Aufsichtsrat
Inhaltsübersicht
I. Organ und Organisation
II. Zusammensetzung
III. Rechte und Pflichten
IV. Aufsichtsratspraxis
V. Organisationsalternativen
VI. Überwachungseffizienz
VII. Reformansätze
I. Organ und Organisation
In Deutschland ist die Unternehmensführung und -überwachung zwei getrennten Organen überantwortet (sog. two-tier-system, Alternative: board-system, Board of Directors): Dem Vorstand die Führung, dem Aufsichtsrat die Überwachung. Der Aufsichtsrat ist ein Bestandteil der Unternehmensorganisation, der sowohl funktional als auch personell von der Geschäftsführung durch den Vorstand getrennt ist. Rechtlich betrachtet ist er ein Organ der Gesellschaft, das die Gesellschaft insb. gegenüber dem Vorstand, z.B. bei Abschluss, Änderung oder Kündigung der Vorstandsverträge, vertritt.
Nach den geltenden rechtlichen Vorschriften müssen grundsätzlich alle Aktiengesellschaften, KGaA, Genossenschaften, VVaG und die größeren GmbH zwingend einen Aufsichtsrat bilden; Gleiches gilt für Unternehmen der öffentlichen Hand in einer dieser Rechtsformen. In allen anderen (Kapital-)Gesellschaften kann ein Aufsichtsrat freiwillig gebildet werden. In Personengesellschaften wird häufig an dessen Stelle ein Beirat eingesetzt, dem in unterschiedlichem Umfang vergleichbare Überwachungsaufgaben im Namen der Gesellschafter übertragen werden.
Soweit in Kapitalgesellschaften ein Aufsichtsrat obligatorisch einzurichten ist, wird dies insb. mit der Notwendigkeit begründet, die Interessen der Kapitalgeber durch ein solches Organ angemessen vertreten zu können, da hier meist die Führung durch fremde Dritte (Fremdorganschaft) durchgeführt wird. Der Aufsichtsrat ist als Organ der Gesellschaft ausschließlich dem Interesse der Gesellschaft verpflichtet. In diesem Rahmen hat er die Interessen der Kapitalgeber, aber namentlich auch die der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Alle Aufsichtsratsmitglieder sind nur dem Gesetz und der eigenen Verantwortung unterworfen: Sie handeln also als Organ im Interesse der Gesellschaft, aber jeder Einzelne als Person uneingeschränkt eigenverantwortlich.
II. Zusammensetzung
Die Struktur eines obligatorischen Aufsichtsrats richtet sich sowohl nach der jeweiligen Rechtsform als auch nach der Zahl der in Deutschland tätigen Arbeitnehmer und ist daher sehr unterschiedlich. In grundsätzlich allen AG, sowie in GmbH, Genossenschaften und VVaG mit mehr als 500 und weniger als 2.000 Arbeitnehmern, steht den Arbeitnehmern regelmäßig ein Drittel, darüber hinaus die Hälfte der Aufsichtsratssitze zu. Nach den Vorschriften des MitbestG 1976 sind in Gesellschaften mit mehr als 2.000 im Inland beschäftigten Arbeitnehmern 12 (bis 10.000 Arbeiternehmer), 16 (bis 20.000 Arbeitnehmer) bzw. 20 Aufsichtsratsmitglieder vorgesehen. Für ausgewählte Branchen (Montanindustrie, Tendenzbetriebe) und unter Berücksichtigung der Anteilseignerstruktur (Familienunternehmen, Kleine AG) bestehen abweichende Vorschriften (Potthoff, Erich/Trescher, Karl/Theisen, Manuel René 2003, Rn. 41 – 77).
Die Arbeitnehmermandate in paritätisch besetzten Aufsichtsräten stehen überwiegend internen Belegschaftsvertretern (einschließlich eines Leitenden Angestellten), aber auch (externen) Gewerkschaftsvertretern zu. Die Vertreter der Arbeitnehmer werden in verschiedenen Formen der Wahl durch die Mitarbeiter, die Vertreter der Anteilseigner durch die Haupt-, Gesellschafter- bzw. Generalversammlung gewählt. Für freiwillig eingerichtete Aufsichtsräte der Kleinen AG oder einer Familien-AG mit weniger als 500 Arbeitnehmern sowie einer GmbH mit weniger als 2.000 Arbeitnehmern richtet sich die Zusammensetzung vorrangig nach den unternehmensindividuellen Vereinbarungen in der Satzung bzw. dem Gesellschaftsvertrag. Während obligatorischen Aufsichtsräten die Mindestkompetenzen nach den jeweiligen gesetzlichen Vorgaben nicht abgesprochen werden können, besteht bei freiwillig eingerichteten Aufsichtsräten weitgehend Organisationsfreiheit: Für aufsichtsratsähnliche oder -gleiche Funktionen gelten grundsätzlich die entsprechenden rechtlichen Vorgaben.
III. Rechte und Pflichten
Die Kompetenzen des aktienrechtlichen Aufsichtsrats sind weitgehend abschließend im AktG geregelt; darüber hinaus bestehen mitbestimmungsrechtliche Vorgaben nach dem MitbestG 1976, BetrVG 1952 und 1972 sowie weiteren Spezialgesetzen. Die Rechtstellung aller anderen – obligatorischen und freiwilligen – Aufsichtsräte richtet sich teilweise analog danach, teilweise nach weiteren gesetzlichen Einzelvorschriften und statutarischen Vorgaben (Lutter, Marcus/Krieger, Gerd 2002, Rn. 7 f.).
Die zentrale Aufgabe aller Aufsichtsräte ist die formelle und materielle Überwachung der Geschäftsführung des für die Leitung der Gesellschaft jeweils zuständigen Organs (u.a. AG-Vorstand, GmbH-Geschäftsführer). Durch die Überwachung soll sichergestellt werden, dass die Geschäftsführung ihre Aufgaben im Interesse der Anteilseigner und der Gesellschaft (Genossenschaft) nachhaltig möglichst effizient und effektiv erfüllt. Diese Überwachung umfasst sowohl die Prüfung und Kontrolle der Vergangenheit, u.a. durch die Feststellung des Gewinnverwendungsvorschlags sowie des Einzel- bzw. Billigung des Konzernabschlusses, die begleitende Überwachung der laufenden Unternehmensführung und die mitgestaltende Beratung der strategischen Ausrichtung und Orientierung für die Zukunft der Gesellschaft: „ Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen “ (§ 111 Abs. 1 AktG).
Im Rahmen des gesetzlichen Überwachungsauftrags hat der Aufsichtsrat ein uneingeschränktes Informationsrecht, die Unternehmensführung ist – rechtsformabhängig in unterschiedlichem Maße – zur periodischen und aperiodischen Berichterstattung verpflichtet (Theisen, Manuel René 2002a). Der von der Hauptversammlung gewählte Abschlussprüfer, der vom Aufsichtsrat ausgewählt, beauftragt und vergütet wird, ist diesem uneingeschränkt zur Berichterstattung und Beratung in Zusammenhang mit der gesetzlichen Abschlussprüfung verpflichtet (Theisen, Manuel René 1999). Auf der Grundlage dieser Informationen sowie ergänzt durch weitere Informationsnachfragen überwachen der Aufsichtsrat und seine Ausschüsse unter der Leitung des Aufsichtsratsvorsitzenden die Unternehmensführung. Neben laufenden Besprechungen und Beratungen mit dem Vorstand in den Sitzungen der Aufsichtsratsgremien muss bzw. kann der Aufsichtsrat insb. bestimmte Arten von Geschäften der Unternehmensleitung festlegen, zu deren Vornahme jeweils im Einzelfall vorher die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich ist.
Zentrale Verantwortung trägt der obligatorische Aufsichtsrat regelmäßig für die Auswahl, Bestellung und Anstellung der mit der Geschäftsführung beauftragten Personen. Mit dieser Personalkompetenz wird dem Aufsichtsrat die bedeutendste Verantwortung für die Unternehmensführung überantwortet. Mit der Zuständigkeit für die Wiederwahl und Abberufung der Mitglieder der Geschäftsführung besitzt er gleichzeitig die wichtigste Sanktionskompetenz zur Durchsetzung seiner Überwachungsrechte und -pflichten.
Der Aufsichtsrat als Organ sowie jedes seiner Mitglieder als Individuum ist verpflichtet, seine Überwachungsaufgabe mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Überwachers durchzuführen (§§ 116, 93 Abs. 1 AktG). Es ist über seine Amtszeit hinaus zur Verschwiegenheit über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft verpflichtet. Aufsichtsratsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Schadenersatz als Gesamtschuldner verpflichtet. Dessen ungeachtet haben die Aufsichtsratsmitglieder keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Vergütung, nur auf Auslagenersatz: Das Amt eines Aufsichtsrats wird regelmäßig als Neben- und nicht als Hauptamt verstanden, ohne dass daraus eine generelle Beschränkung ihrer gesetzlich umfassend ausgestalteten Rechte und Pflichten abgeleitet werden kann.
IV. Aufsichtsratspraxis
Die Praxis der deutschen Aufsichtsratsorganisation und -arbeit steht seit Jahren in der Diskussion: In Zusammenhang mit Unternehmenskrisen und -insolvenzen werden als Kontrollorgane neben dem Abschlussprüfer auch die Aufsichtsräte in die Kritik einbezogen. Dem gesetzlich umfassend formulierten Überwachungsauftrag (s.o. III.) steht in der Vergangenheit eine Aufsichtsratspraxis gegenüber, in deren Rahmen sich der Aufsichtsrat auf wenigen Sitzungen im Jahr, neben der Personalkompetenz sowie den konkreten Pflichten bezüglich der Bilanzprüfung und -genehmigung, oftmals vorrangig der Pflege der Beziehungen der Gesellschaft zu Kunden und Lieferanten gewidmet hat. Zahlreiche personelle Verknüpfungen verschiedenster Aufsichtsratsmandate einschließlich so genannter Überkreuzmandate (Vorstand in Unternehmen A und Aufsichtsrat in Unternehmen B vice versa) waren ein wesentliches Element der vom internationalen Kapitalmarkt kritisierten „ Deutschland AG “ . Umfassende Mehrfachmandate Einzelner sowie der nicht selten praktizierte Wechsel ehemaliger Vorstandsmitglieder in den Aufsichtsrat der eigenen Gesellschaft haben den Kreis der Aufsichtsratsmitglieder vielfach quantitativ überschaubar und qualitativ begrenzt gehalten (Theisen, Manuel René 1998).
Die historisch bedingte Kapitalmarktsituation in Deutschland, die durch eine hohe Quote von institutionellem Schachtel- und Mehrheitsbesitz an den börsennotierten Gesellschaften gekennzeichnet ist, hat dazu geführt, dass der Streubesitz selbst in großen Publikumsgesellschaften nahezu nicht im Aufsichtsrat vertreten ist. Das für die Wahl in den Aufsichtsrat geltende Mehrheitswahlrecht sorgt dafür, dass überwiegend eine homogene Besetzung der Anteilseignervertreter im Interesse der Kapitalmehrheit garantiert ist.
Die für die Wahl der Arbeitnehmervertreter verantwortliche Belegschaft orientiert sich ihrerseits bei der Wahl vorrangig an unternehmensbezogenen Verdiensten der Kandidaten sowie der gewerkschaftlichen Bindung und Verpflichtung. Insb. in den paritätisch mitbestimmten, mindestens 12-köpfigen Aufsichtsräten findet daher die Meinungsbildung nach „ Bänken “ getrennt in Vorbesprechungen oder in Ausschusssitzungen statt. Das Aufsichtsratsplenum degeneriert damit oftmals zum Proklamationsorgan. Die wahlbedingte Zusammensetzung und Größe des Überwachungsorgans führt zudem auch zu Problemen mit der Verschwiegenheit und einer von Interessenkollisionen freien Amtsführung.
Die zunehmende Kritik am Aufsichtsrat und seiner Praxis hat sowohl die Bundesregierung als auch verschiedene privatwirtschaftlich organisierte Kommissionen in 2001 veranlasst, sich über die Reform der gesetzlichen, insb. aber auch freiwilligen Ausgestaltung der Aufsichtsratsarbeit im Rahmen der deutschen Corporate Governance zu beschäftigen. Zusätzlich zu gesetzlichen Teilreformen in den Jahren 1998, 2002 und 2003 (s.u. VII.) wurde in 2001 eine Kodex-Kommission eingerichtet, die mit der erstmaligen Formulierung – und periodischen Überprüfung – eines Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) beauftragt wurde. In diesem Kodex werden verbindliche Empfehlungen und freiwillige Anregungen für eine „ gute Unternehmensführung und -überwachung “ (best practice) gegeben. Zu allen zwingenden Empfehlungen müssen Vorstand und Aufsichtsrat jährlich jeweils für sich erklären und veröffentlichen, ob sie diesen als Organ bzw. als einzelner Amtsinhaber entsprechen oder nicht ( „ comply or explain “ , § 161 AktG). Die vom DCGK nicht thematisierten Konsequenzen der Mitbestimmung im Aufsichtsrat wurden 2003 von einer Initiativgruppe zur Modernisierung der Mitbestimmung aufgegriffen (Werder, Axel von 2004). Als diskussionswürdig werden in diesem Zusammenhang die „ bänkebedingte “ Größe und damit verbundene Ineffizienz der Aufsichtsratsarbeit sowie der, im internationalen Standortwettbewerb wenig erfolgreiche, deutsche Sonderweg der paritätischen Mitbestimmung im Überwachungsorgan großer Kapitalgesellschaften bezeichnet.
Insgesamt greift die aktuelle Diskussion der Aufsichtsratspraxis die zunehmend deutlich werdende organisatorische, insb. aber personelle Schräglage hinsichtlich der Kräfteverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat auf: Einer professionellen und ausnahmslos hauptberuflich engagierten Unternehmensführung steht nach deutschem Modell ein Überwachungsorgan gegenüber, das in personeller Hinsicht nicht selten als „ Laientruppe “ angesehen werden kann, faktisch aber in jedem Fall als „ nebenberuflich Tätige “ bezeichnet und qualifiziert werden muss.
V. Organisationsalternativen
In der zunehmend international ausgerichteten Diskussion über den optimalen Standort unternehmerischen Handelns spielen die Unternehmensordnung sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen der Unternehmensverfassung eine große Rolle. Die Auseinandersetzung hat sich bisher auf eine vergleichende Gegenüberstellung der deutschen Vorstands-/Aufsichtsratsverfassung einerseits und der angelsächsischen board-Verfassung andererseits konzentriert. Letztere ist durch eine organisatorische und institutionelle Zusammenführung von Führung und Überwachung gekennzeichnet. Innerhalb der Organisationsform des board aber werden die ausnahmslos für die Überwachung zuständigen outside directors von den für die Führung (zusammen mit weiteren executive directors außerhalb des board) verantwortlichen inside directors personell klar getrennt (Theisen, Manuel René 2002b, S. 1051 ff.; Theisen, Manuel René 2003a, S. 285 ff.; Oetker, Hartmut 2003). Darüber hinaus führen aktuelle Entwicklungen in der US-amerikanischen board-Praxis sowie ergänzende gesetzgeberische Maßnahmen (Sarbanes-Oxley Act 2002; Theisen, Manuel René 2003b, S. 451 f.) dazu, zentrale Kontrollaufgaben, wie die Bilanzprüfung, durch das audit committee, den Bilanzprüfungsausschuss des board, nur durch unabhängige board-Mitglieder durchführen zu lassen. Diese Entwicklungen zeigen, dass die Organisationsalternative zum deutschen Aufsichtsrat in Form eines „ board “ zunehmend nur den Handlungsrahmen abweichend definiert, die Probleme insb. hinsichtlich der institutionellen und personellen Aufgabenverteilung aber vergleichbar bleiben, also eine Konvergenz der Probleme, nicht der Systeme vorliegt.
Eine alternative Ausgestaltung von Führung und Kontrolle findet sich in Form des in der Schweiz vertretenen einstufigen Verwaltungsratsmodells: Hier sind beide Funktionen in einem Organ, dem Verwaltungsrat, vereinigt. Die Stärke der konkreten Ausgestaltung nach schweizerischem Obligationenrecht liegt aber in der großen Flexibilität der damit möglichen Unternehmensorganisation: Der faktischen Ausgestaltung bleibt es daher im Einzelfall überantwortet, ob eine institutionelle und personelle Trennung von Führung und Überwachung oder aber eine weitgehende Zusammenfassung vorgenommen wird (Theisen, Manuel René 2002b, S. 1062 f.).
Eine Erweiterung der Formen zur Ausgestaltung der Unternehmensorganisation und Spitzenverfassung bringt das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft (SE). Nach dem EU-weit seit 2004 geltenden, einheitlichen Statut kann jeder Europäischen Aktiengesellschaft sowohl das board- als auch alternativ ein Vorstand-/Aufsichtsratssystem zugrunde gelegt werden. Dabei wird zwischen geschäftsführenden und nicht-geschäftsführenden Mitgliedern des gemeinsamen bzw. getrennten Führungs- und Überwachungsorgans unterschieden. Innerhalb der in 2004 auf 25 Mitgliedsstaaten erweiterten EU kann somit für diese einheitliche Rechtsform zwischen zwei verschiedenen Unternehmensverfassungen gewählt werden. Dieses Wahlrecht wird dazu beitragen, dass ein Wettbewerb der Corporate Governance-Systeme innerhalb Europas unter annähernd vergleichbaren Umwelt- und Rahmenbedingungen stattfindet (Theisen, Manuel René/Hölzl, Michael 2005).
VI. Überwachungseffizienz
Der Aufsichtsratspraxis in Deutschland (unter IV.) wird nicht erst vor dem Hintergrund spektakulärer Unternehmenszusammenbrüche der Vorwurf gemacht, keine effiziente Überwachung zu gewährleisten. Diese Kritik bezieht sich weniger auf die rechtlichen Rahmenbedingungen einschließlich einer umfassenden und in 2004 erneut verschärften Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für ihr Tun und Unterlassen (s.o. III.). Kritikwürdig erscheint vielmehr die konkrete Umsetzung der Überwachung in der Praxis: Wiederholt wird dabei thematisiert, dass die zur Überwachung der Unternehmen bestellten Aufsichtsratsmitglieder ihrerseits ebenso wenig an einer nachhaltigen Kontrolle interessiert sind wie die von ihnen zu überwachenden Vorstands- bzw. Geschäftsführungsmitglieder. Objektive Grenzen für eine effiziente Überwachung durch den Aufsichtsrat werden u.a. in den folgenden Tatsachen gesehen:
- | mangelnde Eignung und Qualifikation der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder, | - | ungenügende Bezahlung der erforderlichen Überwachungsleistung und -intensität, | - | ineffiziente Organisation der Überwachungsarbeit, insb. handlungsunfähige Organ- und Ausschussgröße und -besetzung, | - | asymmetrische Informationsversorgung und -abhängigkeit vom zu überwachenden Führungsorgan, | - | Interessenkollisionen und Abhängigkeiten untereinander und gegenüber Dritten (Banken, Lieferanten, Gewerkschaften), | - | fehlendes Engagement im Interesse der zu überwachenden Unternehmung und zu geringer Zeiteinsatz der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder (fehlende Vorbereitung, zu geringe Sitzungsfrequenz, eingeschränkte Präsenz). |
Eine zentrale Empfehlung des DCGK fordert von allen Aufsichtsräten, die sich insoweit dem Kodex unterwerfen, dass sie regelmäßig die Effizienz ihrer Tätigkeit überprüfen (Ziff. 5.6 DCGK). Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Aufgaben sind damit zumindest die Hauptfunktionen Personalkompetenz für das Führungsorgan, Überwachungsfunktion und die Bilanzfeststellungskompetenz unter einheitlichen Effizienzgesichtspunkten zu analysieren und zu bewerten. Darüber hinaus hat sich der Aufsichtsrat über die Effizienz seiner eigenen Organisation, der Informationsversorgung und -qualität und seiner personellen und fachlichen Besetzung und Qualität ein Bild zu machen. Diese interne Beurteilung kann gleichzeitig Grundlage für weitere effizienzsteigernde organisatorische und/oder personelle Maßnahmen und Verbesserungen sein. Eine gerichtliche Überprüfung der Überwachungseffizienz ist nur insoweit möglich, als der Aufsichtsrat das ihm zustehende weite eigene Ermessen, innerhalb dessen er seine Tätigkeit und sein Handeln frei bestimmen kann, für Dritte nachvollziehbar und objektiv überschreitet. Ein solcher Fall kann aber u.a. dann vorliegen, wenn ein Aufsichtsrat es unterlässt, einen grundsätzlich aussichtsreichen Schadenersatzanspruch gegen ein Mitglied der Unternehmensführung geltend zu machen (BGH-Urt. v. 21.04.1997, BGHZ 135, S. 256; Lutter, Marcus/Krieger, Gerd 2002, Rn. 825 – 833).
VII. Reformansätze
Der Verbesserung der Aufsichtsratsorganisation und -arbeit sowie der Steigerung der Überwachungseffizienz (unter VI.) widmete der Gesetzgeber in den letzten Jahren drei Reformen des Aktiengesetzes: Durch das „ Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmen “ (KonTraG 1998) wurde insb. die Zusammenarbeit von Vorstand und Abschlussprüfer mit dem Aufsichtsrat gestärkt und die Transparenz der Aufsichtsratstätigkeit erhöht. Mit dem „ Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität “ (TransPuG 2002) wurde die Informationsversorgung und -verarbeitung im Aufsichtsrat verbessert, der aufsichtsratsinterne Informationsfluss optimiert und die Verknüpfung mit den Empfehlungen des DCGK hergestellt. Zuletzt wurde mit der gesetzgeberischen Umsetzung des 10-Punkte-Programms der Bundesregierung in 2004 die Haftung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder verschärft und damit die Sanktionen gegen nicht ordnungsmäßiges Überwachen erhöht (Seibert, Ulrich 2003, S. 693 – 695;Theisen, Manuel René 2003b, S. 431 ff.).
Neben den Reformansätzen des Gesetzgebers widmet sich die Kodex-Kommission jährlich u.a. der Verbesserung der Überwachungsleistung des Aufsichtsrats. Sowohl im Rahmen der zwingenden Empfehlungen als auch der unverbindlichen Anregungen setzt der DCGK Standards, die für eine „ gute Unternehmensführung und -überwachung “ Maßstab bildend sein sollen. Darüber hinaus sind in der Betriebswirtschaftslehre „ Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensführung und -überwachung “ ausgearbeitet worden, die als Regelungssystem konkrete Vorgaben für eine nachhaltige und effiziente Organisation und Durchführung der Überwachung von Unternehmen und Konzernen durch den Aufsichtsrat zum Ziel haben.
Literatur:
Lutter, Marcus/Krieger, Gerd : Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. A., Köln 2002
Oetker, Hartmut : Aufsichtsrat/Board: Aufgaben, Besetzung, Organisation, Entscheidungsfindung und Willensbildung – Rechtlicher Rahmen, in: Handbuch Corporate Governance, hrsg. v. Hommelhoff, Peter/Hopt, Klaus J./Werder, Axel v., Köln – Stuttgart 2003, S. 261 – 284
Potthoff, Erich/Trescher, Karl/Theisen, Manuel René : Das Aufsichtsratsmitglied, 6. A., Stuttgart 2003
Seibert, Ulrich : Das 10-Punkte-Programm „ Unternehmensintegrität und Anlegerschutz “ , in: BB, Jg. 58, 2003, S. 693 – 698
Theisen, Manuel René : Aufsichtsrat/Board: Aufgaben, Besetzung, Organisation, Entscheidungsfindung und Willensbildung – Betriebwirtschaftliche Ausfüllung, in: Handbuch Corporate Governance, hrsg. v. Hommelhoff, Peter/Hopt, Klaus J./Werder, Axel v., Köln – Stuttgart 2003a, S. 285 – 304
Theisen, Manuel René : Zur Reform des Aufsichtsrats, in: Reform des Aktienrechts, der Rechnungslegung und der Prüfung: KonTraG, Corporate Governance, TransPuG, hrsg. v. Dörner, Dietrich et al., 2. A., Stuttgart 2003b, S. 431 – 522
Theisen, Manuel René : Herausforderung Corporate Governance, in: DBW, Jg. 63, 2003c, S. 441 – 464
Theisen, Manuel René : Grundsätze einer ordnungsmäßigen Information des Aufsichtsrats, 3. A., Stuttgart 2002a
Theisen, Manuel René : Corporate Governance als Gegenstand der Internationalisierung, in: Handbuch Internationales Management: Grundlagen, Instrumente, Perspektiven, hrsg. v. Macharzina, Klaus/Oesterle, Michael-Jörg, 2. A., Wiesbaden 2002b, S. 1051 – 1083
Theisen, Manuel René : Vergabe und Konkretisierung des WP-Prüfungsauftrags durch den Aufsichtsrat, in: DB, Jg. 52, 1999, S. 341 – 346
Theisen, Manuel René : Empirical evidence and economic comments on board structure in Germany, in: Comparative Corporate Governance, hrsg. v. Hopt, Klaus J. et al., Oxford 1998, S. 259 – 265
Theisen, Manuel René/Hölzl, Michael : Corporate Governance, in: Die Europäische Aktiengesellschaft, hrsg. v. Theisen, Manuel René/Wenz, Martin, 2. A., Stuttgart 2005, S. 269 – 330
Werder, Axel v. : Modernisierung der Mitbestimmung, in: DBW, Jg. 64, 2004, S. 229 – 243
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