Arbeitsbewertung
Inhaltsübersicht
I. Begriff, Entstehung, Funktion
II. Summarische Arbeitsbewertung
III. Analytische Arbeitsbewertung
IV. Befunde zur analytischen Arbeitsbewertung
V. Zusammenfassende Bewertung
I. Begriff, Entstehung, Funktion
Die Verknüpfung von Arbeitsschwierigkeit und Entlohnung wurde in Deutschland durch die Deutsche Arbeitsfront und die Reichsgruppe Industrie in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts für deutsche Verhältnisse konzipiert und verbreitet (vgl. Gomberg, 1952; Siegel, 1989; Nienhüser, 1993, S. 233 ff.; Schettgen, 1996, S. 111 ff.). Der Anspruch auf relative Lohngerechtigkeit und eine legitimationsstiftende Systematik haben nach dem zweiten Weltkrieg maßgeblich zur Verbreitung der Arbeitsbewertung beigetragen. Anreiztheoretisch geht es darum, eine für Arbeitnehmer nachvollziehbare Verknüpfung der Schwierigkeit eines Arbeitsplatzes mit der Lohn- und Gehaltseinstufung herzustellen. Diese Bewertung von Arbeit soll relative Lohngerechtigkeit unter Bezugnahme auf die Normalleistung ermöglichen, gleichzeitig aber auch den Referenzpunkt für eine differenzierte Bewertung von Leistung bilden (Leistungsbewertung). Ausgehend von dieser Zielsetzung wurden verschiedene Verfahren der Arbeitsbewertung entwickelt, die sich grob in summarische und analytische Verfahren aufteilen lassen.
II. Summarische Arbeitsbewertung
Im Rahmen der summarischen Arbeitsbewertung werden alle Arbeitsplätze eines Unternehmens miteinander verglichen und nach Maßgabe ihrer Arbeitsschwierigkeit beurteilt. Im Rangfolgeverfahren werden alle zu bewertenden Arbeitsplätze eines Unternehmens miteinander verglichen und im Hinblick auf die Arbeitsschwierigkeit in eine Rangfolge gebracht. An der Spitze steht damit der Arbeitsplatz mit der höchsten Arbeitsschwierigkeit, am Ende der Arbeitsplatz mit der niedrigsten Arbeitsschwierigkeit. Im Katalog- oder Lohngruppenverfahren werden Arbeitsschwierigkeiten summarisch beschrieben, daraus Lohngruppen gebildet und schließlich die einzelnen Arbeitsplätze diesen Lohngruppen zugeordnet. Richtbeispiele (Kataloge) sollen helfen, die einzelnen Arbeitsplätze diesen Lohngruppen zuzuordnen (zu den Verfahren vgl. Lücke, 1992, S. 64 ff.). Diese Lohngruppen finden sich in vielen Tarifverträgen wieder. Im Bereich der Chemieindustrie wurde bspw. ein solches Lohngruppenverfahren 1987 in einem Tarifvertrag festgelegt, um einen einheitlichen Entgelttarifvertrag für Arbeiter, Angestellte und technische Berufe zu realisieren (vgl. Förster, /Hausmann, 1993). Positiv wird bei der summarischen Arbeitsbewertung die einfache Erhebung und Zuordnung von Arbeitsplätzen zu Lohngruppen hervorgehoben. Allerdings besteht bei der summarischen Arbeitsbewertung das grundsätzliche Problem, dass der Verzicht auf eine genaue Analyse der Arbeitsschwierigkeit ein Legitimationsdefizit erzeugt.
III. Analytische Arbeitsbewertung
Ziel der analytischen Arbeitsbewertung ist es, eine höhere Genauigkeit zu erreichen, indem Arbeitsplätze zunächst beschrieben und in Anforderungsarten zerlegt werden. Diese Anforderungsarten werden gewichtet, und es wird für jeden Arbeitsplatz geprüft, in welchem Ausmaß die definierten Anforderungen auftreten. Durch die Vergabe von Punktzahlen werden entweder Rangreihen gebildet oder Arbeitsplätze werden Stufen zugeordnet, die als Ausgangspunkt für Lohn- und Gehaltsbestimmung dienen (zu den Verfahren vgl. Schettgen, 1996, S. 114 ff.; Ridder, 1999, S. 357 ff.). Tab. 1 zeigt den idealtypischen Ablauf von analytischen Verfahren:
Tab. 1: Ablauf der analytischen Arbeitsbewertung.
1. Arbeitsplatzbeschreibung: Erfassung der Arbeitschwierigkeit
Zunächst werden die Arbeitsschwierigkeiten eines Arbeitsplatzes erfasst und in einer Arbeitsplatzbeschreibung dokumentiert. Auf der Basis von in der Literatur entwickelten Formvorschlägen oder in den Unternehmen speziell erarbeiteten Arbeitsplatzbeschreibungsformularen wird diese Beschreibung durch externe Beobachter, Vorgesetzte oder die Arbeitnehmer selbst vorgenommen. Der Wert der Arbeitsplatzbeschreibungen liegt nicht nur in der Lohndifferenzierung. Durch entsprechende Konstruktion des Arbeitsplatzbeschreibungsformulars können systematisch Schwachstellen, Doppelarbeiten, Kompetenzüberschneidungen oder Grundprobleme in der Ablauforganisation im Betrieb ermittelt werden.
2. Anforderungsarten: Klassifizierung von Arbeit
Meist basieren Arbeitsplatzbeschreibungen auf vorher festgelegten Anforderungsarten. Das wohl bekannteste System von Anforderungsarten ist das Genfer Schema:
Abb. 1: Genfer Schema (Quelle: In Anlehnung an REFA 1993, S.43).
Dieses Schema wurde 1950 von Arbeitsbewertungsexperten als Basis für eine analytische Arbeitsbewertung entwickelt und unterteilt die Anforderungen noch einmal nach Fachkönnen und Belastung. Es soll eine Grundlage bilden, in der alle wesentlichen Elemente der Arbeitsschwierigkeit von Arbeitsplätzen enthalten sind und gleichzeitig betriebsspezifische Anpassungen durch weitere Unterteilungen ermöglichen. Eine Begründung für eine bestimmte Anzahl von Anforderungsarten existiert nicht.
3. Bewertungsverfahren: Rangreihen oder Stufenwertzahl
Hier wird zwischen Rangreihenverfahren und Stufenwertzahlverfahren unterschieden. Beim Rangreihenverfahren werden die Arbeitsplätze je Anforderungsart in eine Reihenfolge gebracht, beim Stufenwertzahlverfahren werden für jede Anforderungsart Stufen definiert und die Arbeitsplätze entsprechend zugeordnet (vgl. Ridder, 1999, S. 368 ff.).
Im Rangreihenverfahren werden für alle Anforderungsarten Reihen gebildet, in denen alle Arbeitsplätze nach Maßgabe ihrer Arbeitsschwierigkeit angeordnet werden. Dies geschieht z.B. durch Paarvergleich, indem jeder Arbeitsplatz mit allen anderen Arbeitsplätzen verglichen wird. In jeder Anforderungsart steht also derjenige Arbeitsplatz an der Spitze, der die höchste Arbeitsschwierigkeit aufweist und derjenige Arbeitsplatz am Ende der Reihe, der die niedrigste Arbeitsschwierigkeit aufweist.
Ordnet man jeder Stufe der Rangreihe einen Zahlenwert zu, erhält man eine hierarchische Rangfolge. In eindeutigen Fällen (Abteilungsleiter/Bote) ist die Zuordnung einfach zu leisten. Insbesondere in mittleren Bereichen (z.B. Sachbearbeitertätigkeiten) oder bei deutlich unterschiedlichen Berufen (Techniker/Buchhalter) ist diese Zuordnung schwieriger und meist Ergebnis von Verhandlungen bzw. Kompromissen.
Beim Stufenwertzahlverfahren werden die jeweiligen Anforderungsarten gestuft und die Arbeitsplätze entsprechend bewertet. Dadurch wird der umfangreiche Paarvergleich des Rangreihenverfahrens vermieden. Für jeden Arbeitsplatz wird nun geprüft, in welcher Stufe er je Anforderungsart einzustufen ist. Hier sollen Richtbeispiele der Tarifpartner oder vorher vereinbarte Eckpunkte (sog. Schlüsselarbeitsplätze) die Orientierung erleichtern. Die Summe der Punkte ergibt den Anforderungswert.
Die Zuweisung von Punkten auf der Basis unterschiedlicher Anforderungsstufen je Anforderungsart führt zu einer Gesamtpunktzahl, die die hierarchische Stellung des Arbeitsplatzes in einem Unternehmen ausweist.
4. Gewichtung: Die relative Bedeutung der Anforderungsarten
Verfahren, in denen allen Anforderungsarten ein gleiches Gewicht zukommt, haben sich in der Praxis nicht durchgesetzt, da gesellschaftliche Werte (z.B. höheres Gewicht von Kopf- gegenüber Handarbeit) und arbeitsmarktpolitische Entwicklungen (Knappheit von Qualifikationen) eine relative Gewichtung erzwingen. Entsprechend erhalten Anforderungsarten im Bereich der geistigen Anforderungen und der Verantwortung ein höheres relatives Gewicht als körperliche Anforderungen und Arbeitsbedingungen. In der Regel spiegelt die Gewichtung damit als Ergebnis von tariflichen oder betrieblichen Verhandlungen allgemein herrschende Wertvorstellungen wider und zeigt betriebspolitisch den Wandel in der Bewertung der Anforderungen auf. Die Gewichtung ist damit die entscheidende Stellgröße in der Konstruktion der Lohnstruktur.
5. Bewertung: die Ermittlung des Arbeitswertes
Die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrates. Die Bewertung der Arbeitsplätze oder die Entscheidung über die bewerteten Arbeitsplätze erfolgt daher in der Regel durch eine paritätisch besetzte Kommission. Hier werden also je Arbeitsplatz, bezogen auf Anforderungen, Rangreihenplätze vergeben oder Stufungen vorgenommen. Die Addition der Punktwerte führt zum Arbeitswert. Die quantifizierten Werte werden schließlich in eine Relation zu den Lohn- und Gehaltsstrukturen gebracht. Bspw. wird die niedrigste Wertzahl in Beziehung zum Tariflohn gesetzt und auf dieser Basis eine lineare Steigerung der Lohn- und Gehaltsstufen in Abhängigkeit von Arbeitswerten vorgenommen. Diese Lohnkurve ist nicht zwingend, sondern kann in Abhängigkeit von Verhandlungen variiert werden. So sorgt ein degressiver Kurvenverlauf dafür, dass in den unteren Lohngruppen die Löhne schneller steigen als in den oberen Lohngruppen. Im progressiven Kurvenverlauf ist der umgekehrte Effekt erzielbar. Hier steigen die Löhne/Gehälter in den oberen Bereichen schneller als die Arbeitswerte.
IV. Befunde zur analytischen Arbeitsbewertung
1. Objektivität, Lohngerechtigkeit und Funktionalität
Untersuchungen zur analytischen Arbeitsbewertung weisen in der Regel eine eher kritische Einschätzung dieser Verfahren auf. Schon früh hat Laske (vgl. Laske, 1977) nachgewiesen, dass Ansprüche, die Lohngerechtigkeit, Objektivität und Neutralität durch Arbeitsbewertung nahe legen, einer Nachprüfbarkeit nicht standhalten. Foit (vgl. Foit, 1978) bezeichnet Arbeitsbewertung deshalb als „ Lohnpolitik mit Hilfe von Fiktionen “ , da nach seinen Untersuchungen in Ermangelung gesicherter Maßstäbe die Bewertungen ausgehandelt werden. Vor diesem Hintergrund bezeichnen Bartölke et al. (vgl. Bartölke, et al. 1981) Arbeitsbewertung als Konfliktfeld. Empirisch wird aufgezeigt, dass Arbeitsbewertung selbst interessengeleitete Entscheidungen aufgrund methodischer Unzulänglichkeiten herausfordert, andererseits diese Entscheidungen aber durch die Starrheit und Kompliziertheit des Systems behindert werden. Die in Aussicht gestellte Funktionalität durch Verfahren erweist sich als mikropolitisches Spielfeld, in dem jeder Verfahrensschritt zur Disposition steht und zwischen den Beteiligten verhandelt wird, s. Tabelle 2 (vgl. Ridder, 1999, S. 371).
Tab. 2: Entscheidungspunkte im Verfahrensablauf der analytischen Arbeitsbewertung.
Arbeitsplatzbeschreibungen sind keine Widerspiegelung der Arbeitsrealität. Erfasst werden vorab festgelegte Standards einer komplexen Arbeitswirklichkeit, die in ihrer Vielschichtigkeit reduziert wird. Diese Reduktion erfolgt notwendigerweise, um eine gewisse Einheitlichkeit und damit Bearbeitbarkeit der Arbeitsplatzbeschreibungen zu realisieren. Je nach Interessen werden unterschiedliche Beschreibungstatbestände für relevant oder weniger relevant gehalten. Die Erfassung durch externe Beobachter, Vorgesetzte oder Arbeitnehmer unterliegen Phänomenen der Komplexitätsreduktion, Wahrnehmungsverzerrung und interessengeleiteter Wirklichkeitsinterpretation wie sie für Beurteilungen, z.B. in der Leistungsbewertung, gut bekannt sind (vgl. Liebel, /Oechsler, 1992; Personalbeurteilung).
Bewertet wird, was durch die Anforderungsarten vorgegeben ist. Werden bspw. eher geistige Tätigkeiten als Anforderungsarten definiert und manuelle Tätigkeiten weniger differenziert erfasst, können damit bestimmte Vorentscheidungen im Hinblick auf die spätere Lohnstruktur vorgenommen werden. Sollen bestimmte Arbeitnehmergruppen im Rahmen der Lohnstruktur gefördert werden, kann die Auswahl derjenigen Anforderungen, die durch diese Arbeitnehmergruppe besonders repräsentiert werden, zu einer relativen Verbesserung der Position in der Entlohnungshierarchie führen. Allerdings dient die Gewichtung als Korrektiv, die dafür sorgt, dass die am Arbeitsmarkt und zwischen den Tarifparteien entstandene lohnpolitische Balance nicht substantiell verändert werden kann. Hier ist insbesondere auf geschlechtsspezifische Diskriminierungen hinzuweisen. Auswahl, Definition und Gewichtung von Anforderungsarten werden in der Regel nicht geschlechtsspezifisch reflektiert. So werden bspw. muskelmäßige Anforderungen ganz selbstverständlich in Anforderungssysteme aufgenommen, die für Frauenarbeitsplätze typischen Anforderungen wie z.B. Geschicklichkeit sind jedoch selten vorzufinden. Umgekehrt spielt das Kriterium „ körperliche Belastung “ dort kaum eine Rolle, wo Frauen als Kassiererinnen oder Krankenpflegerinnen schwere körperliche Arbeit leisten (vgl. Krell, /Winter, 2001, S. 331). Analytische Arbeitsbewertung transportiert und übersetzt bestehende industrielle Frauenbilder (wonach Frauen eher leichte Dienstleistungsarbeit erbringen) und damit verbundene Ungleichgewichte. Der politische Charakter wird an dieser Stelle besonders deutlich, wenn mit dem Hebel der analytischen Arbeitsbewertung gesellschaftlich verankerte Diskriminierungen überwunden werden sollen. Krell (vgl. Krell, 2001, S. 31) argumentiert, dass der Macht- und Diskriminierungsgehalt sichtbar gemacht und damit Ansatzpunkte für eine Höherbewertung von Frauenarbeit aufgezeigt werden sollen. Auch hier ist zu berücksichtigen, dass nicht Verfahren für mehr Gerechtigkeit sorgen können. Vielmehr müssen in lohnpolitischen Verhandlungen Entscheidungen über die Aufnahme, Verwendung und Gewichtung von diskriminierungsfreien Entgeltkriterien getroffen werden. Auch diese Kriterien erreichen damit nicht den Status von objektiven Kriterien, sondern unterliegen als ausgehandelte Kriterien den o.a. Interpretationsspielräumen und mikropolitischen Unwägbarkeiten. Kommt es z.B. zu einer Höherbewertung von Frauenarbeit, sind Konflikte unausweichlich, wenn dies bei einer konstanten Lohnsumme zu einer Verschiebung der im Betrieb etablierten Verteilungsmodalitäten führt.
Dies führt zu der Frage, ob mit analytischer Arbeitsbewertung als kompliziertem Regelwerk nicht von den eigentlichen lohnpolitischen Fragen abgelenkt wird. Forschungsergebnisse zur Arbeit von Bewertungskommissionen verweisen darauf, dass es bei der Einführung von analytischer Arbeitsbewertung weniger auf die Anwendung von Regelwerken und den Vollzug von Methoden ankommt. Es wird ihr politischer und symbolischer Charakter betont (vgl. die Übersicht bei Montemayor, /Fossum, 1997). Gruppenprozesse befinden sich im Spannungsfeld der Durchsetzung von Partialinteressen einerseits und der symbolischen Absicherung der gemeinsam zu verabschiedenden Entgeltstruktur andererseits, mit allen bekannten Phänomenen der politischen Verhandlungskultur (vgl. Welbourne, /Trevor, 2000).
2. Technologische Entwicklung, neue Konzepte der Arbeitsorganisation
Analytische Arbeitsbewertung wurde konzipiert, um eine Abbildung und Ordnung hoch arbeitsteiliger Aufgaben zu ermöglichen, in der Absicht, nur diejenigen Anforderungen zu entlohnen, die als identifizierte Arbeitsschwierigkeit dokumentiert werden. Diese Dokumentation ist unproblematisch, wenn einfache, gut strukturierte Arbeitsaufgaben ohne größeren Aufwand erfasst werden und Arbeit in der Durchführung von festgelegten Routinen besteht. Eine höhere Veränderungsrate der Arbeitsschwierigkeit bei gleichzeitiger Rücknahme der Arbeitsteilung und der damit einhergehenden höheren Komplexität der Anforderungen erschwert die Beschreibbarkeit der Arbeitsplätze und erzeugt einen wachsenden Verwaltungsaufwand bei fein justierten Verfahren, da Änderungen in der Arbeitsschwierigkeit den Grundlohnanspruch verändern.
Aber auch die Ausführung von Arbeit verändert sich. Flexibilität, Rotation, kontinuierliche Verbesserung und Gruppenarbeit sind kaum in Übereinstimmung zu bringen mit dem Beschreibungs- und Ordnungsmuster der analytischen Arbeitsbewertung (vgl. Ridder, 1993). Wie Dombrowski (vgl. Dombrowski, 2000) in vergleichenden Fallstudien zeigt, kollidieren Ansprüche an neue Formen der Arbeitsgestaltung, insbesondere Gruppenarbeit, mit der bürokratischen Starrheit analytischer Arbeitsbewertungssysteme. Unternehmen entwickeln daher Verfahren, die eine Rücknahme der Analytik vorsehen (z.B. Arbeitssystembewertung, ganzheitliche Arbeitsbewertung) oder qualifikationsorientierte Entlohnungskomponenten einbeziehen, um eine höhere Flexibilität im Arbeitseinsatz zu realisieren (vgl. Tondorf, 1994; Bergmann, 1998). McNabb/Whitfield (vgl. McNabb, /Whitfield, 2001) identifizieren starke empirische Evidenz für einen konfliktären Zusammenhang zwischen analytischer Arbeitsbewertung und neuen Formen der Arbeitsgestaltung (Qualitätszirkel, Gruppenarbeit). Analytische Arbeitsbewertung wird danach in großen Organisationen mit starker gewerkschaftlicher Präsenz praktiziert und erzeugt eine gewisse Starrheit im Hinblick auf die Arbeits- und Entlohnungsstrukturen. Unternehmen mit neuen Formen der Arbeitsgestaltung reagieren dagegen eher auf turbulente Umweltveränderungen und etablieren Arbeits- und Entlohnungsstrukturen, die eine damit verbundene schnelle Anpassungsfähigkeit unterstützen. Als Schlussfolgerung für das Management wird betont, dass die Funktion des Entlohnungsmusters zu beachten ist. Analytische Arbeitsbewertung steht für Arbeitsschwierigkeit, Lohngerechtigkeit, Ordnung, Hierarchie, Laufbahn. Neue Formen der Arbeitsorganisation stehen eher für Qualifikation, Anpassungsfähigkeit, Geschwindigkeit und Ergebnisorientierung.
V. Zusammenfassende Bewertung
Was ist Arbeit wert? Wie kann dieser Wert ermittelt werden und lässt sich dieser Arbeitswert an Löhne und Gehälter knüpfen, die auf ganz anderen Ebenen ausgehandelt werden? Mit diesem recht komplexen Phänomen beschäftigt sich Arbeitsbewertung. Zunächst werden Löhne und Gehälter auf unterschiedlichen Ebenen ausgehandelt. Arbeitsmarkt, Tarifparteien und individuelle Vertragsgestaltung sind die wesentlichen Einflussgrößen. Innerbetriebliche Entlohnungsmethoden sind daran zu messen, ob sie spezifische Funktionen im Rahmen personalwirtschaftlicher Ziele erfüllen helfen, bspw. Motivationsfunktion, Leistungssicherungsfunktion, Karriereorientierung etc. In dieser Hinsicht ist insbes. analytische Arbeitsbewertung eher kritisch zu betrachten (vgl. Ridder, 2001). Gerechtigkeits- und Objektivitätsansprüche sind nicht einlösbar, auch Arbeitsbewertung ist Lohnpolitik. Insbesondere funktionale Probleme führen dazu, dass Unternehmen Alternativen zur Anforderungsorientierung in diesem engeren analytischen Sinne suchen. Sie kollidiert insbes. mit Ansprüchen an flexiblen Arbeitseinsatz in neuen Formen der Arbeitsorganisation. Im Zuge einer schnelleren Veränderung der Arbeitsplätze durch technologische Umbrüche oder bei schnellerem Modell- bzw. Produktwechsel sind bei differenzierten Verfahren häufigere Arbeitsplatzbewertungen erforderlich, was aus unternehmerischer Sicht nicht nur einen hohen Verwaltungsaufwand bedeutet, sondern auch die Legitimation der Entlohnung in Frage stellt. Neuere Verfahrensentwicklungen der Arbeitssystembewertung bemühen sich daher, die Feindifferenzierung zurückzunehmen und stärker summarische Komponenten zu verwenden. Auf diese Weise werden die durch neue Formen der Arbeitsorganisation erwünschten Rotationsmöglichkeiten in und zwischen Gruppen erleichtert.
Andererseits kann argumentiert werden, dass analytische Arbeitsbewertung ein innerbetriebliches Regelwerk darstellt, das betriebswirtschaftlich erwünschte Äquivalenzprinzipien fördert (vgl. Kosiol, 1962) und potenziell die Berücksichtigung von Arbeitnehmerzielen zulässt. Wenn die Verhandlungspartner bereit sind, die notwendigen Verhandlungen zu führen, ist es gerade die umfassende Einbindung von Arbeitnehmervertretern, die die Akzeptanz von Lohnsystemen fördert (vgl. Milkovich, /Newman, 1999, S. 110). Dies gilt allerdings auch für weniger komplizierte und aufwendige Lohnsysteme.
Literatur:
Bartölke, K. : Konfliktfeld Arbeitsbewertung, Frankfurt/Main 1981
Bergmann, R. : Lohndifferenzierung bei betrieblicher Gruppenarbeit am Beispiel der deutschen Automobilindustrie, Frankfurt/Main 1998
Dombrowski, T. : Gruppenarbeit und Entgeltsysteme: Ein Beitrag zur Untersuchung der Wirkung von Entgeltsystemen auf die Personaleinsatzflexibilität, München 2000
Foit, O. : Analytische Arbeitsbewertung, der Prozess ihrer Einführung als Methodenkritik, Berlin 1978
Förster, G./Hausmann, P. : Der Bundesentgelttarifvertrag der chemischen Industrie – Geschichte, Erfahrungen und Perspektiven, in: WSI-Mitteilungen, Jg. 46, H. 12/1993, S. 782 – 789
Gomberg, W. : Arbeitsbewertung: Ein praktisches Handbuch für Gewerkschafts- und Betriebs-Funktionäre, Köln 1952
Kosiol, E. : Leistungsgerechte Entlohnung, Wiesbaden 1962
Krell, G. : Zur Analyse und Bewertung von Dienstleistungsarbeit. Ein Diskussionsbeitrag, in: Industrielle Beziehungen, Jg. 8, H. 1/2001, S. 9 – 36
Krell, G./Winter, R. : Anforderungsabhängige Entgeltdifferenzierung: Orientierungshilfen auf dem Weg zu einer diskriminierungsfreien Arbeitsbewertung, in: Chancengleichheit durch Personalpolitik, hrsg. v. Krell, G., Wiesbaden 2001, S. 321 – 342
Laske, S. : Die „ Anforderungsgerechtigkeit “ in der Arbeitsbewertung oder die Funktion von Fiktionen, in: Arbeit im Konflikt, hrsg. v. Gohl, J., München 1977, S. 142 – 162
Liebel, H. J./Oechsler, W. A. : Personalbeurteilung, Wiesbaden 1992
Lücke, W. : Arbeitsleistung und Arbeitsentlohnung, Wiesbaden 1992
McNabb, R./Whitfield, K. : Job Evaluation and High Performance Work Practices: Compatible or Conflictual?, in: Journal of Management Studies, Jg. 38, H. 2/2001, S. 293 – 313
Milkovich, G. T./Newman, J. M. : Compensation, Boston 1999
Montemayor, E. F./Fossum, J. A. : Rational or Symbolic? A Field Study of the Impact of Group Discussion on Job Evaluation Ratings, in: The Journal of Psychology, Jg. 13, H. 4/1997, S. 417 – 425
Nienhüser, W. : Die historische Entwicklung der Grundlohndifferenzierung. Eine Erklärungsskizze auf macht- und transaktionskostentheoretischer Grundlage, in: Entgeltsysteme: Lohn, Mitarbeiterbeteiligung und Zusatzleistungen, hrsg. v. Weber, W., Stuttgart 1993, S. 233 – 268
Ridder, H.-G. : Arbeitsbewertung als Methode der Personalforschung, in: Empirische Personalforschung: Methoden und Beispiele, hrsg. v. Becker, F. G./Martin, A., München et al. 1993, S. 173 – 187
Ridder, H.-G. : Personalwirtschaftslehre, Stuttgart 1999
Ridder, H.-G. : Materielle und immaterielle Leistungsanreize, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, hrsg. v. Blanke, B. et al., 2. A., Opladen 2001, S. 213 – 221
Schettgen, P. : Arbeit, Leistung, Lohn: Analyse- und Bewertungsmethoden aus sozioökonomischer Perspektive, Stuttgart 1996
Siegel, T. : Leistung und Lohn in der nationalsozialistischen „ Ordnung der Arbeit “ , Opladen 1989
Tondorf, K. : Modernisierung der industriellen Entlohnung: Neue Modelle der Entgeltgestaltung und Perspektiven gewerkschaftlicher Tarifreform, Berlin 1994
Welbourne, T. M./Trevor, C. O. : The Roles of Departmental and Position Power in Job Evaluation, in: Academy of Management Journal, Jg. 43, H. 4/2000, S. 761 – 771
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