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Kosten-Nutzen-Analyse


Inhaltsübersicht
I. Herkömmliche Kosten-Nutzen-Analyse
II. Verallgemeinerte Kosten-Nutzen-Analyse

I. Herkömmliche Kosten-Nutzen-Analyse


Unter der Kosten-Nutzen-Analyse (KNA), auch Nutzen-Kosten-Analyse (englisch: cost-benefit analysis), wird i.d.R. eine spezielle Form der Wirtschaftlichkeitsrechnung für öffentliche Investitionsprojekte verstanden. Ihre wissenschaftlichen Anfänge werden auf die 1844 erfolgte Veröffentlichung des Aufsatzes „ On the measurement of the utility of public works “ des französischen Ingenieurs Dupuit, J. datiert (vgl. Sassone, P./Schaffer, W.  1978, S. 3). Während in den USA schon seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Vorschriften darauf abstellt, die Kosten und Nutzen staatlicher Maßnahmen abzuwägen, fanden derartige Analysen in Deutschland erst ab Mitte der 1960er-Jahre stärkere Beachtung und dann allerdings bald auch Eingang in die BHO (§ 7 II) und das HGrG (§ 6 II) (vgl. Arnold, V.  1980, S. 382).
Nach intensiver Forschung bis in die 1980er-Jahre hinein und einer „ kaum noch zu übersehenden Literatur “ (so Recktenwald in Hofmann, J.  1981, S. V) wird die KNA „ in der deutschsprachigen Literatur gegenwärtig recht stiefmütterlich behandelt “ (Mühlenkamp, H.  1994, S. V). Ursächlich dafür scheint eine gewisse Ernüchterung sowohl im Hinblick auf ihre theoretische Begründung als auch ihre praktische Anwendbarkeit zu sein. Deshalb sollen hier nur die Grundzüge der herkömmlichen KNA dargestellt werden. Demgegenüber dient ihre kritische Würdigung nachfolgend als Ausgangspunkt für die Darlegung einer verallgemeinerten, entscheidungstheoretisch begründeten Sichtweise, die auch für betriebswirtschaftliche Fragestellungen der Unternehmensrechnung, Gestaltung und Wirkungen und des Controlling von größerer Bedeutung ist.

1. Grundlegende Aspekte


Ziel eines Einsatzes der KNA ist die wirtschaftliche Mittelverwendung im öffentlichen Sektor. Im Sinne einer gesamtwirtschaftlichen Investitionsplanung soll die Vorteilhaftigkeit einzelner Vorhaben bestimmt, das beste Projekt unter mehreren Alternativen ermittelt oder ein optimales Programm aus einer Anzahl verfügbarer Maßnahmen zusammengestellt werden. Dazu versucht man, die aus der betriebswirtschaftlichen Investitionsrechnung bekannte Vorgehensweise auch auf öffentliche Ausgaben, insbes. Investitionsvorhaben, zu übertragen (Zimmermann, H./Henke, K.-D.  1994, S. 88): Anstelle von Auszahlungen und Einzahlungen werden in Geldeinheiten bewertete Vor- und Nachteile – Nutzen und Kosten genannt – für den zugrunde gelegten Betrachtungszeitraum ergründet, auf die Gegenwart diskontiert und aus der Differenz dieser Barwerte der Nettonutzen analog der Kapitalwertmethode berechnet. Die Besonderheiten der KNA, die gleichzeitig für die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Anwendbarkeit in der Praxis wesentlich sind, zeigen sich in der Ermittlung und Bewertung der Kosten und Nutzen sowie in der Wahl des Diskontsatzes.
Üblicherweise werden als Kosten und Nutzen alle Auswirkungen eines geplanten Vorhabens angesehen, die negativen bzw. positiven Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt des Gemeinwesens haben. Bei dem Bau einer Straße, die eine abgelegene Region mit einem wirtschaftlichen Zentrum des Landes verbinden würde, sind z.B. die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Einsparung von Fahrzeiten als Nutzen sowie die Bedrohung eines artenreichen Habitats und die Zerstörung der Schönheit der Landschaft als Kosten zu berücksichtigen. Die Effekte werden nach verschiedenen Kriterien in direkte und indirekte, reale und pekuniäre, tangible und intangible Kosten und Nutzen klassifiziert. Diese und weitere Kategorien sind i.d.R. unscharf definiert und nicht überschneidungsfrei.
Direkte Nutzen entstehen aus den geplanten Zwecken einer Maßnahme, direkte Kosten aus den dafür aufzubringenden, meist finanziellen Mitteln. Indirekte Kosten und Nutzen resultieren aus negativen bzw. positiven Nebenfolgen. Reale Effekte wie verringerte Fahrzeiten verändern die Nutzenposition einzelner Individuen und damit die Wohlfahrt unmittelbar; als pekuniär werden dagegen (Re-)Allokationswirkungen bezeichnet, die sich mittelbar aus monetären Transfereffekten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen ergeben, z.B. aus der Veränderung von Grundstückswerten oder Lohnsätzen. Tangibel sind alle auf einer kardinalen Skala in Geldeinheiten messbaren Auswirkungen, also etwa die Ausgaben für den Straßenbau; demgegenüber lassen sich intangible Konsequenzen wie die Landschaftsveränderung nur qualitativ verbal formulieren.
Die Bewertung der verschiedenen Effekte soll sie untereinander vergleichbar machen. Dies geschieht durch Ermittlung eines Geldwertes für alle tangiblen Effekte. Sofern es sich dabei nicht um problemlos zu berücksichtigende direkte Kosten handelt, wird jeweils ein Geldbetrag bestimmt, den die betroffenen Personen zu zahlen bereit sind, um den in Rede stehenden Effekt zu erleben (Nutzen) bzw. zu vermeiden (Kosten).
Zur Ermittlung möglichst realistischer Werte für die Zahlungsbereitschaft ist eine Fülle z.T. recht ausgefeilter Verfahren entwickelt worden (vgl. z.B. Arnold, V.  1980; Mühlenkamp, H.  1994, S. 191 – 267). Diese zielen meist auf die Simulation von Marktpreisen ab; beispielsweise lässt sich aus höheren Grundstückspreisen in der Nähe einer Bahnstation auf den monetären Nutzen einer günstigen Verkehrsanbindung schließen. Alternativ wird versucht, den Aufwand für vergleichbare (substitutive oder komplementäre), auf Märkten gehandelte Güter zu bestimmen. Neben einer solchen indirekten Bewertung über die Marktpreis- oder die Aufwandsmethode, die auf der Beobachtung des tatsächlichen Verhaltens von Wirtschaftssubjekten beruht, gibt es Ansätze einer direkten Bewertung durch die unmittelbare Befragung der Betroffenen in den Fällen, in denen keine „ offenbarten Präferenzen “ auf realen Märkten existieren. Die Bandbreite der direkten Präferenzevaluation reicht von Laborexperimenten mit wenigen Personen bis hin zu umfangreichen Feldstudien. Soweit auch diese Ansätze nicht zu einer monetären Bewertung führen, dürfen entsprechend intangible Kosten und Nutzen jedoch nicht vernachlässigt werden, sondern sind „ politisch “ zu bewerten (Zimmermann, H./Henke, K.-D.  1994, S. 89).
Der Zinssatz, mit dem die ermittelten und bewerteten Kosten und Nutzen diskontiert werden, soll eigentlich die soziale Zeitpräferenzrate widerspiegeln, d.h. angeben, welches Gewicht die Gesellschaft bzw. die Betroffenen dem Konsum eines Gutes zu verschiedenen Zeitpunkten beimessen. Allerdings erscheinen sämtliche auf die Beobachtung von Kapitalmarktzinsen oder die Befragung von Individuen zurückgehenden Ansätze angreifbar oder nicht praktikabel. Daher muss der anzuwendende Zinssatz regelmäßig politisch festgelegt werden (Zimmermann, H./Henke, K.-D.  1994, S. 89 f.).
Für den Einsatz der herkömmlichen KNA gibt es zahlreiche (oft freilich schon ältere) Beispiele. Hauptanwendungsbereich ist naturgemäß die Beurteilung staatlicher Projekte, etwa auf den Gebieten der öffentlichen Versorgung, Verkehrswirtschaft und Raumplanung (siehe dazu die entsprechenden, tagesaktuellen Bibliographien des IRB, 2001). Ein aktuelles Beispiel stellt die sozio-ökonomische Analyse der für 2006 in Deutschland geplanten Fußball-Weltmeisterschaft dar (Rahmann, B. et al.1998).
Zukünftig könnte sich die KNA (wieder) größerer Beliebtheit erfreuen. So wird in der finanzwissenschaftlichen Literatur generell konstatiert, dass „ im Zusammenhang ? mit knapper werdenden Ressourcen in einzelnen Aufgabenbereichen des Staates die staatswirtschaftlichen Planungsinstrumente an Bedeutung gewinnen werden “ (Zimmermann, H./Henke, K.-D.  1994, S. 95). Vor dem Hintergrund steigender Relevanz umweltschutzbezogener Unternehmensziele gewinnt die KNA grundsätzlich auch für private Unternehmungen an Bedeutung. Gegen den Einsatz der herkömmlichen KNA spricht allerdings eine Reihe von Aspekten.

2. Kritische Würdigung


Grundsätzlich ist die möglichst objektive Bewertung und Auswahl öffentlicher Investitionen wünschenswert. Ob allerdings das mit der KNA verfolgte Anliegen trotz ihrer Verankerung in der Wirtschaftstheorie, insbes. der Wohlfahrtsökonomik, letztlich sinnvoll erreichbar ist, kann mit guten Gründen bezweifelt werden. Diese betreffen nicht nur einzelne Details der KNA, sondern stellen sogar das Konzept an sich in Frage.
Was als Kosten und Nutzen anzusehen ist, hängt von dem zugrunde gelegten Zielsystem ab. Anstelle der Maximierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt sind auch andere Ziele in der Diskussion. Soll etwa im Sinne eines demokratischen Wählerentscheids die Stimmenzahl maximiert werden, wären Kosten und Nutzen eines Projekts die hierdurch entgangenen bzw. gewonnenen Wählerstimmen (Zimmermann, H./Henke, K.-D.  1994, S. 88). Aber auch bei einer Wohlfahrtsmaximierung bleibt zu klären, ob die Einkommens- und Vermögensverteilung in der Bevölkerung berücksichtigt wird (Hofmann, J.  1981). Bei der herkömmlichen KNA geschieht dies nicht, weshalb dann auch konsequenterweise pekuniäre Effekte außer Betracht bleiben (da sie sich gegenseitig zu Null saldieren). Aber selbst wenn alle Angehörigen innerhalb eines Gemeinwesens bei der KNA „ gerecht “ behandelt würden, stellt sich die Frage, ob und ggf. wie die Wohlfahrt der sonst noch von den Auswirkungen eines Projekts Betroffenen (z.B. Nachbarn und Nachkommen) systematisch Beachtung findet. Eine solche bleibt z.B. aus, wenn Atomkraftwerke gezielt in Grenznähe gebaut bzw. für ihre spätere Entsorgung kaum Vorsorgen getroffen werden.
Ist schon die Ermittlung aller relevanten Auswirkungen nicht einfach, insbes. wenn es um neue Technologien geht (z.B. Gentechnik), gilt dies viel mehr noch für ihre objektive Bewertung in Geldeinheiten. Nicht wenige Kosten und Nutzen betreffen öffentliche Güter und stellen als externe Effekte soziale Kosten bzw. Nutzendar, sodass prinzipiell keine Marktpreise für sie existieren. Ihre indirekte Bewertung über die Marktpreis- oder Aufwandmethode hängt von den ausgewählten Märkten zur Simulation ab und ist insoweit subjektiv, aber gegebenenfalls noch intersubjektiv nachprüfbar. Bei der direkten Befragung stößt man auf menschliche Verhaltensweisen, die von dem üblicherweise unterstellten Rationalverhalten abweichen, so u.a. auf Referenzpunkteffekte wie den so genannten Besitztumseffekt (vgl. z.B. Eisenführ, F./Weber, M.  1999, Kap. 14). Danach bewerten Personen dasselbe Gut u.U. wesentlich anders, und zwar abhängig davon, ob sie es schon besitzen und abgeben sollen oder ob sie es erst noch erwerben wollen. Für die individuelle Zahlungsbereitschaft ergeben sich dann verschiedene Geldbeträge, je nachdem, ob die „ willingness to pay “ oder die „ willingness to accept “ erfragt wird, von sonstigen Fehlerquellen empirischer Studien ganz abgesehen (vgl. z.B. Mühlenkamp, H.  1994, S. 230 ff.). Man kann sogar davon ausgehen, dass Menschen in vielen Situationen keine vollständige Präferenzordnung besitzen und damit manche Alternativen nicht miteinander vergleichen können, z.B. im Hinblick auf den Geldwert eines Menschenlebens.
Konzeptionell stellt die KNA den Versuch einer „ angewandten Wohlfahrtsökonomik “ dar (Rürup, B.  1982; Gans, O./Marggraf, R.  1997). Charakteristisch für den herkömmlichen Ansatz ist, dass allein die Interessen der Betroffenen ausschlaggebend sind und alle Bewertungen in Geldeinheiten vorgenommen werden (Hofmann, J.  1981, S. 19 ff.; Mühlenkamp, H.  1994, S. 7 f.). Einerseits wird damit explizit auf die individuellen Präferenzen Bezug genommen und suggeriert, dass mit der KNA so etwas wie eine gesellschaftliche Wohlfahrtssteigerung objektiv gemessen wird. Andererseits wird traditionell im Sinne einer Pareto-Analyse nur von ordinalen, interpersonell unvergleichbaren Nutzen der Individuen ausgegangen (Hofmann, J.  1981, S. 22); gemäß „ Arrows Unmöglichkeitstheorem “ kann dann aber (außer im Fall der „ Diktatur “ ) keine soziale Wohlfahrtsfunktion bzw. Präferenzordnung existieren (Bamberg, G./Coenenberg, G.  2000, S. 257). Wenn dennoch die aus den individuellen Geldbeträgen summierte und als „ Nettonutzen “ zur Projektbewertung dienende Größe als ein Maß für die gesellschaftliche Wohlfahrt interpretiert wird, geschieht dies im Sinne einer Nettoveränderung der heutigen und zukünftigen Konsummöglichkeiten (Hofmann, J.  1981, S. 23) und wird begründet mit der Bewertung der einzelnen Effekte anhand von tatsächlichen oder künstlichen Ersatzmärkten.
Diese Begründung ist aber in sich widersprüchlich. Denn die KNA dient dazu, öffentliche Projekte zu bewerten, die sich wegen öffentlicher Güter und externer Effekte gerade dadurch auszeichnen, dass Märkte hier versagen. Andernfalls könnte man die erwünschten Leistungen ja auch privatwirtschaftlich organisieren. Die prinzipielle Schwäche der KNA besteht demnach darin, Projekte, die „ der Privatwirtschaft entzogen und dem Staat verantwortet worden sind, anhand eines Rationalitätskriteriums zu diskutieren, welches eigentlich probleminadäquat ist, da diese Projekte ja der öffentlichen Verwaltung übertragen wurden, weil sie marktwirtschaftlich nicht realisiert werden [können] “ (Rürup, B.  1982, S. 109). Berücksichtigt man weitere Kritikpunkte, die aus entscheidungstheoretischer Sicht angeführt werden, besonders die sehr starken Annahmen an die Form der gesellschaftlichen Präferenzordnung (z.B. die konstante und für alle Individuen einheitliche Zeitpräferenzrate) und die fast völlige Vernachlässigung der Analyse von Unsicherheiten, so kann man mit French zu dem vernichtenden Urteil gelangen: „ Cost-benefit analysis does not make objective value judgements; it makes subjective ones obscure “ (French, S.  1988, S. 371).

II. Verallgemeinerte Kosten-Nutzen-Analyse


Der Kritik wird teilweise mit dem Argument begegnet, es sei besser, eine unvollkommene als keine KNA zu Rate zu ziehen, da sie immerhin einen Anlass zum Zusammentragen aller bedeutsamen Effekte eines Vorhabens biete und damit größere Transparenz verschaffe sowie vor allem einen Argumentationszwang ausübe (Zimmermann, H./Henke, K.-D.  1994, S. 90). Demgegenüber steht die Befürchtung einer nachträglichen Alibi-Funktion für politische Entscheidungsträger, weil sich viele Elemente der KNA wegen ihrer Unschärfe und der teilweise notwendigen „ politischen Bewertungen “ leicht manipulieren lassen, trotz der scheinbar „ handfesten “ Rechenergebnisse (Rürup, B.  1982). Von daher stellt sich die Frage, ob es nicht bessere Methoden gibt (vgl. Hanusch, H.  1994), welche im Hinblick auf die Bewertung gemeinwirtschaftlicher und monetär schwer quantifizierbarer Effekte größere Transparenz verschaffen und Argumentationszwang ausüben, ohne allzu anfällig für Manipulationen zu sein.

1. Alternative Verfahren zur Kosten-Nutzen-Abwägung


Zu den vom deutschen Gesetzgeber vorgesehenen „ Nutzen-Kosten-Untersuchungen “ zählen nach einer 1973 vom BMF erlassenen Vorschrift außer der in Geldeinheiten bewertenden und auf tatsächlichen, berichtigten oder zu unterstellenden Marktpreisen beruhenden KNA auch Kostenwirksamkeitsanalysen: „ [S]oweit bei Kosten oder Nutzen eine Quantifizierung in Geld nicht möglich oder sinnvoll ist, wird eine Bewertung in nicht-monetären Einheiten vorgenommen. Maßstab der Bewertung sind das zugrunde gelegte Zielsystem und die Gewichtung der einzelnen Ziele “ (zitiert nach Arnold, V.  1980, S. 382). Rürup sieht die Kostenwirksamkeitsanalyse „ nur als eine Spielart “ der Nutzwertanalyse an und plädiert sogar generell für diese als das „ ehrlichere “ Verfahren, da es auch die Kosten „ subjektiviert “ : Während die KNA faktisch nicht vorhandene Objektivität suggeriert, werden bei der Nutzwertanalyse Wertentscheidungen offengelegt. Allerdings sind die Ergebnisse nicht ohne weiteres intersubjektiv überprüfbar, und das völlige Fehlen der monetären Dimension kann bei knappen finanziellen Ressourcen auch zu Fehleinschätzungen führen (Rürup, B.  1982, S. 112 f.).
Nach Rürup liegt der eigentliche Wert der Nutzwertanalyse „ in dem mit ihrer Anwendung verbundenen Zwang zum sachlogischen Durchdenken von Alternativen, der Dokumentation sonst verborgener Prämissen und Wertungen ? und darin \'to sharpen ? intuition and judgement\' “ (Rürup, B.  1982, S. 112). Folgt man dieser Auffassung, so spricht das aus heutiger Sicht aber kaum noch für die Nutzwertanalyse traditioneller Prägung als viel mehr für neuere Verfahren der präskriptiven  Entscheidungstheorie, zu denen dann auch die Nutzwertanalyse im modernen Sinn der multiattributiven Nutzentheorie zählt (Weber, M.  1992). Grundsätzlich kommen jedoch noch weitere Verfahren für Nutzen-Kosten-Untersuchungen in Frage. Um sie begrifflich deutlicher von der herkömmlichen KNA abzugrenzen, können derartige Verfahren allgemein unter der Bezeichnung Vor- und Nachteilsanalyse (VNA) zusammengefasst werden.

2. Konzeptioneller Rahmen einer Vor- und Nachteilsanalyse


Geht man gemäß dem bekannten Grundmodell der Entscheidungstheorie von einem bestimmten Zielsystem und Entscheidungsfeld (Alternativen, Umfeldzustände, Ergebnisfunktion) aus (Bamberg, G./Coenenberg, G.  2000, S. 13 ff.), so ist ein Vorteil einer Alternative bei einem bestimmten Umfeldzustand ein solches Ergebnis als Handlungskonsequenz, welches in Bezug auf ein Ziel und im Vergleich mit einem definierten Referenzpunkt einen höheren Zielerreichungsgrad aufweist; ein Nachteil weist umgekehrt einen geringeren Zielerreichungsgrad auf. Der Referenzpunkt kann über den jeweiligen Zielmaßstab implizit festgelegt und für alle Alternativen gleich sein, sodass Vor- und Nachteile absolut determiniert sind; z.B. würde die mit einer Verkehrsinfrastrukturmaßnahme verbundene Zahl an Verkehrstoten als Nachteil eingestuft. Referenzpunkte können aber auch über bestimmte Zustände oder andere Alternativen definiert sein und so die Vor- und Nachteile relativ zu diesen angeben; so würden die durch eine neue Verkehrsregelung gegenüber dem Status quo oder gegenüber einer anderen Maßnahme vermiedenen Verkehrstoten als Vorteil empfunden, die damit verbundenen erhöhten Ausgaben dagegen als Nachteil.
Die hier entscheidungstheoretisch definierten Begriffe Vorteil und Nachteil können als Verallgemeinerung vieler anderer wichtiger Begriffspaare aufgefasst werden, deren Inhalte sich spezifisch auf den jeweiligen Anwendungsbereich beziehen. Sie sind essenziell für die herkömmliche KNA, wobei dort alle Vor- und Nachteile so weit wie möglich über die individuellen Zahlungsbereitschaften in monetäre Größen überführt und als Nutzen bzw. Kosten bezeichnet werden. Sie sind fundamental für die Wirtschaftswissenschaften überhaupt: „ [Economics] analyzes the costs and benefits of improving patterns of ressource allocation “ (Samuelson, P. A.  1973, S. 3). Im Hinblick auf die interne Unternehmensrechnung entsprechen sie der Einteilung in Leistungen und Kosten, wobei die Inhalte je nach Konkretisierung variieren. Ewert/Wagenhofer unterscheiden z.B. drei Konzeptionen. Während ihre Konzeption I ebenfalls aus dem Grundmodell der Entscheidungstheorie abgeleitet wird ( „ positive “ und „ negative “ Konsequenzen), entspricht die Konzeption III der klassischen betriebswirtschaftlichen Vorstellung von bewerteten, sachzielbezogenen Gütererstellungen bzw. -verbräuchen (Ewert, R./Wagenhofer, A.  2000, Kap. 2). Verzichtet man auf die monetäre Bewertung, stellen freilich selbst schon der Gutoutput und der Gutinput Vor- und Nachteile dar. Entsprechend dem klassischen Ertragsgesetz wird in der Produktionstheorie deshalb auch von mengenmäßigem (realem) Ertrag und Aufwand gesprochen (Dyckhoff, H./Ahn, H.  2001), wobei damit zugleich spiegelbildlich der Input bzw. Output von Übeln (z.B. Müll) erfasst wird.
Vor- und Nachteile können auf beliebigen Skalen definiert sein, ja sogar mehrdimensionale Konstrukte bilden. Entscheidend ist, dass die Ergebnisse einer Handlungsalternative in einem bestimmten Umfeldzustand in Bezug auf die jeweiligen Ziele als besser oder schlechter als die relevanten Referenzpunkte eingestuft werden können. Ergebnisse, die sich in diesem Sinne beurteilen lassen, stellen auch dann Vor- oder Nachteile dar, wenn die Bewertung rein qualitativ (verbal) erfolgt. Typisch ist ihre Darstellung in so genannten Argumentenbilanzen mit den Vorteilen als „ Aktiva “ und den Nachteilen als „ Passiva “ (vgl. z.B. Wildemann, H.  1987, S. 87).
Der Prozess einer VNA kann prinzipiell wie bei allen anderen Entscheidungsunterstützungsverfahren ablaufen. Im Rahmen der Problemdefinition ist festzulegen, wie weit sich der Untersuchungsbereich sachlich, räumlich und zeitlich erstrecken soll ( „ Bilanzhülle “ ). Die Generierung oder Kreierung relevanter Ziele, Alternativen und Szenarien wird idR nicht geradlinig, sondern interdependent und iterativ verlaufen. Charakteristisch für die VNA ist dann aber, dass alle Vor- und Nachteile in einem ersten Schritt zwar vollständig erfasst werden, sie dabei allerdings in ihrer natürlichen Messskala belassen und nur so weit wie ohne weiteres möglich aggregiert werden.
Erst in weiteren Stufen einer VNA sollte man dann versuchen, die verschiedenen Ergebnisarten weiter zu aggregieren und möglichst untereinander vergleichbar zu machen, wobei die so erzeugten Präferenzrelationen untereinander kompatibel sein sollten (Esser, J.  2001). Da dies aber unweigerlich mit Informationsverlusten und z.T. auch starken Annahmen verbunden ist, müssen alle Schritte transparent und für die Beteiligten intersubjektiv nachvollziehbar sein. Durch Effektivitäts- und Effizienzanalysen, z.B. mit Hilfe der Data Envelopment Analysis, lassen sich dabei möglicherweise schon einige Alternativen ausscheiden, weil sie von anderen dominiert werden (Dyckhoff, H./Ahn, H.  2001); dies ist der Fall, wenn sie relativ zu jenen nur Nachteile, aber keine Vorteile aufweisen. Ansonsten können für die Bewertung und Auswahl der Alternativen die bekannten Entscheidungsunterstützungsverfahren herangezogen werden.
Insbes. für private Unternehmungen wächst die Bedeutung der VNA, etwa im Rahmen der Erstellung von Sozialbilanzen und Umweltbilanzen sowie zur Ermittlung externer Effekte bzw. Umweltkosten bei Öko-Audits. Auch wenn dabei z.T. die Rede von „ Kosten und Nutzen “ ist (z.B. Orth, U.  1996; Bruhn, M./Georgi, D.  1999), handelt es sich doch weniger um Anwendungen der herkömmlichen KNA, sondern eher um Untersuchungen im Sinne der oben definierten VNA. In dieser Hinsicht können z.B. auch Fallstudien zur multiattributiven Nutzentheorie (z.B. Keeney, R./McDaniels, T.  1999; vgl. auch Eisenführ, F./Weber, M.  1999) unter die VNA subsumiert werden.
Literatur:
Arnold, Volker : Nutzen-Kosten-Analyse II, in: HdWW, hrsg. v. Albers, Willi et al., Stuttgart 1980, S. 382 – 399
Bamberg, Günter/Coenenberg, Gerhard : Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, München, 10. A., 2000
Bruhn, Manfred/Georgi, Dominik : Kosten und Nutzen des Qualitätsmanagements, in: Die Unternehmung, Jg. 53, 1999, S. 177 – 191
Dyckhoff, Harald/Ahn, Heinz : Sicherstellung der Effektivität und Effizienz der Führung als Kernfunktion des Controlling, in: KRP, Jg. 45, 2001, S. 111 – 121
Eisenführ, Franz/Weber, Martin : Rationales Entscheiden, Berlin et al., 3. A., 1999
Esser, Jan : Vollständigkeit, Konsistenz und Kompatibilität von Präferenzrelationen, in: OR Spektrum, Jg. 23, 2001, S. 183 – 201
Ewert, Ralf/Wagenhofer, Alfred : Interne Unternehmensrechnung, Berlin et al., 4. A., 2000
French, Simon : Decision theory, Chichester 1988
Gans, Oskar/Marggraf, Rainer : Kosten-Nutzen-Analyse und ökonomische Politikbewertung 1, Berlin et al. 1997
Hanusch, Horst : Nutzen-Kosten-Analyse, München, 2. A., 1994
Hofmann, Jürgen : Erweiterte Nutzen-Kosten-Analyse, Göttingen 1981
IRB, : Fraunhofer Informationszentrum Raum und Bau, http://www.irbdirekt.de/rswb/08.01.2001
Keeney, Ralph/McDaniels, Timothy : Identifying and structuring values to guide integrated resource planning at BC Gas, in: Operations Research, Bd. 47, 1999, S. 651 – 660
Mühlenkamp, Holger : Kosten-Nutzen-Analyse, München et al. 1994
Orth, Ulrich : Umwelt-Controlling mit erweiterter Kosten-Nutzen-Analyse, in: Zeitschrift für angewandte Umweltforschung, Jg. 9, 1996, S. 233 – 246
Rahmann, Bernd : Sozio-ökonomische Analyse der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, Köln 1998
Rürup, Bert : Die Nutzwertanalyse, in: WiSt, Jg. 11, 1982, S. 109 – 113
Samuelson, Paul Anthony : Economics, New York, 9. A., 1973
Sassone, Peter/Schaffer, William : Cost-benefit analysis, New York 1978
Weber, Martin : Nutzwertanalyse, in: HWO, hrsg. v. Frese, Erich, Stuttgart, 3. A., 1992, Sp. 1435 – 1448
Wildemann, Horst : Investitionsplanung und Wirtschaftlichkeitsrechnung für flexible Fertigungssysteme (FFS), Stuttgart 1987
Zimmermann, Horst/Henke, Klaus-Dirk : Finanzwissenschaft, München, 7. A., 1994

 

 


 

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