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Arbeitslosigkeit


Inhaltsübersicht
I. Wirkungen lang anhaltender Arbeitslosigkeit
II.  Definition und Messung
III.  Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit
IV.  Arten und Ursachen der Arbeitslosigkeit
V. Instrumente zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit

I. Wirkungen lang anhaltender Arbeitslosigkeit


Die hohe und lang anhaltende Arbeitslosigkeit gilt nach wie vor als das zentrale wirtschaftspolitische Problem der Bundesrepublik Deutschland. Seit über 25 Jahren wird das im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz kodifizierte Ziel eines hohen Beschäftigungsgrads verletzt, ohne dass in absehbarer Zukunft eine durchgreifende Besserung der Lage am Arbeitsmarkt erkennbar wäre. Dabei ist Arbeitslosigkeit mit erheblichen individuellen und sozialen Kosten verbunden. Der Verlust des Arbeitsplatzes verschlechtert nicht nur die wirtschaftliche Lage des Arbeitnehmers und damit seine Möglichkeiten zu Konsum, Vermögensbildung und Erwerb von Ansprüchen gegen das System sozialer Sicherung. Der Eintritt von Arbeitslosigkeit und der drohende Verlust des Arbeitsplatzes tangieren in hohem Maße die individuelle Wohlfahrt und die Lebensqualität des Betroffenen (Winkelmann, /Winkelmann,  1998). Darüber hinaus hat der Arbeitnehmer während der Dauer der Arbeitslosigkeit keine Möglichkeit, sein bereits erworbenes Wissen anzuwenden und weitere Berufserfahrung zu sammeln; dadurch verringert sich mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit sein Humanvermögen und die Chance auf Wiedereinstieg ins Erwerbsleben.
Gesamtwirtschaftlich bedeutet Arbeitslosigkeit zunächst einen Verzicht auf potenzielle Wertschöpfung und kaufkräftige Nachfrage; das Produktionspotenzial ist bei Arbeitslosigkeit weniger stark ausgelastet, als es bei Vollbeschäftigung sein könnte. Dadurch entgehen dem Fiskus Einnahmen aus der Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuer und den Sozialversicherungsträgern Beitragseinnahmen. Hinzu kommen die gesamtwirtschaftlichen Kosten, die dem Staat und den Sozialversicherungsträgern entstehen

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für die Unterstützung Arbeitsloser durch Arbeitslosengeld, Arbeitslosen- und Sozialhilfe,

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für die Maßnahmen zur Wiedereingliederung Arbeitsloser in das Erwerbsleben durch die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik und

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für die Maßnahmen zur „ Entlastung “ des Arbeitsmarktes durch eine Politik der gezielten Verringerung des Arbeitskräfteangebots wie bspw. des vorgezogenen Ruhestandes wegen Arbeitslosigkeit.


Weitere soziale Kosten hoher und lang anhaltender Arbeitslosigkeit können politische Instabilitäten und die Gefährdung des inneren Friedens sein.

II. Definition und Messung


Aufgrund der wirtschafts- und gesellschaftspolitisch zentralen Bedeutung des Vollbeschäftigungsziels wäre eine exakte Definition und Operationalisierung der Arbeitslosigkeit wünschenswert. Grundsätzlich lässt sich Arbeitslosigkeit als die Gesamtheit der Arbeitswilligen und Arbeitsfähigen definieren, die unter den gegebenen Marktbedingungen nicht in der Lage sind, eine ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit auszuüben. Allerdings ist Arbeitslosigkeit in dieser umfassenden Definition nicht quantifizierbar. Um Arbeitslosigkeit empirisch messbar zu machen, definiert die Bundesanstalt für Arbeit all jene arbeitsfähigen Inländer als arbeitslos, die bereit sind, eine zumutbare, über drei Monate hinausgehende und wöchentlich mindestens 15 Stunden umfassende Tätigkeit sofort anzunehmen. Diese Personen werden in der Kartei der Arbeitsämter als arbeitssuchend aufgenommen und als „ registrierte Arbeitslose “ erfasst. Demgegenüber orientiert sich das Statistische Bundesamt bei seiner Berechnung der Zahl der Arbeitslosen am international gängigen labour-force Konzept, d.h. als erwerbslos gelten alle Personen über fünfzehn Jahre, die nicht in entlohnter Beschäftigung stehen oder selbstständig sind, gegenwärtig für eine Beschäftigung verfügbar sind und sich selbst als beschäftigungssuchend einstufen. Dieser Personenkreis wird durch repräsentative Befragung ermittelt. Der Kreis der Erwerbslosen unterscheidet sich von der Zahl der registrierten Arbeitslosen also um die Zahl jener Personen, die, ohne beim Arbeitsamt gemeldet zu sein, sich selbst als arbeitssuchend einstufen sowie um die Zahl jener, die zwar bei den Arbeitsämtern gemeldet sind, sich aber selbst nicht mehr als arbeitssuchend bezeichnen. Zusätzlich enthält die Zahl der Erwerbslosen auch jene Arbeitnehmer, die ausschließlich eine kurzfristige oder geringfügige Erwerbstätigkeit suchen.
Die amtliche Statistik gibt das wahre Ausmaß der Betroffenheit von Arbeitslosigkeit damit nur ungenau wieder. Bei der Ermittlung der Zahl der Arbeitslosen durch die Bundesanstalt für Arbeit treten sowohl Über- wie Untererfassungen des wahren Ausmaßes der Unterbeschäftigung auf. Eine Übererfassung der Zahl der Arbeitslosen liegt vor, sofern die formale Meldung als Arbeitsloser lediglich mit dem Ziel erfolgt, soziale Leistungen zu beziehen. Allerdings entzieht sich die Zahl dieser sog. „ vermittlungsfernen “ registrierten Arbeitslosen einer empirischen Messung. Auf der anderen Seite weist die offizielle Arbeitslosenquote die Zahl der Arbeitssuchenden zu niedrig aus, da bestimmte Personengruppen, die nach obiger Definition als arbeitslos einzustufen wären, nicht als Arbeitslose registriert sind; man bezeichnet diese Personen als „ verdeckt “ Arbeitslose. Darunter fallen alle Arbeitnehmer, die sich in Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen und in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit befinden sowie die Bezieher von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Unberücksichtigt bleiben weiterhin alle, die zwar prinzipiell bereit wären, ihre Arbeitskraft anzubieten, die aber aufgrund der schlechten Arbeitsmarktlage und ihrer ohnehin geringen Vermittlungschancen am Arbeitsmarkt auf eine Registrierung als Arbeitsloser verzichten (sog. „ stille Reserve “ ). Tab. 1 zeigt die wesentlichen arbeitsmarktpolitischen Indikatoren für die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2000.
Arbeitslosigkeit
Tab. 1: Arbeitsmarktpolitische Indikatoren für Deutschland (Quelle: Sachverständigenrat (2002, Tab. 15*, S. 610).)

III. Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit


Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit der letzten drei Jahrzehnte ist in den OECD-Staaten von bestimmten internationalen Gemeinsamkeiten, aber auch nationalen Besonderheiten gekennzeichnet. So stiegen die Arbeitslosenquoten in den Rezessionsphasen Mitte der 1970er, Anfang der 1980er und Anfang der 1990er-Jahre in allen Volkswirtschaften des OECD-Raums sprunghaft an. Eine Sonderentwicklung weisen nur Schweden und Japan auf. Allerdings unterscheiden sich die Verläufe der Arbeitslosenquoten in den darauf folgenden konjunkturellen Aufschwungphasen erheblich. Während es den USA, ab Mitte der 1980er-Jahre auch Großbritannien und den Niederlanden gelang, die Arbeitslosenquote in Phasen der wirtschaftlichen Erholung wieder auf das Niveau der späten 1970er-Jahre zu senken, ist in der Bundesrepublik Deutschland der wirtschaftliche Aufschwung nur mit einem verhaltenen Abbau der Arbeitslosigkeit verbunden. In der Folge steigt die Arbeitslosenquote von Rezession zu Rezession an; dieser zeitliche Verlauf der Arbeitslosenquote wird in der Literatur als „ Hysterese “ bezeichnet.
Abb. 1 veranschaulicht diesen Sachverhalt. Die Arbeitslosenquote steigt in der Rezession der Jahre 1974/75, 1981 und 1991 sprunghaft an und sinkt in den folgenden Jahren nur geringfügig. Infolgedessen stieg die Sockelarbeitslosigkeit von zunächst 3,2% (1980) auf über 6% (1991) stetig an. Die Integration der neuen Bundesländer in das bisherige Bundesgebiet und die Transformation der ostdeutschen Wirtschaft konfrontiert den deutschen Arbeitsmarkt mit einer zusätzlichen Sonderbelastung. Im Verlauf des Transformationsprozesses stieg die Zahl der registrierten Arbeitslosen in den neuen Ländern von 913 Tsd. in 1991 auf 1,4 Mio. in 2000. Die Arbeitslosenquote beläuft sich deutschlandweit auf 10,2%; rechnet man die Zahl der „ verdeckt “ Arbeitslosen hinzu, so steigt diese Quote auf 13,2% (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung,  2002, Tab. 15*, S. 610).
Arbeitslosigkeit
Abb. 1: Entwicklung der Arbeitslosenquote in Deutschland (Quelle: Sachverständigenrat (1999))

IV. Arten und Ursachen der Arbeitslosigkeit


1. Arten der Arbeitslosigkeit


Die Frage nach den Ursachen der Arbeitslosigkeit ist Gegenstand der Arbeitsmarkttheorie. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse ist es dann möglich, die Arbeitslosigkeit nach ihren Erscheinungsformen zu klassifizieren und ursachenadäquat zu quantifizieren. Grundsätzlich kann man unterscheiden, ob der Arbeitsmarkt im Aggregat ausgeglichen ist, d.h. ob den registrierten Arbeitslosen eine gleich hohe Anzahl an gemeldeten offenen Stellen gegenübersteht, oder ob ein aggregiertes Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt existiert. Im ersten Fall spricht man von mismatch-bedingter, im zweiten Fall von niveaubedingter Arbeitslosigkeit.

a) Mismatch-bedingte Arbeitslosigkeit


Sucharbeitslosigkeit
Mismatch-bedingte Arbeitslosigkeit zeichnet sich durch ein Nebeneinander von registrierter Arbeitslosigkeit und gemeldeten offenen Stellen aus. Ein erster Ansatzpunkt, der dieses Phänomen erklären kann, ist das Konzept der Sucharbeitslosigkeit bzw. der friktionellen Arbeitslosigkeit. Friktionelle Arbeitslosigkeit entsteht durch Arbeitsplatzwechsel, bei dem sich die neue Arbeitsstelle in zeitlicher Hinsicht nicht nahtlos an das bisherige Beschäftigungsverhältnis anschließt. Ein gewisses Maß an friktioneller Arbeitslosigkeit ist allen modernen Industriegesellschaften inhärent. Die Dauer der Suche und damit der Umfang der Sucharbeitslosigkeit ist allerdings abhängig von der Situation am Arbeitsmarkt und von der Ausgestaltung der Lohnersatzleistung im Fall der Arbeitslosigkeit. Bei angespanntem Arbeitsmarkt wird die Dauer der Suche länger ausfallen, insbesondere dann, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht auf eine Kündigung des Arbeitnehmers zurückgeht, sondern durch Entlassung bedingt ist. Darüber hinaus ist die Dauer der Vergabe von Lohnersatzleistungen für den Umfang der Sucharbeitslosigkeit entscheidend, da während des Bezugs von Lohnersatzleistungen der Zwang entfällt, jedes sich bietende Beschäftigungsverhältnis unabhängig von den Beschäftigungsbedingungen zu akzeptieren.
Strukturelle Arbeitslosigkeit
Während bei fluktuationsbedingter Arbeitslosigkeit davon auszugehen ist, dass die offenen Stellen prinzipiell vom vorhandenen Arbeitskräftepotenzial besetzt werden könnten, unterscheidet sich bei struktureller Arbeitslosigkeit die Zusammensetzung der Arbeitskräftenachfrage systematisch von der des Arbeitsangebots. Typische Strukturmerkmale der Arbeitslosigkeit sind die Qualifikation des Arbeitnehmers, sein Wohnsitz, das Alter, das Geschlecht und der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers. In der wirtschaftspolitischen Diskussion wird häufig von der empirischen Struktur der Arbeitslosigkeit auf ihre Kausalität geschlossen. Dieser direkte Schluss ist jedoch unzulässig, da die Struktur der Arbeitslosen in qualifikatorischer und personeller Hinsicht ebenso das Ergebnis eines Sortierprozesses am Arbeitsmarkt sein kann. Wenn bspw. die Unternehmen aufgrund eines zu hohen Lohnniveaus ihre Belegschaft reduzieren müssen, so werden sie zunächst jene Arbeitnehmer entlassen, deren Produktivität das geforderte Lohnniveau unterschreitet. Der Pool der Arbeitslosen ist dann mit weniger Qualifizierten und mit Arbeitnehmern mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit besetzt; ursächlich für die Arbeitslosigkeit sind jedoch nicht die persönlichen Merkmale der Arbeitslosen, sondern das zu hohe Lohnniveau. Ein Indiz hierfür ist die Tatsache, dass bei entspannter Lage auf dem Arbeitsmarkt auch Arbeitnehmer mit einem oder mehreren Vermittlungshemmnissen wieder in den Erwerbsprozess integriert werden können.

b) Niveaubedingte Arbeitslosigkeit


Saisonale Arbeitslosigkeit
Unter saisonaler Arbeitslosigkeit versteht man jene Unterbeschäftigung, die durch jahreszeitlich bedingte Schwankungen in der Güter- und Dienstleistungsnachfrage verursacht wird. Das Auftreten saisonaler Arbeitslosigkeit ist zumindest grundsätzlich antizipierbar und auf bestimmte Branchen der Volkswirtschaft wie der Land- und Bauwirtschaft und einigen Dienstleistungssektoren des Tourismusgewerbes beschränkt. Das Ausmaß der saisonalen Arbeitslosigkeit hängt neben dem strukturellen Gewicht der betroffenen Sektoren in einer Volkswirtschaft insbesondere davon ab, wie leicht die in diesen Sektoren beschäftigten Arbeitnehmer eine anderweitige Beschäftigung finden können.
Konjunkturelle Arbeitslosigkeit
Von konjunktureller Arbeitslosigkeit spricht man, wenn die Unterbeschäftigung durch zyklische Schwankungen im Auslastungsgrad des Produktionspotenzials verursacht ist. Theoretisch rekurriert das Konzept der konjunkturellen Arbeitslosigkeit auf keynesianische Ansätze, in denen die Arbeitsnachfrage durch die Nachfrage auf den Produktmärkten rationiert wird. Ausschlaggebend für das Entstehen von Arbeitslosigkeit ist damit letzten Endes eine zu geringe Nachfrage auf den Gütermärkten, die sich in einer entsprechend geringeren Nachfrage nach Arbeitskräften niederschlägt. Sofern Arbeitslosigkeit ausschließlich konjunkturell bedingt wäre, müsste sie ein rein temporäres Phänomen darstellen, da die in der Rezession zusätzlich entstandene Arbeitslosigkeit in der anschließenden Aufschwungphase wieder vollständig abgebaut wird. Das Konzept konjunktureller Arbeitslosigkeit kann damit zwar den sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenquote in der Rezession und den Rückgang der Arbeitslosigkeit in der anschließenden Aufschwungphase erklären; es ist aber nicht in der Lage, eine Erklärung für persistente Arbeitslosigkeit und das oben beschriebene Phänomen der Hysterese zu liefern.
Lohnbedingte Arbeitslosigkeit
Das Konzept der lohnbedingten Arbeitslosigkeit greift auf die neoklassische Arbeitsmarkttheorie zurück. Nach diesem Ansatz ist die Menge der nachgefragten Arbeit einer bestimmten Qualifikation ausschließlich abhängig von ihrem Preis, also dem geforderten Lohnsatz. Dabei wird unterstellt, dass der Arbeitsmarkt nach den gleichen Gesetzen wie jeder Gütermarkt funktioniert. Auf den Produktmärkten lässt sich ein Überschussangebot stets durch sinkende Preise abbauen, da durch Preissenkungen die Nachfrage nach diesen Gütern steigt und das Angebot zurückgeht. Aggregierte Arbeitslosigkeit ist danach stets das Ergebnis eines zu hohen Lohnniveaus, und die Struktur der Arbeitslosigkeit reflektiert ein den jeweiligen Knappheitsverhältnissen nicht angemessenes Lohngefüge.
Dem wird entgegengehalten, dass auf dem Arbeitsmarkt auch bei sinkenden Löhnen nicht mit einem Rückgang des Arbeitsangebots zu rechnen sei. Denn bei rückläufigen Stundenlöhnen verringert sich zwar der Anreiz, in bisherigem Umfang erwerbstätig zu sein. Da die meisten Erwerbstätigen jedoch auf die Verwertung ihrer Arbeitskraft als dominierende Einkommensquelle angewiesen sind, reduziert sich bei sinkenden Erwerbseinkommen auch der Lebensstandard der Beschäftigten. Um das bisherige Einkommen bei gesunkenen Stundenlöhnen beizubehalten, werden die Arbeitnehmer daher versuchen, ihre Arbeitszeit auszudehnen. Sofern dieser Effekt die Anreizwirkung der Lohnsenkung übersteigt, reagiert das Arbeitsangebot „ anormal “ , d.h., ein sinkender Stundenlohnsatz führt dann nicht zu einem Rückgang, sondern zu einer Ausweitung des Arbeitsangebots. Weiterhin wird argumentiert, dass eine Absenkung des gesamtwirtschaftlichen Lohnniveaus keine Ausweitung der Arbeitsnachfrage nach sich zieht. Denn durch die Absenkung des Lohnsatzes entfällt gesamtwirtschaftlich kaufkräftige Nachfrage, sodass die Unternehmen gezwungen sind, ihre Preise nach unten anzupassen, um die geplante Produktionsmenge absetzen zu können. Wenn aber das Lohn- und Preisniveau in gleichem Umfang sinken, so bleiben die für die Beschäftigungsentscheidung relevanten realen Lohnkosten konstant; die Unternehmen hätten folglich keinen Anreiz, ihre Arbeitsnachfrage bei Lohnsenkungen auszuweiten. Beide Szenarien sind theoretisch zwar mögliche, empirisch aber weitgehend irrelevante Spezialfälle. Empirische Untersuchungen ergeben für entwickelte Volkswirtschaften lohnunelastische bis leicht positive Arbeitsangebotselastizitäten und durchgängig negative Nachfrageelastizitäten. Damit erweist sich eine zurückhaltende Lohnpolitik, die die Lohnzuwachsraten unter dem Produktivitätsfortschritt hält, als beschäftigungspolitisch erfolgreiche Strategie.
Aus Sicht der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie bleibt damit nur noch erklärungsbedürftig, weshalb es den Beschäftigten im Rahmen unserer Arbeitsmarktverfassung gelingt, Löhne in nicht-markträumender Höhe durchzusetzen, ohne sich einem Unterbietungswettbewerb seitens der Arbeitslosen auszusetzen. Eine Erklärung findet sich in der Insider-Outsider-Theorie. Dieser Ansatz geht davon aus, dass die Ersetzung eines Belegschaftsmitglieds durch einen firmenexternen Bewerber stets mit Fluktuationskosten verbunden ist. In Höhe dieser Fluktuationskosten ist es den Beschäftigten möglich, ihre Lohnforderungen über das markträumende Niveau anzuheben, ohne die Konkurrenz durch Außenseiter befürchten zu müssen.
Demographische und technologische Arbeitslosigkeit
Neben den oben angeführten Erklärungsansätzen werden in der wirtschaftspolitischen Diskussion noch der demographisch bedingte Anstieg des Arbeitskräftepotenzials und ein arbeitssparender technischer Fortschritt als Erklärung für die lang anhaltende Arbeitslosigkeit angeführt. Beide Argumente halten jedoch einer genaueren Überprüfung nicht Stand. Denn ein durch den Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge ins Erwerbsleben induzierter Anstieg des Erwerbspersonenpotenzials, also eine Erhöhung des Arbeitskräfteangebots, könnte bei funktionsfähigen Märkten stets durch Lohnsatzvariationen kompensiert werden. Gleiches gilt für die Beschäftigungseffekte des technischen Fortschritts. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Einsatz arbeitssparenden technischen Fortschritts auch eine Reaktion auf ein überhöhtes Lohnniveau sein kann.

V. Instrumente zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit


Ebenso vielfältig wie die Ansätze zur Erklärung der Arbeitslosigkeit sind die Vorschläge zur Bekämpfung der Unterbeschäftigung. Sieht man die Ursachen der Arbeitslosigkeit im Sinne der „ Job-Search-Theorie “ im Wesentlichen in einer unzureichenden Bereitschaft der Arbeitnehmer, niedriger entlohnte Offerten zu akzeptieren, so liegt es nahe, die Dauer der Lohnersatzleistungen zu kürzen und ihre Anspruchsvoraussetzungen zu verschärfen. Diese Politik ist jedoch nicht unumstritten, da bei Vorliegen unfreiwilliger Arbeitslosigkeit die Beschäftigungslosen zusätzlich zum Verlust ihres Arbeitsplatzes von Kürzungen der sozialen Leistungen betroffen wären. Zur Bekämpfung struktureller Arbeitslosigkeit dienen die von der Bundesanstalt für Arbeit geleisteten Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung sowie zur Umschulung Arbeitsloser und die Lohnkostenzuschüsse für Langzeitarbeitslose. An diesen Maßnahmen wird kritisiert, dass der Wiedereingliederungserfolg gering ist und dass die Gefahr einer Verdrängung von nicht-geförderten durch staatlich subventionierte Arbeitnehmer besteht. Das grundlegende Problem der aktiven Arbeitsmarktpolitik besteht jedoch darin, dass auch eine erfolgreiche aktive Arbeitsmarktpolitik lediglich die vorhandene Arbeitsnachfrage abdecken kann; ein Abbau der aggregierten Unterbeschäftigung ist dadurch nicht möglich.
Ob ein Abbau der niveaubedingten Arbeitslosigkeit durch den Einsatz einer antizyklischen Geld- oder Fiskalpolitik erreicht werden kann, ist ebenfalls fraglich. Denn selbst wenn die Arbeitslosigkeit keynesianischen Ursprungs wäre, müssten die Rezessionsphasen hinreichend genau prognostizierbar sein, und die zeitliche Verzögerung zwischen dem Einsatz der Maßnahme und seiner realwirtschaftlichen Wirkung dürfte nicht allzu lange ausfallen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die staatliche Stabilisierungspolitik nicht antizyklisch, sondern zyklusverschärfend wirkt. Aber auch eine erfolgreiche antizyklische Stabilisierungspolitik ist allenfalls in der Lage, konjunkturelle Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Ein Abbau der sich verfestigenden Sockelarbeitslosigkeit ist damit grundsätzlich nicht möglich.
Um das Problem der Hysterese wirksam anzugehen, sind institutionelle Reformen nötig, die die Machtverteilung zwischen Insidern und Outsidern am Arbeitsmarkt zugunsten der Arbeitslosen verbessern und deren Beschäftigungschancen erhöhen. Zu denken ist hier insbesondere an die Rücknahme überzogener Kündigungsschutzregelungen, institutionelle Reformen des Tarifvertragsrechts und eine grundlegende Reform der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
Literatur:
Brachinger, H./Carnazzi, S. : Erwerbstätigkeitsstatistik. Geschlossene Darstellung der zentralen Begriffe, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, H. 2/2000, S. 107 – 109
Franz, W. : Arbeitsmarktökonomik, 5. A., Berlin et al. 2003
Rothschild, K. W. : Theorien der Arbeitslosigkeit, München/Wien 1988
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, : Vor weitreichenden Entscheidungen. Jahresgutachten 1998/99, Stuttgart 1999
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, : Für Stetigkeit – gegen Aktionismus. Jahresgutachten 2001/02, Stuttgart 2002
Sesselmeier, W./Blauermel, G. : Arbeitsmarkttheorien. Ein Überblick, 2. A., Heidelberg 1998
Winkelmann, R./Winkelmann, L. : Why are the unemployed so unhappy? Evidence from panel data, in: Economica, Bd. 65, 1998, S. 1 – 16

 

 


 

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