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Gewerkschaften


Inhaltsübersicht
I. Begriff und Rechtsstellung
II. Theorien
III.  Historische Entwicklung
IV. Organisationsformen und Organisationsprobleme
V. Politikfelder

I. Begriff und Rechtsstellung


Gewerkschaften sind als historische Gebilde aus der frühen kapitalistischen Industrialisierung, d.h. aus den Bedingungen des Lohnarbeitsverhältnisses hervorgegangen. Als aus eigener Kraft geschaffene Organe der Arbeiterschaft erfassten sie nur Angehörige der lohnarbeitenden Klasse (Briefs,  1925, S. 201). Sie sind auch heute noch reine Arbeitnehmer-Organisationen.
Essentielle rechtliche Grundlagen von Gewerkschaften sind das Koalitionsrecht und die Streikfreiheit. Diese Rechte wurden ihnen erst nach Revolten, Arbeitskämpfen und politischen Auseinandersetzungen in den jeweiligen Spätphasen der nationalen industriellen Revolutionen gewährt (Koalitionsfreiheit in England 1824/25, Preußen/Deutschland 1869, Frankreich 1884, Italien 1890). In Deutschland ist das Koalitionsrecht im Grundgesetz (Art. 9, Abs. 3) verankert, während das Streikrecht nur durch „ Richterrecht “ (Grundsatzurteile des Bundesarbeitsgerichts, ) verbürgt ist. In anderen Ländern (Frankreich, Italien) garantiert die Verfassung auch das Streikrecht.
Gewerkschaften hatten in Deutschland traditionell den Status nichtrechtsfähiger Vereine, allerdings mit der Parteifähigkeit vor Gericht (Däubler,  1995, S. 770). In der jüngsten Vergangenheit haben sich einzelne Gewerkschaften jedoch ins Vereinsregister eintragen lassen. Juristisch wird die Gewerkschaft definiert als eine Arbeitnehmerkoalition, die frei gebildet, demokratisch strukturiert, gegnerfrei und unabhängig von Staat und gesellschaftlichen Organisationen ist und zur Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen notfalls auch zum Streik bereit ist (Däubler, /Hege,  1976, S. 75). Diesen generell geltenden Merkmalen für die Arbeitnehmerkoalition (im Sinne des Art. 9, Abs. 3 GG) sind für die Gewerkschaften noch die Merkmale der Dauerhaftigkeit und realen „ Mächtigkeit “ hinzuzufügen (Däubler,  1995, S. 98 ff.).

II. Theorien


1. Sozialwissenschaftliche Gewerkschaftstheorien


Unter den klassischen sozialwissenschaftlichen Gewerkschaftstheorien zählen die von Karl Marx, /, Sidney und Beatrice Webb, / sowie Selig Perlman, zu den bedeutendsten.
Als zeitgenössischer Beobachter der frühen Gewerkschaftsbewegung sah Marx (siehe Marx, /Engels,  1953; Auerbach,  1922) in den Gewerkschaften Arbeiterorganisationen mit inner- und antikapitalistischen Zielen (Doppelcharakter). Entstanden aus spontanen Versuchen der Arbeiter, die innerproletarische Konkurrenz um Arbeitsplätze zu beschränken, könnten sie als „ Preisfechter der Ware Arbeitskraft “ – entgegen der Lassalleschen Annahme vom „ ehernen Lohngesetz “ – die Lohn- und Arbeitsbedingungen durchaus positiv beeinflussen (innerkapitalistische Funktion). Wichtiger dünkte Marx indessen, dass sie in dem „ Guerillakrieg “ gegen das Kapital nolens volens zu  „ Organisationszentren der Arbeiterklasse “ und „ Schulen für den Sozialismus “ würden, die im Bunde mit anderen politischen Kräften schließlich das kapitalistische Lohnsystem selbst beseitigen würden (antikapitalistische Funktion).
Von S. und B. Webb, , den frühen Historikern und Theoretikern der britischen Gewerkschaftsbewegung, stammt die Definition „ Unter Gewerkschaft verstehen wir die dauernde Verbindung von Lohnarbeitern zum Zweck der Aufrechterhaltung oder Besserung ihrer Arbeitsbedingungen “ (Webb, /Webb,  1895, S. 1) bzw. „ ? ihres Arbeitslebens “ (1920, S. 1). Dies ist eine auch heute noch zutreffende Definition, wenn man Lohnarbeiter durch Arbeitnehmer ersetzt. Zur Erreichung dieses Ziels bedienen sie sich dreier Methoden (Webb, /Webb,  1898): (a) der gegenseitigen Versicherung (Mutual Insurance), (b) der kollektiven Vertragsschließung (Collective Bargaining), (c) der gesetzlichen Verfügung (Legal Enactment). Mit der ersten wird eine der ältesten internen Aufgaben angesprochen: die genossenschaftliche oder solidarische Unterstützung bei Einkommensverlusten infolge von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Maßregelung etc.; mit der zweiten: die wichtigste externe Aufgabe, die Tarifpolitik; und mit der dritten: die Einwirkung auf die staatliche Gesetzgebung zugunsten der Lohnarbeiter. Demnach werden Gewerkschaften als Genossenschaft, Tarifpartei und Pressure Group charakterisiert.
Basierend auf historischen Erfahrungen und Entwicklungen der russischen, deutschen und britischen Arbeiterbewegung, aber vor allem der amerikanischen, wendet sich Perlmans, Gewerkschaftstheorie von 1928 explizit gegen den von Intellektuellen in die Arbeiterbewegung hineinprojizierten Gedanken von Gewerkschaften als Vorkämpfern einer neuen Gesellschaftsordnung. Statt dessen sieht er in ihnen pragmatisch orientierte Organisationen manueller Arbeiter, die als Gruppe „ Herr über ihre wirtschaftlichen Chancen zu werden sucht und zugleich diese Chancen zu erweitern trachtet “ (Perlman,  1952, S. 182). Aus der vertieften Erfahrung des amerikanischen job-control unionism identifiziert er als das Zentrum gewerkschaftlicher Praxis die gemeinsame Kontrolle und Rationierung der knappen Arbeitsgelegenheiten, einen „ Kommunismus der Arbeitsplätze “ . Dies stempelt die Gewerkschaften zu einem „ Verband von Arbeitsplatzbesitzern “ (Braun,  1965).
Neuere sozialwissenschaftliche Theorien haben jeweils unterschiedliche Aspekte hervorgehoben, die erst in der Zusammenfassung eine adäquate theoretische Beschreibung liefern. Demnach sind moderne Gewerkschaften

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zentralistisch-bürokratisch organisierte Massenverbände mit oligarchischer Führungsstruktur (vgl. Robert Michels\' (Michels,  1911) „ ehernes Gesetz der Oligarchie “ ), deren hauptamtliches Personal neben den primären Mitgliederinteressen zunehmend sekundäre Verbandsinteressen an Bestand und Wachstum der Organisation verfolgen;

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„ befestigte Gewerkschaften “ (Briefs,  1952), die, im Gegensatz zu den klassischen des 19. und frühen 20. Jh., erstens von Arbeitgebern, Staat und Öffentlichkeit als legitimierte Vertretung der Arbeitnehmerschaft anerkannt werden, zweitens gegenüber den Schwankungen der Wirtschaft institutionelle Stabilität gewonnen haben, so dass sie nicht mehr abhängige Variable der kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung sind, und drittens mit der Zuweisung öffentlicher Funktionen und Verantwortungen den Status „ quasi-öffentlicher Körperschaften “ haben (Briefs,  1952, S. 97 f.);

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Konfliktpartei des „ institutionalisierten Klassenkampfes “ (Geiger,  1949), eingebunden in das konfliktregelnde und normensetzende System der Tarifautonomie (Weitbrecht,  1969), das ihnen, gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden, den Status des „ privaten Gesetzgebers “ objektiver Rechtsnormen (Sinzheimer,  1976, S. 162; Flanders,  1968, S. 12) verleiht;

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intermediäre Organisationen “ (Müller-Jentsch,  1982), die die Interessen ihrer Mitglieder nicht ungebrochen vertreten, sondern sie (re-)formulieren und interpretieren, um sie für makro- und mikroökonomische Steuerungsprozesse kompatibel zu machen; organisationale Voraussetzungen dieser Interessenmediatisierung sind die in den vorstehenden Punkten skizzierten Entwicklungen.


2. Ökonomische Gewerkschaftstheorien


Die älteren ökonomischen Theorien analysierten die Rolle der Gewerkschaften in der Volkswirtschaft vornehmlich unter makroökonomischen Gesichtspunkten. Der klassische Liberalismus (Smith, /, Ricardo, /) sah in ihnen eher einen Fremdkörper. Zu einer völlig anderen Einschätzung kommt der Mitbegründer des Vereins für Socialpolitik, Lujo Brentano, /. Der Verkäufer von Arbeitskraft könne wegen zweier Besonderheiten nicht mit einem Warenverkäufer gleichgesetzt werden: „ Die eine ist die Untrennbarkeit des Gutes, das er verkauft, seine Arbeit, von seiner Person; die andere ist, dass er regelmäßig nichts hat, wovon er leben kann, als den Verkauf seiner Arbeit “ (Brentano,  1909, S. 1110), m.a.W. der Lohnarbeiter steht unter Angebotszwang, und der Kauf der Arbeitskraft begründet ein Herrschaftsverhältnis, weil er die Mitverfügung über die Person einschließt. Als Liberaler argumentiert Brentano, systemimmanent, wenn er den Arbeitsmarkt als einen unvollkommenen Markt und Gewerkschaften als notwendige Korrektivorgane betrachtet. Erst sie versetzen den Lohnarbeiter in die Lage, als gleichberechtiger Warenverkäufer aufzutreten. Sie bilden somit keinen Fremdkörper, sondern sind ein „ Organ der Volkswirtschaft “ , gleichsam der Schlussstein im Gebäude der liberalen Marktwirtschaft.
Neuere (amerikanische) Theorien sind mikroökonomisch orientiert; sie fokussieren auf die Markt- und Produktivitätsfunktion von Gewerkschaften im US-amerikanischen Kontext unternehmensbezogener Tarifverhandlungen. Hinsichtlich ihrer Marktfunktion fungieren sie als monopolistischer Anbieter von Arbeit (erstmals Dunlop,  1944) und handeln als Agent für die Mitglieder den Lohnsatz aus, während das Unternehmen über die Beschäftigung entscheidet. In einem erweiterten Modell der effizienten Verhandlungen (McDonald, /Solow,  1981) berücksichtigen sie den Trade-off zwischen Lohnhöhe und Beschäftigung und streben die Maximierung ihres kombinierten Nutzens an.
Die Produktivitätsfunktion berücksichtigt ein einflussreicher Theorieansatz der Arbeitsökonomen Richard Freeman und James Medoff (Freeman, /Medoff,  1984). Mit der These von den „ zwei Gesichtern der Gewerkschaft “ schreiben sie ihnen einerseits eine „ Collective Voice “ zu, die einen effizienzfördernden Informationsaustausch zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft herstellen könne, und andererseits eine Monopolmacht des Faktors Arbeit, die Entscheidungen verzögere und betriebliche Erträge umverteile, also effizienzmindernd wirke. Anknüpfend an A. O. Hirschmans (Hirschman,  1974) Unterscheidung zwischen Exit- und Voice-Optionen wird in der Gewerkschaft (für Deutschland sinngemäß: im Betriebsrat) ein Medium gesehen, durch das die Beschäftigten mit dem Management kommunizieren und Widerspruch anmelden können. Auf diese Weise lässt sich Unzufriedenheit in der Belegschaft thematisieren und durch Verhandlungen beseitigen, so dass die Beschäftigten weniger die alternative Option der Abwanderung oder der Leistungsrestriktion wählen. Geringere Fluktuation und geringere Fehlzeiten manifestieren sich in höherer Arbeitsproduktivität. Die Schlussfolgerung lautet, dass die positiven Effekte der Collective Voice-Funktion die negativen Effekte der Monopolisierung des Faktors Arbeit kompensieren oder gar übertreffen.

III. Historische Entwicklung


Über den Entstehungsprozess von gewerkschaftlichen Organisationen (vgl. dazu Engelhardt,  1977) lässt sich generell sagen, dass sie aus dem Widerstand der Lohnarbeiter gegen die nach der wirtschaftlichen Liberalisierung (Gewerbe- und Berufsfreiheit) von den Unternehmern einseitig festgelegten Lohn- und Arbeitsbedingungen heraus entstanden sind. Erste Gewerkschaftsgründungen auf deutschem Boden gingen – ähnlich wie in England, dem Pionierland der Industrialisierung – aus beruflichen Zusammenhängen hervor. Lockere berufliche Zusammenschlüsse auf lokaler Basis lassen sich für Buchdrucker und Tabakarbeiter schon vor 1848 nachweisen; in den 1860er-Jahren gründeten diese Berufsgruppen die ersten zentralen Gewerkschaftsverbände (Berufsgenossenschaften). Erst in den Jahren danach ergriffen die Sozialdemokraten und fortschrittlichen Liberaldemokraten ihrerseits die Initiative zur Gründung von Gewerkschaften. Die politischen Parteien trugen zwar zur Expansion der jungen Gewerkschaftsbewegung bei, bewirkten aber gleichzeitig die Spaltung in Richtungsgewerkschaften (sozialdemokratische, liberale und christliche).
Bis 1890 war der zunächst lokale, später zentrale Berufsverband die ausschließliche gewerkschaftliche Organisationsform (Müller-Jentsch,  1985). Es handelte sich dabei vorwiegend um relativ homogene, ausgeprägt berufsständisch orientierte Arbeiterschichten, die als „ Handwerkerelite “ (wie die Buchdrucker) ihr traditionell hohes Sozialprestige gegen den drohenden Statusverlust zu verteidigen suchten, oder die als Handarbeiter in großbetrieblicher Produktion (wie die Zigarrenarbeiter) sich um die Anhebung ihres sozialen Status bemühten. Für diese und andere Gruppen, die wegen eines hohen Maßes beruflicher Kohäsion und gruppeninterner Kommunikation gleichsam berufliche Gemeinschaften ( „ occupational communities “ ) darstellten, bot sich der Berufsverband als adäquate Organisationsform ihrer berufsständisch geprägten Interessen an.
Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts verlagerte sich der dynamische Kern auf Berufsgruppen und Gewerbezweige, die geprägt waren von der sich ausbreitenden industriellen Produktionsweise, d.h. von maschineller Massenproduktion, von der Zusammenballung unterschiedlicher Berufe und Arbeiterkategorien in großbetrieblichen Produktionsstätten sowie von fortschreitender Arbeitszerlegung. Die nach dem Fall des Sozialistengesetzes 1890 einsetzende „ große Reorganisation der Gewerkschaftsbewegung “ (Ritter, /Tenfelde,  1975, S. 88) bedeutete für die sozialdemokratischen Gewerkschaften den Durchbruch zur Massenorganisation. Ab 1890 organisierten sich auch erstmals Hilfsarbeiter und entstanden – durch Verschmelzungen verwandter und branchengleicher Berufsverbände – die ersten Industriegewerkschaften.
Im Gegensatz zu den „ horizontal “ organisierenden Berufsgewerkschaften, deren Stärke auf beruflicher Solidarität und den (schwer ersetzbaren) Qualifikationen ihrer Mitglieder beruhten, konnten die „ vertikal “ organisierenden Industriegewerkschaften, mit ihrer Offenheit gegenüber allen Berufs- und Arbeiterkategorien in der gleichen Industrie, organisatorische Stärke nur durch die „ große Zahl “ und die Förderung von Klassensolidarität (gegen „ Berufsdünkel “ ) gewinnen. Gleichwohl bildeten die qualifizierten Facharbeiter auch in ihnen das organisatorische Rückgrat.
Mit den Ende des 19. Jh. entstehenden Großbetrieben und Großverwaltungen und dem wachsenden Bedarf an staatlichen Aufgaben und Leistungen nahmen auch die Angestellten- und Beamtentätigkeiten rapide zu. Obwohl diese Tätigkeiten weiterhin durch eine besondere Form des Arbeitsvertrages und der Entlohnung honoriert wurden, verloren Angestellte und Beamte mehr und mehr ihren privilegierten Status. Folge dieser sozialen Entwicklung waren um die Jahrhundertwende einsetzende Gründungen erster gewerkschaftsähnlicher Organisationen von Handlungsgehilfen, technischen Angestellten und subalternen Beamten.

IV. Organisationsformen und Organisationsprobleme


1. Deutscher Gewerkschaftsbund und Konkurrenzorganisationen


Bis 1933 war das deutsche Gewerkschaftswesen durch eine doppelte Differenzierung gekennzeichnet: einerseits durch die nach Berufs- und Arbeitsmarktkriterien gebildeten Organisationsformen wie Berufsverband, Industriegewerkschaft, Angestellten-/Beamtenverband; andererseits durch die aus den politisch-weltanschaulichen Strömungen sich ergebenden Richtungsgewerkschaften. Erst mit der Wiedergründung nach dem Zweiten Weltkrieg wurde durch die Bildung von Einheitsgewerkschaften nach dem Industrieverbandsprinzip diese organisatorische Zersplitterung im Deutschen Gewerkschaftsbund, (DGB), der bis heute die deutsche Gewerkschaftsszene dominiert, aufgehoben.
Der als Dachverband von 16 Industriegewerkschaften 1949 in München gegründete DGB behielt seine Organisationsstruktur nahezu vier Jahrzehnte lang unverändert bei. Verstärkt durch den deutschen Vereinigungsprozess kam es in den 1990er-Jahren zu zahlreichen Fusionen. Auch die seit ihrer Gründung 1949 außerhalb des DGB existierende Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) schloss sich mit anderen zur größten Einzelgewerkschaft Ver.di zusammen. Anfang 2002 zählt der DGB nur noch acht Einzelgewerkschaften (siehe Tab. 1).
Gewerkschaften
Tab. 1: Gewerkschaften und Mitglieder, 2002 (Quelle: Angaben der Gewerkschaften; eigene Berechnungen).
Als Konkurrenzorganisationen des DGB sind der Deutsche Beamtenbund, / (DBB), der neben Beamten auch Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes organisiert, sowie der Christliche Gewerkschaftsbund, (CGB), 1959 gegründet, anzusehen.

2. Europäischer Gewerkschaftsbund


Der 1973 gegründete Europäische Gewerkschaftsbund, (EGB) setzt sich aus „ freien, unabhängigen und demokratischen Gewerkschaftsbünden und europäischen Gewerkschaftsverbänden “ (Satzung) zusammen. Ende 1998 gehörten ihm 68 nationale Gewerkschaftsbünde (welche rund 50 Mio. Mitglieder repräsentieren) aus 28 Ländern als Mitgliedsverbände an (Müller-Jentsch, /Ittermann,  2000, S. 235 ff./Tab. H2). Neben den Gewerkschaftsbünden aus den EU-Ländern sind ihm auch die Dachverbände der übrigen europäischen Staaten affiliiert. Der EGB vereinigt ein breites Spektrum nationaler Gewerkschaftsbünde, die unabhängige, sozialistische, christliche und kommunistische Gewerkschaften in ihren jeweiligen Ländern repräsentieren und dort teilweise als separate Dachverbände nebeneinander bestehen. Insgesamt repräsentiert der EGB 90 Prozent aller Gewerkschaftsmitglieder in der EU.
Der EGB definiert seine Aufgaben als die einer repräsentativen Interessenvertretung und Verhandlungsagentur gegenüber den verschiedenen Akteuren auf europäischer Ebene (Organe der EU, Europarat, EFTA, Arbeitgeberorganisationen). Nach seinen derzeitigen Hauptaktivitäten ist der EGB eine europäische Lobby zusammengeschlossener nationaler Gewerkschaftsbünde. Daneben nimmt der Soziale Dialog mit den Arbeitgeberorganisationen, der seit geraumer Zeit regelmäßig stattfindet, eine wichtige Rolle ein. Verhandlungen oder gar Tarifverhandlungen auf europäischer Ebene werden derzeit nur geringe Chancen eingeräumt, da die nationalen wie europäischen Arbeitgeberverbände europaweite Tarifverhandlungen prinzipiell ablehnen.
Den imposanten Mitgliederzahlen und organisationspolitischen Erfolgen des EGB steht ein eklatanter Mangel an supranationaler Autorität entgegen. Zurückzuführen ist dieser zum einen auf die außerordentliche Heterogenität der politischen Orientierungen und nationalstaatlich geprägten Traditionen seiner Mitgliedsverbände, zum anderen auf die mangelnde Bereitschaft der nationalen Gewerkschaften, Ressourcen und Kompetenzen an transnationale Organisationen abzugeben, und zum dritten auf die Weigerung der Arbeitgeber, auf europäischer Ebene mit den Gewerkschaften zu verhandeln.

3. Aktuelle Organisationsprobleme


In den 1970er-Jahren, dem Jahrzehnt des Neokorporatismus und Tripartismus, erlebten die Gewerkschaften in vielen westlichen Ländern einen überraschenden Aufschwung, der ihre Rolle in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft stärkte und ihnen neue Mitglieder zuführte. Schon ein Jahrzehnt später gerieten sie in die Defensive, in einigen Ländern (USA, Frankreich und Großbritannien) sogar in manifeste Krisen. Allein die skandinavischen blieben davon verschont; sie konnten ihre traditionell hohen Organisierungserfolge unter den abhängig Beschäftigten in den 1980er- und 1990er-Jahren behaupten und teilweise noch steigern (siehe Tab. 2).
Gewerkschaften
Tab. 2: Gewerkschaftliche Organisationsgrade 1970 – 1995 (vgl. Müller-Jentsch, /Ittermann,  2000 (Originaldaten nach Traxler, /Blaschke, /Kittel,  2001).
Gleichwohl stehen am Beginn des 21. Jh. alle vor schwierigen Anpassungs- und Umorientierungsprozessen. Sie müssen Anworten finden auf die veränderte Zusammensetzung ihrer Mitgliederpotenziale (schrumpfende Industriearbeiterschaft, anwachsende Angestelltenzahlen, zunehmende Frauenerwerbstätigkeit), die verschärfte Arbeitsmarktsegmentierung durch Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse sowie auf die offensive Personal- und Qualifizierungspolitik eines „ partizipativen Managements “ , die mit flexibler Arbeitsorganisation und Deregulierung arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen einhergeht. Von den Antworten auf die Probleme des Umbruchs wird ihre zukünftige Rolle im Arbeits- und Sozialleben bestimmt werden.

V. Politikfelder


Zentrale Politikfelder von Gewerkschaften sind

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Tarifpolitik: Sie ist Kernbereich gewerkschaftlicher Schutz- und Gestaltungspolitik. Im Rahmen der Tarifautonomie sowie des Tarifvertragsgesetzes schließen Gewerkschaften und Arbeitgeber(verbände) Tarifverträge ab, die kollektive Regelungen über Lohn, Arbeitszeit und weitere Arbeitsbedingungen für die unter ihren Geltungsbereich fallende Arbeitnehmer fixieren.

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Mitbestimmungspolitik: Statt betrieblicher Repräsentanz sieht das deutsche Arbeitsrecht eigenständige Institutionen der Mitbestimmung im Betrieb (Betriebsrat) und im Unternehmen (Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat) vor. Obwohl formal unabhängige Einrichtungen, bilden die Mitbestimmungsinstitutionen faktisch einen stabilen Unterbau für die Gewerkschaften. Ein Teil der Aufsichtsratsmandate wird durch Gewerkschaftsvertreter wahrgenommen, und mehr als zwei Drittel der Betriebsratsmitglieder sind gewerkschaftlich organisiert (Müller-Jentsch, /Ittermann,  2000, S. 218/Tab. G6).

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Industriepolitik: Sie steht für eine sektorale, regionale oder gesamtwirtschaftliche Gestaltungspolitik sui generis und ist älter als der Begriff. Auf die langfristige Sicherung von Industriestandorten und damit von Arbeitsplätzen unter sozial- und umweltverträglichen Kriterien zielend, kann sie nur gemeinsam mit den Unternehmern im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung umgesetzt werden (bi- oder tripartistischer Korporatismus).

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Politik im staatlichen Raum: Hierunter fällt die korporative Repräsentation der Arbeitnehmer in vielen öffentlichen Gremien und Institutionen (von der Arbeitsverwaltung und Sozialversicherung bis zum Rundfunkrat). Auch das tripartistische Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit zählt hierzu.


Literatur:
Auerbach, N. : Marx und die Gewerkschaften, Berlin et al. 1922
Braun, S. : Die Gewerkschaften als „ Verband von Arbeitsplatzbesitzern “ , in: Zwischen Stillstand und Bewegung, hrsg. v. Horné, A., Frankfurt/M. 1965, S. 23 – 44
Brentano, L. : Gewerkvereine, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaft, Bd. 4, hrsg. v. Cornad, J./Elster, L., 3. A., Jena 1909, Sp. 1106 – 1119
Briefs, G. : Das gewerbliche Proletariat, in: Grundriß der Sozialökonomik. Das soziale System des Kapitalismus, 1. Teil, Tübingen 1925
Briefs, G. : Zwischen Kapitalismus und Syndikalismus. Die Gewerkschaften am Scheideweg, Bern 1952
Däubler, W. : Das Arbeitsrecht 1, 14. A., Reinbek 1995
Däubler, W./Hege, H. : Koalitionsfreiheit. Ein Kommentar, Baden-Baden 1976
Dunlop, J. T. : Wage Determination Under Trade Unions, New York 1944
Engelhardt, U. : „ Nur vereinigt sind wir stark “ . Die Anfänge der deutschen Gewerkschaftsbewegung 1862/63 bis 1869/70, 2 Bde., Stuttgart 1977
Flanders, A. : Collective Bargaining: A Theoretical Analysis, in: British Journal of Industrial Relations, Jg. 6, 1968, S. 1 – 26
Freeman, R. B./Medoff, J. L. : What Do Unions Do?, New York 1984
Geiger, T. : Die Klassengesellschaft im Schmelztiegel, Köln 1949
Hirschman, A. O. : Abwanderung und Widerspruch. Reaktionen auf Leistungsabfall bei Unternehmungen, Organisationen und Staaten, Tübingen 1974
Marx, K./Engels, F. : Über die Gewerkschaften, Berlin 1953
McDonald, I. M./Solow, R. M. : Wage Bargaining and Employment, in: American Economic Review, Jg. 71, 1981, S. 896 – 908
Michels, R. : Zur Soziologie des Parteiwesens, 2. A., Stuttgart (zuerst 1911) 1925
Müller-Jentsch, W. : Gewerkschaften als intermediäre Organisationen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 24/1982, S. 408 – 432
Müller-Jentsch, W. : Berufs-, Betriebs- oder Industriegewerkschaften, in: Handbuch der Arbeitsbziehungen, hrsg. v. Endruweit, G./Gaugler, E./Staehle, W. H. et al., Berlin 1985, S. 369 – 381
Müller-Jentsch, W./Ittermann, P. : Industrielle Beziehungen. Daten, Zeitreihen, Trends 1950 – 1999, Frankfurt/M. 2000
Neumann, F. L. : Die Gewerkschaften in der Demokratie und in der Diktatur (1935), in: Wirtschaft, Staat und Demokratie. Aufsätze 1930 – 1954, hrsg. v. Neumann, F. L., Frankfurt/M. 1978, S. 145 – 222
Perlman, S. : Eine Theorie der Gewerkschaftsbewegung, Berlin 1952
Ritter, G. A./Tenfelde, K. : Der Durchbruch der Gewerkschaften in Deutschland zur Massenbewegung im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, in: Vom Sozialistengesetz zur Mitbestimmung. Zum 100. Geburtstag von Hans Böckler, hrsg. v. Vetter, O. H., Köln 1975, S. 61 – 120
Sinzheimer, H. : Arbeitsrecht und Rechtssoziologie. Gesammelte Reden und Aufsätze, Bd. 1, Frankfurt/M., Köln 1976
Traxler, F./Blaschke, S./Kittel, B. : National labour relations in internationalized markets. A comparative study of institutions, change and performance, Oxford 2001
Webb, S./Webb, B. : Die Geschichte des Britischen Tradeunionismus, Stuttgart 1895
Webb, S./Webb, B. : Theorie und Praxis der Englischen Gewerkvereine (Industrial Democracy), 2 Bde., Stuttgart 1898
Webb, S./Webb, B. : The History of Trade Unionism, 3. A., London 1920
Weitbrecht, H. : Effektivität und Legitimität der Tarifautonomie, Berlin 1969

 

 


 

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