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Gewerbepolitik


1. Begriff. Als G. bezeichnet man die Gesamtheit aller Bestrebungen und Maßnahmen, deren Ziel darin besteht, die ökonomischen Zustände und Prozesse im Bereich der gewerblichen Wirtschaft zu beeinflussen. Unter dem Begriff "Gewerbe" werden i.d.R. die Bereiche Industrie und Handwerk (Gewerbebetrieb) subsumiert. Die Gegensätze zwischen diesen Sektoren in früheren Entwicklungsphasen bestimmen auch heute noch wesentliche Elemente der G., deren Geschichte sich in 4 Epochen einteilen läßt: die zunftgebundene, die merkantilistische, die liberale und die interventionistische.
2. Ziele der G. Das Oberziel der G. kann auch heute noch in der Erhaltung und Förderung der formalen und materiellen Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung des einzelnen gesehen werden. Da sich die aus dem Liberalismus resultierende Gleichsetzung von Gewerbefreiheit und funktionsfähigem Wettbewerb in der Praxis als unzutreffend erwies, wurden mit zunehmender Industrialisierung die Wettbewerbserhaltung bzw. -förderung zu einer Hauptaufgabe der G.
2. 1. Ziele der Handwerkspolitik. Die Verlagerung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten in den gewerblichen Bereich und die Übernahme industriell komplementärer Funktionen haben den Schutzgedanken der Handwerkspolitik, der sich zunächst auf die befürchtete Verdrängung des Handwerks durch die industrielle Konkurrenz, später dann auf die Gefahr einer Überbesetzung und einen dadurch ausgelösten ruinösen Wettbewerb bezog, in den Hintergrund treten lassen. Heute besitzt die Erhöhung der Anpassungsflexibilität des Handwerks an den beschleunigten Strukturwandel Priorität. Da dieses Problem alle Klein- und Mittelbetriebe betrifft, geht die Handwerkspolitik in die auch aus gesellschaftspolitischen Gründen betriebene Mittelstandspolitik über.
2. 2. Ziele der Industriepolitik. Das vom Liberalismus bestimmte Ziel der industriepolitischen Maßnahmen war bis zum Ersten Weltkrieg die Schaffung und Erhaltung der Voraussetzungen einer möglichst freien industriellen Betätigung. Nach einer Phase der industriepolitischen Passivität Mitte und Ende der zwanziger Jahre dieses Jh., der sich anschließenden Politik der Depressionsbekämpfung (Große Depression) und der Autarkie und Kriegswirtschaft kann erst das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) von 1957 u.a. als neues geschlossenes industriepolitisches Konzept gewertet werden. Neben der Gewährleistung eines funktionsfähigen Wettbewerbs (Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik) versucht die Industriepolitik eine höchstmögliche Wirtschaftlichkeit dieses Sektors sicherzustellen, wobei die Wettbewerbspolitik diesem Ziel untergeordnet wird. Eine so verstandene offensive Industriepolitik ist Wachstums - bzw. Strukturpolitik ; sie verfolgt unter Beachtung ökologischer Restriktionen das Ziel, die Bereiche zu fördern, die über besondere Produktivitätspotentiale verfügen und damit den Anstoß zu einer Fortsetzung des Wirtschaftswachstums geben können. Durch die staatliche Förderung der Entwicklung von Spitzentechnologien und deren Umsetzung in Prozeß- und Produktinnovationen (Innovation) soll insbesondere die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten und gestärkt werden.
3. Mittel der G.
3. 1. Mittel der Handwerkspolitik. Zur Erhaltung der hohen Qualifikation, die eine notwendige Bedingung zur Sicherung der Anpassung des Handwerks an die wirtschaftliche Entwicklung ist, wie auch zur Vermeidung einer ruinösen Konkurrenz bedient sich die Handwerkspolitik der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Die weitgehende Institutionalisierung der Lehrlingsausbildung und der Weiterbildung von Gesellen und Meistern durch die Innungen und Kammern, insbesondere aber die Wiedereinführung des sog. "großen Befähigungsnachweises", der die Meisterprüfung als Voraussetzung für den selbständigen Betrieb eines Handwerks und die Einstellung und Ausbildung von Lehrlingen fordert, stellen Maßnahmen dar, die Beiträge zu beiden Zielen der Handwerkspolitik liefern sollen.
3. 2 Mittel der Industriepolitik. In der Industriepolitik werden wettbewerbs- und strukturpolitische Mittel eingesetzt. Die Gewerbeordnung , das mehrfach novellierte GWB und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb dienen der Ausgestaltung, dem Schutz und der Qualität des Wettbewerbs; sie tragen allerdings keinen industriespezifischen Charakter, da sie ohne Einschränkung auch für den Groß-, Außen- und Einzelhandel gelten. Die strukturpolitische Komponente des Mitteleinsatzes richtet sich auf die Ziele der Erhaltung, Anpassung und Entwicklung der Sektorstruktur. Ordnet man die Instrumente nach dem Kriterium der Eingriffsart, so lassen sie sich in marktorganisatorische und fiskalische Interventionen einteilen. Marktorganisatorische Interventionen betreffen die Regulierung der Marktdaten (Förderung der Markttransparenz und der Faktormobilität, Einsatz wirtschaftlicher Instrumente) und die Regulierung der Marktelemente (Instrumente zur Beeinflussung des Angebots, der Nachfrage und zur Mengen- und Preisregulierung), während (monetäre und reale) fiskalische Interventionen Teil der Einnahmen- und Ausgabenpolitik der öffentlichen Haushalte (Haushalt ,
3.) sind. Besondere Bedeutung hat die Förderung der Forschungs- und Entwicklungs-(FuE)-Aktivitäten (Innovationspolitik) zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit erlangt. Während die Zuständigkeit des Staates für die Grundlagenforschung unumstritten ist und auch gegen eine Verbesserung des Technologietransfers sowie gegen die indirekte FuE-Förderung keine ordnungspolitischen Einwände geltend gemacht werden können, bedarf es einer eingehenden Analyse , inwieweit selektive Subventionen als Form der direkten FuE-Förderung und finanzielle bzw. rechtliche Hilfestellungen bei der Forschungskooperation von Unternehmen (Betrieb, I.) tatsächlich dazu beitragen, die innovationspolitischen und über diese die wirtschaftspolitischen Hauptziele zu erreichen.
4. Träger der G.
4. 1.Träger der Handwerkspolitik. Die Interessenvertretung des Handwerks nehmen die Innungen als freiwillige Zusammenschlüsse selbständiger Handwerker eines oder mehrerer verwandter Handwerkszweige wahr; als Spitzenorgan fungiert der Zentralverband des Deutschen Handwerks. Die Kontrolle der handwerklichen Selbstverwaltung wird durch die Handwerkskammern als Körperschaften öffentlichen Rechts, denen als Pflichtmitglieder alle selbständigen Handwerker, Gesellen und Lehrlinge angehören, vorgenommen. Auf der staatlichen Ebene sind die wesentlichen handwerkspolitischen Kompetenzen bei den Wirtschaftsministerien konzentriert.
4. 2. Träger der Industriepolitik. Die Fachverbände der Industrie (Bundesverband der Deutschen Industrie) und die Gewerkschaften sind die wichtigsten Interessenvertreter, die Industriepolitik betreiben und auf Entscheidungen der Wirtschaftspolitik des Staates Einfluß zu nehmen suchen. Die Selbstverwaltung erfolgt durch die Industrie - und Handelskammern , die neben dem industriellen Gewerbe auch den Handels-, den Verkehrs- und andere Dienstleistungsbereiche vertreten; Spitzenorganisation ist der Deutsche Industrie- und Handelstag . Auf staatlicher Ebene betreiben Bund, Länder und Kommunen Industriepolitik, supranational nehmen die Europäischen Gemeinschaften Einfluß. Die Vielzahl der Träger führt zu Koordinationsproblemen, die durch die Verteilung der industriepolitischen Kompetenzen über mehrere Bundes- bzw. Landesministerien verstärkt werden.
5. Aktuelle Probleme der G. Die zukünftige G. der Bundesrepublik wird sich vor allem mit drei Problembereichen auseinanderzusetzen haben:
1. die Bildung von industriellen Machtstrukturen zu unterbinden, die die staatliche G. nicht nur "aushebeln", sondern selbst zu ihren Gunsten bestimmen können.
2. die Fähigkeit der Unternehmen zu steigern, sich den in immer kürzeren Zeitabständen vollziehenden Strukturbrüchen anzupassen.
3. mögliche Konflikte zwischen Ökonomie und Ökologie zu entschärfen.

Literatur: F. Voigt/J. Melcher, Industriepolitik, in: E. Mändle (Hrsg.), Praktische Wirtschaftspolitik. Wiesbaden 1977, 131 ff. H. St. Seidenfus, Gewerbepolitik, in: O. Issing (Hrsg.), Spezielle Wirtschaftspolitik. München 1982, 105 ff.

 

 


 

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