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Aktienanalyse, technische


Inhaltsübersicht
I. Grundgedanken
II. Historische Entwicklungen und Zusammenhänge
III. Verfahren

I. Grundgedanken


Die technische Aktienanalyse umfasst heute eine nahezu unübersehbare Fülle unterschiedlicher, in der Regel aus der Praxis für die Praxis entwickelter Verfahren, wobei mittlerweile fast jeder professionell arbeitende Analyst zusätzlich über selbstentwickelte Varianten verfügt. Dennoch weisen die Verfahren einen gemeinsamen Nenner auf: sie beziehen sich auf die Beobachtung des Handelsablaufes und der Transaktionen unmittelbar an der Börse selbst. Dabei steht insbesondere die Erfassung der Kurse und Umsätze einzelner Aktien, ihre grafische Darstellung in Schaubildern (sog. Charts, vgl. Abb. 2) und deren Analyse im Vordergrund. Aus den Grunddaten, nämlich den Börsenkursen und -umsätzen, werden darüber hinausgehend zahlreiche Indizes, Kennzahlen und „ ratios “ gebildet, aus denen man zusätzliche Schlüsse zu ziehen versucht.
Die Bezeichnung „ technisch “ bezieht sich auf die Beobachtung der Aktionen an der Börse, im Gegensatz zur Untersuchung der Handelsobjekte der Börsen. Die Analyse der Handelsobjekte ist Gegenstand der „ fundamentalen “ Aktienanalyse, die sich in erster Linie an der Entwicklung der Ertragskraft der Aktiengesellschaften als zentralem Entscheidungskriterium orientiert. Die Fundamentalanalyse stellt dementsprechend letztlich auf die Ermittlung des „ inneren Wertes “ einer Aktie in Form eines in bestimmter Weise abgeleiteten Ertragswertes ab. Dabei wird unterstellt, dass der Börsenkurs auf längere Sicht um diesen inneren Wert oszilliert, weil sich aufgrund der rationalen Handlungsweisen der überwiegend ertragsorientierten Aktienmarktteilnehmer entsprechende Angebots- und Nachfragekonstellationen herausbilden würden. Die Bedeutung der fundamentalen Daten für Angebot und Nachfrage an der Börse wird von den Technikern keineswegs geleugnet. Die Börsenkurse werden jedoch nicht nur von rational handelnden Investoren bestimmt. Sie reflektieren vielmehr genauso mehr oder weniger irrationale Hoffnungen und Stimmungen, Befürchtungen und Vermutungen, also Einflüsse, die einer exakten Einzelanalyse unzugänglich sind. Dennoch sind diese Einflüsse von beträchtlicher Bedeutung und finden letztlich ebenfalls ihren konkreten quantitativen Ausdruck in den Börsenkursen und -umsätzen. Die Akteure benutzen zudem häufig die gleichen Informationsquellen und neigen dazu, bestimmte Entwicklungen gleichartig zu interpretieren. Sie beeinflussen und bestärken sich gegenseitig bis hin zu nur noch psychologisch begreifbaren gleichgeschalteten Verhaltensweisen, wobei sie sich oftmals sogar nur von Vermutungen leiten lassen, was andere, gleich ob richtiger- oder unrichtigerweise, vermutlich tun werden. Aus entsprechenden Stimmungen heraus setzen sich Kursbewegungen daher sehr leicht kumulativ-trendmäßig fort.
Die Techniker versuchen deshalb, durch fortlaufende Beobachtung der Kursentwicklung Trendunterbrechungen möglichst frühzeitig festzustellen. Die richtig verstandene technische Analyse prognostiziert nicht, wie lange bestimmte Bewegungen anhalten werden, sie erstellt vielmehr lediglich Diagnosen darüber, in welchem Trend sich eine einzelne Aktie oder der gesamte Markt befindet, ob sich der beobachtete Trend noch fortsetzt oder ob eine Umkehrphase vorliegt. Kontinuierliche aktuelle Marktdiagnosen als Entscheidungsgrundlage für sinnvollerweise zu ergreifende Maßnahmen stehen also im Vordergrund. Die grundlegende „ Philosophie “ der technischen Aktienanalyse besteht daher im Sinne eines „ trail and error “ -Prozesses darin, Gewinne solange wie möglich wachsen zu lassen, Verluste hingegen zu begrenzen, indem man aussteigt, sobald Konstellationsänderungen dies nahe legen bzw. eine Fehldiagnose erkannt wird. Erfahrungsgemäß ist es einer der verlustträchtigsten Fehler überhaupt, auf einer Aktie „ sitzen zu bleiben “ , nur weil man sich scheut, zu tieferen als dem Einstandskurs zu verkaufen. Solche pragmatisch orientierten Heuristiken, also Regeln, die sich aufgrund von Erfahrungen bewährt haben, sind nicht nur für die technische Analyse charakteristisch. Sie spielen genauso auch in vielen anderen Lebensbereichen bei unvollkommen überschaubaren Entscheidungssituationen eine Rolle, ohne den Erfolg zu garantieren, z.B. bestimmte Eröffnungsstrategien mit bestimmten Antworten beim Schach und ähnliches.
Im Grunde trägt die technische Analyse damit auch Oskar Morgenstern, Rechnung, dem Mitschöpfer der Spieltheorie, der schon 1928 überzeugend nachwies, dass jedem wirtschaftlichen Handeln lediglich eine recht begrenzte Kenntnis zukünftiger Ereignisse zugrunde liegen kann. Der Philosoph Nicolai Hartmann sieht in der teilweisen Kenntnis des zukünftigen Geschehens sogar die Ursache jeglichen menschlichen Handelns: „ In dem Schleier, der ihm (dem Menschen) die Zukunft verhüllt, ist nur ein winziger Riss. Aber der genügt. Ja ? alle Aktivität, alle Initiative, alles Handeln, Eingreifen in das Geschehen, alles Gestalten und Schöpfertum hängt daran “ (Hartmann, N. 1948, S. 151).
Auch neuere Überlegungen im Rahmen der Durchleuchtung konstitutiver Merkmale hochkomplexer Systeme in Kategorien der Informatik führen zu ganz ähnlichen Einsichten. So zeigen Kirsch/Kohlas (Kirsch, G./Kohlas, J. 1993), dass komplexe Ordnungen, die – wie etwa Planwirtschaften – jede Unvorhersehbarkeit ausschalten und somit auf allen Hierarchieebenen Vorhersehbarkeit erzwingen wollen, scheitern, da sie Unvorhersehbares, das unvermeidbar ist, nicht konstruktiv nutzen können. Die „ Langeweile und die tödliche Sterilität der Planwirtschaften “ z.B. seien „ keine pathologischen Entartungen “ , sie sind vielmehr systemimmanent. Kurz: Systeme in denen kein Platz für das Unvorhersehbare ist, scheitern am Wandel ihrer Umwelt. Marktwirtschaftliche, polyzentrale Systeme, in denen die Finanzmärkte, insbesondere aber die Börsen als die effizientesten Märkte überhaupt, wichtige Subsysteme bilden, beantworten die Frage, wie Menschen miteinander umgehen sollten, deren Verhalten wechselseitig unvorhersehbar ist, in wesentlichen Teilen entgegengesetzt. Jeder einzelne sei und solle zwar für den anderen unvorhersehbar sein, dennoch solle niemand die Unvorhersehbarkeit erleiden, ohne auch von ihr profitieren zu können. Es entspreche dem Konstruktionsprinzip eines mittels angemessener Regulierungen domestizierten Marktes und Wettbewerbs, mit Blick auf die Chancen das Neue und noch Unbekannte zu fördern, nicht aber es aus Angst vor Risiken zu verhindern.
Dieses Konzept hat einerseits die umfangreichen Innovationen und das damit verbundene enorme weltweite Anwachsen der Finanzmärkte in den letzten 25 Jahren ermöglicht, es verdeutlicht andererseits aber unmittelbar auch die Grenzen jeder richtig verstandenen Finanzanalyse im Allgemeinen und Aktienanalyse im Besonderen: Keine ökonomische Prognosetechnik, also auch nicht die fundamentale oder die technische Aktienanalyse, kann das Unvorhersehbare prognostizierbar machen. Die Unmöglichkeit, alle Unvorhersehbarkeiten in ein System ökonomischer Zwangsläufigkeiten zu bringen, verhindert andererseits, dass faire Märkte, speziell auch die Aktienbörsen, von Minderheiten systematisch ausgeplündert und damit letztlich zerstört werden. Die systemimmanente unvollständige Prognostizierbarkeit sichert somit letztlich die Funktionsfähigkeit gerade auch der Aktienmärkte.

II. Historische Entwicklungen und Zusammenhänge


Nach wie vor ist die dem „ Erfinder “ der technischen Aktienanalyse, dem Amerikaner Charles H. Dow, /, zugeschriebene Aussage völlig aktuell, nämlich: „ Averages Discount Everything (exept Acts of God) “ . Damit ist gemeint, dass Indices als repräsentative Gesamtmarktindikatoren in ihren laufenden Bewegungen alles reflektieren, was bekannt und was überhaupt vorhersehbar ist: sie diskontieren alle Aspekte, die Einfluss auf Angebot und Nachfrage haben. Selbst unvorhersehbare Katastrophen ( „ Acts of God “ ) werden bekanntlich von den Aktienmärkten im Allgemeinen außerordentlich schnell bewertet und ihre Effekte in Kurse umgesetzt. (Hier ist zweifellos eine konzeptionelle Verwandtschaft zu der seit den 1960er Jahren von Fama, / u.a. propagierten „ Efficient Market-Theory “ zu erkennen, von der sich Fama allerdings, für viele wohl etwas überraschend, in einem Aufsatz von 1992 selbst wieder distanzierte). Zahlreiche Äußerungen in seinen Leitartikeln im Wallstreet-Journal bis zu seinem Tod im Jahre 1902 weisen darauf hin, dass Charles Dow die von ihm erfundene technische Analyse weniger als Prognoseinstrument sah, sondern eher als Diagnoseinstrument im Sinne eines Barometers der allgemeinen ökonomischen Entwicklung verstand. Dafür spricht auch, dass Dow 1897 als erster versuchte, den allgemeinen Trend bzw. das allgemeine Niveau des Aktienmarktes als Durchschnittspreis ausgesuchter repräsentativer Aktien darzustellen – den heute berühmten „ Dow Jones Averages “ . Zwar war führenden Börsianern bereits vorher geläufig, dass die Kurse großer Gesellschaften dazu tendierten, gemeinsam zu steigen und zu fallen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und Tempo. Allerdings fehlte bis zur Entwicklung der Dow Jones Averages der allgemeine Maßstab, mit dem die Unterschiede genau genug quantifiziert werden konnten. Charles Dow legte damit u.a. auch die Grundlagen für das später viel benutzte technische Konzept der „ Relativen Stärke “ – eine Idee, die mehr als ein halbes Jahrhundert später wieder auftauchte, diesmal jedoch nicht in dem traditionellen pragmatischen Gewand der technischen Aktienanalyse, sondern eingebaut in das wissenschaftliche Konzept der von Markowitz (Markowitz, H.M. 1959) und Sharpe (Sharpe, 1963; Sharpe, 1964) begründeten modernen Portfolio- und Kapitalmarkt-Theorie. Dies erfolgte zunächst in Form der Beta-Faktoren in Indexmodellen und später in Verbindung mit dem „ Benchmark-Konzept “ in neueren Asset-Allocation-Modellen zur absoluten und relativen Optimierung (vgl. z.B. Hielscher, U. 1969; Hielscher, U. 1991; Hielscher, U./Heintzelmann, H. 1975). Die richtungsweisenden Vorstellungen von Charles Dow wurden von W. P. Hamilton, /, seinem Nachfolger als Herausgeber des Wallstreet-Journal, bis 1929 weiter verfolgt und in ein System gebracht. Hamilton formulierte schließlich das, was heute unter der Dow-Theorie (vgl. Edwards, /Magee, 1966) bekannt ist. In den dreißiger Jahren verfasste danach R. W. Schabacker, /, Mitherausgeber der führenden Finanzzeitschrift „ Forbes “ einige Bücher, in denen er – angeregt von den Gedanken Dow\'s und Hamilton\'s über die Beurteilung der Gesamtmarkttendenz – versuchte, auch einzelne Aktien eingehender zu analysieren. Er wurde dabei von dem Meteorologen R.D. Edwards unterstützt, der die Arbeiten nach Schabackers Tod fortsetzte und 1948 zusammen mit John Magee, das inzwischen klassische Standardwerk „ Technical Analysis of Stock Trends “ veröffentlichte.
Mit aussichtslosen Bemühungen um immer „ perfektere “ Methoden und automatisch funktionierende Indikatoren, insbesondere durch Kombinationen zahlreicher Einzelindikatoren sowie diverser Indizes zu Gesamtindikatoren, die mechanisch und ohne jedes Versagen frühzeitig vor Trendänderungen warnen sollten und die dann auch noch als „ Computerprognosen “ zu Geld gemacht wurden, geriet die technische Aktienanalyse zeitweilig in Misskredit, zumal sich gerade in kritischen Situationen besonders komplex konzipierte Konstruktionen als irreführend erwiesen. Zur Verunsicherung trugen ferner Untersuchungen zur „ Random-Walk Hypothese “ bei, nach der sich die Kursveränderungen angeblich formal in ganz ähnlicher Weise beschreiben lassen, wie die zufälligen Bewegungen kleinster, in ruhenden Flüssigkeiten suspendierter Teilchen. Diese sog. „ Brownschen Bewegungen “ hatte u.a. Albert Einstein, bereits 1905 und 1906 mathematisch beschrieben.
Der Gedanke, dass man Wertpapierkurse als Realisation eines Zufallsprozesses auffassen könnte, ist fast genauso alt wie die technische Analyse. Er findet sich bereits bei Bachelier (Bachelier, 1900) und später auch bei anderen Autoren (ohne hier auf weitere Details einzugehen, sei auf die Aufsatzsammlung von P. H. Cootner, / sowie auf Hielscher (Hielscher, U. 1975) hingewiesen). Eine intensive Diskussion wurde allerdings erst durch M. Osborne, / eingeleitet, der in seinem 1959 erschienen Aufsatz: „ Brownian Motion in the Stock Market “ die klassische Formulierung der Random-Walk-Hypothese aufstellte, nach der sich die zeitliche Entwicklung der Aktienkurse analog zu den Brownschen Molekularbewegungen als rein stochastischer Prozess (Zufallsprozess) aus einer Normalverteilung ableiten ließe. Die rigorose Auffassung von Osborne und anderen wurde allerdings schon bald darauf widerlegt. Das gilt nicht zuletzt auch für die zahlreichen, jedoch mit hinreichend kleiner Irrtumswahrscheinlichkeit widerlegten, Bemühungen, die Verteilungsfunktion des Zufallsprozesses als Normalverteilung der absoluten, relativen oder logarithmischen Veränderungen oder gar als Normalverteilung der Logarithmen der relativen Veränderungen darzustellen. Diese „ Methoden “ kennzeichnet treffend der Aerodynamiker von Karman, den für seinen naturwissenschaftlichen Bereich ähnliche Vorgehensweisen zur Feststellung bewogen haben: „ If you want to make a theory, take logs: if that does not work, take log logs and that will fit any theory! “ (Hielscher, U. 1975, S. 1138). Dennoch verunsicherten die teilweise mehr als pointierten Angriffe der Random-Walk-Hypothese speziell auf die technische Analyse die Anleger über einige Jahre.
Die Vertreter der Random-Walk-Hypothese hatten allerdings übersehen, dass gerade Übertragungen von in den Naturwissenschaften bewährten Methoden auf ökonomische Probleme stets Gefahren unbedachter Analogien in sich bergen. Rein formal können die mathematischen Formulierungen dann zwar einwandfrei erscheinen, im Hinblick auf die tatsächlichen Zusammenhänge dennoch aber unzutreffend sein. Dass bei verallgemeinernden Aussagen über die Aktienkurse mit Hilfe statistischer Untersuchungen Vorsicht angebracht ist, belegt keineswegs erst die Kehrtwendung von Fama (Fama, 1992). So orientierten sich in Deutschland beispielsweise Schips, /Stier, / bereits 1972 mit spektralanalytischen Untersuchungen methodisch an amerikanischen Untersuchungen von Granger, /Morgenstern, / aus den 1960er-Jahren und gelangten auch zu ganz ähnlichen Ergebnissen, nämlich dass zumindest auf eine Frist von bis zu einem Jahr die Kursveränderungen ein Zufallsprozess seien. Conrad/Jüttner (Conrad, K./Jüttner, D. J. 1973) orientierten sich hingegen an Überlegungen von B. Mandelbrot, (ebenfalls aus den 1960er-Jahren) und kamen zu dem Resultat, dass die deutschen Verläufe sich signifikant von einem Random-Walk unterscheiden. Die Ursache für diese konträren Ergebnisse liegt darin, dass die Ergebnisse nicht nur von der gewählten Stichprobe, sondern auch von dem angewandten statistischen Verfahren abhängen. Auch neuere theoretische Ansätze, z.B. die „ Chaostheorie “ (vgl. Peitgen, H.-O./Jürgens, H./Saupe, D. 1994; Day, R.H./Chen, P. 1993) oder die „ Synergetik “ (vgl. Haken, H. 1990; Loistl, O./Landes, T. 1989), lassen deutlich eine Orientierung an naturwissenschaftlichen Vorbildern erkennen.
Vor dem skizzierten Hintergrund lässt sich als Fazit anführen: In der Realität treten durchaus Marktineffizienzen auf, die allerdings rasch ausgenutzt werden. Neu bekannt werdende oder neu erkannte wertbeeinflussende Fakten werden dadurch sehr schnell in neue Preise transformiert, was gerade auch der Sinn „ fairer “ Märkte und daher eines ihrer systemimmanenten Konstruktionsmerkmale ist. Je erfolgreicher und schneller aber Ungleichgewichte (Marktineffizienzen) ausgenutzt werden, um so rascher verschwinden sie und sind daher statistisch auch um so weniger erfassbar. Die Random-Walk-Hypothese versuchte, diese Übergänge mit in den Naturwissenschaften durchaus bewährten Methoden als Zufallsprozess zu beschreiben. Der Entwicklungspfad der Börsenkurse ist allerdings kein Vorgang, der Naturgesetzen unterliegt, sondern er ist das Resultat der gesamten Marktaktivitäten einer nicht exakt abgrenzbaren, jedoch sehr großen Zahl von kurzfristig handelnden Tradern und langfristig orientierten Anlegern sowie von Hedgern und Arbitrageuren mit den unterschiedlichsten Handlungsmotivationen (vgl. Hielscher, U. 1993, S. 1173 – 1187). Ein bestimmter künftiger Börsenpreis oder die Dauer einer bestimmten Entwicklungsrichtung der Marktpreise (Trend) gehört für den einzelnen zu den für marktwirtschaftliche Systeme konstitutiven Unvorhersehbarkeiten, sodass stets eine Reihe von Marktteilnehmern zu früh, einige gerade rechtzeitig und andere zu spät handeln. Dennoch ist die Börse insgesamt ein empfindlich und auf ökonomische Entwicklungen aktuell reagierendes Stimmungsbarometer. Dieses Barometer versucht die inzwischen an allen Weltbörsen wieder etablierte technische Analyse mit Verfahren „ abzulesen “ , deren elementare Grundgedanken nachfolgend exemplarisch skizziert seien.

III. Verfahren


1. Übersicht


Zur Erreichung des Hauptziels der technischer Analyse, nämlich Trendverläufe und deren Umkehrpunkt frühzeitig zu diagnostizieren, wurden zahlreiche Methoden und Verfahren entwickelt (vgl. Abb. 1), mit denen versucht wird:

1.

die allgemeine Grundtendenz der Börse (Index) zu erfassen,

2.

die Kursverläufe einzelner Aktien zu analysieren und

3.

Beziehungen einzelner Aktienkursverläufe zu Branchenindizes oder der allgemeinen Grundtendenz der Börse herzustellen, um eine Verbindung zwischen den beiden erstgenannten Bereichen herzustellen.


Abb. 1: Verfahren der technischen Aktienanalyse

2. Zu den Verfahren im Einzelnen

a) Gesamtmarktindikatoren


Odd Lots sind an amerikanischen Börsen kleine Börsenaufträge über eine „ krumme “ Anzahl (1 bis 99) von Aktien, im Unterschied zu Round Lots (Aufträge über 100 Stück oder ein ganzzahliges Vielfaches davon), die von Großanlegern stammen. Da die große Masse der Kleinanleger meist schlechter informiert sei als Großinvestoren und die Kleinanleger daher meist „ schief “ liegen, wird ein starkes Anschwellen von Odd Lot-Kaufaufträgen als Anzeichen für ein bevorstehendes Ende eines Aufwärtstrends interpretiert, während umgekehrt ein starkes Anschwellen von Odd Lot- Verkaufsaufträgen auf ein bevorstehendes Auslaufen eines Baissetrends hinweist. Short Interest-Statistiken dienen entsprechend der Erfassung von Leerverkäufen. Ein starkes Anschwellen der Leerverkäufe um ein Mehrfaches des Durchschnitts der letzten Zeit (z.B. der letzten 3 Monate) lässt u.U. künftig überdurchschnittliche Eindeckungserfordernisse und damit entsprechende technische Reaktionen erwarten.
Die Advance/Decline (AD)-Line wird aus den Kursänderungen aller an einer Börse gehandelten Aktien ermittelt. Die Zahl der im Vergleich zum Vortag mit niedrigeren Kursen schließenden Aktien wird von der Zahl der höher schließenden Aktien abgezogen. Der so gewonnene Saldo wird zum Vortagswert der AD-Linie addiert. Durch Vergleiche des Index mit der AD-Linie erhofft man sich zusätzliche Informationen über die technische Verfassung des Marktes. Wenn etwa die ungewichtete AD-Linie ihre Bewegungsrichtung früher ändert als der (z.B. mit dem Grundkapital gewichtete) Index, dann ist das ein Hinweis, dass der Index nur noch von einigen besonders „ schweren “ Werten hoch bzw. tief gehalten wird, während der Markt, gemessen an der Mehrzahl der Aktien, bereits gedreht hat.
Bei dem Momentum handelt es sich im Prinzip um Wachstumsraten, die die Schwungkraft der Kursbewegungen kennzeichnen sollen. Dazu wird in regelmäßigen Abständen die prozentuale Veränderung des aktuellen Kurses zu einem bestimmten historischen Vergleichswert berechnet (z.B. mit 12 Monaten Zeitdifferenz). Da die Zuwachsraten oft erratischen Schwankungen unterliegen, werden sie meist noch durch einen gleitenden Durchschnitt geglättet. Ein im historischen Vergleich extrem hohes Momentum und insbesondere ein Drehen des Momentums in einem im historischen Vergleich extremen Bereich weist auf eine schwächer werdende Kursdynamik in der bisher vorherrschenden Richtung hin. Mit anderen Worten: dreht das Momentum im unteren Schwankungsbereich nach oben, so wird dies als Kaufsignal interpretiert, umgekehrt als Verkaufshinweis, wenn der Indikator im oberen Bereich nach unten dreht (vgl. Abb. 2, gepunkteter Kurvenzug (Nr. 9)).
Oszillatoren sind Indikatoren, die Aussagen über Marktungleichgewichte liefern sollen. Sie sind in der Regel so konstruiert, dass sie um eine Null-Linie (=Markt ist im Gleichgewicht) schwanken. Da sich die Börsenkurse nicht gleichmäßig, sondern in sich überlagernden verschiedenfristigen Trends bzw. Zyklen entwickeln, soll der Oszillator auftretende „ Wellenhöhen und -täler “ als überkaufte bzw. überverkaufte Situationen anzeigen. Im einfachsten Fall der „ Deviation “ wird zunächst ein gleitender Durchschnitt gebildet und anschließend die prozentuale Abweichung der aktuellen Kurse von diesem Durchschnitt berechnet. Je höher diese Differenz ist, um so übertriebener ist die Entfernung des aktuellen Kurses von seinem Haupttrend (repräsentiert durch den gleitenden Durchschnitt) bzw. der überkaufte (überverkaufte) Zustand.
Sentimentindikatoren sollen Rückschlüsse auf die Stimmung und damit auf das Verhalten bestimmter wichtiger Marktteilnehmergruppen ermöglichen. Oftmals basieren diese Verhaltensindikatoren auf dem Konzept der „ contrary opinion “ : Eine erfolgreiche Anlage beruhe darauf, dass die meisten Anleger immer wieder die gleichen Fehler machen. Es gelte daher, sich gerade entgegengesetzt zu verhalten. Ein besonders hoher Pessimismus der Anlegerschaft wird dabei für die zukünftige Tendenz eher positiv gewertet, während umgekehrt ein „ übertriebener “ Optimismus für die künftige Kursbewegung negativ zu beurteilen sei. Entsprechende Indikatoren sind beispielsweise die Put/Call-Ratio oder der Investitionsgrad der Investmentfonds. Bei der PC-Ratio, die börsentäglich als Quotient der gehandelten Puts zu den Calls ermittelt wird, gilt demzufolge ein hoher Extremwert (übermäßig viele Puts) als Kaufhinweis und umgekehrt ein besonders niedriger Wert als Verkaufssignal. Ein besonders niedriger Investitionsgrad der Investmentfonds (hohe Barreserve) gilt als potenzielle Marktunterstützung und ist ein positives Signal für steigende Kurse. Umgekehrt ist ein sehr hoher Investitionsgrad für die künftige Marktentwicklung negativ zu beurteilen, da das daraus resultierende Nachfragepotenzial erschöpft ist.
Das Umsatzvolumen ist ein klassischer technischer Indikator. Dabei ist weniger die absolute Höhe der Umsätze relevant, sondern vielmehr ihre zeitliche Entwicklung in Relation zum Kursverlauf. Das Umsatzverhalten liefert Hinweise auf den Verkaufs- bzw. den Kaufdruck hinter einer Kursbewegung. Generell gilt, dass Parallelität von Kurs- und Umsatzentwicklung auf eine technische Marktstärke hindeutet: Bei einem Aufwärtstrend sollten Kurssteigerungen mit höheren, zwischenzeitliche Kursrückgänge mit niedrigeren Umsätzen einhergehen ( „ volume goes with the trend “ ). Abweichungen von dieser Grundregel (insbesondere Gegenläufigkeiten von Kurs- und Umsatzentwicklung) kennzeichnen unsichere bzw. schwache Marktverfassungen.
Filterregeln legen z.B. Sicherheitsmargen fest, mit denen „ zufällige “ von „ signifikanten “ Kursbewegungen unterschieden werden. Ein Filter kann z.B. festlegen, dass eine Trendänderung erst dann als bestätigt und daher als signifikantes Handlungssignal gelten soll, wenn nach einem Trenddurchbruch eine zusätzliche Sicherheitsmarge von etwa drei oder fünf Prozent überschritten wird.

b) Chart Reading


Das Chart Reading wird vielfach als Kerngebiet der technischen Aktienanalyse angesehen. Grundlage bilden grafische Darstellungen der Kurs- und Umsatzverläufe. Am verbreitetsten sind neben Linien-Charts sog. Bar-Charts. Während man in Liniencharts einfach aufeinanderfolgende Kurse (z.B. die täglichen Schlusskurse) durch eine Linie verbindet, werden in den Bar-Charts die täglichen (wöchentlichen oder auch monatlichen) Höchst- und Tiefstkurse durch einen senkrechten Balken und zusätzlich oft der Schlusskurs durch einen kurzen waagerechten Strich gekennzeichnet (vgl. Abb. 2). Weniger verbreitet sind andere Spezialdarstellungen, wie etwa die sog. Point and Figure-Charts (vgl. z.B. Lerbinger 1984) oder Candle-Stick- und Anchor Line-Charts (vgl. z.B. Shimizu, S. 1986; Nison, St. 1991; Nison, St. 1994), die sich von den Bar-Charts durch Vereinfachungen infolge Weglassens (P&F-Charts) oder noch komplexere Gestaltung durch Hinzufügen zusätzlicher Information (z.B. Candle Stick Charts) unterscheiden.


Abb. 2: Beispiele für Aktiencharts
Grundlage des Chart Reading bilden Unterstützungs- und Widerstandslinien (bzw. -zonen), sowie Trendlinien und Trendkanäle. Zur zusätzlichen Diagnose von Trendverläufen und als Ergänzung der Trendlinienmethode werden die sog. Formationen herangezogen, die als typische Konstellationen von Kurs- und Umsatzverläufen in ähnlicher Form immer wieder auftauchen.
Unterstützungslinien (U) und Widerstandslinien (W) resultieren aus für einzelne Aktien individuell unterschiedliche Kurshöhen, die über längere Zeiträume nicht über- bzw. unterschritten werden. Dies liegt oft darin begründet, dass bestimmte Kursmarken, z.B. 275, 500 oder historische Höchst- bzw. Tiefstkurse u.ä., „ psychologische Barrieren “ darstellen, die häufig nur schwer durchbrochen werden. An solchen Grenzen massieren sich vielfach Kauf- bzw. Verkaufslimite. Derartige charakteristische Kursgrenzen können aber auch dadurch auftreten, dass ein Aufkäufer Aktien zu bestimmten Limiten regelmäßig aus dem Markt nimmt, oder umgekehrt, dass ein Großaktionär auf einem bestimmten Niveau laufend Material abgibt. In der Abb. 3 sind einige U.- und W.-Linien mit durchgezogenen waagerechten Linien gekennzeichnet. Im weiteren Sinne spricht man von Unterstützungs- und Widerstandszonen (areas), wenn sich die eben genannten Erscheinungen innerhalb eines relativ engen Schwankungsbereichs der Kurse (ca. 3 bis 10%) abspielen.
Zur Beschreibung eines aufwärtsgerichteten Trends verwendet man beim Chart Reading eine Trendlinie, die durch mindestens zwei Kursminima bestimmt ist, die einige Zeit auseinanderliegen. Ein abwärtsgerichteter Trend wird dagegen durch eine Linie gekennzeichnet, die mindestens zwei Maxima verbindet (vgl. die gestrichelten Linien in Abb. 3). Solange bei einem aufwärtsgerichteten Trend das folgende Kursminimum nicht unter die Trendlinie (T) fällt, wird davon ausgegangen, dass sich der alte Trend fortsetzt, und zwar vorläufig mit der gleichen Steigungsrate. Durchbricht jedoch der Kurs die aufwärtsgerichtete Trendlinie von oben nach unten, so gilt dies als Verkaufssignal. Umgekehrt wird es als Kaufsignal gewertet, wenn die Kurse eine abwärtsgerichtete Trendlinie von unten nach oben durchstoßen.
Von Trendkanälen (TK) spricht man, wenn die Kursentwicklung mit zwei parallel verlaufenden steigenden bzw. fallenden Trendgeraden exakt eingegrenzt werden kann. Für Ausbrüche aus einem Trendkanal nach unten bzw. oben (Verkaufs- bzw. Kaufsignal) gelten die gleichen Regeln wie bei Durchbrüchen durch Trendlinien. In Abb. 3 ist von Anfang 1988 bis Mitte 1990 ein solcher Trendkanal zu erkennen, aus dem Mitte 1990 die Kurse bei 700 nach unten (Verkaufssignal!) ausbrachen und danach bis zur Unterstützungslinie bei ca. 500 DM fielen.


Abb. 3: Unterstützungs- (U) und Widerstandslinien (W), Trendlinien (T) und Trendkanäle (TK)

c) Relative Stärke


Allgemein versteht man unter relativer Stärke die Kursentwicklung einer einzelnen Aktie im Verhältnis zur Entwicklung der entsprechen Branche (Branchenindex) oder zum Gesamtmarkt (Gesamtmarktindex; Börsenindices), aber auch im Verhältnis zu anderen Einzelwerten in einem abgegrenzten, zurückliegenden Zeitraum. Anhand der relativen Stärke versucht man, diejenigen Aktien auszuwählen, die in der Vergangenheit im Vergleich zu allen anderen Aktien am stärksten gestiegen bzw. am wenigsten gefallen sind. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass die historisch stärksten Aktien sich auch in einem gewissen zukünftigen Zeitraum relativ am besten entwickeln werden. In einer Aufwärtsbewegung des Marktes werden deshalb nur die bisher relativ stärksten Aktien erworben, während im Abwärtstrend Leerverkäufe bzw. der Kauf von Verkaufsoptionen in den relativ schwächsten Titeln erfolgen. Letztere sind oft schon im Aufwärtstrend relativ schwach und fallen dann im Abwärtstrend besonders rasch zurück. Sofern hingegen ein zurückgebliebener Wert bei einer Börsenhausse aufholt, also im Preis stärker steigt als der Durchschnitt, so ändert sich automatisch seine relative Stärke, und er wird Kaufkandidat. Vielen Anlegern widerstrebt allerdings diese Vorgehensweise: sie empfinden es intuitiv als unattraktiv, im Preis schon stärker gestiegene Papiere noch zu kaufen, wo doch andere mit „ Nachholbedarf “ scheinbar günstiger zu haben sind.
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