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Maßgeblichkeit und Umkehrmaßgeblichkeit


Inhaltsübersicht
I. Entwicklung und Funktion der Maßgeblichkeit
II. Inhalt und Ausprägungen der Maßgeblichkeit
III. Einschränkung der Maßgeblichkeit
IV. Durchbrechung der Maßgeblichkeit
V. Grundsatz der umgekehrten Maßgeblichkeit
VI. Grundsatz der verlängerten Maßgeblichkeit
VII. Kritische Würdigung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes
VIII. Zukunft der Maßgeblichkeit

I. Entwicklung und Funktion der Maßgeblichkeit


Der Maßgeblichkeitsgrundsatz prägt in Deutschland seit mehr als einem Jahrhundert das Verhältnis von Handelsbilanz und Steuerbilanz.
Beginnend mit Sachsen und Bremen im Jahre 1874 fand der Maßgeblichkeitsgrundsatz sukzessive Aufnahme in die Einkommensteuergesetze der einzelnen Länder und knüpfte die Gewinnermittlung zunächst an die durch das Handelsrecht vorgeschriebenen Grundsätze für die Inventur und Bilanz bzw. sogar an den nach den Bestimmungen des HGB aufgestellten Jahresabschluss (Alsheimer, 1974; Pohl, 1983). Nach seiner Übernahme in die erstmals reichseinheitliche Regelung des § 33 EStG 1920 wurde das Maßgeblichkeitsprinzip dann in § 13 EStG 1925 insoweit modifiziert, als dort einerseits erstmals ausdrücklich auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) verwiesen und andererseits der Vorrang spezieller steuerrechtlicher Regelungen – derzeit § 5 VI EStG – explizit fixiert wurde. Im Zuge des EStG 1934 erfolgt schließlich die Verankerung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes in § 5 I EStG. Diese Vorschrift hat seitdem abermals zahlreichen Veränderungen unterlegen, etwa der Kodifikation der sog. umgekehrten Maßgeblichkeit in § 5 I Satz 2 EStG sowie der Begründung weiterer Durchbrechungen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes durch die Einfügung spezieller Gesetzesvorbehalte in den Absätzen II bis V (Barth, 1955; Vogt, S. 1991; Pfahl, 1998; Mathiak, 1986). Auch jenseits der deutschen Grenzen ist eine Verknüpfung von handels- und steuerrechtlicher Gewinnermittlung keinesfalls unbekannt, insbes. in denjenigen Staaten, die sich einer kontinentaleuropäischen Bilanzierungstradition verpflichtet fühlen. Gleichwohl wird die Anbindung der Steuerbilanz an die Handelsbilanz nirgendwo so unmittelbar und konsequent verwirklicht, wie im deutschen Bilanzrecht, insbes. ergeben sich weiterreichende Modifikationen der zu Grunde liegenden handelsrechtlichen Ausgangsgröße. In Ländern mit vorherrschenden angelsächsischen Bilanzierungsvorstellungen erfolgt die steuerrechtliche Gewinnermittlung dagegen grds. unabhängig von den Normen des Handelsbilanzrechts (Gail, /Greth, /Schumann, R. 1991; Herzig, 1995; Schreiber, U. 2000).
Zielten die Motive bei Einführung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes v.a. auf die Vereinfachung der steuerlichen Gewinnermittlung durch Bezugnahme auf den Bestand handelsrechtlich gesicherter Erkenntnisse, so spielt der Vereinfachungsgedanke angesichts massiv gestiegener nomineller Steuersätze heute in materiellrechtlicher Hinsicht nur noch eine untergeordnete Rolle.
In praxi wird jedoch bei kleineren und mittleren Unternehmen, die die Mehrzahl der Bilanzierungspflichtigen darstellen, die Handelsbilanz regelmäßig von vornherein unter Berücksichtigung der steuerlichen Vorschriften erstellt und ist damit zugleich Steuerbilanz. Die Wahrscheinlichkeit, handels- und steuerrechtliche Ansätze in einer derartigen Einheitsbilanz zur Deckung bringen zu können, sinkt allerdings mit der Zahl der gesetzgeberischen Durchbrechungen der Maßgeblichkeit (s.u. IV.).
Als materielle Rechtfertigung der Maßgeblichkeit in den Vordergrund getreten ist die Überlegung, der Fiskus dürfe als „ stiller Gesellschafter “ hinsichtlich seiner Teilhabe am Erfolg der Unternehmung nicht besser gestellt werden als der Anteilseigner (Döllerer, 1988; Stobbe, 1997; Groh, 1998). Die Maßgeblichkeit wird damit zum Schutzinstrument gegen fiskalische Beutezüge des Fiskus erkoren. Anders gewendet führt diese Gleichstellungsthese zur Umkehrmaßgeblichkeit, wonach steuerrechtliche Wahlrechte bei der Gewinnermittlung in Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Jahresbilanz auszuüben sind.
Die These vom Fiskus als stillem Gesellschafter impliziert einen Gleichklang der Zwecke von Handels- und Steuerbilanz. Damit würde diejenige handelsrechtliche Konzeption, die den Sinn und Zweck der Handelsbilanz vorrangig in der vorsichtigen und objektivierten Ermittlung des entziehbaren Betrages sieht, in das Recht der steuerlichen Gewinnermittlung übertragen. Hiergegen wird allerdings eingewandt, die Steuerbilanz diene der Ermittlung des „ vollen “ Gewinns, der vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Maßstäbe, wie der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sowie der Gleichmäßigkeit und Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung zu konkretisieren sei. Die steuerliche Gewinnermittlung zeichne sich dementsprechend durch funktionale Differenzen gegenüber der Handelsbilanz aus, die eine vom Konzept des Gläubigerschutzes abweichende Konkretisierung wichtiger Gewinnermittlungsgrundsätze erfordere.

II. Inhalt und Ausprägungen der Maßgeblichkeit


Der Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die steuerrechtliche Gewinnermittlung findet sich heute wie folgt in § 5 I EStG kodifiziert: „ Bei Gewerbetreibenden, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, oder die ohne eine solche Verpflichtung Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, ist für den Schluss des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen (§ 4 Abs. 1 Satz 1), das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Steuerrechtliche Wahlrechte bei der Gewinnermittlung sind in Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Jahresbilanz auszuüben. “ In sachlicher Hinsicht schreibt § 5 I 1 EStG damit die Maßgeblichkeit der kodifizierten wie auch der nicht kodifizierten abstrakten handelsrechtlichen GoB über die Buchführung und Bilanzierung für die steuerrechtliche Gewinnermittlung vor (sog. materielle Maßgeblichkeit). Wegen des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung können dabei nur branchen-, größen- und rechtsformunabhängige handelsrechtliche Regelungen – wie sie insbes. im Dritten Buch des HGB enthalten sind – materiell in Bezug genommen werden (Ballwieser, 1990; Beisse, 1990; Herzig, 1995). Nach der materiellen Maßgeblichkeit ist, was handelsrechtlich aktiviert bzw. passiviert werden muss, auch steuerrechtlich zu aktivieren bzw. passivieren; handelsrechtliche Aktivierungs- bzw. Passivierungsverbote schlagen ebenso auf die steuerliche Gewinnermittlung durch. Die Verknüpfung von handels- und steuerrechtlicher Rechnungslegung erstreckt sich über die materielle Maßgeblichkeit der abstrakten handelsrechtlichen Normen hinaus aber auch auf die in der tatsächlich erstellten Handelsbilanz konkret getroffenen Bilanzierungs- und Bewertungsentscheidungen (sog. formelle Maßgeblichkeit) (Mathiak, 1997); dies hat der Gesetzgeber mit der Einführung der Bestimmung des § 5 I Satz 2 EStG, steuerrechtliche Wahlrechte in Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Jahresbilanz auszuüben, klargestellt. Die im Rahmen der Geltung der formellen Maßgeblichkeit nur einheitlich mögliche Nutzung handels- und steuerrechtlicher Wahlrechte und Ermessensspielräume impliziert dabei eine formale Vorverlagerung steuerbilanzieller Bilanzierungs- und Bewertungsentscheidungen in die Handelsbilanz. Klar ist damit auch, dass sich der Maßgeblichkeitsgrundsatz ebenso sehr auf den Bereich der Bewertung wie auch auf den Bereich des Bilanzansatzes erstreckt, soweit die handelsrechtlich gewählten Ansätze Ausdruck der GoB sind und dem nicht die abweichenden oder deckungsgleichen Bestimmungen ausdrücklicher steuerrechtlicher Gesetzesvorbehalte entgegenstehen und soweit überdies nicht übergeordnete steuerrechtliche Gewinnermittlungsgrundsätze etwas anderes bedingen.

III. Einschränkung der Maßgeblichkeit


Eine Einschränkung der Maßgeblichkeit liegt vor, wenn aus einer Bandbreite handelsrechtlich zulässiger Bilanzierungs- und Bewertungsmöglichkeiten nur ein exakt definierter Wert in die Steuerbilanz übernommen werden darf. Damit wird handelsrechtlichen Wahlrechten die steuerliche Anerkennung versagt. Grundlegend ist in diesem Zusammenhang der Beschluß des Großen Senates vom 03.02.1969, demzufolge handelsrechtliche Aktivierungswahlrechte steuerrechtlich grds. zu Aktivierungsgeboten und handelsrechtliche Passivierungswahlrechte zu steuerrechtlichen Passivierungsverboten werden, um den „ vollen Gewinn “ zu erfassen und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen. Die Geltung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes bleibt hier gem. § 5 I Satz 2 EStG allein für den Fall erhalten, dass einem handelsrechtlichen Bilanzierungswahlrecht ausdrücklich ein steuerrechtlich normiertes gleichartiges Wahlrecht gegenübersteht.

IV. Durchbrechung der Maßgeblichkeit


Verlangen spezifische steuerrechtliche Regelungen einen von der Handelsbilanz abweichenden Bilanz- bzw. Wertansatz, so spricht man von einer Durchbrechung der Maßgeblichkeit.

1. Sachliche Zuordnung von Wirtschaftsgütern


Die sachliche Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Betriebsvermögen erfolgt – ebenso wie die Auflösung einer möglichen Bilanzierungskonkurrenz – wegen der Verweisung des § 5 I 1 EStG auf den Betriebsvermögensvergleich nach § 4 I Satz 1 EStG regelmäßig allein nach steuerrechtlichen Grundsätzen (Mathiak, 1986; Weber-Grellet, 2000).
Steuerlich steht bei der Betriebsvermögenszuordnung die Trennung der privaten von der betrieblichen Sphäre im Mittelpunkt des Interesses. Zu einer abweichenden Abgrenzung handels- und steuerrechtlichen Vermögens kommt es daher etwa bei gewerblichen Personengesellschaften. Während hier in der Handelsbilanz stets sämtliche Vermögensgegenstände des Gesamthandsvermögens unabhängig von ihrer betrieblichen Nutzung auszuweisen sind, umfasst das steuerliche Betriebsvermögen nicht die (fast) ausschließlich privaten Zwecken dienenden Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens. Andererseits erstreckt sich das steuerliche Betriebsvermögen einer Personengesellschaft – anders als ihr handelsrechtliches Gesamthandsvermögen – auch auf diejenigen im Eigentum einzelner Mitunternehmer stehenden Wirtschaftsgüter, die entweder dem Betrieb der Personengesellschaft selbst oder aber der Beteiligung des jeweiligen Gesellschafters an der Personengesellschaft zu dienen bestimmt sind (sog. Sonderbetriebsvermögen I und II).

2. Allgemeiner steuerlicher Bewertungsvorbehalt


Zwar erstreckt sich der Maßgeblichkeitsgrundsatz auch auf den Bereich der Bewertung, jedoch werden seiner Reichweite hier durch den sog. allgemeinen steuerlichen Bewertungsvorbehalt in § 5 VI EStG enge Grenzen gesetzt. Zwingende steuerrechtliche Bewertungsnormen bzw. -grenzen, wie sie das Steuerrecht etwa für Entnahmen und Einlagen oder planmäßige und außerplanmäßige Absetzungen in erheblichem Umfang normiert hat, haben demnach grds. Vorrang. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz entfaltet damit nur noch innerhalb ausdrücklich eingeräumter steuerrechtlicher Bewertungswahlrechte sowie für infolge steuerrechtlicher Regelungslücken offenstehende Bewertungsbereiche seine Wirkung.

3. Besondere Bilanzierungsvorbehalte


Die Geltung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes für die Bilanzierung wird dem Grunde nach des Weiteren durch die besonderen gesetzlichen Ansatzvorbehalte des § 5 II – V EStG eingeschränkt. Während die Absätze II und V mit dem Handelsrecht deckungsgleiche Regelungen beinhalten, sind die Absätze IIa bis IVb des § 5 EStG im Wesentlichen rein fiskalisch motivierte Durchbrechungen der handelsrechtlichen GoB. Beschränkt wurden bereits die Rückstellungsbildung für Schutzrechtsverletzungen sowie die Bildung von Jubiläumsrückstellungen. Seit 1999 ist darüber hinaus die Bildung von Verbindlichkeiten oder Rückstellungen für Verbindlichkeiten, die nur zu erfüllen sind, soweit künftige Gewinne oder Einnahmen anfallen, erst möglich, wenn die Einnahmen oder Gewinne anfallen. Rückstellungen für Aufwendungen, die Anschaffungs- oder Herstellungskosten für ein Wirtschaftsgut sind, dürfen ebenfalls nicht gebildet werden. Von besonderer Brisanz ist das steuerliche Verbot der Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften. Damit rüttelt das Steuerrecht an den Grundfesten des Bilanzrechts und reduziert das Imparitätsprinzip auf das Niederst- und Höchstwertprinzip für Wirtschaftsgüter. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer derartigen Beschneidung des Grundsatzes der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit drängt sich geradezu auf (Herzig, /Rieck, 1998; Hoffmann, W.-D. 2000). Eine weitere Begrenzung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes ergibt sich schließlich auch dort, wo in Ermangelung des Vorliegens der restriktiven Tatbestandsmerkmale des § 6a EStG die Bildung von Pensionsrückstellungen steuerbilanziell nicht in Betracht kommt.

4. Maßgeblichkeitsgrundsatz und Umwandlungsrecht


In hohem Maße strittig ist die Frage der Reichweite des Maßgeblichkeitsgrundsatzes im Bereich des Umwandlungsrechts. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung (BMF, 1998) ist hier davon auszugehen, dass die jeweiligen Wahlrechte, übergehendes Betriebsvermögen mit dem Buch-, Zwischen- oder Teilwert anzusetzen, Ausdruck eines steuerlichen Bewertungsvorbehaltes sind; bei Geltung der Maßgeblichkeit liefen diese Bewertungswahlrechte weitgehend ins Leere. Eine formelle Maßgeblichkeit der in einer handelsrechtlichen Umwandlungsbilanz angesetzten Werte hat im Umwandlungsrecht keine konzeptionelle Grundlage; allein entscheidend ist hier die steuerliche Wertkontinuität zwischen übertragender und übernehmender Einheit (Herzig, 1996a; Herzig, 1996b; Thiel, 1997; Krebs, 1998).

V. Grundsatz der umgekehrten Maßgeblichkeit


Die gesetzliche Verankerung der formellen Maßgeblichkeit in § 5 I Satz 1 EStG zieht als Kehrseite eine umfassende umgekehrte Maßgeblichkeit nach sich. Hiernach wird die Ausübung steuerrechtlicher Wahlrechte bei der Gewinnermittlung eben aufgrund der uneingeschränkten formellen Maßgeblichkeit von einem jeweils entsprechenden Vorgehen in der Handelsbilanz abhängig gemacht und somit also in die Handelsbilanz vorverlagert. Neben den sich im Rahmen der GoB haltenden steuerlichen Wahlrechten können damit aber auch auf rein steuerbilanzpolitischen Überlegungen beruhende Wertansätze in die Handelsbilanz gelangen, die demzufolge insoweit in eine faktische Abhängigkeit von der Steuerbilanz gerät (Mathiak, 1988; Haeger, 1989; Wassermeyer, 1991; Vogt, 1991; Henscheid, 1992; Knobbe-Keuk, 1993). Für die wahlweise steuerliche Inanspruchnahme subventioneller Steuervergünstigungen (Sonderabschreibungen, erhöhte Absetzungen, steuerfreie Rücklagen) ermöglicht das Handelsrecht die geforderte Kongruenz der handels- und steuerrechtlichen Wahlrechtsausübung durch die besonderen Öffnungsklauseln der §§ 247 III, 254, 273, 279 II und 280 II HGB; das Handelsrecht öffnet sich insoweit auch für nur steuerrechtlich zulässige und den handelsrechtlichen GoB regelmäßig widersprechende Wertansätze.

VI. Grundsatz der verlängerten Maßgeblichkeit


Im Zuge des StÄndG 1992 hat der Gesetzgeber die Übernahme der Steuerbilanzwerte in die Vermögensaufstellung in das deutsche Bewertungsrecht eingeführt. Die Vermögensaufstellung hat – nach Abschaffung der Vermögensteuer – die Ermittlung des Wertes des Betriebsvermögens zu einem bestimmten Stichtag als Bemessungsgrundlage für die Erbschaft- und Schenkungsteuer zum Ziel. Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nach § 4 I oder § 5 EStG ermitteln, haben die zum Gewerbebetrieb gehörenden Wirtschaftsgüter (§ 95 ff. BewG) dabei vorbehaltlich besonderer bewertungsrechtlicher Normen grds. mit den Steuerbilanzwerten anzusetzen (§ 109 I BewG). Das Bewertungsrecht sieht damit vom Grundsatz her die Anwendung einer umfassenden formellen Maßgeblichkeit der Steuerbilanz für die Vermögensaufstellung vor. Diese löst sich allerdings mit Blick auf den in § 5 I EStG normierten Maßgeblichkeitsgrundsatz auf in eine Verlängerung des allgemeinen Grundsatzes der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz über die Steuerbilanz hinaus auf die Vermögensaufstellung (verlängerte Maßgeblichkeit) sowie in eine unmittelbare und originäre Maßgeblichkeit der Steuerbilanz für die Vermögensaufstellung. Daneben existieren insbes. eigenständige bewertungsrechtliche Normen für den Ansatz und die Bewertung von Grundstücken und die Bewertung von Wertpapieren und Anteilen an Kapitalgesellschaften.
Im Ergebnis hat die Vermögensaufstellung damit ihren Charakter als konzeptionell eigenständiges bewertungsrechtliches Rechenwerk weitgehend eingebüßt; für die Vermögensaufstellung als Statusbilanz gelten die auf die Ermittlung des Gewinns als Stromgröße zugeschnittenen handels- und steuerrechtlichen Regelungen. Zugleich erhöht die Verlängerung der Maßgeblichkeit die Komplexität der Bilanzpolitik, etwa im Falle der Gestaltung der vorweggenommenen Erbfolge, um eine zusätzliche Dimension und verlangt insofern nach einer umfassend angelegten, alle drei Rechenwerke integrierenden Rechnungslegungspolitik (Herzig, 1992; Herzig, /Benders, 1993; Herzig, /Kessler, 1994). Hierbei ist zu bedenken, dass bilanzpolitisch bedingte Veränderungen der Bemessungsgrundlage in der Vermögensaufstellung als reiner Stichtagsrechnung zu endgültigen Steuermehr- oder Steuerminderbelastungen führen, während sie sich in der Handels- und Steuerbilanz als zweischneidiger Rechnung über die Totalperiode ausgleichen.

VII. Kritische Würdigung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes


Die Verknüpfung von handels- und steuerrechtlicher Gewinnermittlung wird im Schrifttum namentlich im Hinblick auf die umgekehrte Maßgeblichkeit der Steuerbilanz für die Handelsbilanz zu Recht kritisch beurteilt. Das Ausmaß der allein steuerbilanzpolitisch motivierten Wertansätze in der Handelsbilanz führt insbes. bei subventionellen, mit handelsrechtlichen GoB nicht zu vereinbarenden Steuervergünstigungen zweifellos zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Aussagefähigkeit des handelsrechtlichen Jahresabschlusses, die auch durch die bestehenden Angabepflichten zu den steuerlich motivierten Wertansätzen im Anhang (§§ 280 III, 281 II, 285 Nr. 2 HGB) keinesfalls ausreichend kompensiert werden kann. Damit bewirkt die mit der umgekehrten Maßgeblichkeit einhergehende faktische Prädominanz der Steuerbilanz über die Handelsbilanz aber insoweit eine Deformation der Handelsbilanz und damit eine Aushöhlung der handelsrechtlichen GoB. Die umfassende Geltung der umgekehrten Maßgeblichkeit läuft daher auch der Zielsetzung der 4. EG-Richtlinie zuwider, nach Maßgabe des Grundsatzes des true and fair view die Möglichkeiten der Bildung stiller Reserven für Kapitalgesellschaften weitgehend einzuschränken (Dziadkowski, 1989; Haeger, 1989; Wassermeyer, 1991; Knobbe-Keuk, 1993).
Darüber hinaus führt die Zwecksetzung der umgekehrten Maßgeblichkeit, einen korrespondierenden Ausweis der grds. nur steuerrechtlich zulässigen, insbes. subventionellen Gewinnminderungen in der Handelsbilanz zu bewirken und damit sicherzustellen, dass ein durch deren Inanspruchnahme erzielter Steuervorteil nicht gleichzeitig zur Ausschüttung gelangt, bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften angesichts der vom ausgewiesenen Gewinn unabhängigen Entnahmemöglichkeiten nicht zum Erfolg. Die erwünschte Ausschüttungssperre greift letztlich höchstens bei Kapitalgesellschaften, soweit diese auf eine Auflösung ihrer frei verfügbaren Rücklagen verzichten, und bringt damit deren Ungleichbehandlung zum Ausdruck. Ertragsschwache oder an einer Mindestausschüttung interessierte Kapitalgesellschaften werden u.U. gar an der Inanspruchnahme der grds. erwünschten subventionellen Steuervorteile gehindert, wenn eine weitere Minderung des handelsbilanziellen Gewinnausweises nicht mehr in Betracht kommt (Herzig, 1995). Die bezweckte Ausschüttungssperre verringert damit die Effizienz subventioneller Steuervergünstigungen (Schildbach, 1989a; Schildbach, 1989b) und kann sich obendrein in ökonomischer Hinsicht als Beeinträchtigung einer optimalen Kapitalallokation erweisen (Wagner, F. N. 1990).
Gerade in jüngerer Zeit wird auch die Zweckmäßigkeit des Maßgeblichkeitsgrundsatzes im Allgemeinen vermehrt in Zweifel gezogen. Zentraler Ansatzpunkt der Kritik an der Maßgeblichkeit sind die als divergierend erkannten Zielsetzungen von Handels- und Steuerbilanz. Das handelsrechtliche Konzept, einen vorsichtig und objektiviert ermittelten, entnahmefähigen Gewinn zu bestimmen, wird – wenn es denn überhaupt als die Informationsfunktion der Bilanz dominierender Primärzweck der Handelsbilanz angesehen wird – als nur teilweise vereinbar mit Ermittlung des periodengerechten, „ vollen “ Gewinns als Maßgröße der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens gesehen. Wegen der partiellen Unvereinbarkeit dieser Zielsetzungen von Handelsbilanz und Steuerbilanz werden die handelsrechtlichen GoB als kaum geeignete Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung erachtet (Pezzer, 1991; Weber-Grellet, 1994; Weber-Grellet, 1997). Namentlich das die handelsrechtliche Rechnungslegung dominierende, dem Gläubigerschutzgedanken verhaftete Vorsichtsprinzip sei doch wohl eher unverträglich mit den Zwecken der Besteuerung; nicht zuletzt verletze es insbes. die Zielsetzung einer entscheidungsneutralen Gewinnbesteuerung, die darauf abziele, positive und negative Wertänderungen gleichermaßen zu erfassen und demgemäss einen ökonomischen Gewinn zu besteuern (Wagner, F. N. 1990; Ballwieser, 1990). Für das geltende Bilanzrecht soll dementsprechend denn auch allenfalls eine restriktive Auslegung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes in dem Sinne annehmbar sein, dass dieser im Zweifel stets hinter dem grds. vorrangigen, primär unter dem Leistungsfähigkeitsaspekt betrachteten Steuerrecht zurückzustehen habe.

VIII. Zukunft der Maßgeblichkeit


Die Frage nach der Zukunft des Maßgeblichkeitsgrundsatzes ist nicht neu. Sie stellt sich jedoch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Internationalisierung der handelsrechtlichen Rechnungslegung (International Financial Reporting Standards (IFRS); US-GAAP) mit erhöhtem Nachdruck, weil sich über den Transformationsmechanismus Maßgeblichkeit auch Konsequenzen für die steuerliche Gewinnermittlung ergeben können. Wenngleich auch bereits heute Tendenzen einer Internationalisierung des Steuerbilanzrechts auszumachen sind – hingewiesen sei etwa auf die sog. Europäisierung des Steuerbilanzrechts im Gefolge der Bilanzrechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie die Wirkungen einer IFRS-konformen Interpretation der EG-Bilanzrichtlinien – , so besitzt doch die gewollte oder ungewollte Ausrichtung des steuerlichen Gewinnermittlungsrechts an den auf die Ermittlung einer Informationskennziffer (decision usefulness) ausgerichteten Normen der IFRS/IAS oder US-GAAP eine ganz andere Qualität. Ein Vordringen informationsorientierter GoB im handelsrechtlichen Einzelabschluss entzieht dem deutschen Konzept einer Einheitsbilanz, die unterschiedlichen Zwecken dient und damit Beeinträchtigungen aller verfolgten Zwecke in Kauf nimmt, die Grundlage. Befürwortet man aber eine sach- und funktionsbezogene Differenzierung der Rechnungslegung, wobei zwischen einer Informations-, Ausschüttungs- und Steuerorientierung zu unterscheiden ist, so führt die Internationalisierung des Handelsrechts zwangsläufig dazu, dass der Maßgeblichkeitsgrundsatz in seiner bisherigen Form nicht aufrechtzuerhalten ist (Herzig, 2000, Herzig, 2004). So wird denn wohl die – eigentlich vornehmlich den Konzernabschluss betreffende – Internationalisierung der Rechnungslegung den handelsrechtlichen Einzelabschluss von der Fessel der Steuerbilanz befreien (Groh, 1998).
Hierdurch bedingt ist eine eigenständige – vom Handelsrecht gelöste – steuerliche Gewinnermittlung zu konzipieren, die sich an europäischen Zielsetzungen zu orientieren hat. Um diesen Entwicklungsprozess zu ermöglichen und die Chance zur Harmonisierung der steuerlichen Gewinnermittlung in Europa zu nutzen, sollten die IFRS/IAS als „ starting point “ dienen. (Herzig, 2004)
Literatur:
Alsheimer, H. : Einhundert Jahre Prinzip der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz, in: ZfB 1974, S. 841 – 848
Ballwieser, W. : Ist das Maßgeblichkeitsprinzip überholt?, in: BFuP 1990, S. 477 – 498
Barth, K. : Die Entwicklung des deutschen Bilanzrechts, Bd. II: Steuerrecht, Stuttgart 1955
Beisse, H. : Grundfragen der Auslegung des neuen Bilanzrechts, in: BB 1990, S. 2007 – 2012
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Döllerer, G. : Steuerbilanz und Beutesymbol, in: BB 1988, S. 238 – 241
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Groh, M. : Der Kampf um das Maßgeblichkeitsprinzip, in: Unternehmensrechnung und -besteuerung. Festschrift für D. Börner, hrsg. v. Meffert, H./Krawitz, N., Wiesbaden 1998, S. 177 – 196
Haeger, B. : Der Grundsatz der umgekehrten Maßgeblichkeit in der Praxis, Stuttgart 1989
Henscheid, M. : Die Umkehrung des Maßgeblichkeitsprinzips, in: BB 1992, S. 98 – 105
Herzig, N. : Verlängerte Maßgeblichkeit und Bilanzpolitik, in: DB 1992, S.1053 – 1054
Herzig, N. : Maßgeblichkeitsgrundsatz, in: Handbuch der Rechnungslegung, hrsg. v. Küting, K./Weber, C.-P., 4. A., Stuttgart 1995
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