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Früherkennungsmodelle


Inhaltsübersicht
I. Begriff und Zweck
II. Entwicklungsstufen und inhaltliche Schwerpunkte
III. Methoden der Früherkennung
IV. Aktuelle Entwicklungen

I. Begriff und Zweck


Früherkennungsmodelle sind spezifische (Teil-)Informationssysteme, Verfahren und Instrumente zum frühzeitigen, möglichst korrekten und präzisen Erkennen künftiger Entwicklungen und zur Bewertung dadurch ausgelöster Risiken und Chancen. Wie im medizinischen oder militärischen Bereich, wo Früherkennung schon lange eine bedeutende Rolle spielt, geht es auch beim Einsatz von Früherkennungsmodellen in Unternehmen vorrangig um die Gewinnung von Zeit für eine angemessene Reaktion auf die erwarteten Umfeldveränderungen (vgl. Sepp, H.M.  1996, S. 148 ff.).
Zur Unterstreichung der zunehmenden Dringlichkeit von Früherkennung wird gerne auf die Zeitschere verwiesen: einerseits habe die Dynamik der Umfeldveränderungen massiv zugenommen (Ansoff (Ansoff, H.I.  1979, S. 47) hat dafür den Begriff der Umweltturbulenz geprägt, andere sprechen schon von Hyperturbulenz). Dies erschwere die Vorhersehbarkeit der strategisch bedeutsamen Veränderungen und reduziere die verfügbare Reaktionszeit. Andererseits wachse mit zunehmender Komplexität die benötigte Reaktionszeit, die sich aus dem Zeitbedarf für das Finden der angemessenen Reaktion, die Durchführung der betreffenden Maßnahmen (mit dem Aufbau der benötigten Ressourcen und Fähigkeiten) und den Eintritt ihrer Wirkung zusammensetzt. Bei zu später Reaktion sind Nachteile in Form von negativen Auswirkungen auf das Unternehmensergebnis (bis zum Grenzfall der Insolvenz) oder von Opportunitätsverlusten durch entgangene Gewinnchancen zu befürchten. Alternativ oder ergänzend zu einer Strategie der Verminderung der notwendigen Reaktionszeit durch Erhöhung der Flexibilität lässt sich diese Problematik durch eine Verlängerung der verfügbaren Reaktionszeit, also durch ein rechtzeitiges Erkennen zukünftiger Umfeldveränderungen entschärfen, das noch ausreichend Zeit lässt zur Abwehr negativer bzw. zur Ausnutzung positiver Erfolgswirkungen. Dies sollen Früherkennungsmodelle gewährleisten.

II. Entwicklungsstufen und inhaltliche Schwerpunkte


Weitgehend übereinstimmend werden in der Literatur drei Generationen von Früherkennungssystemen unterschieden, die sich nach ihrer spezifischen Zielsetzung, der Reichweite der Ansätze und den verwendeten Analysemethoden abgrenzen lassen.

1. Generation: Kennzahlenorientierte Frühwarnsysteme


Früherkennungssysteme dieses Typs setzen überwiegend an den Zahlen des internen oder externen Rechnungswesens an. Vor allem mithilfe von Kennzahlensystemen (z.B. Du Pont, ZVEI, RL, vgl. dazu Krystek, U./Müller-Stewens, G.  1993, S. 48 ff.) werden Abweichungen zwischen Plan-(Soll-) und Istgrößen erfasst und als Steuerungsgrößen genutzt. Negative Abweichungen haben (bei Überschreiten vorgegebener Grenzen) Warnfunktion und deuten auf Probleme bzw. Analyse- oder Handlungsbedarfe hin.
Um nicht nur schon eingetretene, sondern auch zu erwartende Zielabweichungen anzeigen zu können, lassen sich solche Systeme zu Erwartungsrechnungen ausbauen, die auf der Basis der vorliegenden Daten die voraussichtlichen Istwerte hochrechnen und damit einen Soll/Wird-Vergleich erlauben.
Derartige Früherkennungssysteme vermögen überwiegend nur operative Entscheidungen zu unterstützen. Sie zeigen – mit sehr geringem zeitlichen Vorlauf – eher Symptome auf, helfen aber wenig bei der Suche nach strategischen Ursachen.

2. Generation: Indikatormodelle


Indikatormodelle ergänzen und erweitern die Systeme der 1. Generation. Leitidee ist, dass Umfeldveränderungen schon früher zu erkennen sein und ihren Niederschlag in Vorlaufgrößen (leading indicators) finden müssten. Solche Vorlaufgrößen können sowohl unternehmensexterne Größen wie z.B. Faktoren der gesamtwirtschaftlichen bzw. branchen- oder regionenbezogenen Entwicklung, der Markt- und Konkurrenzstruktur als auch unternehmensinterne Daten monetärer (Deckungsbeiträge Cashflows) und nicht-monetärer Art (Fluktuationszahlen, Anteil von Neuprodukten) sein. Eine Übersicht denkbarer Indikatorensysteme in einem Industriebetrieb gibt die Abb. 1.
Früherkennungsmodelle
Abb. 1: Beispiel für ein Indikatorenschema für die Industrie (Quelle: Bea, F.X./Haas, J. 1997, S. 275)
Andere Beispiele finden sich bei Hahn/Klausmann (Hahn, D./Klausmann, W. 1979), Krystek/Müller-Stewens (Krystek, U./Müller-Stewens, G.  1993, S. 76 ff.) und Muchna (Muchna, C. 1988, S. 267).
Zur Nutzung eines solchen Indikatormodells sind

-

relevante Beobachtungsfelder zu definieren,

-

Indikatoren mit guten Früherkennungseigenschaften zu bestimmen,

-

Sollwerte und Toleranzbereiche für diese Indikatoren festzulegen,

-

die konkreten Indikatorausprägungen zu erheben,

-

Bewertungen hinsichtlich der erwarteten Chancen und Risiken abzuleiten.


Je nach Auswahl der Beobachtungsfelder und Indikatoren ist das jeweilige Modell eher der operativen oder der strategischen Früherkennung zuzuordnen. Seine praktische Leistungsfähigkeit hängt wesentlich davon ab, ob die für den späteren Unternehmenserfolg wirklich relevanten Indikatoren ausgewählt sind und die unterstellten Kausalbeziehungen zwischen den Vorlaufgrößen und der Unternehmensentwicklung theoretisch fundiert sind und stabil bleiben. Weiterentwicklungen der Indikatormodelle versuchen explizit die netzartigen Zusammenhänge (ein- und beidseitige positive oder negative Abhängigkeiten) zu berücksichtigen (z.B. Probst, G.J.B./Gomez, P.  1999).

3. Generation: Strategische Frühaufklärung


Den Indikatormodellen wird oft ihre Gerichtetheit vorgehalten, d.h. die Festlegung auf einmal für relevant erachtete Beobachtungsbereiche und Indikatoren. Demgegenüber sei eine turbulente Umwelt gerade durch das Auftreten von Diskontinuitäten geprägt, also von Ereignissen, die sich störend auf bislang kontinuierliche Entwicklungen auswirken und bisher stabile ökonomische Zusammenhänge obsolet werden lassen. Aber auch solche Diskontinuitäten kündigten sich in aller Regel durch sog. schwache Signale an, die es zu erkennen gelte und auf die das Unternehmen durch der Informationslage angepasste strategische Reaktionen zu antworten habe. Dieses 1976 von Ansoff, H.I. entwickelte Konzept der „ Schwachen Signale “ ist bis heute Basis praktisch aller strategischer Frühaufklärungssysteme. Der Begriff „ Frühaufklärung “ soll zur Abgrenzung von der Früherkennung potenzieller Bedrohungen und Chancen auch die Initiierung sich daraus als strategische Antwort ergebender Maßnahmen mit enthalten (Krystek, U./Müller-Stewens, G.  1993, S. 21).
Früherkennungsmodelle
Abb. 2: Grade der Ungewissheit bei Diskontinuitäten (übersetzt aus Ansoff, H. I. 1976, S. 135)
Ansoff unterscheidet, wie Abb. 2. zeigt, fünf Grade der Ungewissheit, denen er jeweils bestimmte Informationsgehalte zuordnet. Es geht dabei nicht (in erster Linie) um Ungewissheit im entscheidungstheoretischen Sinne, sondern um die Unvollständigkeit und inhaltliche Vagheit der verfügbaren Information. Je nach dem Ungewissheitsgrad sind Reaktionsstrategien der erhöhten Aufmerksamkeit und Wahrnehmung, der internen und externen Flexibilität, der internen Bereitschaft und des direkten Handelns sinnvoll und angemessen.

4. Weitere Abgrenzungen


Als zusätzliche Differenzierungsmerkmale unternehmerischer Früherkennungsmodelle sind der Anwendungszweck und die Trägerschaft von Bedeutung (zu weiteren Merkmalen s. Krystek, U.  1990, S. 421 ff.; zu einer umfangreichen Typologie s. Muchna, C.  1988, S. 83 ff., und Wiedmann, K.-P.  1984, S. 8). Der Zweck eigenorientierter Früherkennungssysteme liegt in der Entdeckung von Chancen und Risiken des eigenen Unternehmens, während fremdorientierte Systeme darauf gerichtet sind, Chancen und Risiken von Marktpartnern (Kunden, Lieferanten, Konkurrenten) zu erkennen. Bei Letzteren kommt insbesondere der Insolvenzprognose von Kreditnehmern durch Auswertung fundamentaler Unternehmensdaten (v.a. Jahresabschlüssen) große praktische Bedeutung zu. Letztlich besteht aber auch dabei der Zweck in der Abschätzung der daraus für das analysierende Unternehmen resultierenden Ausfallrisiken.
Früherkennungsmodelle können von nur einem Unternehmen allein (betriebliche Systeme) bzw. von mehreren Unternehmen und/oder privaten und staatlichen Institutionen gemeinsam (überbetriebliche Systeme) getragen werden, wobei auch die Nutzung von Erkenntnissen überbetrieblicher Systeme für das unternehmenseigene Früherkennungsmodell sinnvoll sein kann.
Die in den angesprochenen Merkmalen zum Ausdruck kommende begriffliche Breite der Früherkennungssysteme spiegelt sich auch in der literarischen Verwendung des Begriffs wider, die von unterjährigen Finanzplanungsmodellen (vgl. Zunk, D.  2000) über Aufdeckung von Kreditbetrug (vgl. Everding, S.  1996) und Insolvenzprognosen aus Jahresabschlüssen (vgl. Baetge, J.  1998; Hüls, D.  1995; Pfeifer, A.  1998) bis zu umfassenden strategischen Frühaufklärungssystemen (z.B. Krystek, U./Müller-Stewens, G.  1993; Horváth, P. 2000) reichen.

III. Methoden der Früherkennung


1. Adäquanz von Methoden und Umfeldbedingungen


Unter welchen Voraussetzungen lassen sich verlässliche Aussagen über künftige Entwicklungen ableiten?

-

Es müssen Invarianzen, also (Quasi-) Gesetzmäßigkeiten zwischen verursachenden oder vorlaufenden und bewirkten Größen gelten,

-

diese müssen (möglichst) korrekt erkannt und modellhaft erfasst sein,

-

die Ausprägungen der relevanten verursachenden bzw. vorlaufenden Größen müssen feststellbar sein.


Bei solchen Idealbedingungen ist eine Früherkennung von Chancen und Bedrohungen recht leicht durch den Einsatz von quantitativen Prognosemethoden zu erreichen. Entweder erlaubt die Analyse der interessierenden Zeitreihe selbst eine Ableitung des Prognosewerts, oder es ist die Anwendung von univariaten oder multivariaten, linearen oder nicht-linearen Kausalmodellen geboten. Ihre Leistungsfähigkeit hängt davon ab, in welchem Umfang die genannten Bedingungen erfüllt sind.
Weit schwieriger gestaltet sich die Früherkennung bei Diskontinuitäten, wenn also (vermeintliche oder tatsächliche) Strukturbrüche auftreten und die bisher geltenden (oder für gültig gehaltenen) Gesetzmäßigkeiten nicht mehr greifen (vgl. Picot, A.  1981; Hammer, R.M.  1992, S. 199 ff.). Hier treten die praktischen Schwierigkeiten des Konzepts der „ Schwachen Signale “ zutage: Was sind „ Schwache Signale “ genau? Wie lassen sie sich erkennen (Erfassungsproblem) und bezüglich ihrer strategischen Bedeutung bewerten (Theorieproblem)? Wie kann man erkennen, dass sich Neues entwickelt, wenn man das Neue nicht kennt? Wir lernen tendenziell rückwärts, d.h. aus Erfahrungen, benötigen hier aber Vorstellungen über das „ Vorwärts “ . Fortschreibungsmodelle der vorher beschriebenen Art sind daher meist nicht mehr tauglich. Vielmehr gilt es, über den Einsatz vorrangig qualitativer Entdeckungs- und Prognosemethoden potenziell relevante Veränderungen des Unternehmensumfelds herauszufiltern. Eine Sicherheit, das Richtige zu entdecken und es adäquat zu bewerten, ist hier nicht gegeben.
Diese Art von tendenziell ungerichteter Suche nach „ Schwachen Signalen “ durch Abtasten des gesamten für relevant erachteten Unternehmensumfelds wird als Scanning bezeichnet (vgl. Krystek, U./Müller-Stewens, G. 1999, S. 505 ff.; Muchna, C.  1988, S. 65 ff.). Demgegenüber beschränkt sich Monitoring auf ein konkret definiertes und eingegrenztes Umfeld und dabei auf ein vertieftes und dauerhaftes Beobachten von Phänomenen, die man als wichtig identifiziert hat. In einer Welt mit weitgehend invariantem Umfeld genügt damit eine Beschränkung auf Monitoring-Aktivitäten, um Abweichungen von erwarteten Entwicklungspfaden frühzeitig zu signalisieren. In einer Welt mit hohem Anteil an Diskontinuitäten muss Scanning die primäre und Monitoring die unterstützende Aktivität bilden.
Klassische Anwendungstypen der ersteren Art von Früherkennungsmodellen sind unternehmerische, eher kurzfristig und operativ orientierte Partial- oder Totalplanungsmodelle und Insolvenzprognosen aus Jahresabschlüssen (und zusätzlichen Unternehmens- und Umfelddaten). Beispielhaft soll die typische Vorgehensweise der Insolvenzprognosemodelle skizziert werden.
Ziel der Insolvenzanalyse ist, Merkmale von Unternehmen zu identifizieren, die eine Trennung erlauben in „ gesunde “ Unternehmen, die voraussichtlich „ überleben “ und ihre Kredite bedienen können, und solchen, die insolvenzgefährdet sind, bei denen der Kreditgeber also voraussichtlich Ausfälle in Kauf nehmen muss. Wir verfügen aber über keine gesicherte Theorie der Insolvenzentstehung, die die klassifizierenden Merkmale und ihr Zusammenwirken eindeutig liefern und Aussagen über kausale Zusammenhänge zwischen Merkmalsausprägungen und der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung zulassen würde. Die oben definierten Idealbedingungen für gute Prognosen sind also nicht gegeben.
Die modernen Modelle der Insolvenzprognose nähern sich dem Problem der Suche nach invarinten Zusammenhängen zwischen Merkmalsausprägungen und künftiger Insolvenzgefährdung auf empirisch-induktivem Weg. Aus Gründen der Datenverfügbarkeit konzentrieren sie sich meist auf historische Jahresabschlussdaten von Unternehmen, deren weitere Entwicklung bekannt ist. Aus ihnen werden mit Hilfe statistischer Verfahren (meist kommt dabei die multivariate lineare Diskriminanzanalyse zum Einsatz, vgl. z.B. Baetge, J./Beuter, H./Feidicker, M.  1992) Kennzahlenkombinationen mit entsprechenden Gewichten der Einzelkennzahlen ermittelt, anhand derer möglichst gut die insolvent gewordenen Unternehmen von den gesund gebliebenen getrennt werden können. Ein Anspruch auf kausale Erklärung der unterschiedlichen Entwicklungen durch die differierenden Kennzahlenwerte wird dabei nicht erhoben. Erscheint plausibel bzw. zeigt sich empirisch, dass die gefundenen Zusammenhänge repräsentativ und (weitgehend) zeitstabil sind, dann können sie zur Klassifikation von Unternehmen bezüglich ihrer künftigen Entwicklung herangezogen werden.
Die mit solchen Verfahren bei methodisch sauberer Vorgehensweise erzielbaren Klassifikationsergebnisse sind so gut, dass v.a. Kreditinstitute zunehmend auf sie vertrauen und sie zur Bonitätsprüfung einsetzen. In jüngerer Zeit sind die linearen statistischen Verfahren allerdings zunehmend durch Neuronale Netze abgelöst worden. Deren Vorteil ist, dass sie auch nicht-lineare Zusammenhänge beliebiger Struktur und Komplexität entdecken können und daher den linearen Verfahren in ihrer Trenngenauigkeit tendenziell überlegen sind. (vgl. z.B. Baetge, J./Dossmann, C./Kruse, A.  2000; Rehkugler, H./Poddig, T.  1998, S. 333 ff.). Offenbar behalten die von solchen linearen wie nicht-linearen Insolvenzprognosemodellen gefundenen Vorlaufgrößen nicht nur bei unterschiedlichen Unternehmensgruppen ihre Relevanz, sondern sind auch so invariant, dass sie nur in größeren Zeitabständen nachjustiert werden müssen.
Ungeachtet der massiven Kritik D. Schneiders an solchen Modellen, die sich vor allem an der fehlenden theoretischen Fundierung entzündet (Schneider, D.  1985), kann damit konstatiert werden, dass die eingesetzten quantitativen Methoden der Früherkennung (weitgehend) problemadäquat sind.

2. Früherkennung bei Diskontinuitäten


Der idealtypische Prozess der strategischen Frühaufklärung zur Entdeckung von Diskontinuitäten aus schwachen Signalen ist in Abb. 3. wiedergegeben.
Früherkennungsmodelle
Abb. 3: Der Prozess der strategischen Frühaufklärung (Quelle: Liebl, F.  1996, S. 11)
Ausgangspunkt ist die systematische Beobachtung der Umwelt durch Scanning und unterstützend durch Monitoring. Es gibt keine ex ante spezifisch für die ungerichtete Suche geeigneten Methoden. Vielmehr geht es darum, aus der Menge an verfügbaren Signalen die herauszufinden, die auf das Entstehen neuer Issues (Entwicklungen, Trends, Moden) hindeuten. Diese sind dann weiter zu beobachten. Die von Kirsch/Esser/Gabele (Kirsch, W./Esser, W.-M./Gabele, E.  1979, S. 363 ff.) geprägte Metapher des „ Aufwirbel-Ansaug-Filter-Systems mit automatischer Filterüberprüfung “ bringt diese Ungerichtetheit der Suche und ihr aktives Betreiben gut zum Ausdruck. Wichtig ist, sich nicht zu früh auf spezifische, für strategisch relevant gehaltene Beobachtungsfelder und Indikatoren zu konzentrieren (Inside-out-Perspektive), sondern offen zu sein für potenziell relevante Signale aus allen Umfeldbereichen, d. h eine konsequente Outside-in-Perspektive zu wahren (vgl. Liebl, F.  1996, S. 12). Dies wird in Theorie und Praxis aber nicht durchgängig so gesehen. Als unterstützende Methoden kommen in dieser Phase vorrangig Inhaltsanalysen, die Delphimethode, Diskontinuitätenbefragungen, und auch Lebenszyklusanalysen von Trends sowie der Einsatz von Kreativitätstechniken in Frage. Neben eigenen Analysen ist auch die Nutzung von Früherkennungsinformationen Dritter, v.a. professioneller Institutionen sinnvoll (beispielhaft „ Strategisches Radar “ des Batelle-Instituts 1980).
In einem zweiten Schritt sind die identifizierten Issues auf ihre Zusammenhänge in Ursachen und/oder Wirkungen zu überprüfen und zu Trendlandschaften zu verdichten (issue mapping). Dies reduziert die Fülle der zu verarbeitenden Informationen und verstärkt den Sicherheitsgrad, die Art, Richtung und Stärke zu erwartender Entwicklungen möglichst zutreffend erkannt zu haben. Zugleich lassen sich die denkbaren Auswirkungen von nachhaltigen Veränderungen des Makroumfelds auf das Mikroumfeld, speziell auch die Stakeholder des Unternehmens aufzeigen (vgl. Krystek, U./Müller-Stewens, G.  1999, S. 509 ff.). Eine hilfreiche Methode kann hierbei die Szenariotechnik (vgl. Geschka, H.  1999) qualitative Prognosemethoden und die Beobachtung von Diffusionsfunktionen und strukturellen Trendlinien (vgl. hierzu Krampe, G./Müller, G.  1983) sein.
Nach diesen Vorarbeiten ist zu prüfen, ob aus den identifizierten Trends für das Unternehmen relevante strategische Wirkungen resultieren. Diese Strategic Issue Analysis (vgl. Ansoff, H.I.  1976; Kreikebaum, H.  1989) bedient sich der Chancen-Anfälligkeits-Analyse, die für die einzelnen strategischen Geschäftsfelder untersucht, wie die Marktattraktivität einerseits und die relative Wettbewerbsposition, insbesondere der Wert der verfügbaren Ressourcen, andererseits durch die Umfeldveränderungen positiv oder negativ beeinflusst werden (könnten). Dabei sind neben der vermuteten Richtung und Stärke der Wirkung auch die zeitliche Dimension und der Grad der Gewissheit der Entwicklung zu bestimmen. Zur methodischen Unterstützung bieten sich hier vor allem die Szenario-Technik und die Cross-Impact-Methode an.
Durchgängig wird in der Literatur die enorme Bedeutung der organisationalen Offenheit für die rechtzeitige Entdeckung und richtige Interpretation „ schwacher Signale “ hervorgehoben. Trotz verschiedener plausibler Überlegungen (s. z.B. Zurlino, F.  1995, S. 73 ff.; Liebl, F.  1996, S. 189 ff.) bleibt offen, durch welche konkreten organisatorischen Maßnahmen und unterstützenden Kommunikationssysteme eine Sensibilisierung und Lernfähigkeit der Organisation und ihrer Mitglieder und eine Überwindung von Informationspathologien (s. Wiedmann, K.-P.  1984, S. 98 ff.) sichergestellt werden kann.

IV. Aktuelle Entwicklungen


Während bei den operativen Früherkennungssystemen, insbesondere den skizzierten Insolvenzprognosemodellen, in neuerer Zeit ein methodischer und inhaltlicher Fortschritt durch den Einsatz von Methoden der Künstlichen Intelligenz festzustellen ist, konstatiert z.B. Bertram (Bertram, U.  1993, S. 23) zurecht bei der strategischen Früherkennung eine Forschungsstagnation im Sinne fehlender neuer Grundlagenentwürfe. Auch jüngere und jüngste Arbeiten geben im Grunde die schon in den 1970er- und 1980er-Jahren entwickelten Konzepte und Methoden wieder (z.B. Krystek, U./Müller-Stewens, G.  1999) bzw. konzentrieren sich meist darauf, die Möglichkeiten und Bedingungen der systematischen Wissensgenerierung aus schwachen Signalen vertieft zu analysieren (Liebl, F.  1996) oder die Anwendung für bestimmte Analysebereiche (z.B. für die Technikanalyse Lange, V.  1994; für die ökologische Analyse Sepp, H.M.  1996) oder für Branchen (für Versicherungen vgl. Bertram, U.  1993) zu konkretisieren. Ein pragmatischer Vorschlag zur Entwicklung und zum praktischen Einsatz von Früherkennungsmodellen und ihrer Integration in ein umfassendes betriebliches „ Navigationssystem “ findet sich bei Horváth (Horváth, P.  2000).
Dabei sind mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) am 01.05.1998 auf die Vorstände von Aktiengesellschaften und auf die Wirtschaftprüfer neue Herausforderungen und Verpflichtungen bezüglich der Früherkennung zugekommen. Nach § 91 Abs. 2 AktG hat der Vorstand „ geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. “ Nach Lück erfordert dies u.a. die Einrichtung eines Frühwarnsystems (Lück, W.  1999). Der Abschlussprüfer hat nach § 317 Abs. 4 HGB bei Aktiengesellschaften, die Aktien mit amtlicher Notierung ausgegeben haben, „ zu beurteilen, ob der Vorstand die ihm nach § 91 Abs. 2 des Aktiengesetzes obliegenden Maßnahmen in einer geeigneten Form getroffen hat und ob das danach einzurichtende Überwachungssystem seine Aufgaben erfüllen kann. “ Dieser zusätzliche gesetzliche Druck müsste der theoretischen und praktischen Beschäftigung mit Früherkennungssystemen einen neuen Schub verleihen. Bislang greifen die einschlägigen Schriften allerdings nur partiell die bestehenden Modelle auf (vgl. Lück, W.  1999) oder fallen gar hinter diesen Stand zurück (vgl. Füser, K./Gleißner, W.  1999; Gleißner, W.  2000).
Literatur:
Ansoff, H. Igor : Strategic Management, London 1979
Ansoff, H. Igor : Managing Surprise and Discontinuity – Strategic Response to Weak Signals, in: zfbf, 1976, S. 129 – 152
Baetge, Jörg : Empirische Methoden zur Früherkennung von Unternehmenskrisen, Wiesbaden 1998
Baetge, Jörg/Beuter, Hubert/Feidicker, Markus : Kreditwürdigkeitsprüfung mit Diskriminanzanalyse, in: WPg, 1992, S. 749 – 761
Baetge, Jörg/Dossmann, Christiane/Kruse, Ariane : Krisendiagnose mit künstlichen Neuronalen Netzen, in: Krisendiagnose durch Bilanzanalyse, hrsg. v. Hauschildt, Jürgen/Leker, Jens, Köln, 2. A., 2000, S. 179 – 220
Batelle-Institut, : Frühwarnsysteme für die strategische Unternehmensplanung, Frankfurt 1980
Bea, Franz Xaver/Haas, Jürgen : Strategisches Management, Stuttgart, 2. A., 1997
Bertram, Ulrich : Früherkennungsorientierte Steuerung, München 1993
Everding, Stefan : Früherkennung von Kreditbetrug mit Hilfe bankmäßiger Kreditwürdigkeitsprüfungen, Hamburg 1996
Füser, Karsten/Gleißner, Werner : Risikomanagement (KonTraG) – Erfahrungen aus der Praxis, in: DB, Jg. 52, 1999, S. 753 – 758
Geschka, Horst : Die Szenariotechnik in der strategischen Unternehmensplanung, in: Strategische Unternehmensführung, hrsg. v. Hahn, Dietger/Taylor, Bernard, Heidelberg, 8. A., 1999, S. 518 – 545
Gleißner, Werner : Moderne Frühwarn- und Prognosesystme für Unternehmensplanung und Risikomanagement, in: DB, Jg. 53., 2000, S. 933 – 941
Hahn, Dietger/Klausmann, Walter : Indikatoren im Rahmen betrieblicher Frühwarnsysteme, in: ifo-Schnelldienst, 35 – 36/1979, S. 63 – 69
Hammer, Richard M. : Strategische Planung und Frühaufklärung, 2. A., München 1992
Horváth & Partner, : Früherkennung in der Unternehmenssteuerung, Stuttgart 2000
Hüls, Dagmar : Früherkennung insolvenzgefährdeter Untenehmen, Düsseldorf 1995
Kirsch, Werner/Esser, Wener-Michael/Gabele, Eduard : Das Management des geplanten Wandels von Organisationen, Stuttgart 1979
Krampe, Gerd/Müller, Günter : Diffusionsfunktionen als theoretisches und praktisches Konzept für strategische Frühaufklärung, in: Bausteine eines strategischen Managements, hrsg. v. Kirsch, Werner/Roventa, Peter, Berlin et al. 1983, S. 283 – 303
Kreikebaum, Hartmut : Strategic Issue Analysis, in: HWPlan, hrsg. v. Szyperski, Norbert/Winand, Udo, Stuttgart 1989, Sp. 1876 – 1886
Krystek, Ulrich : Früherkennungssysteme als Instrument des Controlling, in: Handbuch Controlling, hrsg. v. Mayer, Elmar/Weber, Jürgen, Stuttgart 1990, S. 419 – 442
Krystek, Ulrich/Müller-Stewens, Günter : Strategische Frühaufklärung, in: Strategische Unternehmensführung, hrsg. v. Hahn, Dietger/Taylor, Bernard, Heidelberg, 8. A., 1999, S. 497 – 517
Krystek, Ulrich/Müller-Stewens, Günter : Frühaufklärung für UnternehmenIdentifikation und Handhabung zukünftiger Chancen und Bedrohungen, Stuttgart 1993
Lange, Veronica : Technologische Konkurrenzanalyse, Wiesbaden 1994
Liebl, Franz : Strategische Frühaufklärung, München 1996
Lück, Wolfgang : Betriebswirtschaftiche Aspekte der Einrichtung eines Überwachungssystems und eines Risikomanagementsystems, in: Reform des Aktienrechts, der Rechnungslegung und Prüfung, hrsg. v. Dörner, Dietrich/Menold, Dieter/Pfitzer, Norbert, Stuttgart 1999, S. 139 – 176
Muchna, Claus : Strategische Marketing-Früherkennung auf Investitionsgütermärkten, Wiesbaden 1988
Pfeifer, Axel : Früherkennung von Untenehmensinsolvenzen auf Basis handelsrechtlicher Jahresabschlüsse, Frankfurt 1998
Picot, Arnold : Strukturwandel und Unternehmensstrategie, in: WiSt, 1981, Teil 1, S. 527 – 532, Teil 2, S. 563 – 571
Probst, Gilbert J. B./Gomez, Peter : Vernetztes Denken – Die Methodik des vernetzten Denkens zur Lösung komplexer Probleme, in: Strategische Unternehmensplanung – Strategische Unternehmensführung, hrsg. v. Hahn, D./Taylor, B., 8. A., Heidelberg 1999, S. 909 ff
Rehkugler, Heinz/Poddig, Thorsten : Bilanzanalyse, München, 4. A., 1998
Schneider, Dieter : Eine Warnung vor Frühwarnsystemen, in: DB, Jg. 38, 1985, S. 1489 – 1494
Sepp, Holger M. : Strategische Frühaufklärung – eine ganzheitliche Konzeption aus ökologischer Perspektive, Wiesbaden 1996
Simon, Dieter : Schwache Signale – die Früherkennung von strategischen Diskontinuitäten durch Erfassung von „ weak signals", Wien 1986
Trux, Walter/Müller, Günter/Kirsch, Werner : Das Management Strategischer Programme, Herrsching 1984
Wiedmann, Klaus-Peter : Frühwarnung, Früherkennung, Frühaufklärung, Mannheim 1984
Zunk, Dieter : Die Finanzplanung als Frühwarnsystem für Unternehmen, in: FINANZBETRIEB, Jg. 2, 2000, S. 557 – 562
Zurlino, Frank : Zukunftsorientierung von Industrieunternehmen durch strategische Früherkennung, München 1995

 

 


 

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