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Geldmarkt und Geldmarktpolitik


Inhaltsübersicht
I. Begriff des Geldmarktes
II. Verfahren der Geldmarktsteuerung
III. Geldmarktsteuerung des Europäischen Systems der Zentralbanken

I. Begriff des Geldmarktes


In Abhängigkeit vom Untersuchungszweck, den Marktobjekten und Marktteilnehmern lassen sich drei verschiedene Geldmarktbegriffe unterscheiden. Der makroökonomische Geldmarkt beschreibt den Markt, auf dem Angebot und Nachfrage nach Geld (im Sinne der Geldvolumensdefinitionen M1, M2 oder M3) durch Kreditgeschäfte der Geschäftsbanken und Nichtbanken zusammentreffen. Unter dem Geldmarkt in der Praxis versteht man dagegen neben dem Kapitalmarkt einen Teil des übergeordneten Kreditmarktes als Gesamtheit von Angebot und Nachfrage nach finanziellen Aktiva. Das Abgrenzungskriterium ist hier die Fristigkeit der gehandelten Objekte, wonach der Geldmarkt den Markt für kurzfristige Kredite und der Kapitalmarkt den für mittel- und langfristige Kredite bezeichnet (Euro-Geldmarkt;  Geldmarktfonds;  Rentenmarkt). Der Geldmarkt im banktechnischen Sinne beschreibt den Markt für Zentralbankgeld (Sichtguthaben bei der Notenbank oder Geldbasis) als Dreh- und Angelpunkt der geldpolitischen Steuerung. Dabei wird je nach Marktteilnehmern eine enge von einer weiteren Definition unterschieden. Der Geldmarkt im engeren Sinne umfasst nur den Handel mit Zentralbankgeldüberschüssen zwischen Geschäftsbanken und teilweise auch Großunternehmen zum Zwecke des Liquiditätsausgleichs (Handels-Geldmarkt oder Banken-Geldmarkt). Dabei stellen Banken mit überschüssigen Zentralbankgeldguthaben ihre Überschüsse anderen Banken mit Zentralbankgelddefiziten als verzinsliche Geldleihe zur Verfügung. Je nach Fristigkeit eines solchen Kredits unterscheidet man zwischen Tagesgeld, Monats-, Dreimonats-, Sechsmonats- oder Zwölfmonatsgeld. Da ein großer Teil des Liquiditätsausgleichs bereits im internen Geldverkehr einzelner Bankengruppen erfolgt, treten an diesem Geldmarkt überwiegend deren Zentralinstitute auf. Während dadurch nur eine horizontale Umschichtung eines gegebenen Zentralbankgeldbestandes erfolgt, umfasst der Geldmarkt im weiteren Sinne auch die Transaktionen zwischen der Notenbank und den Geschäftsbanken, um die Versorgung des gesamten Bankensystems mit Zentralbankgeld zu steuern (Regulierungs-Geldmarkt). Dabei werden in der Regel Forderungstitel (gegenüber Geschäftsbanken, dem Staat oder privaten inländischen Nichtbanken) gegen Einlagen bei der Zentralbank gehandelt.

II. Verfahren der Geldmarktsteuerung


1. Geldbasis- oder Zinssteuerung


Geldschöpfung findet überwiegend durch Kreditgewährung der Geschäftsbanken an Nichtbanken statt. In dem Maße, in dem sich die Kredite auf Einlagenkonten bei den Banken niederschlagen, wird Giralgeld geschaffen. Dafür benötigen die Geschäftsbanken aus zwei Gründen Zentralbankgeld. Ein Teil der Einlagen wird als Bargeld abgefordert und ein weiterer Teil muss in Ländern mit Mindestreservevorschriften in Guthaben bei der Notenbank unterhalten werden, und/oder wird von den Geschäftsbanken freiwillig als Transaktions- oder Vorsichtskasse in Notenbankguthaben gehalten (Working balances). Die Nettonachfrage des Bankensystems nach Zentralbankgeld hängt vom Geldmarktsatz ab, zu dem die Geschäftsbanken Guthaben von der Notenbank erhalten (Refinanzierungszinssatz). Als einziger Nettoanbieter von Zentralbankgeld befindet sich die Notenbank auf dem Geldmarkt in einer Monopolposition. Sie kann deshalb entlang einer gegebenen Nachfragefunktion des Bankensystems nach Zentralbankgeld entweder die Menge (Geldbasis) oder den Preis (Geldmarktsatz) festlegen, um den Geldmarkt zu steuern. Im ersten Fall spricht man von Geldbasissteuerung, im zweiten Fall von Zinssteuerung. Da Geldbasis und Geldmarktsatz von der Notenbank sehr gut steuerbar sind, werden sie auch als Operating targets der Geldpolitik bezeichnet.
Geldbasis- und Zinssteuerung haben bei instabiler Geldnachfrage unterschiedliche Ergebnisse: Schwankungen der Geldnachfragefunktion führen bei festem Geldbasisziel zu Schwankungen des Geldmarktsatzes, bei festem Zinsziel zu Schwankungen der Geldbasis. Die Entscheidung einer Notenbank für eines der beiden Verfahren hängt deshalb davon ab, welche geldpolitische Konzeption sie verfolgt. Will sie das Preisniveau als geldpolitisches Endziel direkt über die Geldmarktzinssätze steuern (Inflation targeting), oder will sie den Wechselkurs als geldpolitisches Zwischenziel beeinflussen, so empfiehlt sich eine Zinssteuerung. Umgekehrt ist die Geldbasissteuerung der Zinssteuerung dann überlegen, wenn die Notenbank das nominelle BSP als Endziel ansteuert, oder wenn bei einem Geldmengen-Zwischenziel der Geldschöpfungsmultiplikator relativ stabil ist (Bofinger, /Reischle, /Schächter, 1996).

2. Geldmarktpolitische Instrumente


Um eine geldpolitische Konzeption durch Steuerung des Geldmarktes umzusetzen, benötigt eine Notenbank Instrumente, die eine dauerhafte Versorgung des Bankensystems mit dem benötigten Zentralbankgeld sicherstellen (Dauer-Refinanzierung), unerwünschte Geldbasisausdehnungen oder -schwankungen durch entgegengesetzte liquiditätspolitische Maßnahmen kompensieren (Sterilisation, Feinsteuerung) und gegebenenfalls die Bindung der Banken an die Zentralbank stärken.
Zur Steuerung des Geldmarktsatzes reichen grundsätzlich zwei Instrumente aus, die eine Obergrenze und eine Untergrenze setzen. Eine Obergrenze wird durch eine Refinanzierungsfazilität festgelegt, mit der die Notenbank den Geschäftsbanken Zentralbankgeld bereitstellt. Dabei setzt sie einen Zinssatz, zu dem sich die Banken jederzeit (in der Regel gegen Sicherheiten) mit Geldbasis versorgen können. Eine solche Fazilität kann als großzügig bemessene Kreditlinie (Standing facility) oder ohne quantitative Begrenzung (früher: Lombardsatz der Deutschen Bundesbank) ausgestaltet sein. Eine Untergrenze für den Geldmarktsatz wird durch eine Absorptions- oder  Einlagenfazilität gesetzt, mit der die Zentralbank den Geschäftsbanken eine kurzfristige Anlage von überschüssigem Zentralbankgeld zu einem festen Zinssatz ermöglicht. Sie ist vor allem in einem Festkurssystem nötig, in dem die Zentralbanken zu Interventionen am Devisenmarkt verpflichtet sind, die eine starke Geldbasisausweitung hervorrufen können. Diese muss dann durch entgegengerichtete liquiditätspolitische Maßnahmen kompensiert (sterilisiert) werden. Der Anlagesatz einer Absorptionsfazilität liegt in der Regel unterhalb des Zinssatzes einer Refinanzierungsfazilität. Die Laufzeit der beiden Fazilitäten ist entscheidend dafür, welcher Geldmarktsatz gesteuert wird. Bei täglicher Fälligkeit kann der Satz für Tagesgeld der Notenbank perfekt gesteuert werden, während die Sätze für längere Fristigkeiten davon nach oben oder unten abweichen.
Zur Steuerung der Geldbasis ist grundsätzlich das Instrument der Offenmarktgeschäfte mit festverzinslichen Wertpapieren ausreichend, bei denen die Notenbank eine bestimmte Geldbasismenge an die Geschäftsbanken im Rahmen einer Auktion versteigert. Der Geldmarktzins ergibt sich dabei aus dem Bietungsverhalten der Geschäftsbanken (Zinstender), wenn er nicht gleichzeitig von der Notenbank fixiert wird (Mengentender oder Festzinstender). Offenmarktgeschäfte können in zwei Varianten durchgeführt werden: Outright-Geschäfte, bei denen die Notenbank festverzinsliche Wertpapiere definitiv kauft (verkauft), und Wertpapierpensionsgeschäfte, bei denen mit dem Kauf (Verkauf) gleichzeitig ein Verkauf (Kauf) zu einem späteren Zeitpunkt vereinbart wird. Für die Steuerung der Geldbasis führen beide Varianten zum gleichen Ergebnis, wenn die Restlaufzeit bei einem Outright-Geschäft mit dem zeitlichen Abstand zwischen Ankaufs- und Rückkaufstermin eines Wertpapierpensionsgeschäftes übereinstimmt. Durch die Wahl der Laufzeit (Tag, Woche, Monat, Quartal oder Jahr) entscheidet die Notenbank darüber, über welchen Zeitraum die Geldbasis kontrolliert werden soll. Diese Instrumente können damit sowohl zur Dauer-Refinanzierung als auch zur Feinsteuerung und schnellen Absorption überschüssiger Liquidität eingesetzt werden. Wertpapierpensionsgeschäfte haben gegenüber Outright-Geschäften den Vorzug, dass sie keinen Einfluss auf die Marktkurse ausüben und auch nicht das (in der Europäischen Währungsunion gültige) Verbot der Notenbankfinanzierung öffentlicher Defizite via Ankauf von Staatspapieren durch die Notenbank unterlaufen.
Zins- und Geldbasissteuerung können durch das Instrument der Mindestreserve erleichtert werden. Die Notenbank beeinflusst dabei durch Wahl der Mindestreservesätze (i.a. auf Bankeinlagen) die von den Geschäftsbanken obligatorisch zu haltenden Zentralbankeinlagen. Dadurch kann die Abhängigkeit des Bankensystems von der Notenbank gestärkt, deren Sterilisationspotential erhöht und eine höhere Stabilität des Geldschöpfungsmultiplikators (zur Unterstützung einer Geldbasissteuerung) erreicht werden. Allerdings stellen unverzinsliche Mindestreserven eine Besteuerung der Banken dar, die zu Ausweichreaktionen auf Finanzplätze ohne Mindestreservebestimmungen (Euro-Geldmarkt;  Finanzinnovationen) und damit zu Allokationsverzerrungen führt.

III. Geldmarktsteuerung des Europäischen Systems der Zentralbanken


Das Europäische System der Zentralbanken (ESZB), bestehend aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken (NZB), ist für die Festlegung und Ausführung der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet zuständig. Das Instrumentarium der ESZB umfasst Offenmarktgeschäfte, ständige Fazilitäten und Mindestreservevorschriften. Dabei spielen die Offenmarktgeschäfte zur Steuerung der Zinssätze und Zentralbankgeldversorgung am Geldmarkt eine dominierende Rolle. Sie bestehen aus einem Hauptrefinanzierungsgeschäft und längerfristigen Refinanzierungsgeschäften, Feinsteuerungsoperationen und strukturellen Operationen. Mit dem Hauptrefinanzierungsgeschäft wird Zentralbankgeld wöchentlich mit einer Laufzeit von zwei Wochen und mit den längerfristigen Refinanzierungsgeschäften monatlich mit einer Laufzeit von drei Monaten versteigert. Die Durchführung geschieht dezentral von den NZB in Form eines Mengen- oder Zinstenders. Dabei werden Wertpapierpensionsgeschäfte abgeschlossen oder Wertpapiere verpfändet. Feinsteuerungsoperationen werden unregelmäßig und ohne standardisierte Laufzeit zum Ausgleich unerwarteter Liquiditäts- und Zinsschwankungen am Geldmarkt eingesetzt. Sie erfolgen in Form von befristeten Transaktionen, definitiven Käufen und Verkäufen von Aktiva, der Hereinnahme von Einlagen oder Devisenswapgeschäften. Durch strukturelle Operationen soll ein längerfristiger Einfluss auf die Bankenliquidität ausgeübt und dadurch die Abhängigkeit des Bankensystems vom ESZB erhöht werden. Sie können durch Wertpapierpensionsgeschäfte, Outright-Geschäfte und Emission von EZB-Schuldverschreibungen erfolgen.
Die insbesondere durch das Hauptrefinanzierungsinstrument gelenkten Bewegungen des Tagesgeldsatzes werden durch die beiden ständigen Fazilitäten nach oben und unten begrenzt. Mit der Spitzenrefinanzierungsfazilität erhalten die Geschäftsbanken für den Fall eines vorübergehenden Liquiditätsengpasses die Möglichkeit eines (unbegrenzten) Übernachtkredits gegen Sicherheiten zu einem im voraus festgelegten Zinssatz, der i.a. die Obergrenze für den Tagesgeldsatz am Geldmarkt bildet. Mit der Einlagenfazilität können sie Zentralbankgeldüberschüsse bis zum nächsten Geschäftstag (unbegrenzt) beim ESZB zu einem im voraus festgelegten Zinssatz als Einlage halten. Dieser Zinssatz bildet i.a. die Untergrenze für den Tagesgeldsatz am Geldmarkt.
Als flankierende Maßnahme zur Stabilisierung der Geldmarktsätze und Verstärkung der Abhängigkeit des Bankensystems vom ESZB unterliegen die im Euro-Währungsraum niedergelassenen Kreditinstitute der Mindestreserveverpflichtung. Basis sind die Monatsendbestände der reservepflichtigen Verbindlichkeiten, auf die ein von der EZB festgesetzter einheitlicher Mindestreservesatz (derzeit 2%) angewandt wird. Die Mindestreserveguthaben werden verzinst, um die Allokationsverzerrungen dieser Besteuerung gering zu halten. Der Zinssatz entspricht dem Durchschnittssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte des ESZB in der Mindestreserveerfüllungsperiode von einem Monat (Jarchow, H.-J. 2003; Europäische Zentralbank, 1999).
Literatur:
Bofinger, P./Reischle, J./Schächter, A. : Geldpolitik, München 1996
Duwendag, D./Ketterer, K.-H./Kösters, W. : Geldtheorie und Geldpolitik in Europa, 5. A., Berlin et al. 1999
Europäische Zentralbank, : Jahresbericht 1998, Frankfurt/M. 1999
Europäische Zentralbank, : Monatsberichte, Frankfurt/M. ab Januar 1999
Jarchow, H.-J. : Theorie und Politik des Geldes, 11. A., Göttingen 2003
Menkhoff, L. : Monetary Policy Instruments for European Monetary Union, Berlin et al. 1997

 

 


 

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