Investitionstheorie
1. Bedeutung. Die Anlageinvestitionen (Investition) betrugen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1993 rund 702 Mrd EUR und damit zirka 22,2 v.H. des Bruttosozialproduktes zu Marktpreisen. Der Anteil schwankt, so lag er 1985 bei 19,6 v.H., in 1980 bei 22,8, in 1975 bei 20,7 und im Jahre 1970 bei 25,5 v.H.
2. Begriffe. Eine Investition ist in der Volkswirtschaftslehre (Wirtschaftswissenschaft,
4.) primär jeder Zugang bzw. Kauf eines Endproduktes durch ein Unternehmen (Betrieb . I.). Private Haushalte (Haushalt, I.) investieren nicht; man unterscheidet dort kurz- und langlebige Konsumgüter (Gut). Dabei stellt jede Investition betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich einen (erwarteten) bewertbaren Leistungsstrom bzw. einen (erwarteten) Zahlungsstrom (in der Zukunft) dar, der i.d.R. mit einer Auszahlung (z.B. dem Kaufpreis) beginnt und zu Netto-Einzahlungen in den folgenden Perioden bis zum Ende der Anlage- bzw. Nutzungsdauer führt. Es werden i.d.R. Lagerinvestitionen, d.h. Veränderungen des Lagerbestandes insbesondere auch von Gütern der Eigenproduktion, unterschieden von Anlageinvestitionen, d.h. von Zugängen an dauerhaften Produktionsmitteln (Kapital, II.,
1.) durch Käufe am Markt oder aus eigener Produktion (selbsterstellte Anlagen). Letztere werden in der Statistik unterteilt in Ausrüstungsinvestitionen und Bauten, die auch die Wohngebäude in Händen privater Haushalte (Ausnahme!) beinhalten. Eine Investition kann wunschgemäß bzw. geplant oder ungeplant erfolgen. Ungeplante Investitionen tätigen Unternehmen, wenn die Produktion ungewollt größer als der Absatz , d.h. die Nachfrage, ist. Sie nehmen die nicht verkauften Produkte als sog. Eigennachfrage auf Lager. Die Ursachen für ungeplante Investitionen sind falsche (zu hohe) Absatzerwartungen und damit Produktionsentscheidungen, wobei die tatsächliche Produktion nicht unmittelbar an die geringere Nachfrage angepaßt werden kann. Die Anpassungsschwierigkeiten resultieren u.a. aus technischen Gründen und Informationsproblemen bei einer Produktion für den Markt und nicht nur auf Bestellung. Ein (un-)geplanter Lagerabbau infolge einer (un-)erwarteten Nachfragesteigerung ist eine (un-)geplante Desinvestition. Ungeplante Lagerinvestitionen führen in der folgenden Periode zu einer Produktionseinschränkung, die größer ist als die Nachfragesenkung, so daß das im Rahmen der Produktion verdiente Einkommen weiter sinkt und gem. des Einkommensmultiplikators eine weitere Reduktion des Konsums und damit der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage (gesamtwirtschaftliche Güternachfrage) induziert. Die falschen Absatzerwartungen führen zu einem Konjunkturabschwung. Das Anlagevermögen ist der Wert des Produzenten-Sachkapitals (Kapital) am Bilanzstichtag. Es ist ein zeitpunktbezogener Wert, eine Bestandsgröße . Die Veränderung des Anlagevermögens zwischen zwei Bilanzstichtagen ist die Netto-Anlageinvestition, d.h. ein zeitraumbezogener Wert bzw. eine Stromgröße . Eine Nettoinvestition ist eine Bruttoinvestition vermindert um die Abschreibung des Kapitalbestandes, d.h. um seine Wertminderung infolge seiner Abnutzung im Produktionsprozeß sowie Veralterung durch den technischen Fortschritt oder Geschmacksveränderungen. Die Bruttoinvestition als der Gesamtwert der nachgefragten Investitionsgüter ist stets größer (gleich) Null. Eine Bruttoinvestition bis zum Wert der Abschreibungen heißt Reinvestition. Die Nettoinvestition kann negativ sein bis maximal zur Höhe der Abschreibungen. Bedeutet somit jede positive Netto-Investition einen steigenden Kapitalstock , so läßt sich eine Investition als jede Veränderung des Kapitalstocks eines Unternehmens definieren. Bestimmen Unternehmen ihren (gewünschten) Kapitalbestand, so wird die (gewünschte) Bestandsveränderung Investition genannt. Je nach der betrachteten Bestandsgröße lassen sich u.a. Lagerinvestitionen (Lagerbestand), Sachinvestitionen (Sachkapitalbestand), Forschungsinvestitionen (Know-How, Patentbestand), Bildungsinvestitionen (Humankapitalbestand) und Finanzinvestitionen (Asset-Bestand) unterscheiden. Gemäß des geographischen Ortes werden Inlands- und Auslandsinvestitionen unterschieden (Direktinvestitionen).
3. Hypothesen.
3. 1. Modellzusammenhang. Eine I. bzw. Investitionshypothese erklärt die geplante Investitionsgüternachfrage, d.h.führt diese aufgrund theoretischer Überlegungen funktional auf ganz bestimmte Variablen oder Größen zurück. Verändert sich der Wert einer dieser Größen, so verändert sich die Investitionsgüternachfrage; die Unternehmen reagieren mit den Investitionen auf Veränderungen dieser Größen. Die Darstellung einer Investitionshypothese in Form einer mathematischen Gleichung ist eine Investitionsfunktion. Sie wird insbesondere in makroökonomischen (Makroökonomik) Modellen zur Erklärung gesamtwirtschaftlicher Variablen (wie der Beschäftigung , des Zinssatzes od. Preisniveaus) verwendet. Wird die Investition auf keine Variable zurückgeführt, die das Modell erklärt, spricht man von einer autonomen oder (modell-) exogenen Investition. Die Investitionsgüternachfrage, die auf vom Modell erklärte Größen reagiert, heißt induzierte Investition. Die Nachfrage nach Investitionsgütern ergibt zusammen mit dem Konsum, der Staatsnachfrage und dem Export die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Eine Veränderung der Investition bedeutet somit eine Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage (Nachfrageeffekt der Investition), die eine gleichgerichtete Veränderung der Produktion und damit des Volkseinkommens bedingt, die ein Vielfaches der Veränderung der Investition sein kann (Einkommensmultiplikator von Keynes; Keynes’sche Theorie). Der Doppelcharakter der Investition offenbart sich darin, daß sie nach Lieferung und Installation als neues Produzentensachkapital die Produktionsmöglichkeiten, d.h. die Produktionskapazität der Unternehmen, erhöht (Kapazitätseffekt der Investition). So kann bei gleichem Arbeitseinsatz mehr Output produziert werden (Erweiterungsinvestition) oder es kann aufgrund der verbesserten Technologie des neuen Sachkapitals der gleiche Output mit geringerem Arbeitseinsatz erzielt werden (Rationalisierungsinvestition). Eine Investition ist i.d.R. ein Mixtum aus beidem.
3. 2. Verhaltenshypothese. Jede I. geht von der Grundannahme rationalen Verhaltens der Unternehmen aus, die ihre Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital effizient einsetzen. Aus der Zielsetzung der Unternehmung (Maximierung des Gewinnes (Gewinnmaximierung), Firmenwertes u.a.) und den zu beachtenden Restriktionen (gegebene Preise der Faktoren, Produktionstechnologien, Kosten der Montage etc.) wird der gewünschte Sachkapitalbestand erklärt. Da die geplante Nettoinvestition als die gewünschte Veränderung des Kapitalstocks , d.h. die Differenz zwischen gewünschtem und vorhandenem Kapitalbestand, definiert ist, wird sie somit durch die Erklärungsgrößen des gewünschten Kapitalbestandes und dem vorhandenen Bestand erklärt. Entspricht der gewünschte dem vorhandenen Bestand, so ist die geplante Nettoinvestition gleich Null; es werden nur Reinvestitionen in Höhe der Abschreibungen durchgeführt. Es wird i.d.R. angenommen, daß der gewünschte Kapitalstock um so größer ist, je kleiner der reale Marktzinssatz oder je größer die erwartete Gesamtnachfrage ist. Bei einem beispielsweise sinkenden Zinssatz (ceteris paribus) wünschen die Unternehmen einen größeren Kapitalbestand, so daß sie Investitionsgüter nachfragen bzw. Nettoinvestitionen durchführen. Da ein Kapitalgut i.d.R. über mehrere Perioden im Produktionsprozeß genutzt wird, fragen Unternehmen Sachkapital nur nach, wenn sie erwarten, aus seinem Einsatz in zukünftigen Perioden Gewinn zu erzielen. Die Unternehmen bilden somit Erwartungen bezüglich der erzielbaren zukünftigen Gewinne bzw. aller zukünftiger Nettoerträge als die um die zukünftigen Produktionskosten (Arbeitskosten etc.) verminderten Verkaufserlöse. Bezahlen müssen sie für die zukünftige Sachkapitaleinheit i.d.R. beim Kauf den sog. Angebotspreis der Investitionsgüterindustrie. Um über die Vorteilhaftigkeit des Kaufes rational entscheiden zu können, wird der auf diesen Zeitpunkt bezogene Wert aller erwarteten Nettoerträge ermittelt; dieser Wert heißt Nachfragepreis. Die Unternehmen diskontieren dabei alle erwarteten Nettoerträge mit dem Kalkulationszinssatz ab, d.h. mit dem um eine, von ihnen subjektiv bestimmte Risikoprämie erhöhten Zinssatz für gleichfristige risikolose (staatliche) Wertpapiere . Die Investition bzw. der Kauf erfolgt, wenn der zu zahlende (Angebots-) Preis geringer (gleich) ist als der (dem) Wert der abdiskontierten Nettoerträge, d.h. geringer als der Nachfragepreis, der dem Unternehmen eine Kapitalverzinsung in Höhe des Kalkulationszinssatzes verspricht. Der Zinssatz, bei dem der Angebotspreis gleich dem Nachfragepreis ist, heißt interner Zinssatz (Zins). Er ist die erwartete Rendite bzw. Grenzleistungsfähigkeit der Investition (marginal efficiency of investment, MEI). Nach der internen Zinsfußmethode lohnt eine Investition, wenn der interne Zinssatz größer/gleich dem Marktzins für Staatspapiere ist. Die Differenz zwischen Nachfragepreis und Angebotspreis heißt Kapitalwert. Nach der Kapitalwertmethode ist eine Investition dann vorteilhaft, wenn der Kapitalwert größer/gleich Null ist. In beiden Fällen der Vorteilhaftigkeit ist der Nachfragepreis größer/gleich dem Angebotspreis. Der Ertrag der letzten gerade eingesetzten Kapitaleinheit ist die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals (marginal efficiency of capital, MEC). Ermittelt man für alle denkbaren Einsatzmöglichkeiten von Kapital die erwartete Rendite und reiht die Kapitalgüter nach der Höhe der so ermittelten internen Zinssätze (je geringer die Rendite ist, desto mehr Einsatzmöglichkeiten existieren), so ergibt sich eine Kurve der MEC mit negativer Steigung. Die Unternehmen dehnen den Kapitalstock solange aus, bis die MEC dem Marktzinssatz entspricht. Bestimmen (im neoklassischen Kalkül) die Unternehmen den insgesamt gewünschten Kapitalbestand, so ist dieser um so größer, je niedriger bei gegebenen Nettoertragserwartungen der Marktzinssatz ist. Aus der Höhe des Marktzinssatzes folgt damit die Höhe des gewünschten Kapitalstocks und aus der Differenz des gewünschten zum vorhandenen Kapitalbestand die gewünschte Investition. Bildet man den Quotienten aus der MEI und MEC oder der erwarteten Rendite (interner Zinssatz) und dem Marktzinssatz (dieser Quotient heißt Tobin’s q), so ist eine Investition in Form des Kaufes neuproduzierter Investitionsgüter nur lohnend bei einem q von größer/gleich eins. In anderen Fällen ist der Kauf existierender Unternehmen (Aktien) vorteilhafter. Die Investitionsgüternachfrage hängt somit von den längerfristigen Ertragserwartungen, d.h. den erwarteten Preisen für die Produkte und Produktionsfaktoren, sowie von der Unsicherheit der Unternehmen bezüglich dieser Erwartungen und der Risikobereitschaft der Unternehmen ab. Die Schwierigkeiten der Erwartungsbildung sowie die psychologischen Momente einer Entscheidung bei Unsicherheit erklären die Schwankungen der Investitionen im Zeitablauf, so daß das Investitionsverhalten insbesondere in Konjunktur-/Struktur-Krisen durch keine stabile Funktion beschrieben und damit prognostiziert werden kann.
Literatur: W. Fuhrmann, Makroökonomik. Zur Theorie interdependenter Märkte.
3. A., München, Wien 1991. J. P. Gould, Adjustment Costs in the Theory of Investment of the Firm, in: Review of Economic Studies. 1968, 47-55. J. Rohwedder, Optimaler Kapitalstock und Investition, in: WiSt 1985, 69-74.
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