Personalauswahl
Inhaltsübersicht
I. Begriff und Bedeutung der Personalauswahl
II. Instrumente der Personalauswahl
III. Verfahrensevaluation
I. Begriff und Bedeutung der Personalauswahl
Das alte und etwas platte Diktum, durch geeignete Methoden der Personalauswahl möge „ die rechte Person auf den rechten Platz kommen “ , gewinnt dann eine operational brauchbare Form, wenn es gelingt, Person und Berufstätigkeit auf drei Ebenen vergleichend gegenüberzustellen (Abb. 1). Dies bedeutet, dass die Zuordnung von Personen und Tätigkeiten eignungs- und interessenbezogen vorgenommen wird. Auf der ersten Ebene sind die Anforderungen zu ermitteln, die von den mit einer Berufstätigkeit verbundenen Aufgaben an den Arbeitsplatzinhaber gestellt werden. Hiervon sind die für die erfolgreiche Berufsausübung erforderlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse abzuleiten und Messverfahren zur Anwendung zu bringen, mit deren Hilfe die Ausprägung dieser Merkmale ermittelt wird.
Abb. 1: Vergleiche zwischen Tätigkeit und Person bei berufsbezogenen Entscheidungen
Zusätzlich zur Bestimmung derzeitiger Anforderungen kann abzuschätzen versucht werden, welche Anforderungsänderungen zu erwarten sind; überdies ist mit einem nicht bestimmbaren Anteil an Veränderungen zu rechnen. Das erwünschte Entwicklungspotenzial einer Person sollte sowohl den absehbaren Veränderungen entsprechen, als auch darüber hinaus ausreichende Wahrscheinlichkeit bieten, dass sie auch künftigen Entwicklungen ungewisser Art gewachsen sein wird.
Neben der Leistung können auch andere Kriterien beruflichen Erfolgs, namentlich Berufs- und Arbeitszufriedenheit, Gesundheit und Wohlbefinden oder das Verbleiben in der Organisation als Diagnoseziele formuliert werden. Dementsprechend ist in Ergänzung zur Anforderungsermittlung auch das Befriedigungspotenzial der fraglichen Tätigkeit zu bestimmen und mit den Interessen und Bedürfnissen der Personen zu vergleichen.
Personalauswahl unter Nutzung berufseignungsdiagnostischer Methoden kann deshalb als Anwendung psychologischer Verfahren zum Zwecke eignungsbezogener Erfolgsprognosen und Entscheidungshilfen im beruflichen Kontext verstanden werden. Ihre wissenschaftliche Basis sind vor allem Theorien der Anforderungen, Fähigkeiten und Leistungen sowie Methoden zu deren Messung und Modelle der Klassifikation. Praktische Einsatzbereiche sind alle Arten berufsbezogener Einschätzung, Beratung, Selektion und Zuordnung mit dem Ziel der individuellen Berufs-, Organisations-, und Arbeitsplatzwahl, der institutionellen Berufsberatung sowie der Auswahl und Entwicklung von Mitarbeitern in Wirtschafts- und Verwaltungsorganisationen.
Für die Untersuchung eignungs- und damit auswahlrelevanter Aspekte der Berufstätigkeit stehen verschiedene Methoden der Arbeits- und Anforderungsanalyse zur Verfügung. Die für die Eignungsdiagnostik wichtigsten Arten von Anforderungen sind – nicht immer scharf trennbar – formuliert als Eigenschaftsanforderungen (z.B. Fähigkeiten und Interessen), Verhaltensanforderungen (z.B. Fertigkeiten und Gewohnheiten), Qualifikationsanforderungen (z.B. Kenntnisse und Fertigkeiten) sowie Ergebnisanforderungen (z.B. Problemlösungen und Qualitätsstandards). Die Erfassung der Anforderungen erfolgt vor allem auf dem Wege der Beobachtung sowie der mündlichen oder schriftlichen Befragung.
Die erforderlichen Eignungsmerkmale werden, soweit möglich und angemessen, in Orientierung an den tätigkeitsspezifischen Anforderungen ermittelt. Es haben sich aber auch mehrere Eigenschaften als generell oder doch für vielfältige Tätigkeitsbereiche relevante Erfolgsprädiktoren erwiesen. Allen voran gehört hierzu die allgemeine Intelligenz, die um 1980 von Schmidt, / und Hunter, mittels metaanalytischer Methoden als valider Leistungsprädiktor für praktisch alle Berufsfelder nachgewiesen werden konnte (die Auswirkung der Intelligenz auf die Berufsleistung beruht vor allem auf der Befähigung, Fachkenntnisse zu erwerben). Demgegenüber haben sich globale Persönlichkeitsmerkmale wie Extraversion und Offenheit nicht als generell relevant gezeigt; hierfür können allerdings auch die eingeschränkte Varianz der Bewerberstichproben sowie die verfügbaren – meist nicht berufsbezogenen Messverfahren – verantwortlich sein. Unter den globalen Persönlichkeitseigenschaften scheint am ehesten das Merkmal Gewissenhaftigkeit von allgemeiner Erfolgsrelevanz. Ergänzend haben sich einige etwas spezifischere Merkmale als relativ generell bedeutsam erwiesen, darunter Leistungsmotivation, Selbstvertrauen, soziale Kompetenz, Dominanz und Integrität.
II. Instrumente der Personalauswahl
Zur Klassifikation eignungsdiagnostischer Instrumente ist die Unterscheidung dreier grundsätzlicher methodischer Ansätze hilfreich: Eigenschafts- oder Konstruktansatz, Simulationsansatz und biographischer Ansatz. Jeder dieser Ansätze verfolgt eine teilweise eigenständige Validierungslogik und ist mit speziellen Methoden der Merkmalserfassung verbunden. Für die praktische Berufseignungsdiagnostik bedeutet dies, dass für komplexe Anforderungssituationen zumeist ein multiples Verfahren angemessen ist. Der trimodale Ansatz der Berufseignungsdiagnostik wird in Abb. 2 dargestellt.
Abb. 2: Der trimodale Ansatz der Berufseignungsdiagnostik
1. Bewerbungsunterlagen
Den ersten Schritt bei der Auswahl neuer Mitarbeiter stellt gewöhnlich die Auswertung der Bewerbungsunterlagen dar. Für ihre optimale Verwertung liegt derzeit noch wenig wissenschaftliche Erfahrung vor, wenngleich erste Versuche durchgeführt wurden, mittels konfiguraler Verfahren die Urteilsbildung der Auswerter nachzumodellieren. In der Personalpraxis häufig berücksichtigte Gesichtspunkte sind: formale Aspekte (z.B. Vollständigkeit und Fehlerfreiheit), Anschreiben, Lebenslauf, Lichtbild, Ausbildungsvoraussetzungen, erforderliche Spezialkenntnisse und zusätzliche Kompetenzen, Übereinstimmung von Lebenslauf und Belegen, Plausibilität des Stellenwechsels, Schul- und Studienleistungen, Arbeitszeugnisse und Referenzen, ergänzende anforderungsspezifische Aspekte (z.B. Berufserfahrung und Mobilität). Die prognostische Validität von Bewerbungsunterlagen als Auswahlverfahren ist vergleichsweise gering.
2. Schul- und Examensnoten
Valideste Einzelkomponente der Bewerbungsunterlagen sind Schul- und Examensnoten. Diesbezügliche Widersprüche in Einzelstudien gehen größtenteils auf Stichprobenfehler und andere Artefakte zurück, wie sich durch metaanalytische Verrechnung aufzeigen lässt (Schuler, 2000). Im Maße der Beurteilerabhängigkeit weisen Schul- und Examenszensuren Objektivitäts- und Reliabilitätsdefizite auf, allerdings keineswegs stärker als andere Urteilsleistungen. Unter allen Außenkriterien zeigt die allgemeine Intelligenz die höchste Korrelation mit gemittelten Schulnoten (um r = .50). Die prognostische Validität für weitere Lern- und Ausbildungsleistungen liegt bei r = .40 – .50 (z.B. für Abitur – Studienexamen r = .46). Die Validität in Bezug auf Berufserfolg und berufspraktische Ausbildungsleistungen liegt mit r = .20 – .30 niedriger.
3. Einstellungsinterviews
Der Durchführungsmodus dieses nahezu durchgängig eingesetzten Auswahlinstruments reicht von der völlig freien Gesprächsform über teilstrukturierte bis zu vollstrukturierten Varianten mit standardisierten Abläufen und Fragestellungen. Als wirksame Maßnahmen der Validitätssicherung haben sich vor allem die anforderungsbezogene Verfahrensgestaltung sowie die Durchführung in teilstandardisierter Form mit Antwortbewertung auf beispielverankerten Skalen erwiesen, daneben die Verwendung mehrerer Fragentypen. Die Konstruktion und Prüfung von Interviewfragen kann prinzipiell nach den gleichen psychometrischen Prinzipien erfolgen wie die psychologischer Tests. Zu den methodisch kontrollierten Verfahren gehören das Situative Interview und das Multimodale Interview. Mit Letzterem konnte gezeigt werden, dass in Auswahlgesprächen neben dem biographieorientierten auch das konstrukt- und das simulationsorientierte Diagnoseprinzip realisierbar sind. Situative Interviewfragen stellen mentale Tätigkeitssimulationen dar, bei hohem Erfahrungsanteil auch „ Wissensarbeitsproben “ . Nach Latham (Latham, 1989, S. 171) basiert das Situative Interview auf der Zielsetzungstheorie, die annimmt, dass Intentionen verhaltenssteuernd wirken und gute Prädiktoren realen Verhaltens sind. Das Prinzip Multimodaler Interviews (Schuler, 2002) ist die Kombination mehrerer Fragentypen, was zu höherer inkrementeller Validität und besserer Akzeptanz führt.
4. Psychologische Tests
Unter einem psychologischen Test ist ein standardisiertes Verfahren zur Messung individueller Verhaltensmerkmale zu verstehen; seine Funktion ist, Schlüsse auf Eigenschaften oder auf Verhalten in anderen Situationen zu ermöglichen. In der wissenschaftlich kontrollierten Eignungsdiagnostik sind psychologische Testverfahren die am häufigsten verwendeten und am besten kontrollierten Instrumente. Die wichtigsten Verfahrenstypen sind in Abb. 3 aufgeführt.
Abb. 3: Die wichtigsten Arten von Testverfahren, die in der Berufseignungsdiagnostik eingesetzt werden
In neueren Jahren werden bevorzugt Tests zur Messung spezieller Persönlichkeits- und Fähigkeitsmerkmale entwickelt. Aber auch die Orientierung an allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen hat durch die wiederauflebende Erforschung der „ großen fünf “ Persönlichkeitsfaktoren wieder zugenommen. In ähnlicher Richtung konvergieren die Belege dafür, dass der Vielfalt kognitiver Leistungen doch nur eine sehr beschränkte Anzahl von Intelligenzfaktoren zu Grunde liegt (z.B. Ones, /Viswesvaran, 2002). Eine bemerkenswerte Entwicklung besteht in der Bevorzugung arbeitsprobenartiger Testverfahren – möglicherweise als Effekt der Verbreitung von Simulationen, wie sie im Assessment Center verwendet werden, vielleicht auch verursacht durch die zunehmende Berücksichtigung der Bewerberpräferenzen, die sehr deutlich in diese Richtung weisen (vgl. Görlich, , in Druck). Ein Beispiel für derartige Verfahren ist die Arbeitsprobe zur Berufsbezogenen Intelligenz (AZUBI – BK; Schuler, /Klingner, 2003). Sie wird zur Auswahl von Mitarbeitern für Büroberufe eingesetzt.
5. Biographische Fragebogen
Die inhaltliche Abgrenzung biographischer Fragebogen von Persönlichkeitstests ist häufig nur akzentuierend möglich. So sind biographische Items im Vergleich zu Persönlichkeitsitems eher vergangenheitsbezogen, konkret, leistungsbezogen, sie betreffen eher tatsächliches Verhalten und nachprüfbare Ereignisse. Klassisches Prinzip der Fragebogenkonstruktion ist die Validierung jedes Items oder sogar jeder Antwortmöglichkeit am Erfolgskriterium. Dies führt zu einer dezidiert aufgabenspezifischen und häufig zudem organisationspezifischen Itemauswahl – und in der Folge zu beschränkter Generalisierbarkeit. Aus diesem Grund wird heute der „ blind empirische “ Ansatz oft mit einem rationalen, d.h. anforderungs- und konstruktbezogenen Ansatz kombiniert.
6. Arbeitsproben
Arbeitsproben sind inhaltlich valide und erkennbar äquivalente Stichproben des erfolgsrelevanten beruflichen Verhaltens in Form standardisierter Aufgaben. Die Konstruktion von Arbeitsproben erfolgt weitgehend nach den gleichen Prinzipien wie die psychologischer Tests. Wesentlicher Unterschied ist, dass weitgehend darauf verzichtet wird, die Arbeitstätigkeiten in für deren Ausführung erforderliche Personenmerkmale zu übersetzen. Anstelle eines „ Anzeichens “ (Testverhalten) oder einer „ Prädisposition “ (Eigenschaften) wird von einer Verhaltensstichprobe auf ähnliches künftiges Verhalten geschlossen (Simulationsansatz). Beispiele sind die Anfertigung eines Werkstücks durch einen Mechaniker oder das Halten von Probeunterricht durch einen Lehrer. Eine neue Klasse von Arbeitsproben ist durch Videotechnologie und virtuelle Realität entstanden.
7. Computersimulationen
Mit der Nutzung des Computers für komplexe dynamische Problemlöseaufgaben oder „ Szenarios “ wurde eine Vorgehensweise ermöglicht, die durch andere Medien nicht ersetzt werden kann. Diese aus der kognitionspsychologischen Forschung stammenden Aufgabentypen verlangen vom Probanden, ein System so zu steuern, dass bestimmte Zielgrößen erreicht werden; hierbei können sowohl Ergebnisvariablen (z.B. Umsatz) wie Prozessvariablen (z.B. Entscheidungen) erfasst werden, die das Arbeitsverhalten einer Person charakteriseren. Wagener & Wittmann (Wagener, /Wittmann, 2002) zeigen für diesen Verfahrenstyp inkrementelle Validität gegenüber der allgemeinen Intelligenz auf.
8. Fachkenntnisse
Strukturanalysen betrieblicher Leistungsbeurteilungen haben Fachkenntnisse als dominierende Quelle von Vorgesetztenurteilen erwiesen. Auch als Prädiktoren künftigen Leistungsverhaltens wurde für Fachkenntnisse hohe Validität errechnet (s. Tab. 1). Aufgrund ihrer hohen Abhängigkeit von allgemeiner Intelligenz erbringen Fachkenntnisse allerdings nur mäßige inkrementelle Validität gegenüber kognitiven Fähigkeitstests. In vielen Fällen sind sie aber einfacher erhebbar als diese, wodurch ihnen der Vorzug zu geben ist.
9. Internetgestützte Diagnostik
Die Anwendung von Personalauswahlverfahren via Internet ermöglicht die Teilnahme einer großen Personenzahl bei abnehmenden Grenzkosten in einem kurzen Zeitraum. Bei automatischen Auswertungsalgorithmen können Entscheidungen in kürzester Zeit getroffen und den Bewerbern mitgeteilt werden. Weitere Vorteile sind die Variabilität von Durchführungsart und -zeitpunkt sowie die Objektivität der Auswertung. Allerdings erfordern Online-Systeme bei komplexeren Verfahren hohen Programmieraufwand und kompetente Betreuung. Auch sind die Objektivität der Durchführung – bis hin zur fraglichen Identität des Diagnostizierten – und der Schutz der Daten nicht vollständig und auch näherungsweise nur mit erheblichem Kontrollaufwand zu gewährleisten. Ein technisches Problem stellt die mangelnde Kompatibilität verschiedener Systeme dar. Ein Teil dieser Probleme ist durch Intranetlösungen, die eine Diagnosedurchführung etwa in Geschäftsstellen erlauben, in den Griff zu bekommen. Bewerbungen und teilweise Selbsttests zur Vorauswahl (wenngleich zumeist von fraglicher psychometrischer Qualität) werden dagegen heute schon in großer Zahl über das Internet abgewickelt.
10. Multimodale Auswahlverfahren
Multimodale oder multimethodale Verfahren verfolgen in der Berufseignungsdiagnostik den Zweck, durch die Kombination verschiedener Methoden und diagnostischer Prinzipien einer heterogenen Anforderungskonstellation gerecht zu werden. Grundsätzlich sind alle Typen von Einzelverfahren kombinierbar; Tabelle 1 zeigt allerdings, dass nichtkognitive Prädiktoren nur in wenigen Fällen substantielle Ergänzungen zur Erfolgsprognose mittels Intelligenztests leisten können. Als multiple Auswahlverfahren für Führungspositionen sowie zur Diagnose der Kompetenzen für spezifischer bestimmte berufliche Aufgaben werden häufig Assessment Center eingesetzt, die vor allem aus arbeitsprobenartigen Elementen bestehen. Soweit es gelingt, die Gesamtheit der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten einer Person zu erfassen, kann von Potenzialanalyseverfahren gesprochen werden (s.a. Potenzialbeurteilung). Bei Vorliegen verlässlicher Kriteriendaten können die Einzelkomponenten multimodaler Verfahren zur Bestimmung eines Gesamtscores gewichtet werden (etwa mittels multipler Regression).
III. Verfahrensevaluation
Die Evaluation eignungsdiagnostischer Verfahren hat sich an den allgemeinen testtheoretischen Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität zu orientieren, daneben an der organisationalen Effizienz oder Beratungseffizienz, an der sozialen Qualität sowie an weiteren ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten. Unter den Kritereien der psychometrischen Qualität ist die Validität das Wichtigste, die übrigen stehen in ihrem Dienste. Gelingt die eignungsgerechte Personalauswahl, ist mit Auswirkungen auf die Produktivität zu rechnen, die mit anderen betrieblichen Investitionen schwerlich zu übertreffen sein dürfte (Abb. 4).
Abb. 4: Zu erwartender Produktivitätszuwachs aufgrund von Validität und Selektionsquote (Herrnstein, /Murray, 1994, S. 84)
1. Selektionsquote
In Abb. 4 wird die zu erwartende Produktivitätssteigerung in Abhängigkeit von zwei Größen dargestellt, der Selektionsquote und der Validität der eingesetzten Auswahlinstrumente. Die Selektionsquote ist als Prozentsatz der eingestellten Personen aus der Menge der Bewerber definiert. Wie erkennbar, führt eine Selektionsquote von etwa 5 zu 1 bis 10 zu 1 zu hohen Nutzensteigungen im Vergleich zu geringer Selektivität, während für noch geringere Annahmequoten der Grenznutzen abnimmt. Günstige Selektionsquoten setzen eine ausreichende Anzahl geeigneter Bewerber voraus – die sog. Basisrate als Anteil geeigneter unter den Bewerbern ist ein zusätzlicher, in Abbildung 4 nicht berücksichtigter Einflussfaktor – , die vor allem mittels Personalmarketing gesteuert werden kann.
2. Validität
Die zweite aus der Abbildung ersichtliche Einflussgröße ist die Validität der eingesetzten Auswahlinstrumente. Validität bezeichnet sinngemäß die Tauglichkeit der diagnostischen Methoden, verwertbare Schlüsse aus den resultierenden Daten zu ziehen; operational ist sie definiert als Korrelation zwischen Prädiktor (also dem Eignungsmaß) und Kriterium (dem Erfolgsmaß).
Validitätskoeffizienten, wie sie mittels eignungsdiagnostischer Methoden erreichbar sind, werden oft gering geschätzt – mitunter unter Hinweis auf den sog. Determinationskoeffizienten, der als Quadrat des Korrelationskoeffizienten den Anteil der durch den Prädiktor aufgeklärten Varianz im Kriterium angibt (also beispielsweise 25% für r = .50). 25% Varianzaufklärung im Kriterium für gering zu halten, beruht allerdings auf einer immensen Fehleinschätzung komplexer Zusammenhänge. Vergegenwärtigt man sich die Vielfalt an Einflussgrößen, die zum Berufserfolg eines Menschen beitragen – ergänzt um die Unzulänglichkeit der verfügbaren Kriteriumsmaße – , so bedeutet es ungemein viel, etwa mit einem Test der allgemeinen Intelligenz von zwei Stunden Dauer bereits ein Viertel des Gesamteinflusses auf den Berufserfolg zu identifizieren. Im Vergleich zu medizinischen Diagnosen und Interventionen liegen psychologische Prognosen beruflichen Erfolgs im Bereich zumindest gleichwertiger Effektstärken (Meyer, et al. 2001).
Tab. 1 stellt eine neuere Auflistung metaanalytisch ermittelter Validitätskoeffizienten dar. Demnach können Intelligenztests, Arbeitsproben, strukturierte Interviews, Fachkenntnistests und Integritätstests als die derzeit validesten diagnostischen Verfahren gelten.
Tab. 1: Metaanalytisch errechnete Validität und inkrementelle Validität (gegenüber Intelligenztests) eignungsdiagnostischer Verfahren (verkürzt nach Schmidt, /Hunter, 1998, S. 22)
Tab. 1 gibt aber auch Aufschluss über einen anderen für die Personalauswahl bedeutsamen Aspekt: In den meisten Fällen wird zur Auswahl von Mitarbeitern nicht ein Verfahren allein eingesetzt, sondern mehrere Verfahren in Kombination. Nachdem mit verschiedenen Verfahren teilweise die gleichen Merkmale ermittelt werden, steigt die Prognoseleistung bei manchen Kombinationen nur geringfügig an. Tab. 2 gibt die inkrementelle – zusätzliche – Validität an, die durch Hinzunahme eines zweiten Verfahrens zu erwarten ist. Erstes Verfahren ist in dieser Zusammenstellung in allen Fällen ein Test der allgemeinen geistigen Fähigkeiten, also der Intelligenz. Wie ersichtlich, steigt die Ausgangsvalidität von r = .51 durch Hinzunahme einer Arbeitsprobe auf r = .63. Demgegenüber erhöht sich die Validität durch Ergänzung des Intelligenztests um ein Assessment Center nur um r = .02 auf r = .53, und die Hinzunahme eines graphologischen Gutachtens bringt überhaupt keinen Prognosegewinn.
Sowohl die „ primären “ Validitätskoeffizienten als auch ihre inkrementellen Varianten sind allerdings unter der Einschränkung zu sehen, dass ihre Ausprägung im Einzelfall u.a. von den Selektionsbedingungen abhängig sind. Beispielsweise beträgt die prognostische Validität von Intelligenztests zur Auswahl von Wissenschaftlern nur r = .16 (Funke, /Krauß, /Schuler, et al. 1987), nachdem die Vorauswahl in mehreren Stufen größtenteils nach kognitiven Fähigkeiten stattgefunden hat. Auch hat sich gezeigt, dass Auswahlverfahren teilweise in ihrer Validität abhängig von Berufs- und Altersgruppen sind. Beispielsweise erbringen biographische Fragebogen bei Jugendlichen nur geringe, bei Außendienstmitarbeitern, Führungskräften und insbesondere bei Wissenschaftlern dagegen hohe Prognoseleistungen. Strukturierte Interviews dagegen scheinen von solchen Einschränkungen nicht betroffen zu sein (Schuler, 2002).
Zu beachten ist, dass sich für verschiedene Erfolgsmaße – z.B. Leistungsbeurteilung, Positionsniveau, Gehaltshöhe, Potenzialeinschätzung – unterschiedliche Koeffizienten errechnen. Der Aspekt der inhaltlichen Validität ist insbesondere in Form des Anforderungsbezugs in der Phase der Verfahrenskonstruktion von Bedeutung, jener der Konstruktvalidität bei der Untersuchung der psychologischen Bedeutung der Messwerte.
3. Organisationale Effizienz
Die organisationale Effizienz bemisst sich nach Aspekten der Praktikabilität, dies sind vor allem der Durchführungsaufwand, die zur Anwendung erforderliche Kompetenz sowie die Verfügbarkeit. Vor allem aber gehört hierzu der zu erwartende Nutzen eines Verfahrenseinsatzes. Er hängt von mehreren Parametern ab, darunter Validität, Selektionsquote und Basisrate sowie die Varianz im Leistungskriterium (das heißt, der Auswahlnutzen wächst mit der Größe der späteren Leistungsdifferenzen). Ergänzt um verschiedene betriebswirtschaftliche Größen, lässt sich daraus der zu erwartende Nutzen errechnen. Entsprechende Kalkulationen führen vielfach zu hohen Nutzensschätzungen für den Einsatz eignungsdiagnostischer Instrumente. Beratungseffizienz kann als Tauglichkeit eignungsdiagnostischer Verfahrensweisen verstanden werden, unterstützend bei individuellen Berufs- und Organisationswahlprozessen zu wirken. Aufgrund des relativ geringen generellen Zusammenhangs zwischen Interessen und Fähigkeiten wird gewöhnlich auch für jene ein solcher Nutzen unterstellt. Beratungseffizienz ist vor allem für die Berufsberatung am Arbeitsamt von Bedeutung, aber auch im Kontext betrieblicher Personalentwicklung.
4. Akzeptabilität
Als eigenständiges Qualitätskriterium wird heute die Akzeptabilität des Auswahlprozesses für die Bewerber und ihre Reaktion auf eignungsdiagnostische Methoden angesehen. Besser akzeptierte Verfahren zeichnen sich durch Information über berufliche Anforderungen aus sowie durch Transparenz, Feedback und die Möglichkeit zur Situationskontrolle; diese Aspekte, zusammengefasst auch als soziale Validität bezeichnet (Schuler, 2000), werden von Stellenbewerbern zumeist eher in interaktiven Verfahren (z.B. Interview) realisiert gesehen als in schriftlich durchgeführten (z.B. Tests) oder in biographisch dokumentierten (z.B. Zensuren).
5. Ethische und rechtliche Aspekte
Ethische, berufsständische wie auch rechtliche Fragen der Berufseignungsdiagnostik unterliegen derzeit einer Entwicklung, die in Zusammenhang mit verstärktem Bemühen um Qualitätssicherung steht. Konkrete ethische Probleme sind beispielsweise: Verwendung unzulänglicher Diagnosemethoden, Vernachlässigung des Anforderungsbezugs, Anwendung belastender Verfahren, unbilliges Eindringen in die Privatsphäre, mangelnde Vertraulichkeit der erhobenen Daten, konfligierende Verpflichtungen gegenüber Auftraggebern und Klienten; vgl. auch Blickle, 2004. Einschlägige Rechtsgrundlagen sind das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie das Arbeitsrecht. Ein Mitspracherecht des Betriebsrats an Auswahlverfahren besteht nur dann, wenn diese die Einstellungsentscheidung unmittelbar determinieren. „ Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen “ wurden kürzlich vom Normenausschuss Gebrauchstauglichkeit und Dienstleistungen (Kersting, /Püttner, 2006) als DIN 33430 erarbeitet.
6. Gesamtbewertung
Die Angemessenheit des Einsatzes eignungsdiagnostischer Instrumente in einem bestimmten Anwendungsfall richtet sich nach einer Reihe spezifischer Gegebenheiten. Sieht man von allen gegebenenfalls erforderlichen Differenzierungen ab, so kann die Nutzung diagnostischer Information für die wichtigsten Berufsgruppen vergleichend beurteilt werden wie in Tab. 1 zusammengestellt.
Tab. 2: Gesamtbewertung des Einsatzes eignungsdiagnostischer Instrumente
Künftige Verfahrensentwicklungen sollten sich darum bemühen, die Vorzüge verschiedenartiger Vorgehensweisen zu multimodalen Instrumenten dergestalt zu kombinieren, dass sich die psychometrischen Vorzüge konstruktorientierter Verfahren mit den Akzeptanzvorteilen der simulationsbezogenen sowie dem Praktikabilitätsgewinn der biographieorientierten Verfahren verbinden lassen.
Literatur:
Blickle, G. : Ethik am Arbeitsplatz, in: Enzyklopädie der Psychologie. Organisationspsychologie 1 – Personalpsychologie, hrsg. v. Schuler, H., Göttingen 2004, S. 181 – 245
Funke, U./Krauß, J./Schuler, H. : Zur Prognostizierbarkeit wissenschaftlich-technischer Leistungen mittels Personvariablen: Eine Metaanalyse der Validität diagnostischer Verfahren im Bereich Forschung und Entwicklung, in: Gruppendynamik, H. 4/1987, S. 407 – 428
Görlich, Y. : Arbeitsproben, in: Assessment Center zur Potenzialanalyse, hrsg. v. Schuler, H., Göttingen, in Druck
Herrnstein, R. J./Murray, C. : The bell curve. Intelligence and class structure in American life, New York 1994
Kersting, M./Püttner, I. : Personalauswahl: Qualitätsstandards und rechtliche Aspekte, in: Lehrbuch der Personalpsychologie, hrsg. v. Schuler, H., 3. A., Göttingen 2006, S. 841 – 861
Latham, G. P. : The Reliability, validity and practicality of the Situational Interview, in: The employment interview: Theory, research and practice, hrsg. v. Eder, R. W./Ferris, G. R., Newbury Park 1989, S. 169 – 182
Meyer, G. J. : Psychological testing and psychological assessment: A review of evidence and issues, in: American Psychologist, H. 2/2001, S. 128 – 165
Ones, D. S./Viswesvaran, C. : industrial, work, an organizational psychology (Special Issue), in: Human Performance, 2002, Vol. 15, No. 1&2
Schmidt, F. L./Hunter, J. E. : Messbare Personmerkmale: Stabilität, Variabilität, Validität zur Vorhersage zukünftiger Berufsleistung und berufsbezogenen Lernens, in: Potentialfeststellung und -entwicklung, hrsg. v. Kleinmann, M./Strauss, B., 1998, S. 16 – 43
Schuler, H. : Psychologische Personalauswahl. Einführung in die Berufseignungsdiagnostik, 3. A., Göttingen 2000
Schuler, H. : Das Einstellungsinterview, Göttingen 2002
Schuler, H./Klingner, Y. : Arbeitsprobe zur Berufsbezogenen Intelligenz. Büro- und kaufmännische Tätigkeiten (AZUBI-BK), Göttingen 2005
Wagener, D./Wittmann, W. : Personalarbeit mit dem komplexen Szenario FSYS: Validität und Potential von Verhaltensskalen, in: Zeitschrift für Personalpsychologie, H. 2/2002, S. 80 – 93
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