verpflichtungen" durch die Deutsche Bundesbank. In derselben Gliederung in Sektoren und Anlageformen werden die jeweiligen Bestände der einzelnen Sektoren an Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber den anderen Sektoren ausgewiesen. Es ergibt sich so ein Bild der Kredit- und Kapitalverflechtung für die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. Die Erfassung einiger wesentlicher Teile des Sachvermögens durch das Statistische Bundesamt dient der Ergänzung dieses Bildes. Aufgrund der praktischen Erfassungs- und Bewertungsschwierigkeiten werden gegenwärtig nur Teile des reproduzierbaren Sachvermögens, nämlich vor allem die Anlagevermögen der Unternehmen (gegliedert nach Industriezweigen) und des Staates sowie deren Vorratsvermögen ermittelt. Unter Anlagevermögen werden dabei jene Bestände an längerlebigen, reproduzierbaren Sachgütern verstanden, die vornehmlich Erwerbs- bzw. Produktionszwecken dienen, insbesondere Ausrüstungen (Maschinen etc.) und Bauten. Erst in jüngster Zeit beginnt man im Rahmen der amtlichen Statistik auch den Wert des Gebrauchsvermögens (Autos, Kühlschränke etc.) der privaten Haushalte zu ermitteln. Offizielle Statistiken für eine umfassende Vermögensrechnung der Bundesrepublik Deutschland, die z.B. auch die Werte der immateriellen Vermögen und der nichtproduzierbaren Sachvermögen ausweisen, existieren (derzeit noch) nicht. Weitere wichtige Bestandsrechnungen liefern die monatlichen Ausweise der Geldbestände durch die Deutsche Bundesbank, sowie die Arbeitsmarktstatistiken, die die notwendigen Informationen über die Lage auf dem Arbeitsmarkt bereitstellen.
4. Aussagewert des Datenmaterials. Die im Rahmen des G. ausgewiesenen Daten werden vor allem aus Teilerhebungen ermittelt, von denen einige periodisch, aber in unterschiedlichen Abständen, andere wiederum unregelmäßig durchgeführt werden. In anderen Fällen werden Statistiken mit ausgewertet, die vornehmlich anderen Zwecken dienen. Dadurch handelt es sich bei den Daten um Schätzgrößen von unterschiedlicher Genauigkeit. Hinzukommt, daß die Bewertung von Transaktionen in einzelnen Fällen nicht eindeutig festgelegt werden kann und sich im Zeitablauf verändert. Der letztgenannte Punkt macht insbesondere in Zeiten hoher Inflation (Inflationstheorie), "Preisbereinigungen" von Wertgrößen mittels Preisindices (Indexzahl) erforderlich, um deren reale (mengenmäßige) Entwicklung zu ermitteln (s. Inflationstheorie ,
1.). In den letzten Jahren wurde Kritik an der Aussagekraft mancher vokswirtschaftlicher Daten, insbesondere an der des Sozialprodukts geübt, da bei seiner Erstellung beispielsweise die schädigenden Einflüsse auf die natürliche Umwelt (Luft, Gewässer etc.) nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die zahlreichen Vorschläge für eine entsprechende konzeptionelle Änderung des G. im allgemeinen und der VGR im besonderen haben bislang jedoch nur ansatzweise Eingang in die amtlichen Statistiken gefunden.

Literatur: F. Haslinger, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.
6. A., München-Wien 1993. A. Stobbe, Volkswirtschaftslehre I, Volkswirtschaftliches Rechnungswesen.
7. A., Berlin-Heidelberg-New York-Tokio 1989.

 

 


 

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