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Preistheorie

ist die wissenschaftliche Lehre von Preisen und Preismechanismen ; als solche ist sie Erklärungsgrundlage und Beurteilungsmaßstab marktwirtschaftlicher (Marktwirtschaft) Prozesse. In jeder Volkswirtschaft müssen Angebots- und Nachfragepläne der Wirtschaftsteilnehmer für Güter aller Art, d.h. volkswirtschaftliche Endprodukte , Zwischenprodukte, Faktorleistungen und Forderungstitel wie Geld , Devisen oder andere Wertpapiere , aufeinander abgestimmt werden.  In einer Zentralverwaltungswirtschaft wird dazu durch obrigkeitliche Anordnung ein Gesamtplan aufgestellt, dem sich alle Wirtschaftssubjekte unterordnen müssen. Preise sind dabei lediglich Verrechnungseinheiten, die die Planstelle durch Verwaltungsanordnung festlegt; ein Preismechanismus im Sinne der P. existiert nicht. Demgegenüber sind die Wirtschaftsteilnehmer in einer Marktwirtschaft weitgehend frei in ihren Angebots- und Nachfrageentscheidungen. Die erforderliche Koordination der Einzelpläne erfolgt über Märkte , an denen sich durch geplantes Angebot und geplante Nachfrage für alle Güter Preise bilden, die die jeweilige Knappheit der Güter anzeigen und über den Preismechanismus folgende Aufgaben lösen helfen: Sie passen Angebots- und Nachfrageentscheidungen der Wirtschaftssubjekte so aneinander an, daß ein Ausgleich von Angebot und Nachfrage erreicht und der Markt somit geräumt wird (bilateraler Tausch). Sie steuern Art und Umfang des Güterangebots nach Maßgabe der wirksamen Güternachfrage und damit zugleich den Einsatz von Produktionsfaktoren zur Erzeugung der nachgefragten Güter (Produktpreisbildung). Auf den Faktormärkten bestimmen sie das Einkommen , das die Wirtschaftssubjekte aus dem Produktionsprozeß beziehen (Faktorangebotstheorie , Faktorpreisbildung). Unter bestimmten Produktions- und Marktbedingungen bewirken sie schließlich eine Optimierung des Einsatzes der Produktionsfaktoren und der Versorgung mit produzierten Gütern und Dienstleistungen (Produktpreisbildung). Die P. als systematische Lehre von Preisen und Preismechanismus geht auf die Klassische Theorie (Smith, Ricardo, Mill) zurück: Wenn Produktion und Angebot eines Gutes nicht ausreichten, um die wirksame Nachfrage am Markt zu befriedigen, entstand nach Adam Smith eine "Konkurrenz der Käufer", die den Marktpreis dieses Gutes über seinen "natürlichen" Preis in Höhe der durchschnittlichen Produktionskosten steigen ließ, was für die Produzenten Anlaß war, die Produktion aus Gewinnmotiven bis zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage auszudehnen. Umgekehrt schufen Überschüsse von Produktion und Angebot über die wirksame Nachfrage am Markt eine "Konkurrenz der Verkäufer" mit der Folge von Senkungen des Marktpreises unter den "natürlichen" (Kosten -) Preis der Güter, wodurch die Anbieter Verluste erlitten, die sie zur Einschränkung der Produktion bis zum Ausgleich von angebotenen und nachgefragten Gütermengen veranlaßten. Damit war gezeigt, daß die Güterproduktion auch ohne obrigkeitliche Anordnung und kollektiven Zwang allein durch die wirksame Güternachfrage am Markt selbsttätig gesteuert werden kann. Wesentliche Erweiterungen und Verfeinerungen erfuhr die P. durch die Grenznutzenschule (Menger, Jevons, Walras) sowie durch mathematische Analysen (so von Cournot und Edgeworth), mit deren Hilfe die Anpassungsprozesse bei Gütermengenentscheidungen aufgrund von Veränderungen der Güterpreise für verschiedene Marktformen , Kostenverläufe und Elastizitätskonstellationen (Elastizitäten) exakt bestimmt werden konnten (Produktpreisbildung).  Die Grenznutzenschule erweiterte die klassische P. vor allem um die Überlegung, daß auch die Güternachfrage auf Höhe und Veränderungen der Güterpreise reagiert, so daß die Marktmechanismen der P. in doppelter Weise durch Anpassungen auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite wirksam werden konnten. Für diese Erweiterung war insbesondere die Erkenntnis maßgebend, daß der Nutzen jedes Gutes für den Nachfrager mit zunehmender Sättigung abnimmt ("Erstes Gossensches Gesetz", Grenznutzenanalyse) und daß jeder Nachfrager ein Nutzenmaximum erst erreicht, wenn durch Tauschprozesse am Markt das Verhältnis der Grenznutzen der Güter dem Verhältnis der Preise der Güter entspricht ("Zweites Gossensches Gesetz", Grenznutzenanalyse , Haushaltstheorie). Eine detaillierte Darstellung des Preisbildungsprozesses hat insbesondere Walras gegeben, der seinen Zeitgenossen deshalb als "Erfinder des freien Wettbewerbs" galt, wobei Wettbewerb hier einen Prozeß der Reaktionen auf Marktkräfte und eine Methode zur Erreichung von Marktgleichgewichten (Gleichgewicht) bedeutet. Nach Walras erfolgt die Bildung von Preisen durch ein Tâtonnement , d.h. einen Prozeß sukzessiver Anpassungen der Marktgrößen, bis ein Ausgleich von Angebots- und Nachfragemengen bei einem einheitlichen, stabilen Gleichgewichtspreis (Preisbildung , Gleichgewicht) erreicht ist. Dies gilt für jeden einzelnen Markt (Partialanalyse), aber mit den gleichen Anpassungs- und Reaktionsprinzipien auch für alle Märkte der Vo lkswirtschaft insgesamt (Totalanalyse).  Während Walras das Tâtonnement als einen Prozeß schrittweiser Preisänderungen mit dadurch ausgelösten Mengenreaktionen der Anbieter und der Nachfrager beschreibt, erklärt Marshall das Erreichen eines Marktgleichgewichts vielmehr als einen Prozeß sukzessiver Mengenänderungen mit daraus abgeleiteten Folgen für die Höhe der Güterpreise, die die Anbieter am Markt fordern bzw. die Nachfrager zu zahlen bereit sind. Auch wenn das Ergebnis in beiden Fällen das gleiche ist, ergeben sich doch Unterschiede zwischen beiden Ansätzen hinsichtlich der Frage, unter welchen Angebots- und Nachfragebedingungen ein Marktgleichgewicht stabil ist, d.h. nach einer Störung wieder selbsttätig zu einer Gleichgewichtslösung zurückkehrt. Anpassungsprozesse und Ergebnisse der P. hängen in hohem Maße davon ab, ob sich die Preisbildung auf vollkommenen oder auf unvollkommenen Märkten vollzieht; das gilt im Prinzip gleichermaßen für alle Marktformen wie Polypol , Oligopol und Monopol . Kennzeichen eines vollkommenen Marktes ist das sog.  Gesetz der Unterschiedslosigkeit der Preise von Jevons, wonach auf demselben Markt zu einem Zeitpunkt nicht zwei Preise für dasselbe Gut existieren können. Dies setzt voraus, daß alle Marktteilnehmer über vollständige Markttransparenz verfügen, auf jede Abweichung vom Marktgleichgewicht ohne zeitliche Verzögerungen mit Preis und Mengenänderungen reagieren und keine sachlichen, persönlichen, räumlichen oder zeitlichen Präferenzen hegen. Das impliziert zugleich, daß Preisdifferenzierungen stets nur auf unvollkommenen Märkten möglich sind. Die P. beruht wesentlich auf der Annahme ganz bestimmter Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte, nämlich der Nutzen - bzw. Gewinnmaximierung als Regulativ aller individuellen Angebots- und Nachfrageentscheidungen. Die auf dieser verhaltenstheoretischen Grundlage aufbauende P. kann ein in vielerlei Hinsicht bestechendes System der Selbststeuerung der Wirtschaft durch pretiale Lenkungskräfte beschreiben, dessen Ergebnisse den Wirtschaftsteilnehmern jedoch keineswegs von selbst in den Schoß fallen. Die Verhaltensweise der Nutzen- oder Gewinnmaximierung umfaßt nämlich nicht nur das Streben nach höchstmöglichen individuellen Vorteilen aus dem Wirtschaftsprozeß, sondern erfordert auch Anstrengungen in Form einer ständigen Gewinnung und Verarbeitung möglichst umfassender Marktinformationen, von Änderungen der angestrebten und realisierbaren Güter- oder Faktorpreise sowie von Umdispositionen bei den eigenen Angebots- und Nachfrageplänen als systemnotwendige Reaktionen auf veränderteMarktkonstellationen. Werden die Unbequemlichkeiten und auch Kosten, die mit Anpassungen der Preise und der Mengendispositionen für Anbieter und Nachfrager verbunden sind, als besonders gravierende Nachteile empfunden, so können sie die Marktteilnehmer zu einem Wechsel der Verhaltensweisen (Clower) veranlassen: Die Wirtschaftssubjekte gründen ihre Angebots- und Nachfrageentscheidungen dann auf zumindest kurzfristig unveränderte Preise, auch wenn diese "falsche Preise" sind, weil sie nicht einem Marktgleichgewicht entsprechen. Die unvermeidliche Folge sind Angebots- oder Nachfrageüberschüsse, d.h. ein Versagen des Markträumungsprinzips, mit der weiteren Konsequenz, daß die jeweils kleinere Marktseite (Angebot oder Nachfrage) das effektive Ausmaß der Käufe und Verkäufe am Markt bestimmt. Damit erfolgt eine Rationierung der größeren durch die jeweilige kleinere Marktseite. Solche Rationierungen auf einem Markt bleiben kaum ohne Rückwirkungen auf das Angebots- und Nachfrageverhalten der Wirtschaftssubjekte auf anderen Märkten. Vollzieht sich auch dort die Befriedigung von Angebot und Nachfrage nach dem gleichen Rationierungsmuster, so gerät die Wirtschaft insgesamt auf einen Entwicklungsweg, an dessen Ende eine allgemeine Unterauslastung der Produktivkräfte und eine Unterversorgung mit Gütern und Dienstleistungen stehen. Rationierungen des Angebots oder der Nachfrage durch die jeweils andere Marktseite sind eine Form von Marktversagen , welches aus Änderungen jener Verhaltensweisen resultiert, die für die klassische P. und einen funktionsfähigen Preismechanismus konstitutiv sind. Davon zu trennen ist ein angebliches "Marktversagen", das regelmäßig zu erwarten ist, wenn mit Marktprozessen vergebens solche Ziele angestrebt werden, deren Verwirklichung überhaupt nicht Gegenstand der P. und des Preismechanismus ist. Solche Fälle liegen z.B. vor, wenn von der Preisbildung für Produktionsfaktoren erwartet wird, sie verwirkliche eine Einkommensverteilung nach sozialen statt ökonomischen Kriterien, oder wenn dem Preismechanismus an Gütermärkten die Verwirklichung von Umweltzielen aufgebürdet wird, für die die Wirtschaftsteilnehmer aufgrund ihrer Nutzenschätzungen keine mindestens kostendeckenden Preise zu zahlen bereit sind.

Literatur: W. H. Hoyer/R. Rettig, Grundlagen der mikroökonomischen Theorie.
2. A., Düsseldorf 1984, Kap. I und IV. G. J. Stigler, Die vollständige Konkurrenz im historischen Rückblick, in: Wettbewerbstheorie, Hrsg. K. Herdzina, Köln 1975, 30-53. A. Woll, Allgemeine Volkswirtschaftslehre. 11. A., München 1993, Kap. 2 bis 4 und 12.

 

 


 

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