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Finanzwissenschaft

Untersuchungsgegenstand der F. ist die ökonomische Aktivität (öA) öffentlicher (ö.) Haushalte (Gebietskörperschaften , z.B. Bund, Länder und Gemeinden, sowie Parafisci (Parafiskus), z.B. Sozialversicherungen), die finanzpolitische Instrumente (ö. Einnahmen und Ausgaben) zur Erreichung bestimmter Ziele (Allokations-, Verteilungs-, Stabilisierungsziel) einsetzen.
1. Bei der Allokationspolitik geht es um die Bereitstellung ö. Güter (Gut) bzw. um die optimale Aufteilung der Produktionsfaktoren auf private und ö. Güter. a) Drei Aktivitätsbereiche des ö. Sektors sind zu unterscheiden. Die Verhinderung nicht erwünschter Effekte (z.B. bei externen Kosten (Kosten, externe Effekte)) der privatwirtschaftlichen Aktivität bzw. die Förderung erwünschter Effekte (z.B. bei externen Ersparnissen (externe Effekte)); das Angebot an Leistungen, die privatwirtschaftlich nicht (ausreichend) bereitgestellt werden (z.B. bei Versagen des Ausschlußprinzips); die Schaffung meritorischer Güter (Gut), für die es (noch) keinen individuellen Bedarf gibt, die aber vom Staat als notwendig erachtet werden. b) Der Begründung folgt zwingend die Frage nach dem Umfang der öA. Auf hohem Abstraktionsniveau bietet die Wohlfahrtsökonomik Lösungsansätze an, mit denen der Nutzen der (zusätzlichen) öA und der Nutzenentgang der (zusätzlichen) Ressourcenabsorption durch den ö. Sektor verglichen werden und damit die Optimalaufteilung volkswirtschaftlicher Ressourcen auf privatwirtschaftliche und öA bestimmt werden kann. Die Vielfalt ö. Aufgabenbereiche sowie das Fehlen eindeutiger und klar erkennbarer Präferenzordnungen (Arrow -Paradoxon) machen in praxi jedoch ein pragmatisches Vorgehen beim Auffinden von Art und Umfang der gesellschaftlich gewünschten bzw. akzeptierten öA erforderlich. In demokratischen Gesellschaftssystemen erfolgt das durch Mehrheitsabstimmung und Koalitionsbildungen.
2. Die Verteilungspolitik zielt auf eine Korrektur der personellen Einkommens- oder Vermögensverteilung (der Primärverteilung). Diese kann ex ante (ex ante -Analyse) durch eine Modifizierung der personellen quantitativen und qualitativen Faktorausstattung (Bildungs- (Bildungsökonomik,
3. bis
6.) und Vermögenspolitik), ex post (ex post -Analyse) durch Steuern und Transferausgaben korrigiert werden. Die Allokationseffekte von Steuern erschweren ihre verteilungspolitische Beurteilung jedoch erheblich. Da die Idee einer "gerechten" Verteilung Werturteile voraussetzt, ist die Verteilungspolitik zwangsläufig Gegenstand sozialer und politischer Konflikte. Ihre möglichen negativen Auswirkungen auf das Wachstum werden insbesondere von Theoretikern der Angebotspolitik betont.
3. Im Rahmen der Stabilisierungspolitik werden die finanzpolitischen Instrumente zur Erreichung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eingesetzt. a) Die Konjunkturpolitik soll die gesamtwirtschaftliche Nachfrage so beeinflussen, daß das Produktionspotential (Kapazität) ausgelastet und konjunkturelle Arbeitslosigkeit (Arbeitslosigkeit) sowie Inflation (Inflationstheorie) vermieden werden. Wichtigstes Instrument sind die diskretionären oder automatischen (built-in-flexibility) Veränderungen von staatlichen Ausgaben und Einnahmen (antizyklische Wirtschaftspolitik). Probleme ergeben sich aus falscher Dosierung, Wirkungsverzögerungen (lag), Divergenzen zwischen Nachfrage- und Angebotsstruktur sowie Crowding -out-Effekten. b) Die Wachstumspolitik zielt auf die quantitative und qualitative Entwicklung der Produktionsfaktoren, um z.B. struktureller Arbeitslosigkeit (Arbeitslosigkeit), durch Angebotsengpässe bedingter Inflation und Umweltzerstörung entgegenzuwirken. Einnahmen- und ausgabenpolitische Maßnahmen sind folglich so einzusetzen, daß private Investitionen , Qualität und Mobilität des Faktors Arbeit sowie der technische Fortschritt   gefördert werden (Angebotspolitik).
4. Öffentliche Einnahmen (aus Steuern, Zöllen , Sozialabgaben (Abgabe ,
2.), Erwerbseinkünften , Gebühren , Beiträgen und Kreditaufnahmen) werden neben dem fiskalischen Zweck der Einnahmenerzielung zur Finanzierung von Ausgaben auch als wirtschaftliche Instrumente (Instrumente der Wirtschaftspolitik) bei der zielgerichteten Finanzpolitik eingesetzt. a) Steht der fiskalische Aspekt im Vordergrund, ist bei der Einnahmenallokation eine möglichst gerechte Lastenverteilung anzustreben: das Äquivalenzprinzip erfordert Gleichwertigkeit von Abgabe und Wert der empfangenen Leistung. Es ist für Einnahmen anwendbar, denen eine individuelle Gegenleistung (z.B. bei Beiträgen) zugerechnet werden kann. Versagt das Ausschlußprinzip, ist die Einnahmenallokation nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip an der individuellen Leistungs- oder Opferfähigkeit zu orientieren; typische Anwendungsbeispiele sind die Vermögen - und die Einkommensteuer . b) Als Haupteinnahmequelle sind die Steuern ein besonders wichtiges Objekt der Finanzpolitik. Die Kenntnis der Steuerwirkung erlaubt, Höhe und Struktur der Steuern so festzulegen, daß (un)erwünschte (Neben)Wirkungen der instrumentell eingesetzten Besteuerung erreicht (vermieden) werden. Steuerwirkungen sind: die Steuerausweichung in Form einer sachlichen, zeitlichen oder räumlichen Substitution des Steuergegenstands; die Steuerüberwälzung über Änderungen von Güter- oder Faktorpreisen, durch die formale und effektive Steuerinzidenz getrennt werden; die Reaktionseffekte aus der effektiven Inzidenz , die ihrerseits als (dis)incentives eine private Leistungsvermehrung (-verminderung) bewirken können. c) Für eine fiskalisch motivierte Kreditfinanzierung mit zeitlich verteiltem Zinsendienst sprechen: die Vermeidung von Steuerwiderständen und unerwünschten Nebenwirkungen anderer Einnahmen; die intertemporäre Lastenverteilung von Ausgaben, die langfristige Nutzungen abwerfen (Pay-as-you-use-Prinzip, Äquivalenzprinzip); die Lastenverteilung von Ausgaben auf mehrere Generationen nach dem Inter -generation-equity-Prinzip. Höhe und Struktur der ö. Kreditaufnahme können auch zur Erreichung stabilisierungs- oder distributionspolitischer Ziele dienen: abhängig von Gläubigerstruktur und Lastenverteilung des Zinsendienstes sind relativ kurzfristige Einflüsse auf die personelle und funktionelle  Einkommensverteilung denkbar. Je nach Kreditstruktur (Notenbank oder Privatbank, Inlands- oder Auslandskredite) sind kurzfristige Zins- und Wechselkurseffekte mit Folgewirkungen auf Wachstum und Konjunktur möglich. Bei der Kreditfinanzierung eines konjunkturellen Defizits gilt es, die rezessionsverstärkende Wirkung eines möglichen Crowding-out-Effekts gegen Sparmaßnahmen bzw. eine Erhöhung der Steuerquote abzuwägen.
5. bei den ö. Ausgaben sind Konsum- und Investitionsausgaben (die sog. Realausgaben), Transferausgaben (Zahlungen an private Haushalte sowie Subventionen an private Unternehmungen) sowie Schuldendienstausgaben zu unterscheiden. Der Anteil der ö. Ausgaben am Bruttosozialprodukt (Staatsquote) ist in den meisten Industrieländern über Jahrzehnte hinweg gestiegen (Gesetz der wachsenden Staatsausgaben). Dies läßt sich mit Hilfe der verschiedenen Bestimmungsfaktoren der öA erklären: Diversifizierung der staatlichen Aufgaben, eine relativ hohe Einkommenselastizität der Nachfrage (Elastizitäten) nach ö. Gütern, eine relativ geringe Produktivität der ö. Dienste oder demographische Entwicklungen (Brechtsches Gesetz).
6. Ein weiteres Teilgebiet der F. sind die rechtlichen und institutionellen Aspekte von Planung, Erfassung, organisatorischer Durchführung und Kontrolle der öA. a) in zeitlicher Hinsicht ist zwischen dem traditionellen ein- oder zweijährigen Haushaltsplan (Vollzugsbudget), der mittelfristigen Finanzplanung (MFP) (Finanzplanung,
1.) und der langfristigen Perspektivplanung (LLP) zu unterscheiden. Insbesondere für den Haushaltsplan gelten die gesetzlichen Haushaltsgrundsätze . Die MFP und die LLP sind i.d.R. nicht vollzugsverbindlich; sie sollen vor allem Folgelasten und -wirkungen des Vollzugsbudgets aufzeigen. b) An der Detailplanung von Ausgaben und Einnahmen sind verschiedene Ressorts der Exekutive, aber auch Arbeitskreise der Fraktionen, Parlamentsausschüsse und eigens geschaffene Planungsorgane (z.B. Finanzplanungsrat) beteiligt. Die Beurteilung der Mittelverwendung hinsichtlich der Ziele der öA stellt vielfach eine Überforderung der Entscheidungsbeauftragten dar. Zur Erhöhung der Rationalität staatl. Entscheidungen werden verschiedene Ansätze diskutiert. Mit Hilfe einer Kosten -Nutzen-Analyse werden verschiedene Handlungsalternativen gemäß den Opportunitätskosten (Kosten) beurteilt. Darauf aufbauende Verfahren sind das Planning-programming-budgeting-System und das Zero -base-Budgeting, die sich aber aufgrund erheblicher Quantifizierungs- und Prognoseprobleme in praxi bisher nicht durchsetzen konnten. Beim staatl. Entscheidungsprozeß ist auf die Probleme kollektiver Entscheidungen hinzuweisen. Die Entscheidung über die öA ist ein politischer Prozeß, kein Marktprozeß. Diese Besonderheiten werden im Rahmen der Neuen Politischen Ökonomie (Public Choice) untersucht. c) Ist die öA dezentral (z.B. föderativ) organisiert, ergeben sich Probleme aus der Verteilung von Auf- und Ausgaben einer- sowie Einnahmen andererseits. Zu unterscheiden sind die vertikale Verteilung zwischen vor- und nachgelagerten Gebietskörperschaften und die horizontale Verteilung zwischen gleichgeordneten Gebietskörperschaften. Im Interesse einer möglichst bürgernahen Bedarfsorientierung sollten die Aufgabenkompetenzen sowie die entsprechende Ausgabenlast bei der Gebietskörperschaft auf der untersten Ebene liegen und nur auf eine höhere Ebene verlagert werden, wenn überregionale Effekte auftreten oder davon bessere Ergebnisse zu erwarten sind (Subsidiaritätsprinzip). Diesem Prinzip widersprechen häufig eigennützige Bestrebungen von übergeordneten Gebietskörperschaften (Bürokratietheorie). Bei der vertikalen Einnahmenverteilung sind je nach Zuordnung von Gesetzgebungs -, Verwaltungs- und Ertragshoheit verschiedene Systeme möglich, so von einem freien Trenn- bzw. Konkurrenzsystem, in dem jede Gebietskörperschaft Art und Höhe der Einnahmen autonom bestimmt, bis zu einem Zuweisungssystem, in dem alle Einnahmen von einer einzigen Gebietskörperschaft erhoben und teilweise den anderen zugewiesen werden. In der Bundesrepublik wird ein Mischsystem praktiziert, das neben dem Trennsystem (z.B. bei Zöllen für den Bund, Vermögensteuern für die Länder, Grundsteuern für die Gemeinden) ein Verbundsystem (z.B. bei Einkommen-, Körperschaft-, Mehrwertsteuer) enthält, bei dem sich die Gebietskörperschaften mehrerer Ebenen die Einnahmen aus einer Steuer nach festgelegten Quoten teilen (vertikaler Finanzausgleich (Finanzausgleich)). Daneben findet auch ein horizontaler Finanzausgleich (Finanzausgleich) zwischen den Gebietskörperschaften statt.

Literatur: N. Andel, Finanzwissenschaft.
3. A., Tübingen 1992. D. Brümmerhoff, Finanzwissenschaft.
5. A., München 1990. R. A. Musgrave/P. B. Musgrave, Public Finance in Theory and Practice.
5. A., New York 1989. H.-G. Petersen, Finanzwissenschaft, Bd. 1 und
2. Stuttgart 1988. H. Zimmermann/K. D. Henke, Einführung in die Finanzwissenschaft.
6. A., München 1990.

 

 


 

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