Keynessche Theorie
Gegenstand der K. ist die (kurzfristige) Erklärung der Höhe von Volkseinkommen und Beschäftigung . Bis Anfang der 30er Jahre war die (Neo -) Klassische Theorie weithin akzeptiert, die bei marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften (Wirtschaftswissenschaf) von einer inhärenten Tendenz zu Vollbeschäftigung ausging. Als Alternative zu dieser offenkundig in Widerspruch zur damaligen Realität anhaltender Arbeitslosigkeit stehenden Theorie legte J. M. Keynes 1936 mit seiner "General Theory" einen neuen, umfassenderen (da andauernde Unterbeschäftigung einschließenden) Erklärungsansatz vor. Dabei ging Keynes bewußt von einer nur aus (privaten) Haushalten und Unternehmen (Betrieb , I.) bestehenden Wirtschaft aus, um die aus dem Verhalten des privaten Sektors resultierenden Ursachen für die Höhe von Einkommen und Beschäftigung aufzuzeigen. Erst später wurden Staat und Ausland in den Ansatz eingefügt. Die Grundgedanken der K. sind recht einfach: Gleichsam in Umkehrung des Sayschen Theorems (eines Kernstücks der Klassischen Theorie), wonach sich jedes Angebot seine Nachfrage schafft, liegt für Keynes der Schlüssel für die Höhe von Einkommen und Beschäftigung in der Gesamtnachfrage (gesamtwirtschaftliche Güternachfrage). Auf Dauer werden die Produzenten nämlich nicht mehr Güter produzieren, als nachgefragt werden. Die Produktion bildet zugleich das gesamtwirtschaftliche Angebot (gesamtwirtschaftliches Güterangebot) YS und das reale Volkseinkommen Yr. Bei gegebener Technik und Kapitalausstattung bestimmt die Produktion den Bedarf an Arbeitskräften, die Beschäftigung. Die Nachfrage muß jedoch nicht so hoch sein, daß sie eine Vollbeschäftigungsproduktion verlangt. Keynes setzt daher mit seiner Erklärung bei den Ursachen der für die Produzenten wirksamen, effektiven Nachfrage YD an, nämlich der Konsumgüternachfrage (C) der Haushalte und der Investitionsnachfrage (I) der Unternehmen (in erweiterter Sicht auch Staats-(CG) und Auslandsnachfrage (X)). Nach Keynes unterliegt der Konsum einem "fundamentalen psychologischen Gesetz", wonach Haushalte ihren Konsum am laufenden Einkommen der Periode ausrichten, zusätzliche Einkommensteile aber nicht voll ausgeben. Die Keynessche Konsumfunktion (auch: absolute Einkommenshypothese genannt) lautet daher (in einfachster Form): C = cY (wobei 0 < c < 1); c = marginale Konsumquote; Konsumtheorie . Sie determiniert zugleich die Sparfunktion als: S = sY (wobei s = 1 c); s = marginale Sparquote; Konsumtheorie . Die Bestimmungsgründe der investiven Nachfrage (I) sind wesentlich komplexerer Natur (Investitionstheorie). Nach Keynes wird I u.a. vor allem vom Marktzinssatz i und (schwankenden) Ertragserwartungen bestimmt. I ist damit weit weniger stabil als die Konsumnachfrage. Bei gegebenen Erwartungen lautet die Investitionsfunktion somit: I = I(i), wobei I allerdings wenig zinselastisch sein kann. Durch Zusammenfassung beider Funktionen gelangt man zur Gesamtnachfragefunktion oder Funktion der einkommenswirksamen Ausgaben (A), kurz Ausgabenfunktion (die in erweiterter Sicht auch die Nachfrage-/Ausgabenkomponenten CG und X einschließt): YD = A = C(Y) + I(i). Da nach Keynes die Ausgaben unmittelbar die Einkommensentstehung bestimmen, folgt aus der Ausgabenfunktion die das Volkseinkommen bestimmende Einkommensfunktion: Y = C(Y) + I(i). Von besonderer Bedeutung ist für Keynes die Analyse des Einflußfaktors Zins (i). Er weist die klassische Ansicht zurück, wonach sich i durch Ausgleich von S und I am Kapitalmarkt bildet, weil sich S gar nicht vorrangig an i, sondern an Y orientiere. Nach Keynes wird die Höhe von i vielmehr am Geldmarkt durch das Zusammentreffen von gegebener Geldmenge (= Geldangebot) und der Liquiditätspräferenz (Geldnachfrage: Wunsch, Geld also Kasse zu halten), die nach Keynes aus drei Motiven resultiert:
a) dem einkommensabhängigen Transaktionsmotiv (Wunsch nach "aktiver Kasse"); b) dem (weniger wichtigen) Vorsichtsmotiv; c) dem neuen, bis dato nicht beachteten Spekulationsmotiv. Letzteres besagt, daß Geld gehalten wird, weil derzeitiger Zins und Zinsänderungserwartungen eine zinsbringende Geldanlage (noch) nicht sinnvoll erscheinen lassen (daher auch: "passive Kasse"). Dieser Teil der Geldnachfrage unterliegt nach Keynes im übrigen psychologisch bedingten Schwankungen. (Siehe auch Geldtheorie ,
3.) Durch diese Sicht wird die "klassische Dichotomie" von unverbundener Geld- und Gütersphäre zugunsten ihrer wechselseitigen Beeinflussung aufgegeben: Der Zins ist einerseits Ergebnis des Geldmarktes; seine Höhe beeinflußt aber die zinsabhängige Güternachfrage und damit Einkommen und Beschäftigung. Andererseits ist das Einkommen Bestimmungsgrund für die Transaktionskasse, wirkt somit auf die Geldnachfrage. Damit kann im Rahmen der K. die Frage nach der Höhe von Einkommen und Beschäftigung letztlich auch nur in einer simultanen Güter/-Geldmarktbetrachtung beantwortet werden (wie sie formal als IS/LM-Modell von Hicks in seiner Keynes-Interpretation vorgelegt wurde). Die Höhe von Einkommen und Beschäftigung wird durch das Verhältnis von geplantem Angebot (YS) und geplanter Nachfrage (YD) bestimmt. Das Einkommen wird letztlich die Höhe annehmen, bei dem diese beiden Größen übereinstimmen, also im Gleichgewicht sind. Im einfachsten Grundmodell gilt: Die tatsächliche Produktion Y entspricht dem geplanten Angebot, also YS = Y; die geplante Nachfrage lautet YD = C(Y) + I(i) . Werden zunächst Geldmarkteinflüsse ausgeklammert, also i konstant gesetzt, und vereinfachend von einer vorgegebenen Investition
ausgegangen, gilt im Gleichgewicht:
. Nach Umformungen ergibt sich das Gleichgewichtsvolkseinkommen:
. Seine Höhe ist also durch die Werte von und s bestimmt.
Fig. 1 zeigt die graphische Ableitung des Gleichgewichtseinkommens, das aber und dies ist eine der Kernaussagen der K. kleiner als das Vollbeschäftigungseinkommen sein kann. Das Gleichgewichtseinkommen wird übrigens auch als Einkommen bezeichnet, bei dem Übereinstimmung von Expansionsgrößen (= einkommenswirksame Ausgaben; unter Ausklammerung der privaten Konsumausgaben) und Kontraktionsgrößen (= nicht einkommenswirksame Teile der Einkommensverwendung) besteht. Also gilt im Gleichgewicht: C(Y) + I(i) [+CG + X* = C(Y) + S(Y) [+ T + Im* (* = nur in erweiterter Sicht berücksichtigt). Daraus resultiert für das Grundmodell: I(i) = S(y) . Bei autonomer Investition
und S(Y) = sY folgt dann ebenfalls:
. Es ist klar, daß z.B. durch Erwartungsänderungen hervorgerufene Schwankungen der nachfragewirksamen Ausgabekomponenten, insbesondere der Investitionen (siehe auch Konjunkturtheorie) zu Änderungen des Einkommens und damit der Beschäftigung führen müssen. So bewirkt bei gegebenem Zins eine Zunahme/Abnahme der Investition um
(allgemein: DA) eine Erhöhung/Senkung des Einkommens um den Faktor 1/s (s. oben), also
. Dieser Faktor ist der Einkommensmultiplikator oder Ausgabenmultiplikator (hier in seiner einfachsten Form; in erweiterter Sicht enthält er auch die Koeffizienten der Kontraktionsgrößen T und Im). Der Multiplikator ist größer als 1, da s < 1 (und er ist umso größer, je kleiner s ist). Daher wächst das Einkommen um mehr als die zusätzliche Nachfrage: DY > DI (vgl. Fig. 2). Umgekehrt senkt ein Ausgabenrückgang das Einkommen um mehr als den ursprünglichen Betrag.
Die Wirkungen des Einkommensmultiplikators werden allerdings meist durch Einflüsse des Geldmarkts abgeschwächt, da das durch den Multiplikatoreffekt steigende Einkommen zugleich eine Zunahme der Nachfrage nach Transaktionskasse bewirkt, die bei gegebenem Geldangebot im Normalfall nur durch eine Zinssteigerung aus der Spekulationskasse abgezogen werden kann. Diese Zinssteigerung ruft einen Rückgang der zinsabhängigen Investitionsnachfrage hervor und dämpft damit die Multiplikatorwirkung. Nur bei unendlicher Elastizität der Geldnachfrage (Liquiditätsfalle) würde der Einkommensmultiplikator voll wirksam werden. Umgekehrt würde in dieser Situation eine Geldmengenausweitung keine Zinssenkung mehr bewirken und deshalb keine Auswirkungen auf Einkommen und Beschäftigung haben können. Aus den bisherigen Überlegungen folgt als Bedingung für den Fortbestand eines einmal erreichten Vollbeschäftigungseinkommens, daß S weiterhin durch ein gleich großes I kompensiert werden muß. Haben die Unternehmer aber pessimistische Erwartungen, so mag die gesamte Investitionsneigung trotz niedriger Zinsen zurückgehen und als Kompensation nicht mehr ausreichen. Einkommen und Beschäftigung werden dann solange fallen, bis die durch das Einkommen bewirkte Ersparnis der geringer gewordenen geplanten Investition entspricht. Auf diesem niedrigeren Niveau kann die Wirtschaft längere Zeit verharren (Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung), denn für die Nachfrager gibt es wenig Gründe für neue, positive Erwartungen, die dem System die fehlenden Auftriebskräfte (= Nachfrage) zurückgeben könnten. Die immer wieder vorgeschlagenen Lohnsenkungen bieten für Keynes keinen gesicherten Ausweg aus der Krise. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, daß die Arbeitnehmer (Nominal-) Lohnsenkungen hinzunehmen bereit wären, würde dies letztlich allenfalls zu Zinssenkungen führen, die aber eben nicht zwingend die Investitionen anregen müssen (Keynes-Effekt). Aus der K. folgt der keynesianische Vorschlag für den Ausweg aus einer (konjunkturellen) Beschäftigungskrise: Wenn private Nachfrager keinen Anlaß zur Nachfrage sehen, muß der Staat an ihre Stelle treten. Mit einem wegen des Multiplikatoreffekts geringeren Ausgabenstoß kann er die Wirtschaft aus der Unterbeschäftigung herausführen (Finanzpolitik). Eine staatliche Parallelpolitik wie in den 30er Jahren praktiziert muß die Krise dagegen verschärfen. Geldpolitische Maßnahmen (Geldpolitik) mit dem Ziel, den Zins zu senken und dadurch Investitionen anzuregen, sind wegen der Natur der Investitionsfunktion und der Geldmarktbedingungen in dieser Situation weniger geeignet. Keynes’ Arbeiten werden weithin als wertvoller Beitrag zur Weiterentwicklung der Makroökonomik gewertet. Sein Ziel, eine "allgemeine" Theorie zu bieten, hält man jedoch für nicht erreicht. Kritik an der K. sowie der auf ihr basierenden Wirtschaftspolitik wurde vor allem von Seiten des Monetarismus und u.a. der Neuen Klassischen Makroökonomik geübt. Die Nachfrageorientierung der K. hat zudem als Gegenströmung die Angebotspolitik hervorgerufen. Dagegen versteht sich die postkeynesianische Theorie als Weiterentwicklung Keynesschen Gedankengutes.
Literatur: J. M. Keynes, The General Theory of Employment, Interest, and Money. London 1936. (Deutsch: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. Berlin 1936). O. Landmann, Keynes in der heutigen Wirtschaftstheorie, in: G. Bombach, H.-J. Ramser, M. Timmermann, W. Wittmann (Hrsg.), Der Keynesianismus I. Theorie und Praxis keynesianischer Wirtschaftspolitik. Berlin-Heidelberg-New York 1976, 133210. A. Paulsen, Neue Wirtschaftslehre. Eine Einführung in die Wirtschaftstheorie von John Maynard Keynes und die Wirtschaftspolitik der Vollbeschäftigung.
4. A., München 1972.
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