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Stabilisierungspolitik


1. Begriff. S. bezeichnet den Teil der Wirtschaftspolitik (Theorie der Wirtschaftspolitik), der darauf gerichtet ist, volkswirtschaftliche Globalgrößen  insbesondere Beschäftigung , Preisniveau , Außenwirtschaftssalden, Wirtschaftswachstum  auf ein Niveau zu lenken, das mit  gesamtwirtschaflichem Gleichgewicht vereinbar ist, und auf diesem Niveau zu stabilisieren. Dieser aus dem angelsächsischen Sprachraum übernommene weite Begriff der S. ist umfassender als die häufig synonym verwendeten Begriffe Konjunkturpolitik und Globalsteuerung , weil er zum einen neben der Stabilisierung der Konjunktur (Konjunkturtheorie) auch diejenige der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate einschließt, zum anderen neben der globalen Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage auch selektive Eingriffe in den Marktmechanismus und Mittel der Angebotssteuerung beinhaltet. I.e.S. gehören zur S. nur diejenigen Aktivitäten, die auf die Wiedererreichung der in den stabilitätspolitischen Zielen normierten Sollzustände gerichtet ist, während die Erhaltung dieser Zustände als Stabilitätspolitik bezeichnet wird; der Gebrauch des letzteren Begriffs ist jedoch uneinheitlich, da er teilweise nur auf das Ziel der Geldwertstabilität bezogen wird, teilweise aber auch mit S. gleichgesetzt wird.
2. Begründung und Ziele. Stabile gesamtwirtschaftliche Zustände bzw. Entwicklungen sind notwendige Voraussetzungen für eine bewußte und störungsfreie Gestaltung ökonomischer Expansions- und Verteilungsprozesse. Aus diesem Grunde versucht der Staat mittels der S., entsprechende Instabilitäten zu minimieren. Notwendigkeit und Umfang einer aktiven S. sind jedoch in der Literatur durchaus strittig. Das gilt sowohl für das ältere Schrifttum ("spartanische" versus "römische" Doktrin) als auch für die aktuelle Auseinandersetzung zwischen "Monetaristen" (Monetarismus) und "Fiskalisten" (Fiskalismus) (s.u.). Heute überwiegt eine gemäßigte Auffassung, wonach zwar eine kurzfristige stop and go-Politik zu vermeiden ist, jedoch in wirtschaftlichen Depressions- (Depression) oder Überhitzungssituationen stimulierende oder retardierende Eingriffe erwünscht sein können. Als Ziele der S. werden traditionell Vollbeschäftigung, Preisniveaustabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht genannt (Ziele der Wirtschaftspolitik). Da zur Realisierung dieser Ziele u.U. entgegengesetzte Maßnahmen erforderlich sind, spricht man auch vom "magischen Dreieck" der S., das seit den sechziger Jahren durch Einbeziehung des Ziels Wirtschaftswachstum zum "magischen Viereck" erweitert worden ist. In der Bundesrepublik Deutschland sind diese vier Ziele als Maximen der Haushaltspolitik von Bund und Ländern in § 1 des StabG als Konkretisierung des Oberziels "Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht" gesetzlich verankert.
3. Akteure. Bei den Akteuren, die für die S. von Bedeutung sind, sind die offiziellen Träger (= Entscheidungsträger) der S. und weitere für die stabilisierungspolitische Willensbildung relevante Akteure (= Einflußträger) zu unterscheiden. Offizielle Kompetenz, S. zu betreiben, besitzt i.d.R. nur der Staat, der seinerseits jedoch durch eine Vielzahl von Trägern gekennzeichnet ist. Das liegt insbesondere in den Prinzipien der Gewaltenteilung und des Föderalismus sowie der teilweisen Ausgliederung wirtschaftspolitischer Kompetenz an die Zentralbank begründet. Die Stellung der letzteren kann dabei von einer weitgehenden Unabhängigkeit bis zu einer völligen Unterordnung unter Legislative und/od. Exekutive reichen. In der Bundesrepublik hat das BBkG der Deutschen Bundesbank einen hohen Grad an Unabhängigkeit eingeräumt. Im Prozeß der stabilisierungspolitischen Willensbildung wirken allerdings neben den offiziellen Trägern weitere Akteure mit, die zusammenfassend auch als "Vorparlamentarischer Raum" charakterisiert werden. Hierunter werden alle Einflußträger verstanden, deren Entscheidungsmechanismen im nicht-staatlichen Bereich liegen. Dieser Vorparlamentarische Raum reicht von den Parteien über die Verbände und die Wissenschaft bis zur sog. öffentlichen Meinung.
4. Instrumente. Als Mittel der S. kommen grundsätzlich alle Instrumente der Wirtschaftspolitik in Frage. Im Vordergrund stehen dabei die prozeßpolitischen Instrumente der Finanzpolitik , Geldpolitik , Außenwirtschaftspolitik und Einkommenspolitik . Hinzutreten können Maßnahmen der Ordnungspolitik . Die Instrumenttypen der Finanzpolitik umfassen die staatlichen Ausgaben (Realausgaben und Transferzahlungen), die laufenden staatlichen Einnahmen (insbes. Steuern) und die staatliche Verschuldung bzw. Rücklagenbildung. Die wichtigsten Maßnahmen der Geldpolitik sind die Refinanzierungspolitik (Diskontpolitik und Lombardpolitik), die Mindestreservepolitik und die Offenmarktpolitik ; daneben ist als potentiell schärfstes stabilisierungspolitisches Eingriffsinstrument der Notenbank die Kreditkontingentierung zu berücksichtigen, die sich jedoch in der Bundesrepublik nicht findet. Im Rahmen der Außenwirtschaftspolitik werden vornehmlich die Wechselkurspolitik, die Kapitalverkehrspolitik sowie die Außenhandelspolitik als Mittel der S. eingesetzt. Staatliche Einkommenspolitik kann sich vollziehen über Informationsvermittlung, Empfehlungen, Absprachen oder eine staatlich verordnete Fixierung von Einkommen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Die Ordnungspolitik als S. schließlich bedient sich der Setzung langfristig zuverlässiger Rahmenbedingungen ("Konstanz der Wirtschaftspolitik") sowie einer stringenten Wettbewerbspolitik .
5. Grundprobleme und Konzeptionen. Grundprobleme der S. bilden vor allem die Möglichkeit von Zielkonflikten, die Schwierigkeiten von Diagnose und Prognose , die Existenz von Handlungs- und Wirkungsverzögerungen (time lags, lag) sowie die aus der Vielzahl der Träger resultierenden Fragen einer effizienten Koordinierung. Je nach Einschätzung des theoretischen Stellenwerts und der empirischen Bedeutung dieser Problemfaktoren sind unterschiedliche Konzeptionen der S. denkbar. So werden
(1) nach dem instrumentellen Ansatzpunkt nachfrageorientierte Eingriffe ("Nachfragepolitik") von angebotsorientierten Maßnahmen ("Angebotspolitik") unterschieden. Auf der Ebene der Eingriffsintensität setzt
(2) der Gegensatz zwischen einer vorwiegend globalen S. ("Globalsteuerung") und einer selektiven ("strukturorientierten") S. an. Eine Differenzierung nach dem Handlungsspielraum, der den Trägern der S. zugestanden wird, führt
(3) zur Einteilung in diskretionäre (fallweise) und regelgebundene Maßnahmen der S. Unter dem Aspekt der Zukunftsorientierung stehen sich schließlich
(4) antizyklische und verstetigende S. gegenüber. Diese Gegensatzpaare lassen sich den in der theoretischen Wirtschaftspolitik dominierenden Richtungen der S. wie folgt zuordnen: die post-keynesianische ("fiskalistische") S. ist in ihrem Kern als diskretionäre antizyklische Nachfragepolitik einzustufen. Demgegenüber trägt die seit den sechziger Jahren als Gegenkonzept entwickelte monetaristische S. prinzipiell eher den Charakter einer regelgebundenen Verstetigungspolitik, die sich zudem weitgehend mit den Ideen der Angebotspolitik deckt. Eine gewisse Zwischenposition nehmen verschiedene Konzepte einer potentialorientierten S. ein, die je nach Ausgestaltung im einzelnen mehr der einen oder der anderen Richtung nahestehen.
6. S. in der Bundesrepublik Deutschland. Hierbei sind seit dem Zweiten Weltkrieg vier Phasen zu unterscheiden:
(1) die Periode der S. als überforderte Geldpolitik von 1950 bis 1966,
(2) die Phase der monetary fiscal policy von 1967 bis 1972,
(3) die Periode neuer Probleme und Problemlösungsansätze in der S. von 1973 bis 1982 und
(4) die Hinwendung zur "Angebotsorientierung" seit 1982. Die erste Phase war in den fünfziger Jahren durch ein starkes reales Wirtschaftswachstum ("Wirtschaftswunder") gekennzeichnet, wodurch aktive S. zunächst weitgehend entbehrlich erschien. Allerdings traten bereits in dieser Dekade gewisse Spannungen zwischen einer antizyklisch orientierten Geldpolitik und einer eher prozyklischen Finanzpolitik auf. Die erste Hälfte der sechziger Jahre kann dann als die Phase aktiver monetärer S. gekennzeichnet werden. Die Effizienz dieser Politik wurde jedoch durch eine fehlende außenwirtschaftliche Absicherung ("importierte Inflation", Inflation ,
3. 3.) und eine prozyklische Finanzpolitik stark gemindert. Diese Probleme führten in der zweiten Phase zu einer stärkeren Verpflichtung der Finanzpolitik auf das Ziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Form des StabG (s.o.). Während insofern das Konfliktpotential zwischen Geldpolitik und Finanzpolitik verringert wurde, bildete die offene außenwirtschaftliche Flanke das hauptsächliche Effizienzproblem der deutschen S. Den externen Einflüssen versuchte man mit steuerpolitischen Maßnahmen (1968), diskretionären Wechselkursänderungen (1969, 1971) und Kapitalverkehrsbeschränkungen (1972) zu begegnen. Mit der Freigabe des EUR- Wechselkurses gegenüber dem US-Dollar ("Blockfloating" 1973; Floating) begann die dritte Phase, in der außenwirtschaftliche Störfaktoren eine geringere Rolle gespielt haben. Diese Phase war vor allem charakterisiert durch den Versuch einer "Neuen Geldpolitik" der Bundesbank sowie in der Finanzpolitik durch ein Vordringen der nicht-stabilisierungspolitischen Ziele. Im Vergleich zur früheren monetären S. betont die "Neue Geldpolitik" stärker Verstetigungselemente sowie geldmengenpolitische Strategien. De facto ist jedoch auch die Geldpolitik seit 1974 als eine Mischung von Liquiditäts-, Zins-und Geldmengenpolitik zu kennzeichnen. In der Finanzpolitik überlagerten seit Beginn der siebziger Jahre allokative und distributive Ziele die stabilisierungspolitischen Ziele. Die Finanzpolitik wirkte zudem fast immer expansiv (Explosion der Staatsverschuldung). Seit 1982 hat in der vierten Phase eine deutliche Akzentverlagerung zu angebotspolitischen Vorstellungen stattgefunden. Das gilt vor allem für die Finanzpolitik, die in den achtziger Jahren  mit insgesamt durchaus beachtlichem Erfolg  drei Hauptziele verfolgte: Die "Rückführung des Staatsanteils", die "Konsolidierung der Staatsfinanzen" durch Verringerung der Neuverschuldung und die Reform des Einkommensteuertarifs durch Senkung der Grenzsteuersätze. In der  Geldpolitik wurde die bereits zuvor entwickelte Mischung aus Verstetigungskonzeption und diskretionären Elementen fortgesetzt. Im übrigen hat die Bundesbank bei ihren Maßnahmen seit 1987 wieder verstärkt eine außenwirtschaftliche Orientierung (Dollarinterventionen; Europäisches Währungssystem) erkennen lassen; die damit verbundenen Probleme dürften in Anbetracht der Pläne, das EWS zu einer Europäischen Währungsunion weiterzuentwickeln, künftig noch zunehmen. Eine besondere stabilitätspolitische Herausforderung für die deutsche Geldpolitik stellte schließlich die Verwirklichung der deutsch-deutschen Währungsunion durch Ausdehnung des Geltungsbereichs der D-Mark auf das Gebiet der (ehemaligen) DDR zum 1.7.1990 dar.

Literatur: D. Cassel/H. J. Thieme, Stabilitätspolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd.
2.
5. A., München 1992. H. Friedrich, Stabilisierungspolitik.
2. A., Wiesbaden 1986. J. Pätzold, Stabilisierungspolitik.
4. A., Bern/Stuttgart 1991. U. Teichmann, Grundriß der Konjunkturpolitik.
4. A., München 1988.

 

 


 

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