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Genossenschaften


Inhaltsübersicht
I. Die rechtliche Lage zu Beginn des modernen Genossenschaftswesens
II. Das Gesetz von 1889
III. Der Ursprung der genossenschaftlichen Prüfungsverbände
IV. Die Strukturierung der Genossenschaftsverbände
V. Die Prüfungsverbände nach 1945
VI. Die aktuelle Entwicklung nach der Wiedervereinigung Deutschlands
VII. Der Freie Ausschuss der deutschen Genossenschaftsverbände
VIII. Die Pflichtmitgliedschaft der Genossenschaften in Prüfungsverbänden
IX. Die genossenschaftliche Pflichtprüfung gemäß § 53 Genossenschaftsgesetz

I. Die rechtliche Lage zu Beginn des modernen Genossenschaftswesens


Die Geburtsstunde der modernen Genossenschaft lässt sich zur Mitte des 19. Jahrhunderts ansetzen. Mehrere Persönlichkeiten waren maßgeblich für die Begründung des modernen Genossenschaftswesens in Deutschland. Herausragend waren Hermann Schulze aus Delitzsch, genannt Schulze-Delitzsch, sowie Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Während Schulze- Delitzsch vor allem dem notleidenden Handwerk helfen wollte, das durch das Entstehen von Fabriken unter Druck geriet, hat Raiffeisen, den Schulze-Delitzschen Genossenschaftsgedanken vor allem für die Landwirtschaft umgesetzt (Schmidt, K. 1949).
Schulze-Delitzsch, setzte bei der Lösung dieser wirtschaftlichen Probleme von Anfang an nicht auf staatliche Unterstützung, sondern auf Selbsthilfe. Das Grundprinzip „ Einigkeit macht stark “ dieser ersten Genossenschaften bedeutete, dass durch den Zusammenschluss Vieler Schutz für den Einzelnen entstand, da mehrere zusammen für die Verpflichtungen des Einzelnen einstanden. Später wurde die unmittelbare Haftung in eine subsidiäre verwandelt, wodurch der Einzelne weitgehend gegen Schicksalsschläge geschützt war (Schmidt, K. 1949).
Zu Beginn der Entwicklung der modernen Genossenschaften waren noch keine gesetzlichen Bestimmungen vorhanden, die den Rechtscharakter dieser Unternehmensform erfasste. Nachdem im April 1848 allen preußischen Staatsbürgern das Recht gewährt worden war, sich ohne polizeiliche Erlaubnis in Gesellschaften zu vereinigen, sofern deren Zweck den Strafgesetzen nicht zuwiderliefen, konnten die Genossenschaften diese Form der „ erlaubten Privatgesellschaft “ für sich in Anspruch nehmen. Diese war im Innenverhältnis körperschaftlich organisiert und hatte auch die Rechte einer „ Korporation “ , stellte jedoch nach außen keine eigene Rechtspersönlichkeit dar. Erst 1867 wurde in Preußen ein erstes Gesetz erlassen, das dem Anliegen der Genossenschaften Rechnung trug. In diesem Gesetz wurde erstmals kodifiziert, dass Genossenschaften eine juristische Person verkörpern und dass sämtlichen Mitgliedern die Solidarbürgschaft vorgeschrieben wurde (v. Philippovich, 1923). Ab 1871 wurde dieses Gesetz mit Ergänzungen in allen deutschen Ländern eingeführt.

II. Das Gesetz von 1889


Später beeinflusste die Schrift von Schulze-Delitzsch, „ Material zur Revision des Genossenschaftsgesetzes “ das „ Reichsgesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften “ vom 01.05.1889. Dieses Gesetz ist in den Grundzügen noch heute in der Bundesrepublik Deutschland gültig. Die Möglichkeit der Gründung von Genossenschaften mit beschränkter Haftung gab der Genossenschaftsbewegung zu diesem Zeitpunkt einen enormen Auftrieb.

III. Der Ursprung der genossenschaftlichen Prüfungsverbände


Die Genossenschaften, die sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten, hatten einen großen Beratungsbedarf sowohl auf fachlicher Ebene und in der Buchhaltung als auch auf dem Gebiet des Genossenschaftsrechts, so dass Schulze-Delitzsch, / einen regen Schriftwechsel mit ihnen führte. 1859 wurde daher von ihm das „ Zentralkorrespondenzbüro der Deutschen Vorschuss- und Kreditvereine “ sowie 1864 der „ Allgemeine Verband der auf Selbsthilfe beruhenden Deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften “ gegründet. Raiffeisen, errichtete 1877 den „ Anwaltschaftsverband zu Neuwied “ , der später in „ Generalverband der Deutschen Raiffeisengenossenschaften “ umbenannt wurde. Diese Institutionen waren die Vorläufer der genossenschaftlichen Prüfungsverbände. In den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts kam es zu einer erheblichen Zahl von Zusammenbrüchen, so dass über eine Zwangsrevision staatlicher oder kommunaler Behörden diskutiert wurde, gegen die sich Schulze-Delitzsch vehement zur Wehr setzte. Auf dem Verbandstag in Eisenach 1878 wurde über die Prüfungsfrage beraten. Danach stellten die Unterverbände, also die späteren Bezirksprüfungsverbände, den Mitgliedsgenossenschaften Prüfer zur Verfügung, die teilweise in den Kreisen bewährter Genossenschaftsleiter gewonnen wurden. Deren Inanspruchnahme erfolgte nach Bedarf auf Anforderung, also auf freiwilliger Basis. Es wurden gute Erfahrungen mit dieser Einrichtung gemacht, so dass sich diese Institution allmählich etablierte (Zirwas, /Buchholz, 1938). Im Gegensatz zu Schulzes Position war Raiffeisen ein Anhänger der Zwangsrevision. Er sah mehr das erzieherische Mittel im Vordergrund. Für ihn dienten Genossenschaften nicht nur dazu, materielle Vorteile zu erzielen, sondern galten als Mittel zur gründlichen Verbesserung der Verhältnisse in sittlicher Beziehung. Die Genossenschaften, welche die Mitgliedschaft im „ Anwaltsschaftsverbande zu Neuwied “ erlangten, ließen sich jährlich prüfen und unterwarfen sich dessen Regeln. Sie taten dies insbes. deswegen, um den „ Bestrebungen gewisser Parteien und Personen, die Genossenschaften unter amtliche Kontrolle zu stellen “ (Raiffeisen, 1887), zu entgehen.
Das Gesetz von 1889 sah dann neben einer Revision in zweijährigem Turnus die Prüfung durch die in Verbänden organisierten Genossenschaften vor. Verbandsfreie Genossenschaften hatten die Durchführung der Prüfung durch einen vom Gericht zu bestellenden Revisor vornehmen zu lassen (Marcus, 1985).

IV. Die Strukturierung der Genossenschaftsverbände


1. Konsumgenossenschaften und Genossenschaften der Einzelhändler


Die Konsumgenossenschaften waren im Süden Deutschlands bis 1872 in einem eigenem Verband zusammengeschlossen. Dieser trat in diesem Jahr dem Allgemeinen Verband von Schulze-Delitzsch, bei. In anderen Regionen Deutschlands wie in Brandenburg, Saarland, Lausitz und Schlesien gründeten sich Konsumgenossenschaftsverbände, die sich ebenfalls dem Allgemeinen Verband anschlossen.
Im Jahre 1894 wurde von einigen Konsumgenossenschaftsunterverbänden die „ Groß-Einkaufsgesellschaft Deutscher Consumvereine m.b.H. (GEG) “ mit Sitz in Hamburg gegründet. Diese entwickelte sich zum organisatorischen und geschäftlichen Mittelpunkt der Konsumgenossenschaften. Im Jahre 1907 gründete sich in Leipzig der „ Verband deutscher kaufmännischer Genossenschaften “ . Es entstand einen Monat später die „ Zentraleinkaufsgenossenschaft des Verbandes deutscher kaufmännischer Genossenschaften eGmbH “ (eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftung). Diese wurde 1921 in die „ EDEKA Zentrale eGmbH “ umbenannt. Es wurden nur dem Verband angeschlossene Genossenschaften beliefert. Die Anfangsbuchstaben wiesen auf „ Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler “ (kurz: E.d.K.) hin. Der Verband hatte seit 1908 das Prüfrecht und schloss sich 1922 dem Deutschen Genossenschaftsverband (DGV) an, der aus dem Zusammenschluss von Allgemeinem Verband und Hauptverband der gewerblichen Genossenschaften entstanden war. Der EDEKA-Verband gründete u.a. auch eine eigene Bank und eine eigene Bausparkasse. Neben der EDEKA-Organisation gründete sich 1921 in Duisburg-Meiderich der „ Revisionsverband der Westkauf- Genossenschaften e.V. “ , der 1922 das Prüfrecht für das gesamte Reichsgebiet erhielt. Nach dem Anschluss an den Deutschen Genossenschaftsverband (DGV) 1938 nannte er sich REWE-Prüfungsverband Deutscher Lebensmittel-Großhandels-Genossenschaften e.V. Nach ideologischen Auseinandersetzungen zwischen den sozialistisch orientierten Konsumgenossenschaften und den eher konservativen Einzelhändlern wurden 98 Konsumvereine, die Großeinkaufsgesellschaft (GEG) und der Verband sächsischer Konsumvereine aus dem Allgemeinen Verband ausgeschlossen. Diese gründeten daraufhin 1903 den Zentralverband deutscher Konsumvereine in Dresden, der später seinen Sitz in Hamburg nahm. Die Masse der Konsumgenossenschaften war sozialdemokratisch geprägt. Es wurden speziell Bildungsgenossenschaften sowie Produktivgenossenschaften im Bäcker- und Fleischerhandwerk gegründet, welche die Konsumgenossenschaften belieferten. Im Jahre 1912 entstand mit Hilfe der Konsumgenossenschaften die „ Volksfürsorge Gewerkschaftlich-Genossenschaftliche Versicherungsaktiengesellschaft “ , an deren Kapital sich Gewerkschaften und Genossenschaften je zur Hälfte beteiligten. Die eingesammelten Gelder wurden überwiegend in Form von Hypotheken an Unternehmen mit gemeinnützigen und sozialen Zielen, wie den Wohnungsbaugenossenschaften ausgeliehen (Faust, 1977). Neben dem Zentralverband der Konsumgenossenschaften in Hamburg entwickelte sich seit 1902 ein rheinisches Pendant in Köln. Dies war der Reichsverband Deutscher Konsumvereine, der durch die christdemokratische Gewerkschaftsbewegung geprägt war.
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Verbände basierend auf dem Führerprinzip mit den Interessen der NSDAP gleichgeschaltet. Im August 1933 wurden auf Anordnung der Spitzenverbände der Konsumgenossenschaften zum „ Reichsbund der deutschen Verbrauchergenossenschaften GmbH “ verschmolzen.

2. Wohnungsbaugenossenschaften


Erste Anfänge im genossenschaftlichen Wohnungsbau gehen in Deutschland auf das Jahr 1846 zurück. In Berlin wurde der „ Verein zur Verbesserung der Arbeiterwohnungen “ gegründet (Faust, 1977). 1871 gab es im Deutschen Reich insgesamt 17 „ eigentumsorientierte “ Baugenossenschaften, die aus „ eigentumslosen “ Arbeitern arbeitende Eigentümer machen sollten, von denen wenige die ab 1874 einsetzende Wirtschaftskrise überstanden. Mit der Gründung des „ Spar- und Bauvereins Hannover “ 1885 wurde der Weg des Mietwohnungsbaus beschritten, dem sich in der Folgezeit die Mehrzahl der Baugenossenschaften anschloss. Die teils heftigen Diskussionen über den richtigen Weg der Genossenschaftsbewegung, Erwerbs- oder Mietwohnungsbau, führte zur Spaltung des zwischenzeitlich gegründeten Interessenverbandes „ Verband der Baugenossenschaften Deutschlands “ , dem Vorläufer der künftigen Revisionsverbände. Erst 1924 schloss sich die deutsche Baugenossenschaftsbewegung zum „ Hauptverband der deutschen Baugenossenschaften “ zusammen, der Mietwohnungsbau dominierte. Die beginnende staatliche Förderung, die 1889 eingeführte „ beschränkte Haftung “ im Genossenschaftsrecht, das Ende des Sozialistengesetzes und der Beginn der günstigen Wirtschaftsentwicklung ließen die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts zum Aufbruchjahrzehnt der deutschen Baugenossenschaften werden. Nach dem ersten Weltkrieg entwickelte sich durch starke öffentliche Förderung, die vor allem dem sozialen Kleinwohnungsbau diente, ein starker und kreativer genossenschaftlicher Wohnungssektor. Im Jahre 1924 wurden 606 Wohnungsbaugenossenschaften gegründet, deren Zahl bis 1933 auf 4.054 anstieg. Die Prüfungsverbände schlossen sich 1924 zu einem eigenen Spitzenverband, dem „ Hauptverband deutscher Baugenossenschaften “ mit Sitz in Berlin, zusammen, der 1934 mit inzwischen entstandenen Baugesellschaften den „ Hauptverband deutscher Wohnungsunternehmen e.V. “ bildete. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten vollzog sich ein allgemeiner Gleichschaltungsprozess. Die Wohnungsgenossenschaftsverbände wurden 1938 mit dem „ Reichsverband deutscher Heimstätten e.V. “ , in dem die Wohnungsfürsorgegesellschaften organisiert waren, zum „ Reichsverband des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens e.V. “ in Berlin verschmolzen (Faust, 1977).
Die genossenschaftlichen Spareinrichtungen, wie die Bausparkassen, wurden durch das Kreditwesengesetz verboten.

3. Produktivgenossenschaften


Gewerbliche Produktivgenossenschaften, in denen eine Identität zwischen Mitglied und Arbeitnehmer besteht, sind seit Beginn der Genossenschaftsbewegung immer wieder entstanden. Vor allem unter der Ägide der Konsumgenossenschaftsbewegung wurden diese im Bereich des Bäcker- und Fleischerhandwerks, aber auch als Tischlergenossenschaften für den Ladenbau gebraucht. Im Jahre 1925 existierten 1.026 Produktivgenossenschaften. Durch Umwandlung von Bauproduktivgenossenschaften, die seit 1922 verstärkt gegründet worden waren, in sogenannte Bauhütten, die jeweils zur Hälfte den Mitgliedern und den Gewerkschaften gehörten, verringerte sich bis Ende der 1920er-Jahre die Zahl der Produktivgenossenschaften. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde ein weiterer Teil dieses Genossenschaftstyps durch Eingliederung in Großunternehmen bis 1938 auf 130 Einheiten reduziert.

V. Die Prüfungsverbände nach 1945


1. Bundesrepublik Deutschland bis 1989


Im Jahre 1945 wurden die genossenschaftlichen Spitzenorganisationen auf Anweisung der Besatzungsmächte außer Funktion gesetzt. Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wurden sie neu gegründet. Für den Bereich Wohnungsbau agiert als Spitzenverband der 1949 gegründete „ Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen e.V. “ (GdW). Der Deutsche Raiffeisenverband e.V. sowie der Deutsche Genossenschaftsverband (Schulze-Delitzsch) e.V. gründeten sich ebenfalls wieder neu. Beide Institutionen wurden 1971 zum Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) zusammengeführt. Die dritte Spitzenorganisation bildet bis heute der Zentralverband Deutscher Konsumgenossenschaften e.V. in Hamburg.

2. Die Deutsche Demokratische Republik bis 1989


In der sowjetischen Besatzungszone und später in der Deutschen Demokratischen Republik wurden Genossenschaften anders verstanden. So blieb das Genossenschaftsgesetz formal bis zum 01.07.1990 auf der Basis eines Musterstatuts in Kraft. Die genossenschaftlichen Prüfungsverbände waren aufgelöst worden und deren Aufgaben zuerst den Bezirkshandwerkskammern, später der staatlichen Revisionskommission übertragen. Die Gründung von Genossenschaften unterlag staatlicher Führung. Ab 1958 wurden die Gründung von PGH (Produktionsgenossenschaften des Handwerks) gefördert (Bengelsdorf, 1966). 1972 wurden ca. 2.000 industriell produzierende Genossenschaften in Volksvermögen überführt. Mit Hilfe von LPG (landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften) wurde zu Beginn der 1950er-Jahre die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft eingeleitet. Darüber hinaus existierten BHG (bäuerliche Handelsgenossenschaften), die im Allgemeinen ein Bankrecht hatten und die ländliche Bevölkerung mit Waren des allgemeinen Bedarfs versorgten. Neben der staatlichen Handelsorganisation (HO) hatten die Konsumgenossenschaften Versorgungsauftrag für die Bevölkerung mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs. Weitere Genossenschaftsformen waren die gärtnerische Produktionsgenossenschaften (GPG), und Fischereiproduktionsgenossenschaften (FPG). Die Arbeiterwohnungsgenossenschaften (AWG) waren für den Bau und Erhalt von Wohnraum zuständig. Durch Mobilisierung der Mitglieder vorrangig mit Hilfe von Eigenleistungen sollten die AWG Wohnraum in Arbeitsnähe schaffen. Nach einer Untersuchung der Wüstenrot-Stiftung befand sich 1989 17% des Wohnungsbestandes der DDR in genossenschaftlichem Eigentum (Noß, 1997).

VI. Die aktuelle Entwicklung nach der Wiedervereinigung Deutschlands


Im Jahre 1990 bestand für die DDR-Genossenschaften die Aufgabe, die Umwandlung in die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft vorzunehmen. Dazu musste ein neues Statut dem Genossenschaftsgesetz entsprechend angenommen, einem genossenschaftlichen Prüfungsverband beigetreten, die Vermögensgegenstände gem. DMBilG neu bewertet und die Geschäftsguthaben neu definiert werden (Noß, 1997). Im Jahre 1988 (Zählung Humboldt- Universität Berlin) wurden ca. 2.700 PGH gezählt. Nach der Wende gingen ca. 20% in Liquidation, 60% transformierten in eine GmbH und 16% in eine eingetragene Genossenschaft, der Rest wählte andere Unternehmensformen (Flieger, 1996). Diese Produktivgenossenschaften sind in regionalen Verbänden unter dem Dach des DGRV organisiert. Von den Konsumgenossenschaften der DDR sind bis heute ca. 50 Unternehmen erhalten, die überwiegend dem Konsumgenossenschaftsverband Berlin angehören.
Die jährliche Statistik zum deutschen Genossenschaftswesen der DG Bank Frankfurt/M. wies für 1999 mit dem Stand zum 31.12.1998 folgende Zahlen auf: 2.267 Genossenschaftsbanken, 4.088 ländliche Genossenschaften, 1.493 gewerbliche Genossenschaften (inklusive EDEKA- und Rewe- Genossenschaften), 53 Konsum- und 2.016 Wohnungsbaugenossenschaften. Der Mitgliederbestand belief sich auf 20,067 Millionen Mitgliedschaften (DG-Bank, 1999). Um effektivere Betriebsgrößen zu erreichen, fusionierten viele Genossenschaften auf Veranlassung der Prüfungsverbände. Neugründungen werden in erster Linie bei den Wohnungsgenossenschaften verzeichnet (GdW: 1990 bis 1997 141 Neugründungen), überwiegend im Bereich sogenannter eigentumsorientierter Genossenschaften, die als Sonderform seit 1995 eine steuerliche Förderung der Mitglieder auf eingezahlte Geschäftsguthaben ermöglicht. Jährlich kommt es zu durchschnittlich 43 Neugründungen bundesweit. Durch anhaltenden Fusionsprozess und Insolvenzen verringert sich die Anzahl der Genossenschaften deutlich. Um diesen Prozess zu stoppen, müssten jährlich 250 Genossenschaften neu gegründet werden. Neue Betätigungsfelder hierfür wären alle Bereiche der „ new economy “ und alle sozialen Dienstleistungen (Sozialgenossenschaften).
Dabei sind seit 1990 in Ostdeutschland eine Reihe von Prüfungsverbänden entstanden, die nicht den Spitzenverbänden angehören und sich innovativ um Neugründungen bundesweit bemühen. Der Prüfungsverband der Sozial- und Wirtschaftsgenossenschaften e.V. mit Sitz in Berlin, der im Jahre 2003 mit seiner Tätigkeit begann, hat z.B. die Neugründung von 10 Genossenschaften aktiv begleitet.

VII. Der Freie Ausschuss der deutschen Genossenschaftsverbände


Trotz der beschriebene Aufspaltung der deutschen Genossenschaften bestand bei den Verbänden das Bedürfnis und letztlich auch die Einsicht in politische Notwendigkeiten sich zu verbandsübergreifenden Frage zu verständigen. 1913 luden die Vertreter des Allgemeinen Verbandes den Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften sowie den Raiffeisenverband zu einer Konferenz nach Berlin ein, in der über Angelegenheiten der verschiedenen Genossenschaftsfamilien, über die Überarbeitung des Genossenschaftsgesetzes sowie den Aufbau einer Ausbildungsorganisation für „ Genossenschaftsbeamte “ und anderes verhandelt wurde. Als Geburtsstunde des „ Freien Ausschusses der deutschen Genossenschaftsverbände “ wird die am 16.03.1916 in Berlin durchgeführte Konferenz angesehen, an der die bereits erwähnten drei Spitzenverbände teilnahmen und nun auch der Zentralverband der deutschen Konsumvereine Hamburg und der Hauptverband deutscher gewerblicher Genossenschaften hinzugezogen worden waren. Dieser Ausschuss sollte von diesem Zeitpunkt an als lose Vereinigung aufgrund von Freiwilligkeit und Unabhängigkeit der einzelnen Verbände helfen, Gegensätzlichkeiten zu überwinden und gemeinsame Interessen herauszuarbeiten und zu fördern. Heute sind in ihm der DGRV (Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband, der GdW (Gesamtverband der Wohnungswirtschaft) als Vertretung der Wohnungsbaugenossenschaften und der ZdK (Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften) vertreten. Die Hauptaufgabe des Ausschusses ist noch immer, durch Gedanken- und Erfahrungsaustausch der Verbände untereinander, die Wahrnehmung der genossenschaftlichen Gesamtinteressen gegenüber der Öffentlichkeit, die Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen und die Abfassung von Denkschriften zu aktuellen Fragen der Wirtschaftspolitik aus genossenschaftsspezifischer Sicht.

VIII. Die Pflichtmitgliedschaft der Genossenschaften in Prüfungsverbänden


Im Jahre 1934 wurde die Pflichtmitgliedschaft in genossenschaftlichen Prüfungsverbänden durch Novellierung des GenG eingeführt. Zur Gründungsprüfung bzw. zur Aufnahme in einem Verband war von nun an die Bescheinigung eines Prüfungsverbandes, dass die Genossenschaft zum Beitritt zugelassen ist, Voraussetzung für die Eintragung der Genossenschaft ins Genossenschaftsregister. Auch wurden Bestimmungen über die Aufstellung und Veröffentlichung der Bilanzen sowie über die Ausbildung der genossenschaftlichen Prüfer geschaffen (Schmidt, 1949). Die genossenschaftlichen Prüfungsverbände sind seit dieser Zeit alleinige Träger der Prüfung (Lang, /Weidmüller, /Metz, et al. 1997). § 53 I GenG sah nun als wesentliche Neuerung die Ausweitung der Prüfungsaktivitäten auf die Einrichtungen, auf die Vermögenslage sowie auf die Geschäftsführung der Genossenschaften, um die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung feststellen zu können, vor. Bei Überschreiten bestimmter Bilanzsummen (damals RM 350.000, heute Euro 2.000.000) hat die Prüfung jährlich zu erfolgen.

IX. Die genossenschaftliche Pflichtprüfung gemäß § 53 Genossenschaftsgesetz


Die Geschäftsführungsprüfung ist der wesentliche Inhalt der genossenschaftlichen Pflichtprüfung. „ Die Prüfung der Geschäftsführung erstreckt sich auf die Geschäftsführung als Institution und Organisation, auf das Geschäftsführungsinstrumentarium und auf die Geschäftsführungstätigkeit. Sie umfasst alle Bereiche der Geschäftsführung, auch die Geschäftspolitik, die Planung und die Überwachung. Sie hat zur Frage Stellung zu nehmen, ob dem Förderungsauftrag nach § 1 GenG ausreichend Rechnung getragen und ob der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Mitglieder beachtet worden ist. Selbst über die Zweckmäßigkeit der Geschäftspolitik und der betrieblichen Maßnahmen hat sich der Prüfer ein Urteil zu verschaffen. Die Zweckmäßigkeit unterliegt allerdings nur dann der Kritik der Prüfung, wenn eine im Rahmen der Prüfung festgestellte Unzweckmäßigkeit zugleich einen Verstoß gegen die Ordnungsmäßigkeit bedeutet oder den Förderungsauftrag nach § 1 GenG beeinträchtigt. Zur Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung werden als Maßstab neben Gesetz und Satzung, die Grundsätze „ eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einer Genossenschaft “ (§ 34 II S. 1 GenG) herangezogen. (Schubert, /Steder, 1973) Vorstand und Aufsichtsrat haben Beanstandungen und Mängel, die im Prüfungsbericht aufgeführt sind, unverzüglich zu beseitigen. Die Prüfung der eingetragenen Genossenschaften ist die umfänglichste im deutschen Prüfungswesen.
Literatur:
Bengelsdorf, R. : Über die Genossenschaften in Mitteldeutschland, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 16. JG., 1966, S. 32 – 42
DG-Bank, : 1999
Faust, H. : Geschichte der Genossenschaftsbewegung, 3. A., Frankfurt/M. 1977
Flieger, B. : Produktivgenossenschaften als fortschrittsfähige Organisation, Marburg 1996, Die deutschen Genossenschaften
Lang, J./Weidmüller, K./Metz, E. : Genossenschaftsgesetz, 33. A., Berlin u.a. 1997
Marcus, B. : Die Pflichtmitgliedschaft bei den Genossenschaftsverbänden, Münster 1985
Noß, A. : Die Gründung von Wohnungsbaugenossenschaften als Form der mieternahen Privatisierung im Rahmen des Altschuldenhilfe- Gesetzes, Diplomarbeit Berlin 1997
v. Philippovich, E. : Grundriß der politischen Ökonomie, Bd. I., 18. A., Tübingen 1923
Raiffeisen, F.-W. : Die Darlehnskassenvereine, Neuwied 1887
Schmidt, K. : Die Genossenschaft, Berlin 1949
Schubert, R./Steder, K.-H. : Genossenschaftshandbuch, Stand April 2000, Berlin 1973
Zirwas, R./Buchholz, P. : Das Genossenschaftliche Prüfungswesen, Grundzüge des Genossenschaftlichen Prüfungs- und Berufsrechts, aus: Der Wirtschaftsprüfer, Schriften aus dem Bereiche des deutschen Wirtschaftsprüfungswesens, hrsg. v. Mönckmeier, O., Neue Folge, H. 3, Berlin 1938

 

 


 

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