Pensionierung
Inhaltsübersicht
I. Begriff und Bedeutung
II. Realisationsformen und Reformmaßnahmen
III. Grundzüge betrieblicher Pensionierungspolitik
IV. Entwicklungstendenzen und Ausblick
I. Begriff und Bedeutung
1. Definition
Je nach dem Kreis der einbezogenen Statusgruppen lassen sich eine „ Pensionierung im engeren Sinn “ und eine „ Pensionierung im weiteren Sinn “ unterscheiden. Pensionierung im engeren Sinn bezieht sich auf den Übergang der Beamten in den Ruhestand. Im weiteren, hier vertretenen Sinn, erstreckt sich die Pensionierung auf eine formalisierte endgültige alters- oder erwerbsunfähigkeitsbedingte Beendigung der Berufstätigkeit von Erwerbstätigen. Mit der Pensionierung verknüpft sich der Bezug eines Altersruhegeldes (Pension oder Altersrente) oder einer Erwerbsunfähigkeitsrente.
2. Stakeholderbezogene Bedeutung
Zentrale Stakeholdergruppen im Pensionierungsprozess sind der Staat, Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die staatlichen Rahmenbedingungen, insb. in Bezug auf die Ausgestaltung der Alterssicherungssysteme, bewegen sich im Spannungsverhältnis zwischen sozialpolitischen Ansprüchen, arbeitsmarktpolitischen Instrumentalisierungen und finanziellen Restriktionen. Unter sozialpolitischen Aspekten sollen die Alterssicherungssysteme einen Beitrag zur Lebensstandardsicherung leisten. Aus arbeitsmarktpolitischen Gründen findet v.a. durch die Förderung der Frühverrentung seit den 1980er-Jahren eine intergenerative Umverteilung zugunsten jüngerer Arbeitnehmer statt mit dem Ziel, die Arbeitslosigkeit zu senken. Unter Finanzierungsgesichtspunkten stehen aufgrund der demographischen Entwicklung die umlagefinanzierten Alterssicherungssysteme vor einer großen Bewährungsprobe. Würden die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) – dem größtem Alterssicherungssystem – ausschließlich durch Beiträge finanziert, hätte der Beitragssatz 2001 bereits 28% betragen müssen (Schnabel, 2001, S. 1). Spezifische Finanzierungsprobleme der Altersversorgung des öffentlichen Dienstes ergeben sich insb. als Folge der starken Mitarbeiterexpansion in den 1960er- und 1970er-Jahren in Verbindung mit der rückläufigen Bestandsentwicklung aufgrund von Einstellungsstopps und Privatisierungen in jüngerer Zeit (Heubeck, /Rürup, 2000, S. 6).
Für die Arbeitgeber bildet die Pensionierungspolitik (siehe III.) ein Instrument zur Gestaltung des Personalbestandes, wobei in den 1990er-Jahren der Einsatz der Pensionierung zum Personalabbau dominierte. Das Angebot einer betrieblichen Altersversorgung zählt traditionell zu den freiwilligen betrieblichen Sozialleistungen.
Aus Sicht des Arbeitnehmers bildet die Pensionierung einen zentralen Einschnitt in die Lebensgestaltung, lange primär als kritisches Lebensereignis diskutiert. Krisenhafte Anpassungsprozesse können z.B. durch eine sich verschlechternde materielle Situation, durch eine geringere gesellschaftliche Anerkennung der Ruheständler und durch die Notwendigkeit, sich in eine neue Rolle einzufinden, ausgelöst werden. Untersuchungen (z.B. Lehr, 1996, S. 238 ff.) zeigen, dass Arbeitnehmer gegen Ende der 1950er- und zu Beginn der 1960er-Jahre die Pensionierung am stärksten herbeisehnten, sich bei Arbeitern im Vergleich zu Angestellten eine größere Bereitschaft zur vorzeitigen Berufsaufgabe erkennen lässt, die subjektive Zufriedenheit mit dem Beruf in den fünf Jahren vor der Pensionierung positiv mit der Einstellung zur Berufsaufgabe korreliert und ein positiver Zusammenhang zwischen der finanziellen Absicherung und der Berufsaufgabe besteht. Die Lebenssituation im privaten Bereich (z.B. familiäre und außerfamiliäre Interessen) gilt für den Anpassungsprozess an den Ruhestand als das ausschlaggebende Moment (Lehr, 1996, S. 247).
II. Realisationsformen und Reformmaßnahmen
1. Grundformen der Alterssicherung in Deutschland
Wesentliche Vorgaben zum Bezug des Altersruhegeldes enthalten die gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen zu den Alterssicherungssystemen. Dominantes Ziel aller Alterssicherungssysteme bildet die Vermeidung von Altersarmut. Die Alterssicherung in Deutschland basiert auf drei Säulen (s. Abb. 1).
Abb. 1: Säulen der Alterssicherung (in Anlehnung an Naber, /Jacoby, 2001, S. 50)
Eine Einordnung der Systeme der Alterssicherung nach den Hauptfinanzierungsquellen und Finanzierungsverfahren nimmt Abb. 2 vor. Das Umlageverfahren sieht eine periodengleiche Auszahlung der Einzahlungen vor. Bei dem Kapitaldeckungsverfahren (z.B. Anwartschaftsdeckungsverfahren, Deckungsplanverfahren) wird ein Kapitalstock gebildet, der in der Ruhestandsphase einschließlich der angefallenen Zinserträge zur Finanzierung des Altersruhegeldes dient.
Abb. 2: Finanzierungsquellen und Finanzierungsformen der Alterssicherung (Naber, /Jacoby, 2001, S. 59)
2. Aktuelle Reformmaßnahmen
Drastische Finanzierungsprobleme, ein deutlicher Trend zur Vorverlegung des Renteneintrittsalters bei immer längeren Rentenbezugszeiten, die demographische Entwicklung und die intensive Nutzung der Pensionierung als Instrument der Arbeitsmarktpolitik haben in den 1990er-Jahren zahlreiche Reformen der staatlichen Rahmenbedingungen ausgelöst. Als historisch einmalige Herausforderung lässt sich die Integration der Bürger der neuen Bundesländer in die Alterssicherungssysteme werten.
Inhaltlich lassen sich folgende, nicht immer widerspruchsfreie Reformschwerpunkte ausmachen, die primär an der Finanzierung und den Pensionierungsmodalitäten ansetzen (z.B. Herzog-Kommission, 2003; Rürup, 2003):
(1) Kurz- bis mittelfristige Maßnahmen zur Beitragssatzstabilisierung oder -senkung (z.B. Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1%, Nutzung der Ökosteuer für die GRV, Einführung eines zusätzlichen Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen, Begrenzung der Rentenanpassung auf einen Inflationsausgleich, Absenkung der Schwankungsreserve, Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors).
(2) Verbreiterung der Finanzierungsbasis durch Erweiterung versicherungspflichtiger Bevölkerungskreise (um „ Scheinselbstständige “ oder geringfügig Beschäftigte).
(3) Finanzielle Förderung der Altersteilzeit zur Arbeitsmarktentlastung im Rahmen des Altersteilzeitgesetzes durch das Arbeitsamt. Die maximal sechsjährige Förderung ist geknüpft an eine Absenkung der Arbeitszeit auf 50%, die Besetzung des frei gewordenen Arbeitsplatzes mit einem Arbeitslosen oder Auszubildenden und Einzahlungen in dessen GRV von 90%. Zum 1. Juli 2004 wurden die Vorschriften zur Altersteilzeit im Zuge von Harz III reformiert. Außerhalb der Arbeitsamtförderung wurden die Hinzuverdienstgrenzen für Teilrenten angepasst.
(4) Stufenweise Wiederanhebung der Altersgrenzen, bei denen ein abschlagsfreier Rentenbezug möglich ist.
(5) Abkehr von der Idee der GRV als Lebensstandardsicherung und finanzielle Förderung kapitalgedeckter Alterssicherungsangebote mittels steuerrechtlicher Anreize. Neben der Förderung zertifizierter Produkte der dritten Säule strebt der Gesetzgeber an, die Attraktivität der betrieblichen Altersversorgung zu steigern (z.B. durch Aufnahme von Pensionsfonds, einer Deferred Compensation und beitragsorientierten Leistungszusagen, Neuregelungen bei den Anpassungsprüfungspflichten, Änderung der Abfindungsregelung und Unverfallbarkeitsvorgaben sowie der Einführung eines arbeitnehmerindividuellen Anspruchs auf Entgeltumwandlung in ein betriebliches Altersvorsorgeprodukt).
(6) Abschaffung der Berufsunfähigkeitsrente und Einführung einer i.d.R. zeitlich befristeten, nach der Dauer der verbleibenden täglichen Arbeitsfähigkeit gestaffelten Erwerbsunfähigkeitsrente.
(7) Einführung einer steuerfinanzierten bedarfsorientierten Grundsicherung in Anlehnung an das Bundessozialhilfegesetz ohne Rückgriff auf das Einkommen der Kinder (unterhalb bestimmter Einkommensgrenzen).
(8) Stärkung der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten und Einbeziehung von Pflegezeiten in die Ermittlung der Rentenhöhe.
(9) Neuordnung der Witwenrente.
III. Grundzüge betrieblicher Pensionierungspolitik
1. Pensionierung als Instrument der Personalplanung
Die Pensionierung eines Mitarbeiters zieht eine Bestimmung des quantitativen und qualitativen Neubesetzungsbedarfs als Teil der Personalplanung nach sich. Die vorherrschende betriebliche Strategie des vergangenen Jahrzehnts zielte auf einen Einsatz der Pensionierung als rationalisierungsorientiertes Personalfreisetzungsinstrument und nicht auf eine Integration älterer Arbeitnehmer in technologische und organisatorische Wandlungsprozesse (George, 2000, S. 13, 64). Bereits in den 1980er-Jahren bestehende Trends zur Frühverrentung und flexiblen Gestaltung des Übertritts in den Ruhestand haben sich verstärkt. Insb. Großunternehmen nutzen intensiv Frühverrentungsprogramme. Im Zeitraum von 1990 bis 1995 nahm in Betrieben ab 5.000 Beschäftigten der Anteil der 55 – 64jährigen Arbeitnehmer von 8,4% auf 6,9% ab (George, 2000, S. 44). Zum 1. Januar 2001 enthielten 547 Flächen- und Haustarifverträge teilweise innovative Regelungen zur Altersteilzeit (darunter z.B. das private Bank- und Versicherungsgewerbe, die Metall- und Elektroindustrie, der öffentliche Dienst und die Chemische Industrie). Betrachtet man die Verteilung der Rentenarten in der GRV, zeigt sich, dass der Anteil der Regelaltersrenten von 1993 bis 2001 von 74,75% auf 54,85% gesunken ist. Auch der Rentenzugang bedingt durch Arbeitslosigkeit hat in den 1990er-Jahren nie gekannte Höhen erreicht. Während der Anteil 1993 an der Gesamtzahl der Renten noch 2,36% betrug, hat sich dieser 2001 auf 10,1% erhöht.
Abb. 3: Verteilung der Rentenarten der GRV in Deutschland 1993 – 2001 (Verband der Rentenversicherungsträger, 2001, S. 51)
Als Instrument des Personalbindungsmanagements lässt sich das Angebot einer betrieblichen Altersversorgung einstufen, die in der Wertschätzung der Arbeitnehmer direkt hinter finanziellen Sonderzuwendungen (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Jubiläumszuwendungen) rangiert (Ebinger, 2001, S. 117). Aus Arbeitgebersicht verbinden sich mit der betrieblichen Altersversorgung dominant personalwirtschaftliche, steuerpolitische und wettbewerbsbezogene Ziele (Ebinger , 2001, S. 112). Trotz der genannten Nutzen lässt sich seit Beginn der 1980er-Jahre ein Bedeutungsrückgang der betrieblichen Altersversorgung feststellen, gemessen an den Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung im Vergleich zu der GRV (Ebinger, 2001, S. 148). Teilweise haben Unternehmen in den 1990er-Jahren unter Kosteneinsparungszwängen ihre Versorgungswerke für neu eingetretene Mitarbeiter geschlossen.
Mit dem 2001 eingeführten arbeitnehmerindividuellen Rechtsanspruch auf Umwandlung eines Teils der Vergütung in eine betriebliche Altersversorgung und deren steuerliche Fördermöglichkeiten hat eine Renaissance der betrieblichen Altersversorgung begonnen.
IV. Entwicklungstendenzen und Ausblick
Die bisher eingeleiteten Reformmaßnahmen bilden nur einen ersten Schritt zur notwendigen Umgestaltung der Alterssicherungssyteme. In allen EU-Staaten gilt die demographische Entwicklung als die zentrale langfristige Herausforderung. Will man Altersarmut vermeiden, bedürfen die steuer- oder beitragfinanzierten Basissicherungssysteme EU-weit der Ergänzung um kapitalgedeckte Sicherungssysteme (Keller, 2000). Betrachtet man den Rückgang des Geburtenniveaus und die Entwicklung der Mortalität zeichnet sich im gesamten EU-Raum eine deutliche Erhöhung des Altersquotienten (Verhältnis der über 65-jährigen zu den 15- bis 64-jährigen) ab. Für den Zeitraum von 2000 bis 2050 wird für den EU-Raum ein Anteilsanstieg von 24% auf 53,3% prognostiziert. Bei der prognostizierten Entwicklung der Altersstruktur bis 2050 in Deutschland ist der Generationenvertrag kein Zukunftsmodell zur Lebensstandardsicherung im Alter. Mortalitätsbedingt ist zu erwarten, dass sich die Rentenbezugsdauer im Jahr 2030 um etwa 20% erhöht hat (Naber, /Jacoby, 2001, S. 103). Die Bevölkerung in Deutschland neigt systematisch dazu, durch Unterschätzung der Lebenserwartung ihren Vorsorgebedarf um 40% zu niedrig anzusetzen (Börsch-Supan, /Essig, /Wilke, 2005, S. 1).
Abb. 4: Entwicklung der Altersstruktur von 1871 bis 2040 (Naber, /Jacoby, 2001, S. 106)
Verglichen mit den hohen Beitragssatzprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute stellt das politische Ziel der Rentenreform 2001, die Beitragssätze zur GRV bis 2030 nicht über 22% ansteigen zu lassen, ein ambitioniertes politisches Unterfangen dar. Welche Auswirkungen die Ergänzung des EU-Vertrages durch den Gipfel von Nizza, um die Forderung nach einer harmonisierten Sozialpolitik auf die Alterssicherung hat, ist noch offen. Traditionell stehen sich in Europa als Basissicherungsmodelle das Sozialversicherungsprinzip und das Volksrentenmodell bei unterschiedlichen Anteilen ergänzender kapitalgedeckter Alterssicherungssysteme gegenüber. Abgesehen von der Koordinierung durch die EWG-Verordnung Nr. 1408/71 und die daran anknüpfenden EuGH-Rechtsauslegungen ist der derzeitige Harmonisierungsstand der Alterssicherung gering (Keller, 2000).
Für das einzelne Unternehmen wird es zukünftig aus personalwirtschaftlicher Sicht eine Herausforderung sein, zunehmend ältere Arbeitnehmer zu beschäftigen. Die demographische Entwicklung führt mittelfristig zur Notwendigkeit, ältere Arbeitnehmer intensiver in Personalentwicklungsstrategien einzubeziehen und vom weitgehend undifferenzierten Einsatz der Pensionierung als Personalfreisetzungsinstrument zumindest teilweise Abstand zu nehmen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sind der intensive Einsatz der Altersteilzeit und Frühverrentung bereits in den 1990er-Jahren an Finanzierungsgrenzen gestoßen.
Literatur:
Börsch-Supan, A./Essig, L./Wilke, Ch. : Rentenlücken und Lebenserwartung, Köln 2005
Ebinger, G. : Neue Modelle der betrieblichen Altersversorgung, Frankfurt am Main et al. 2001
George, R. : Beschäftigung älterer Arbeitnehmer aus betrieblicher Sicht, München, Mehring et al. 2000
Herzog-Kommission, : Endbericht der „ Herzog-Kommission “ zur Reform der sozialen Sicherungssysteme, Berlin 2003
Heubeck, K./Rürup, B. : Finanzierung der Altersversorgung des öffentlichen Dienstes, Frankfurt am Main et al. 2000
Keller, C. : Die Zukunft der gesetzlichen Rentensysteme in der Europäischen Union, Köln et al. 2000
Lehr, U. : Psychologie des Alters, 8. Aufl. A., Wiesbaden 1996
Naber, K./Jacoby, R. : Reformnotwendigkeit der betrieblichen Alterssicherungssysteme in der Bundesrepublik Deutschland, Karlsruhe 2001
Rürup, B. : Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme: Bericht der Kommission, Berlin 2003
Schnabel, R. : Die Rentenreform 2001, Köln et al. 2001
Verband der Rentenversicherungsträger, : Rentenversicherung in Zeitreihen – Ausgabe 2001, Frankfurt am Main 2001
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