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Personalbeurteilung


Inhaltsübersicht
I. Gegenstandsbestimmung
II. Ziele von Personalbeurteilungen
III. Gestaltungsprobleme bei Personalbeurteilungssystemen

I. Gegenstandsbestimmung


Angesichts der Begriffsvielfalt im Zusammenhang mit der Beurteilung von Personal (vgl. Becker,  1998, S. 158 – 161; Gerpott, /Domsch,  1995, Sp. 1695 f.; Grieger, /Bartölke,  1992, S. 68 – 71) ist eine explizite Abgrenzung des mit dem Begriff der Personalbeurteilung angesprochenen Gegenstandsbereichs unabdingbar. Personalbeurteilung (PB) wird hier definiert als

-

die systematische und formalisierte Bewertung von Organisationsmitgliedern (= Personal, Beurteilte),

-

im Hinblick auf Kriterien, die für den Erfolg der Organisation als wichtig erachtet werden,

-

durch von der Organisation dazu explizit beauftragte Personen (= Beurteiler),

-

auf der Basis sozialer Wahrnehmungsprozesse im Arbeitsalltag.


PB dient der Gewinnung von Informationen über personale Eigenschaften, Leistungsverhaltensweisen und -ergebnisse von Aufgabenträgern in Organisationen. PB ist somit als Oberbegriff für die Bewertung von Organisationsmitgliedern zu differenzieren von der Arbeitsbewertung, bei der Stellenanforderungen unabhängig vom Stelleninhaber bestimmt werden. Mit der Bezeichnung PB wird das Beurteilungsobjekt Personal generell angesprochen, ohne dass hierarchische Rollenkonstellationen zwischen Beurteilten und Beurteilern mögliche inhaltliche Bezugspunkte bei der Objekterfassung oder zeitliche Orientierungen von Beurteilungsaussagen spezifiziert werden.
Entsprechend bezeichnen Begriffe wie „ Gleichgestelltenbeurteilung “ , „ Leistungs(verhaltens)beurteilung “ , „ Persönlichkeitsbeurteilung “ oder „ Potenzialbeurteilung “ bestimmte PB-Varianten im Hinblick auf die genannten Kategorien näher. In unsere Ausführungen werden alle diese PB-Varianten mit einer Ausnahme einbezogen: Besondere Probleme zukunftsorientierter Potenzialbeurteilungen, bei denen eine anforderungsbezogene Eignungsprognose für einen Beurteilten zumeist von dessen Vorgesetzten zu erstellen ist, werden hier nicht analysiert, da sie eher im Zusammenhang mit Personalauswahlverfahren zu bewältigen sind. PB umfasst nicht nur Entwicklung und Einsatz eines PB-Formulars, sondern schließt die Kommunikation von PB-Ergebnissen an die Beurteilten und die darauf aufbauende Formulierung von Leistungserwartungen für die Zukunft ein.

II. Ziele von Personalbeurteilungen


Ausgangspunkte der PB-Systemgestaltung sind die mit der PB angestrebten Ziele. In der Literatur (s. z.B. Anderson,  1993, S. 11 – 20; Brandstätter,  1970, S. 669 – 675; Grieger, /Bartölke,  1992, S. 75 – 80; Murphy, /Cleveland,  1995, S. 88 – 95; Schuler,  1991, S. 14) finden sich viele ähnliche Kataloge von möglichen offiziellen Zielen, die Organisationen mit PB verfolgen; danach sind PB einsetzbar zur

1.

informatorischen Fundierung von Planungen und Entscheidungen auf individueller und kollektiver Ebene in den Bereichen Personaleinsatz, Personalentwicklung und Entgeltdifferenzierung,

2.

Erfolgskontrolle durchgeführter personalwirtschaftlicher Maßnahmen (z.B. Fort- und Weiterbildung),

3.

Verbesserung der Leistungen des Beurteilten in seiner aktuellen Position durch

 

-

Rückmeldung offener und systematischer Informationen über dessen bisherige Arbeitsverhaltensweisen und -ergebnisse (= Feedback; Kluger, /DeNisi,  1996, S. 255) und darauf aufbauende Entwicklung von Förderungsmaßnahmen,

-

Klärung von zukünftigen Verhaltens- und Ergebniserwartungen,

-

Intensivierung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Beurteilten und Beurteilern.


Die ersten beiden Zielkomplexe werden auch als personalpolitischer und der dritte Zielkomplex als führungspolitischer Zielbereich von PB bezeichnet (Gerpott,  1992, S. 238; Wunderer, /Dick,  2001, S. 327). Die Vielfalt möglicher Zielsetzungen von PB sollte nicht zu einer Überschätzung ihrer Leistungsfähigkeit als „ multifunktionale Wunderwaffe “ verleiten. Mit der Verfolgung bestimmter PB-Ziele (z.B. Begründung von Beförderungsentscheidungen) sind oft unbeabsichtigte Nebenwirkungen (z.B. „ Fassadenverhalten “ der Beurteilten; Neuberger,  1980) verbunden. PB werden als von zentralen Entscheidungsinstanzen eingesetztes Mittel zur Erreichung der o.a. personalpolitischen Zielkomplexe von Betroffenen deutlich weniger akzeptiert, als wenn PB dezentral als Führungshilfsmittel zur Mitarbeiterförderung und zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem beurteilenden Vorgesetzten konzipiert werden (Domsch, /Gerpott, /Jochum,  1986; Scott, /Einstein,  2001).
Viele der in der Wirtschaft vorherrschenden PB-Verfahren (s. Liebel,  1987, S. 119 – 137; Murphy, /Cleveland,  1995, S. 495; Thomas, /Bretz,  1994) sind darüber hinaus auch aus methodischen Gründen zur Erreichung der beiden o.a. personalpolitischen Zielbereiche eher ungeeignet und scheinen oft eher der Stabilisierung unterschiedlicher Machtpositionen in Organisationen zu dienen (vgl. Fallgatter,  1999; Neuberger,  1980).

III. Gestaltungsprobleme bei Personalbeurteilungssystemen


1. Kreis der zu Beurteilenden und der Beurteiler


Bei der Beurteilerfestlegung wird in der Praxis unreflektiert von nur einer hierarchiebedingten Rollenkonstellation ausgegangen. Organisationsmitglieder werden von ihrem direkten Vorgesetzten beurteilt. In der Literatur hingegen wird vorgeschlagen (Gerpott,  1992, S. 236; Gerpott,  2000, S. 208; Mungenast,  1990, S. 127), für die „ Abwärtsbeurteilung “ ebenso wie für andere Rollenkonstellationen bei PB jeweils genauer zu prüfen, inwieweit potenzielle Beurteilerkreise

-

zur Abgabe einer zieladäquaten PB motiviert sind,

-

Arbeitsziele und -anforderungen für den Beurteilten kennen,

-

Gelegenheit zur Leistungsbeobachtung haben;

-

über die für eine angemessene Interpretation der Leistungsbeobachtungen erforderliche Fachkompetenz verfügen.


Oft erfüllt der direkte Vorgesetzte nicht allein in ausreichendem Maße diese Anforderungen. Entsprechend werden zunehmend verschiedene Ergänzungen der herkömmlichen Rollenverteilung bei PB diskutiert (Annen,  2000, 82 – 101; Cardy, /Dobbins,  1994, S. 147 – 170; Gerpott,  1992, S. 195 – 202; Murphy, /Cleveland,  1995, S. 133 – 147).

a) Personalbeurteilung durch Untergebene (Vorgesetztenbeurteilung)


Bei der Vorgesetztenbeurteilung bewerten Organisationsmitglieder ihren direkten Vorgesetzten bezüglich seines Führungsverhaltens und/oder seiner Kenntnisse und Fähigkeiten. Als besondere Funktionen der Vorgesetztenbeurteilung werden genannt (Domsch,  1992, S. 257):

-

Führungsverhaltensfeedback an Vorgesetzte sowie aggregiertes Feedback an Personalinstanzen zur Ableitung von Entwicklungsplänen (Diagnosefunktion),

-

Förderung der Bereitschaft zu Verhaltensänderungen (Personalentwicklungsfunktion),

-

Verstärkung der Partizipation aller Mitarbeiter bei der Gestaltung der Führungsbezeichnungen (Partizipationsfunktion).


Für den erfolgreichen Einsatz von Vorgesetztenbeurteilungen hat sich die Beachtung folgender Gestaltungsempfehlungen als erfolgsfördernd erwiesen (s. im Detail Bergmann,  1996, S. 40 – 43; Domsch,  1992, S. 258 f.; Gerpott,  2000, 210 – 216):

-

Integration in ein partizipatives Führungskonzept,

-

Empirische Bestimmung spezifischer Leistungskriterien, die Untergebene valide zu beurteilen vermögen,

-

Intensive Betreuung des technischen Ablaufs durch die Personalabteilung (Anschreiben, Verteilung und Rückgabe der PB-Bögen, Auswertungsfristen, Ergebnisdiskussion),

-

Situationsadäquater Umgang mit der Dilemmasituation, dass von beurteilten Vorgesetzten die Anonymität von Beurteilern als problematisch eingestuft, von beurteilenden Untergebenen aber eher gewünscht wird.

b) Personalbeurteilung durch Gleichgestellte (Gleichgestelltenbeurteilung)


In Arbeitssituationen, in denen eine begrenzte Zahl hierarchisch gleichrangiger Mitarbeiter eng kooperiert, ist es denkbar, dass sich diese Mitarbeiter gegenseitig hinsichtlich verschiedener Kriterien beurteilen; eine solche Gestaltungsvariante von PB wird als Gleichgestellten- oder Kollegenbeurteilung (Gerpott,  1992, S. 212; Wunderer, /Dick,  2001, S. 348) bezeichnet. Von allen Ansätzen zur Erweiterung der „ Abwärtsbeurteilung “ hat die PB durch Gleichgestellte in der Praxis bisher die geringste Akzeptanz gefunden. PB durch Gleichgestellte führen zu einer erheblichen Intensivierung sozialer Kontrolle, sodass eine ergänzende Einführung von „ Seitwärtsbeurteilungen “ nur dann erwägenswert ist, wenn sie bei freiwilliger Zustimmung der Betroffenen zur partizipativen Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Gleichgestellten und nicht zur Vergabe knapper Belohnungen (z.B. Entgelterhöhungen) verwendet werden (Gerpott,  1992, S. 224; Scott, /Einstein,  2001, S. 109).

c) Personalbeurteilung durch den zu Beurteilenden (Selbstbeurteilung)


PB, die Mitarbeiter hinsichtlich ihrer eigenen Leistungen erstellt haben, konvergieren kaum mit PB durch Vorgesetzte oder Untergebene (Gerpott,  2000, S. 201; Moser,  1999, S. 18 f.). Dennoch sind Selbstbeurteilungen im Personalführungsprozess hilfreich, wenn die Beurteiler davon ausgehen können, dass sie ihre Urteile im Gespräch gegenüber anderen Instanzen zu vertreten haben. Selbstbeurteilungen lassen sich in PB durch Vorgesetzte vorteilhaft dergestalt integrieren, dass Mitarbeiter rechtzeitig vor einem PB-Gespräch mit ihrem Vorgesetzten (s.u. III.4.) unbeeinflusst ihre eigenen Leistungen auf dem PB-Bogen einschätzen. Diese Selbstbeurteilung wird im PB-Gespräch der Fremdbeurteilung gegenübergestellt, und Abweichungen und Übereinstimmungen werden dann analysiert (Anderson,  1993, S. 101 – 104; Donat,  1991, S. 143; Wunderer, /Dick,  2001, S. 338 – 343).

d) 360-Grad-Feedback


Seit etwa Mitte der 1990er-Jahre wird in der personalwirtschaftlichen Literatur eine in der organisationspsychologischen Forschung mindestens seit Ende der 1950er-Jahre diskutierte Idee wieder aufgegriffen, nämlich die Leistungsbeurteilung von Einzelpersonen, aber auch von Teams durch mehrere verschiedene, anhand ihrer organisationsstrukturell-hierarchischen Beziehung zum Beurteilten oder ihrer Unternehmenszugehörigkeit differenzierbare Beurteiler-/Feedback-Geber-Gruppen. Als Beurteiler-Gruppen werden dabei i.d.R. organisationsintern (1) gleichrangige Kollegen, (2) Vorgesetzte und (3) unterstellte Mitarbeiter sowie organisationsextern (4) enge Kooperationspartner (Kunden, Zulieferer) der zu beurteilenden Person differenziert. Setzt man jede dieser vier Gruppen mit einer 90-Grad-Perspektive gleich, dann ergibt sich ein 360-Grad-Feedback-Kreis. Entprechend wird diese PB-Variante als 360-Grad-Feedback oder als „ multi-source/-perspective/-rater appraisal “ bezeichnet (Gerpott,  2000, S. 196 – 199; Dalessio,  1998, S. 278 – 281). Der wissenschaftliche Erkenntnisstand deutet darauf hin, dass 360-Grad-Feedback-Verfahren erst bei Erfüllung sehr anspruchsvoller Anwendungsvoraussetzungen zur Verbesserung von PB-Systemen in der Praxis beitragen können.

2. Inhaltliche Bezugspunkte von Personalbeurteilungen (Beurteilungskriterien)


Beurteilungskriterien sind evaluative Dimensionen, die im Hinblick auf die Organisationsmitglieder eingeschätzt werden sollen. Die Auswahl von PB-Kriterien muss eng auf die PB-Ziele sowie den Beurteilten- und Beurteilerkreis abgestimmt werden. Generell gültige Kriterienlisten gibt es somit nicht. Bei der Kriterienauswahl sind drei grundsätzliche inhaltliche Bezugspunkte von PB-Systemen zu differenzieren (Gerpott,  1992, S. 240; Steinmann, /Schreyögg,  2000, S. 694):

-

Globale personale Eigenschaften wie Initiative, Verlässlichkeit etc. (Schuler,  1991, S. 18),

-

Aufgabenbezogene Verhaltensweisen (z.B. „ stellt wöchentlich Maschinenbelegungsplan auf “ ),

-

Arbeitsergebnisse (z.B. „ Reklamationsquotenreduktion um X % “ ).


In PB-Systemen mit führungspolitischen Zielsetzungen sollte auf vage Eigenschaftskriterien verzichtet werden (Bergmann,  1996, S. 41; Liebel,  1987, S. 124). Aufgabenbezogene Verhaltenskriterien (s. die Beispiele bei Domsch, /Gerpott, /Haugrund, et al. 1990, S. 148 – 150; Gerpott,  1992, S. 243 f.) erfordern eine empirische Arbeitsanalyse für ähnliche Positionen. Bei ergebnisorientierten PB-Ansätzen werden in einem kaskadenförmigen Prozess aus Organisationszielen (quantitative) Zielkriterien für Mitarbeiter abgeleitet; derartige Kriterien sind zentraler Bestandteil des Management-By-Objectives Konzepts und von Profit-Center Organisationsformen (Steinmann, /Schreyögg,  2000, S. 703 f.; Thomas, /Bretz,  1994, S. 29 – 31). In funktionierende Controlling-Systeme integrierte ergebnisorientierte Kriterien weisen zwar hohe ökonomische Relevanz auf, geben aber wenig Hilfestellung zur Identifikation und Aneignung von Verhaltensweisen, die Voraussetzung für die Erzielung erwünschter Ergebnisse sind. Zumeist ist eine Kombination von verhaltens- und ergebnisorientierten Kriterieninhalten in PB mit führungspolitischen Zielen vorteilhaft (Scott, /Einstein,  2001, S. 110 – 114).

3. Personalbeurteilungsverfahren


PB-Verfahren (synonym: PB-Instrumente, -Skalen) sind Hilfsmittel, mit denen Beobachtungen nach bestimmten Regeln in schriftliche, zumeist wertende Aussagen umgesetzt werden und manifestieren sich in Gestalt des PB-Bogens. Sie haben starke Beachtung in der Literatur gefunden (Brandstätter,  1970, S. 677 – 689; Cardy, /Dobbins,  1994, S. 63 – 96; Schuler,  1991, S. 20 – 32; Schuler,  1989, S. 411 – 419) und lassen sich klassifizieren nach

-

der PB-Kriterienanzahl in summarische (nur ein Kriterium) und analytische Verfahren,

-

dem Grad ihrer Standardisierung in freie und gebundene Verfahren;

-

dem Urteilsvorgang in Kennzeichnungs- (z.B. Check-Listen), Rangordnungs- (z.B. Paarvergleich) und Einstufungsverfahren.


In der Praxis werden primär gebundene, analytische Einstufungsverfahren eingesetzt. Dabei erhält der Beurteiler z.T. prozentuale Vorgaben, wie viele Beurteilte den verschiedenen Skalenstufen zugeordnet werden sollen. Diese Zwangsverteilung ist für PB, die valide individuumszentrierte Leistungsbeschreibungen und darauf aufbauende Entwicklungsmaßnahmen anstreben, ungeeignet (Neuberger,  1980, S. 31 f.). Bei Einstufungsverfahren ist die Skalenstufenverankerung sowie die Anzahl der PB-Kriterien und Skalenstufen von Bedeutung für die PB-Qualität. Skalen(stufen), die durch unter Mitwirkung der späteren Nutzer gewonnene Verhaltensbeispiele definiert werden (Domsch, /Gerpott,  1985), sind zur Vorbereitung von Feedback-Gesprächen besonders geeignet. Um Scheingenauigkeiten zu vermeiden, sollten zwischen 5 und 9 PB-Kriterien und nicht mehr als 7 Skalenstufen pro Kriterium verwendet werden.

4. Beurteilungsgespräch und -schulung


Alle Vorteile sorgfältig konstruierter PB-Verfahren werden irrelevant, wenn PB-Ergebnisse nicht in befriedigender Weise im Beurteilungsgespräch (Mitarbeitergespräch; Führung und Kommunikation) an den Beurteilten kommuniziert werden (s.a. § 82 II BetrVG; Breisig,  1998, S. 223 f.). Für dieses stellen die auf dem PB-Bogen dokumentierten Aufzeichnungen eine Datenbasis dar. Bezüglich sinnvoller Vorgehensweisen bei der Vorbereitung und Durchführung von Beurteilungsgesprächen liegen zwar zahlreiche, intuitiv plausible Empfehlungen vor, aber es mangelt an stichhaltiger (empirischer Personal-)Forschung zur Überprüfung ihrer Haltbarkeit bzw. ihrer situativen Relativierungsnotwendigkeit. Lässt man solche wissenschaftlichen Bedenken außer Acht, dann findet man im praxisorientierten Schrifttum häufig folgende heuristische Regeln für PB-Gespräche (Annen,  2000, S. 106 – 109; Anderson,  1993, S. 111 f.; Nagel, /Oswald, /Wimmer,  1999; Neuberger,  2001; Wunderer, /Dick,  2001, S. 338 – 347):

-

Beurteiler und Beurteilter sollten das Gespräch gut vorbereiten (Aufgaben- und Leistungsanalyse) und es unterbrechungsfrei ohne Zeitdruck führen. Im Gespräch sollte möglichst genaues positives und negatives Feedback, das anhand von konkreten Ergebnis- und Verhaltensdaten belegt wird, gegeben werden;

-

PB-Gespräche sollten als dialogische, offene und angstfreie Problemlösungssitzungen angelegt werden, in denen auch spezielle Vorgaben zur Entwicklung des Beurteilten für die nächste PB-Periode festgelegt werden ( „ goal-setting-approach “ );

-

PB-Gespräche sollten zu klaren Aussagen genutzt werden, wie sich gezeigte Leistungen auf Entwicklungsperspektiven und ggf. auf die Entgelthöhe des Beurteilten auswirken;

-

PB-Gespräche sollten häufiger als jährlich und auch zeitlich flexibel innerhalb einer PB-Periode stattfinden.


Effektive PB-Gespräche setzen ebenso wie eine unverzerrte Leistungsbeobachtung und die richtige „ technische “ Handhabung des PB-Verfahrens eine regelmäßig wiederholte, intensive Schulung aller Beurteiler zwingend voraus. Werden auch für die Beurteilten Trainingsmaßnahmen vorgesehen, dann wird die „ klassische “ Beurteilerschulung erweitert und zu einer partizipativen Beurteilungsschulung (vgl. Gerpott,  1992, S. 249 f.).

5. Auswertung erstellter Personalbeurteilungen


Um die Güte von mit Abschluss des Beurteilungsgesprächs schriftlich fixierten PB analysieren und um PB als Informationsgrundlagen der Personalarbeit systematisch nutzen zu können, ist eine kontinuierliche Auswertung aller erstellten PB erforderlich. Dabei ist die verbreitete intuitive Qualitätsprüfung von PB jeweils durch den nächsthöheren Vorgesetzten allein nicht ausreichend. Vielmehr sind die in PB enthaltenen qualitativen bzw. quantitativen Informationen durch einen Verantwortlichen (zumeist Fachkraft aus der Personalabteilung) zu verdichten bzw. statistisch auszuwerten. Derartige auf unterschiedlichen Aggregationsniveaus durchzuführende Auswertungen dienen einmal zur Planung von Personalmaßnahmen (z.B. Fortbildungsveranstaltungen). Zum anderen geben statistische Analysen Aufschluss über

-

mögliche Mittelwert- (z.B. „ Tendenz zur Milde “ ), Korrelations- (sog. „ Halo-Effekt “ ) und Streuungstendenzen in den erstellten PB (Brandstätter,  1970, S. 689 – 703; Murphy, /Cleveland,  1995, S. 268 – 295; Schuler,  1989, S. 419 – 423),

-

mögliche Einflüsse beurteilungsirrelevanter personaler Variablen (z.B. Geschlecht, Nationalität); so fallen PB oft umso besser aus, je höher der hierarchische Rang des Beurteilten ist (Liebel,  1987, S. 106 f.),

-

mögliche Veränderungen von PB-Ergebnissen im Zeitablauf.


Die Resultate PC-basiert zu erstellender statistischer PB-Auswertungsberichte sind u.a. für Feedback-Berichte an die einzelnen Beurteiler, die ihnen einen Vergleich ihres Beurteilungsverhaltens mit dem Durchschnittsverhalten anderer Kollegen ermöglichen, einzusetzen (Gerpott,  2000, S. 210 – 213). Bei der Gestaltung von PC-gestützten PB-Systemen ist dem Datenschutz zur Förderung der Systemakzeptanz bei den Betroffenen und aus rechtlichen Gründen spezielle Aufmerksamkeit zu schenken.

6. Einführung eines Personalbeurteilungssystems


Die Implementierung eines neuen PB-Systems ist als komplexer sozialer Innovationsprozess anzusehen, der bezüglich seiner Phasenstruktur, des Einsatzes verschiedener Einführungsinstrumente und der Involvierung verschiedener Interessengruppen (Unternehmensleitung, Betriebsrat, externe Berater, Mitarbeiter) prinzipiell anderen Prozessen des geplanten organisatorischen Wandels ähnelt. Der Einführungsprozess eines PB-Systems lässt sich idealtypisch in folgende Phasen untergliedern (vgl. Dalessio,  1998, S. 323 – 326; Domsch,  1992, S. 276 – 278; Gerpott,  1992, S. 250 f.; Reilly, /McGourty,  1998, S. 267; Schuler,  1991, S. 37):

-

Problemerkennungsphase (einschließlich der Zusammenstellung einer Projektgruppe „ PB “ ),

-

Vorbereitungsphase (Zieldefinition für das PB-System; inhaltliche und zeitliche Vorgehensplanung),

-

Konzeptionsphase (Bestimmung der Beurteiler-/Beurteiltenkreise, der PB-Kriterien, des PB-Verfahrens, der PB-Informationsempfänger),

-

Testphase (begrenzter Probeeinsatz der PB, Einarbeitung von Modifikationsvorschlägen),

-

Durchführungsphase (Abschluss einer Betriebsvereinbarung, Information und Schulung der Betroffenen, Auswertung erstellter PB, personale Folgemaßnahmen),

-

Evaluationsphase (Analyse von PB/Verhaltensindikatoren, Mitarbeiterbefragungen).


Im Einführungsprozess ist durch eine partizipative, evolutionäre Ablaufgestaltung vor allem darauf hinzuwirken, dass (spätere) Beurteiler und Beurteilte motiviert sind, das PB-System zieladäquat zu nutzen.
Literatur:
Anderson, G. C. : Managing Performance Appraisal Systems, Oxford 1993
Annen, H. : Förderwirksame Beurteilung, Frauenfeld 2000
Becker, F. G. : Grundlagen betrieblicher Leistungsbeurteilungen, 3. A., Stuttgart 1998
Bergmann, G. : Vorgesetzteneinschätzung durch die Mitarbeiter, in: Personalführung, Jg. 29, 1996, S. 40 – 44
Brandstätter, H. : Die Beurteilung von Mitarbeitern, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 9: Betriebspsychologie, hrsg. v. Mayer, A./Herwig, B., 2. A., Göttingen 1970, S. 668 – 734
Breisig, T. : Personalbeurteilung – Mitarbeitergespräch – Zielvereinbarungen, Frankfurt 1998
Cardy, R. L./Dobbins, G. H. : Performance Appraisal: Alternative Perspectives, Cincinnati 1994
Dalessio, A. T. : Using multisource feedback for employee development and personnel decisions, in: Performance Appraisal, hrsg. v. Smither, J., San Francisco 1998, S. 278 – 330
Domsch, M. : Vorgesetztenbeurteilung, in: Handbuch Mitarbeiterbeurteilung, hrsg. v. Selbach, R./Pullig, K., Wiesbaden 1992, S. 255 – 298
Domsch, M./Gerpott, T. J. : Verhaltensorientierte Beurteilungsskalen, in: DBW, Jg. 45, 1985, S. 666 – 680
Domsch, M./Gerpott, T. J./Haugrund, S. : Personalentwicklung in der Industrieforschung, Stuttgart 1990
Domsch, M./Gerpott, T. J./Jochum, E. : Correlates of general confidence in the utility of formal performance appraisals, in: MIR, Jg. 26, H. 3/1986, S. 16 – 27
Donat, M. : Selbstbeurteilung, in: Beurteilung und Förderung beruflicher Leistung, hrsg. v. Schuler, H., Stuttgart 1991, S. 135 – 145
Fallgatter, M. J. : Leistungsbeurteilungstheorie und -praxis, in: ZfP, Jg. 13, 1999, S. 82 – 100
Gerpott, T. J. : Gleichgestelltenbeurteilung, in: Handbuch Mitarbeiterbeurteilung, hrsg. v. Selbach, R./Pullig, K., Wiesbaden 1992, S. 211 – 254
Gerpott, T. J. : 360-Grad-Feedback-Verfahren als spezielle Variante der Mitarbeiterbefragung, in: Handbuch Mitarbeiterbefragung, hrsg. v. Domsch, M./Ladwig, D., Heidelberg 2000, S. 195 – 220
Gerpott, T. J./Domsch, M. : Personalbeurteilung von Führungskräften, in: HWFü, hrsg. v. Kieser, A./Reber, R./Wunderer, R., 2. A., Stuttgart 1995, Sp. 1694 – 1704
Grieger, J./Bartölke, K. : Beurteilungen als Systembestandteil wirtschaftlicher Organisationen, in: Handbuch Mitarbeiterbeurteilung, hrsg. v. Selbach, R./Pullig, K., Wiesbaden 1992, S. 67 – 105
Kluger, A. N./DeNisi, A. : The effects of feedback interventions on performance, in: Psychological Bulletin, Jg. 119, 1996, S. 254 – 284
Liebel, H. J. : Personalführung durch Verhaltensbewertung – Aktuelle Probleme mit langer Tradition, in: Personalbeurteilung, hrsg. v. Liebel, H. J./Oechsler, W. A., Bamberg 1987, S. 89 – 162
Moser, K. : Selbstbeurteilung beruflicher Leistung, in: Psychologische Rundschau, Jg. 50, 1999, S. 14 – 25
Mungenast, M. : Grenzen merkmalsorientierter Leistungsbeurteilungsverfahren und ihre mögliche Überwindung durch zielorientierte Leistungsbeurteilungsverfahren, München 1990
Murphy, K. R./Cleveland, J. N. : Understanding Performance Appraisal, Thousand Oaks 1995
Nagel, R./Oswald, M./Wimmer, R. : Das Mitarbeitergespräch als Führungsinstrument, Stuttgart 1999
Neuberger, O. : Rituelle (Selbst-)Täuschung: Kritik der irrationalen Praxis der Personalbeurteilung, in: DBW, Jg. 40, 1980, S. 27 – 43
Neuberger, O. : Das Mitarbeitergespräch, 5. A., Leonberg 2001
Reilly, R. R./McGourty, J. : Performance appraisal in team settings, in: Performance Appraisal, hrsg. v. Smither, J., San Francisco 1998, S. 244 – 277
Schuler, H. : Leistungsbeurteilung, in: Organisationspsychologie, Enzyklopädie der Psychologie D/III/3, hrsg. v. Roth, E., Göttingen 1989, S. 399 – 430
Schuler, H. : Leistungsbeurteilung – Funktionen, Formen und Wirkungen, in: Beurteilung und Förderung beruflicher Leistung, hrsg. v. Schuler, H., Stuttgart 1991, S. 11 – 40
Scott, S. G./Einstein, W. O. : Strategic performance appraisal in team-based organizations, in: Academy of Management Executive, Jg. 15, H. 2/2001, S. 107 – 116
Steinmann, H./Schreyögg, G. : Management, 5. A., Wiesbaden 2000
Thomas, S. L./Bretz, R. D. : Research and practice in performance appraisal, in: SAM Advanced Management Journal, Jg. 59, H. 2/1994, S. 28 – 34
Wunderer, R./Dick, P. : Führung und Zusammenarbeit, 4. A., Neuwied 2001

 

 


 

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