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Führung und Führungstheorien


Inhaltsübersicht
I. Führung in Organisationen
II. Führungsbeziehung und Führungserfolg
III. Führungstheorien
IV. Kritische Würdigung

I. Führung in Organisationen


Die Auseinandersetzung mit Führungsfragen findet innerhalb der Betriebswirtschaftslehre/Managementlehre auf zwei Ebenen statt. Die erste Ebene ist der Bereich der Unternehmensführung, der die Gestaltung, Lenkung und Entwicklung von Prozessen des Unternehmensgeschehens sowie deren strukturelle Begleitung betrifft. Damit steht die Steuerung der Organisation im Fokus der Betrachtung. Die zweite Ebene, die nachfolgend weiter vertieft wird, ist der Bereich der Personalführung (Mitarbeiterführung, leadership), der sich auf die Steuerung des Verhaltens von Organisationsmitgliedern bezieht. Eine Verbindung zwischen den Ebenen besteht insofern, als einerseits innerhalb der Unternehmensführung Fragen der Personalführung aufgenommen werden und sich andererseits die Personalführung immer in einem von Entscheidungen der Unternehmensleitung verantworteten Rahmen vollzieht. Dieser wird vor allem durch das organisatorische Gefüge konkretisiert. Dieses Gefüge dient nicht zuletzt dazu, das Verhalten der Organisationsmitglieder abzustimmen. Allerdings reichen die vom Grundsatz her unpersönlichen Vorkehrungen regelmäßig nicht aus, die verfolgte Absicht befriedigend umzusetzen (Weibler, Jürgen  2001, S. 103 ff.). So kommt der Personalführung (kurz: Führung) in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, das Leistungs- und Sozialverhalten der Organisationsmitglieder entsprechend den in der Organisation bestehenden normativen Erwartungen und faktischen Erfordernissen ergänzend auszurichten. Es geht allerdings nicht nur darum, die dem organisatorischen Gefüge inhärenten Steuerungsdefizite passiv kompensierend aufzufangen, sondern vor allem darum, die potenziell aktivierende, gestaltende Kraft der Führung einzubringen. Gerade letztere ist es ja, die das Nachdenken über Führung forciert und im Mittelpunkt des Interesses steht (Zaccaro, Stephen J./Klimoski, Richard J.  2001).
Trotz dieser der Führung entgegengebrachten Aufmerksamkeit liegt kein einheitliches Führungsverständnis vor (Neuberger, Oswald  2002, S. 11 ff.; Rost, Joseph C.  1991). Die Crux ist, dass unterschiedliche Vorannahmen (z.B. Menschenbilder) und Erkenntnisinteressen, nicht selten auch Ideologien, das Führungsverständnis prägen. Dies schwingt schon bei den anthropologischen wie funktionalen Begründungsversuchen für Führung mit. Etymologisch verweist „ führen “ auf das Veranlassen, dass sich etwas bewegt, auf das „ gerichtete Fahren machen “ , also darauf, andere auf ein Ziel hin in Bewegung zu setzen. Viele Definitionen nehmen dies bei aller Uneinheitlichkeit bis heute auf. In der hervorragenden Übersicht von Rost (Rost, Joseph C.  1991), der die Historie der Führungsforschung unter Zuhilfenahme von 221 gefundenen Definitionen rekonstruiert und kritisch analysiert, zeigt sich u.a. die zeitliche wie inhaltliche Kontextgebundenheit des Phänomenzugangs. Auffällig ist dennoch, dass Führung oftmals mit (zielbezogener) Beeinflussung assoziiert ist, die traditionelle Ausrichtung auf den Führenden zunehmend in den Hintergrund tritt und Geführte sowie die Führungsbeziehung im Laufe der Zeit wichtiger werden.
Ein Grundproblem der Führungsdiskussion, das sich auch auf die Formulierung von Führungsdefinitionen auswirkt, ist, dass das Innehaben einer bestimmten formalen Position mit Führung gleichgesetzt wird, obwohl bereits Gibb mit seiner sinnvollen Unterscheidung von „ headship “ (Leitung) und „ leadership “ (Führung) sehr früh den richtigen Weg gewiesen hatte (vgl. Gibb, Cecil A.  1969). Hintergrund ist, dass Führung – im Gegensatz zur Leitung, deren Einfluss allein auf einer formalen Positionsmacht beruht – von anderen erlebt und anerkannt werden muss. Ansonsten bekämen Befehl und geforderter Gehorsam dieselbe Qualität wie Einsicht und freiwillige Gefolgschaft. Dies ist offensichtlich unbefriedigend. Die von Gibb gegebene Differenzierung wird von Attributions- und Kategorisierungstheorien präzisierend unterstützt (vgl. z.B. Calder, Bobby J.  1977; Lord, Robert G./Maher, Karen J.  1991). Hier wird Führung als ein (vor-)bewusster Zuschreibungsprozess erachtet, der norm- und erfahrungsfundierten prototypischen Vorstellungen (Schemata und Skripte) über Idealbilder von Führung verpflichtet ist. Damit ist eine Beliebigkeit von Zuschreibungskriterien innerhalb einer Gemeinschaft faktisch ausgeschlossen (vgl. auch Weibler, Jürgen et al. 2000). Ein (hierarchisch begründeter) Führungsanspruch transformiert eine (Arbeits-)Beziehung demnach noch nicht in eine Führungsbeziehung. Ein Führender muss als solcher von anderen (den potenziell Geführten) wahrgenommen werden. Zwang, Manipulation oder Überredung haben mit Führung nichts zu tun. Auch im Lichte dieser Erkenntnis ist Führung wie folgt zu definieren: Führung heißt andere durch eigenes, sozial akzeptiertes Verhalten so zu beeinflussen, dass dies bei den Beeinflussten mittelbar oder unmittelbar ein intendiertes Verhalten bewirkt (Weibler, Jürgen  2001, S. 29). Die Beeinflussung kann sich auf alle Determinanten des Verhaltens von Individuen beziehen (z.B. Kognitionen, Emotionen, Motivation, Arbeitsbedingungen). Damit zeigt sich, dass die in Teilen der betriebswirtschaftlichen Literatur anzutreffenden Modellierungen von Führung im Rahmen eines Prinzipal-Agenten-Verhältnisses (vgl. Picot, Arnold/Neuburger, Rahild  1995, wenig glücklich: ökonomische Führungstheorie) sehr verkürzt sind. Dort geht man ausdrücklich von einem durch Informationsasymmetrie gekennzeichneten Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis aus, wobei die Frage der Akzeptanz des Auftraggebers grundsätzlich keine Rolle spielt. Von der Vorstellung her handelt es sich vielmehr um die Betrachtung des Verhältnisses zweier Positionsinhaber, die in einem hierarchisch bedingten Über- bzw. Unterordnungsverhältnis zueinander stehen. Modelliert wird also ein Leitungs- und kein Führungsverhältnis.
Daneben steht die Frage der Zuweisung substanzieller Führungsaufgaben bzw. Führungsfunktionen. In einer informativen Übersicht von Fleishman et al. werden hierfür 65 Klassifikationsvorschläge auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau zusammengestellt und zu sechs funktionalen, mit einer Führerrolle einhergehenden Verhaltensdimensionen verdichtet (z.B. „ information use in problem solving “ , „ managing personell resources “ ; vgl. Fleishman, Edwin A. et al. 1991). Es kann gezeigt werden, dass sich diese Klassifikationen auch an veränderten Führungsproblemen orientieren. Als geradezu klassisch ist die grobe Unterteilung (Lukasczyk, Klaus  1960) in die Lokomotionsfunktion (goal achievement) und die Kohäsionsfunktion (group maintenance) anzusehen. Dies ist gleichzeitig Kern der funktionalen Theorie der Führung, die die Wahrnehmung dieser Funktionen rollentheoretisch fasst und in der Regel unterschiedlichen Personen zuweist (Führungsdual – ansonsten: great man; Divergenztheorem der Führung; Bales, Robert F./Slater, Philip E.  1969).
Die Beeinflussung anderer wird vor allem im anglo-amerikanischen Raum als eine direkte Beeinflussung von Menschen durch Menschen mittels Kommunikation und Vorleben gesehen. Dies ist zweifelsfrei Kern jeder Führung. Organisationale Strukturrealitäten (Positionsmacht, Aufgabe, Belohnungssysteme usw.) sind aber vom Prinzip her mit zu berücksichtigen, um die Wirksamkeit der Verhaltensbeeinflussung besser verstehen zu können (vgl. Reber, Gerhard  1995, Sp. 661 f.). Wunderer unterscheidet deshalb zwischen einer interaktiven und strukturellen Führung (vgl. Wunderer, Rolf  2003, S. 5). Während sich die interaktive Führung auf die unmittelbare, direkte Einflussnahme bezieht, orientiert sich die strukturelle, indirekte Führung an der Beeinflussung anderer durch führungsstrategische, führungsorganisatorische und führungskulturelle Maßnahmen (vgl. hier auch die Medien einer entpersonalisierten Führung, Türk, Klaus  1995). In diesem Sinne sind Führungsinstrumente (z.B. Mitarbeitergespräch) und Führungsprinzipien (z.B. Management by Objectives/Delegation) Bestandteile einer strukturellen Führung.

II. Führungsbeziehung und Führungserfolg


Führung vollzieht sich in einer Führungsbeziehung, die eine sehr einfache Grundstruktur besitzt (vgl. Abb. 1): Zwei oder mehr Personen (ein Führender und ein Geführter bzw. mehrere Geführte) interagieren in einer bestimmten (Führungs-)Situation, die wiederum in einen bestimmten (Führungs-)Kontext eingebettet ist (hier: eine Organisation). Resultierender Effekt aus der Führungsbeziehung ist der Führungserfolg.
Führung und Führungstheorien
Abb. 1: Grundstruktur einer Führungsbeziehung
Die Führungsbeziehung wird gängigerweise durch die Führer- und Geführtenposition konstituiert und als eine spezielle Form der sozialen Interaktion aufgefasst. Ohne Geführte gibt es keine Führer und Führung findet ohne Gefolgschaft nicht statt. Der Interaktionsbegriff drückt aus, dass das Verhalten der Personen aufeinander bezogen ist und zwar reaktiv wie antizipativ. Es handelt sich um eine wechselseitige, wenngleich asymmetrische, Einflussbeziehung. Dort, wo sich eine Führungsbeziehung nicht entlang formaler Erwartungen herausbildet, spricht man von informeller Führung.
Eine Führungsbeziehung unterliegt den gegebenen Bedingungen ihres Umfelds. Das gesamte Umfeld der Führungsbeziehung wird Führungssituation genannt. Hier kann zwischen Führungssituationsfaktoren und Führungssituationsvariablen unterschieden werden (Weibler, Jürgen  2001, S. 74 ff.). Der Einfluss der Situation auf den Führungserfolg – und dies ist ein wesentlicher Grund ihrer Analyse – wird jedoch unterschiedlich modelliert (Schreyögg, Georg  1995). Dies schlägt sich auch bei der Formulierung hierauf bezogener Führungstheorien nieder. Rückwirkungen des Verhaltens auf die Situation werden selten betrachtet.
Der Führungserfolg wird wiederum in zweierlei Hinsicht diskutiert. Zum einen interessiert man sich für den Beitrag der Führung für den Unternehmenserfolg. Die Ergebnisse differieren je nach methodischer Vorgehensweise (Lieberson, Stanley/O\'Connor, James F.  1972; Day, David V./Lord, Robert G.  1988). Unklar bleibt dabei, um eine Problematik zu verdeutlichen, wie Makroeffekte aus Mikroeffekten abgeleitet werden können. Organisationstheoretische Befunde werden zudem kaum berücksichtigt. Zum anderen – und darum geht es im Eigentlichen  – wird der Beitrag der Führung auf Erfolgsgrößen untersucht, die unmittelbar mit der Führungsbeziehung in Verbindung gebracht werden können (Leistung und Zufriedenheit von Personen, Variablen der Geführtengruppe). Dies ist für die Führungspraktiker immer von überragender Bedeutung. Dennoch bleibt auch hier die Ableitung von Kriterien schwierig (Lehner, Johannes  1995). Sowohl die (keineswegs konfliktfreien) unterschiedlichen Maße als auch ihre Erfassung (subjektiv/objektiv, quantitativ/qualitativ) auf verschiedenen Analyseebenen sorgen für reichlich Verwirrung. Dass das Erfolgskriterium teilweise auch vom Sachhandeln des Führenden abhängig ist, verkompliziert die Lage (Gebert, Dieter  2002, S. 32). Gleiches gilt für die Rückwirkung von wahrgenommenem (Miss-)Erfolg auf die Führungsbeziehung selbst (Niederfeichtner, Friedrich  1983, S. 610). Zudem ist die implizit unterstellte Annahme der Handlungsfreiheit des Führenden eine Fiktion. Vielmehr ist die Führungskraft in organisationale Zwänge eingebunden. Da Führende in der Regel auch Geführte sind, überlagern sich Führungseinflüsse verschiedener Ebenen. Weibler hat dies mit seinen Untersuchungen zur Führungstriade (Geführter, Führer, nächsthöherer Vorgesetzter) theoretisch wie empirisch gezeigt (vgl. Weibler, Jürgen  1994). Ohne hier ins Detail gehen zu können, liefern die empirischen Studien dennoch insgesamt klare Hinweise dafür, dass Führung (unter anzugebenden Bedingungen) einen Unterschied macht. Generell sollten die Erfolgskriterien so nah wie möglich zu ihrer Verursachung gesucht werden. Ob eine erfolgreiche Führung auch eine moralisch vertretbare Führung ist, wird selten problematisiert (Führungsethik; Ciulla, Joanne B.  1995; Weibler, Jürgen  2001, S. 395 ff.; Kuhn, Thomas/Weibler, Jürgen  2003). Eine Verbindung der Erfolgsmessung mit strategischen wie operativen Fragen des Controllings wird in der betriebswirtschaftlichen Führungsforschung gelegentlich versucht (Führungscontrolling), löst aber die offenen theoretischen und methodischen Fragen nicht.

III. Führungstheorien


Die multidisziplinäre Verankerung der Führungsforschung (Managementlehre, Militärwissenschaft, Psychologie, Soziologie, Pädagogik, Politikwissenschaft) hat die Vielgestaltigkeit der Theorienbildung forciert (zur Übersicht: Bass, Bernard M.  1990; Kieser, Alfred/Reber, Gerhard/Wunderer, Rolf  1995; Bryman, Alan  1996; House, Robert J./Aditya, Ram N.  1997) und zur Heterogenität der Führungslandschaft beigetragen (Weibler, Jürgen  1996). Der Theorienbegriff ist dabei sehr breit zu fassen. Eine wichtige Rolle spielen etablierte sozialwissenschaftliche Theorien, die dann auf den Anwendungskontext zugeschnitten werden. Die Theorienentwicklung wie die Theoriendiskussion verfolgt nur gelegentlich integrative Absichten (Yukl, Gary A.  1998, S. 277) Kennzeichen ist vielmehr die isolierte Behandlung des jeweiligen Ansatzes. Führungstheorien sind wie alle Theorien nicht voraussetzungsfrei. Insbesondere sind hier das Vorverständnis von Führung und das zugrunde liegende Menschenbild zu nennen. Führungstheorien beanspruchen, Erscheinungsformen von Führung zu beschreiben, deutend zu verstehen oder zu erklären. Darüber hinaus ist teilweise die Ableitung von gestaltungsorientierten Handlungsempfehlungen (Anregung, Unterstützung) möglich, die auch den Charakter von Führungsmodellen (Weibler, Jürgen  2004a) annehmen können.
Unter Vernachlässigung primär entscheidungsorientierter Führungsstilansätze wird, ausgehend von den Grundelementen einer Führungsbeziehung, nachfolgend ein Vorschlag zur Einordnung von zentralen Führungstheorien unterbreitet (vgl. Abb. 2). Die Erläuterung folgt den Grundelementen sowie ihrer Verknüpfung.
Führung und Führungstheorien
Abb. 2: Zentrale Führungstheorien (Theorien der Führer-Geführten-Beziehung)
Die Mehrzahl der entwickelten Theorien ist aus der Sicht des Führenden formuliert. Die führerzentrierten Theorien waren es auch, die den Beginn einer breiteren, erfahrungswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Führungsphänomen seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts markieren. Treibende Kraft war die Suche nach persönlichkeitsbezogenen Differenzen zwischen Führern und Nicht-Führern bzw. „ guten “ und „ schlechten “ Führern. Diese Eigenschaftstheorie der Führung dominierte bis zur Mitte des 20. Jh. und wird mit Hilfe neuerer Persönlichkeitstheorien/-modelle (bspw. die Big Five; zur Übersicht Gebert, Dieter  2002) und verbessertem Instrumentarium bis heute verfolgt. Gegenbewegungen, die Personen nur als Erfüllungsgehilfen einer bestimmten Situation sahen, traten dahinter zurück (environmental theory/history theory) – ideologische wie pragmatische Gründe waren zu stark (Selbstlegitimation der Führenden; Führungskräfteauswahl). Ein „ Führungsfaktor “ wurde nicht gefunden, doch sind nicht alle denkbaren Eigenschaften von gleichem Gewicht. Immer wieder genannt werden Energie, (Soziale) Intelligenz, prosoziale Motivation, Dominanz oder Selbstvertrauen (z.B. House, Robert J./Shane, Scott A./Herold, David M.  1996). Den Zusammenhang von grundlegenden Motiven (vor allem sozial orientierte Macht) und Führungseffektivität postuliert die recht unbeachtet gebliebene Leader Motive Profile Theory, die ein „ leadership motive syndrome “ identifiziert (McClelland, David C.  1990). Soziale Lerntheorien (Sims, Henry P./Lorenzi, Peter  1992) werden hingegen in der Führung genutzt, um –  neben der Erklärung von Verhalten – den Führenden Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten der Geführten durch Kenntnisse über den Einsatz von Belohnungen und Bestrafungen zu geben. Sozial werden Lerntheorien dann, wenn auf das Beobachtungslernen abgehoben wird (der Führende als Modell). Hier wie in anderen Führungstheorien finden sich Bezüge zu Machtaspekten. Zusammenhänge zwischen Macht und Führung werden unter dem unpräzisen Label Machttheorie der Führung besprochen. Gefragt wird, wie personale/positionale Machtgrundlagen erworben und wann sie wie mit welchem Resultat vom Führenden eingesetzt werden können (Neuberger, Oswald  1995). Eine bedeutsame Wende vollzog sich, als man sich dem Führungsverhalten im Labor wie im Feld zuwandte (Stogdill, Ralph M./Coons, Alvin E.  1957; Bales, Robert F./Slater, Philip E.  1969). Die hieraus empirisch entstandene Verhaltenstheorie der Führung ermittelt Aufgabenorientierung und Personenorientierung durch Experiment oder Befragung (v.a. Leader Behavior Description Questionnaire) als Grundmuster des Führungsverhaltens. Der hohe Abstraktionsgrad sowie methodische Unzulänglichkeiten bewirken im Durchschnitt jedoch nur schwach positive Zusammenhänge zu Erfolgsgrößen. Inspiriert wurden aber Ansätze zur sozialen Dimension menschlicher Arbeit (Humanistic theories). Einige der bekanntesten Führungsstilansätze fußen auf diesen Verhaltensklassen. Überragende Bedeutung kommt seit gut 20 Jahren der von Burns eingebrachten und von Bass sowie anderen überarbeiteten transformationalen Führungstheorie zu (vgl. Burns, James M.  1978; Bass, Bernard M.  1999). Bestimmte Eigenschaften/Tugenden (z.B. Mut) sowie Verhaltensweisen (z.B. intellektuelle Stimulierung der Mitarbeiter) des Führenden bewirken hiernach Effekte (z.B. performance beyond expectations, persönliche Reifung), die mit einer transaktionalen, d.h. auf kalkulativem Austausch basierenden Führung nicht zu erzielen sind. Bryman ordnet diese Führungstheorie einer Klasse neuerer Führungstheorien zu, die u.a. auch (neo)charismatische Führungstheorien enthält (vgl. Bryman, Alan  1996). Diese thematisieren vor allem wertorientierte Bindungen von Geführten zur Person des Führenden. Keine Klasse von Führungstheorien wurde im letzten Jahrzehnt stärker empirisch untersucht (Conger, Jay A./Kanungo, Rabindra N./Menon, Sanjay T.  2000).
Die führerzentrierten Theorien haben teilweise sehr einfache Grundstrukturen. Die Situationstheorien der Führung nehmen zwar auch die Warte des Führenden ein, berücksichtigen aber zusätzlich von vornherein ausgewählte Situationsvariablen und Situationsfaktoren (no one best way). Bezugspunkt bleibt weiterhin die Frage nach einer effektiven Führung. Fiedler, Fred E.s Kontingenztheorie der Führung, die als Situationsvariablen Aufgabenstruktur, Positionsmacht und Beziehungsqualität behandelt und mit der Vorliebe des Führenden für eine Personen- oder Aufgabenorientierung verbindet, gilt historisch als bahnbrechend. Hiernach ist ein beziehungsorientierter Führungsstil nur bei einer mittleren Situationskontrolle durch den Führer erfolgreich. Die viel beachtete Weg-Ziel-Theorie der Führung nach House ist ein bemerkenswerter Versuch, Aufgabenunsicherheit, Charakteristika der Geführten sowie Arbeitsumfeld mit verschiedenen Verhaltensweisen des Führenden zu verknüpfen (vgl. House, Robert J.  1996; revidiert). Unter Bezugnahme auf Wert-Erwartungstheorien wird u.a. geklärt, wie Führungskräfte auf die Geführtenmotivation einwirken (Wege zur Zielerreichung aufzeigen) und wann sie sich zurückhalten sollen. Genau Letzteres ist dezidierter Gegenstand der Substitutionstheorie der Führung, die Ausprägungen bei personalen, aufgabenbezogenen und organisationalen Variablen angibt, unter denen aufgaben- und/oder personenorientiertes Verhalten unwirksam, unnötig oder kontraproduktiv ist. Neuere Forschungen relativieren die Grundaussagen der Theorie, erkennen aber den in der Diskussion stehenden Variablen einen verhaltenssteuernden Einfluss klar zu (Podsakoff, Philip M./MacKenzie, Scott B.  1997). In eine etwas andere Richtung geht Fiedlers und Garcias Führungstheorie der kognitiven Ressourcen (Fiedler, Fred E./Garcia, Joseph E.  1987; Fiedler, Fred E.  1995), die Persönlichkeitsvariablen (Intelligenz, Erfahrung) mit einer Situationsvariable (Stress) kombiniert und den Interaktionseffekt auf die Leistung des Führers hin untersucht. Stressige Situationen vermindern danach bspw. die Bedeutung der Intelligenz. Insgesamt geben die Situationstheorien Auskunft darüber, wie das Verhalten der wahrgenommenen Situation anzupassen ist oder wie die Situationsvariablen entsprechend einzustellen sind. Eine theoretische Integration vorliegender Überlegungen findet nicht statt, wenngleich hierzu Chancen bestünden. Auch bleiben die Wechselwirkungen der Situationsvariablen oftmals unbeachtet.
Die bisherigen Führungstheorien nahmen mit einer gewissen Parteilichkeit den Führenden zum Mittelpunkt. Die geführtenzentrierten Theorien wenden sich hiervon ab und interpretieren das Führungsgeschehen aus Sicht des Geführten. Es fällt allerdings sofort auf, dass diese Perspektive bislang weniger Aufmerksamkeit gefunden hat. Zu nennen sind hier vor allem die Attributionstheorie der Führung (Calder, Bobby J.  1977), die implizite Führungstheorie (Lord, Robert G./Maher, Karen J.  1991) die soziale Identitätstheorie der Führung (Hogg, Michael A.  2001) sowie die sozial-konstruktionistische Führungstheorie (Meindl, James R.  1995). Alle vier erklären mit unterschiedlicher Akzentuierung, welche Wahrnehmungs- und Ursachensuchprozesse bei der Zuschreibung von Führung formal wie inhaltlich auftreten und wodurch sie beeinflusst werden. Beispielsweise darf das Führungsverhalten nicht erzwungen sein, um als solches klassifiziert zu werden. Green und Mitchell benutzen attributionstheoretische Überlegungen zudem für die Analyse des Geführtenverhaltens (vgl. Green, Stephen G./Mitchell, Terence R.  1979). In der sozialen Identitätstheorie der Führung wird die Zuschreibung von Führung mit dem Beitrag einer Person zur Festigung der Gruppenidentität in Verbindung gebracht. Die aussichtsreiche sozial-konstruktionistische Führungstheorie, die auf der Romantisierungsidee von Führung aufbaut, betont, dass es nicht das Führungsverhalten selbst ist, was das Geführtenverhalten formt (vgl. Meindl, James R.  1995). Vielmehr ist dieses Folge eines schöpferischen Kognitionsprozesses, der von individuellen Faktoren auf Seiten der Geführten wie von deren Beziehung untereinander abhängt Wald/Weibler stellen neuerdings einen Zusammenhang zwischen der Bewertung einer Führungskraft und der Einbettung der Geführten in eine spezifische soziale Netzwerkstruktur her (Wald, Andreas/Weibler, Jürgen  2005). Aus der Position des Geführten heraus werden auch Ansätze zu einer Führung von unten formuliert (Weibler, Jürgen  1998). Genau genommen werden allerdings nur Einflusstaktiken (mikropolitische Verhaltensweisen; Mikropolitik) beschrieben, die helfen sollen, eigene fachliche wie persönliche Interessen beim Vorgesetzten durchzusetzen (z.B. mittels Begründung, Einbindung). Diese empiristischen Befunde werden gemeinhin nicht dem führungstheoretischen Kontext zugeordnet.
Interaktionszentrierte Führungstheorien erklären verschiedene Führungsphänomene aus dem Zusammenspiel von Führenden wie Geführten, ggf. unter Einbeziehung situationaler Variablen. Eine freudianisch rekonstruierbare Tiefenpsychologie der Führung informiert nicht nur über das Bedürfnis nach Führung, sondern erläutert auch die Projektions- und Identifikationsprozesse, die Führer von Geführten trennen (Hofstätter, Peter R.  1995). Unter den Austauschtheorien sollen hier zwei genannt sein: Die Dyadentheorie der Führung (LMX-Theorie, Graen, George B./Uhl-Bien, Mary  1995) beschäftigt sich unter rollentheoretischer Perspektive mit dem Aufbau und der Entwicklung einer Führungsbeziehung und untersucht Effekte in Abhängigkeit variierender Beziehungsqualitäten. Angenommen wird, dass sich die Beziehungen zwischen Führenden und einzelnen Mitarbeitern unterschiedlich gestalten und dass somit einzelne Dyaden und nicht Führer-Gruppenbeziehungen pauschal zu untersuchen sind. Deutlich wird, dass Loyalität und hoher Einsatz des Geführten vom Führenden mit Vertrauen und besseren Gratifikationen vergütet wird (Schriesheim, Chester A./Castro, Stephanie L./Cogliser, Claudia C.  1999). Die unterschätzte Idiosynkrasie-Kredit-Theorie der Führung (Hollander, Edwin P.  1995) erklärt die Zuerkennung von Führerschaft aufgrund besonderer Beiträge zu Gruppennormen (Konformität) und zur Zielerreichung (Leistung). Hierdurch werden soziale Kredite erworben, die – falls hoch genug – zur Führung legitimieren und bei unpopulären, aber notwendigen Entscheidungen (Neuerungen) gegen Gefolgschaft getauscht werden können. In Organisationen wird angenommen, dass (neue) Vorgesetzte automatisch einen Kredit besitzen, der aber geringer und labiler ist als ein erworbener. Deutlich wird, dass Führende, bevor sie alles anders machen möchten, zunächst besonders konservativ agieren sollten.

IV. Kritische Würdigung


Führung wird von vielen immer noch mit dem einzelnen Entscheidungsträger gleichgesetzt, der andere das umsetzen lässt, was ihm/ihr vorschwebt. Führen ist hiernach ein individueller Akt, der den Führenden zum alleinigen Subjekt und alle anderen zum willigen Objekt macht. Die Begrenztheit dieser Sichtweise liegt auf der Hand. Dass der „ Führungscode “ bislang noch nicht entschlüsselt wurde (Calás, Marta B./Smircich, Linda  1991; Weibler, Jürgen  2001, S. 4), ist im Großen und Ganzen unbestritten. Es spricht vieles dafür, dass es diesen Code in dieser, eine definitive Lösung suggerierenden Form auch gar nicht gibt. Führung ist facettenreich. Theorien, die das komplizierte Wechselspiel zwischen und innerhalb von Personen und Situationen hinreichend abbilden (Interaktionstheorie der Führung im strengen Sinn), existieren nicht. Dies liegt auch an zeitlichen, räumlichen und kulturellen Einflussfaktoren. Seit einigen Jahren wird bspw. intensiv über die landeskulturelle Eingebundenheit von Vorstellungen über Führung nachgedacht (GLOBE-Projekt, vgl. House, Robert J. et al. 1999).
Ebenso ist in jüngerer Zeit eine Erweiterung der ehemals rein quantitativen Orientierung der Führungslehre zu beobachten. Die Forderungen hierzu sind älter. Bar-Tal bezweifelt, um die Richtung der methodologischen Diskussion aufzuzeigen, z.B. die Sinnhaftigkeit einer Fortführung der in seinen Augen positivistischen, mechanistischen und statistischen Zugangsweise zur Führer-Geführten-Interaktion, die von der Annahme konkreter und objektiver Strukturen und Prozesse ausgeht (vgl. Bar-Tal, Yoram  1989; Smircich, Linda/Morgan, Gareth  1982). Er plädiert für einen phänomenologischen Zugang zum Beobachtungsfeld. Auch Dachler verweist auf die Subjektivität der bisherigen Konstruktionen des Führungsgeschehens (vgl. Dachler, Peter H.  1988). Die endlose Akkumulation empirischer Daten trägt hiernach bestenfalls zur Beantwortung peripherer Fragen bei. Führung muss stärker als ein Prozess gedacht werden, der sich in der Praktizierung fortlaufend entwickelt und (de)legitimiert. Damit einhergehend sind kognitive, emotionale und motivationale Bezüge einzubeziehen (z.B. Wunderer, Rolf/Küpers, Wendelin  2003). Deutlicher muss der Beziehungscharakter einer Führer-Geführten-Interaktion (Beziehungsgeschehen) gesehen werden. Herausbildung, Verlauf und Eingebundenheit in andere (hierarchische) Beziehungen und Strukturen sind zu analysieren. Die Schattenseiten von Führung sind zu beleuchten und das Scheitern von Führung sollte Gegenstand der Forschung sein – ebenso Fragen nach dem Führungsbedarf und den Kosten von Führung. Kritische Elemente einer Führungsbeziehung sind zu benennen und zu untersuchen (Vertrauen, Lernen, Identität, Emotionen, vgl. z.B. Weibler, Jürgen  1997; Müller, Werner R./Hurter, Martin  1999; George, Jennifer M.  2000; Küpers, Wendelin/Weibler, Jürgen 1995). Was ermöglicht eine Beziehung, was schließt sie aus? Wann werden Geführte zu Führenden? Was wirkt auf Beziehungen ein (z.B. physische Distanz, neue Kommunikationsformen) und welche Entwicklungsrichtung (elitär/egalitär) nehmen sie? Wann und wo verschieben sich die Relationen zwischen direkter und indirekter Führung? Wie wirkt sich ein Austausch von Personen aus? Und da Führung sich im Organisationskontext vollzieht, müssen Kontextänderungen hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Führung analysiert werden (Osborn, Richard N./Hunt, James G./Jauch, Lawrence R.  2002; Weibler, Jürgen  2004b). Konsequenzen sind bspw. die Verbreiterung von Führung (shared/distributed leadership) in Organisationen sowie vermehrte ethische Reflexionen über den Führungsprozess selbst.
Literatur:
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