Substanzwert
Inhaltsübersicht
I. Substanzwert in der Unternehmensbewertung
II. Substanzwert in der Rechnungslegung
I. Substanzwert in der Unternehmensbewertung
1. Substanzwert als Reproduktionswert
Als (Netto-)Substanzwert eines Unternehmens wird das zu Zeitwerten angesetzte Reinvermögen (Vermögen abzüglich Fremdkapital) bezeichnet. Werden Schulden nicht abgezogen, handelt es sich um einen Bruttosubstanzwert. Die Zeitwerte leiten sich aus den Wiederbeschaffungs- bzw. Wiederherstellungsausgaben für betriebsnotwendige und aus den Veräußerungserlösen für nicht betriebsnotwendige Vermögensbestandteile ab. Schulden werden unter der Annahme der Unternehmensfortführung bewertet. Ein so verstandener Substanzwert gleicht einem Reproduktionswert:
Je nachdem, ob die Wiederbeschaffungs-/Wiederherstellungskosten das Alter und die Abnutzung des Vermögens berücksichtigen oder nicht, kann von einem Reproduktionsaltwert bzw. einem Reproduktionsneuwert gesprochen werden.
Der Substanzwert ist vom Liquidationswert (Zerschlagungswert) zu trennen, in den sämtliche Vermögensbestandteile zu Veräußerungserlösen und die Schulden unter der Annahme der Unternehmenszerschlagung (Ablösebetrag der Schulden ggf. zuzüglich zerschlagungsspezifischer Lasten wie Sozialplanlasten oder Rekultivierungsmaßnahmen) eingehen. Substanzwert und Liquidationswert zählen zu den Einzelbewertungsverfahren. Die Vermögensgegenstände und Schulden eines Unternehmens werden bei beiden Verfahren einzeln und nicht mit ihren Kombinationseffekten oder Synergien bewertet. Jeder Substanzwert ist daher nur ein Teilreproduktionswert, weil ihm im Vergleich zum Voll- oder Gesamtreproduktionswert der selbst geschaffene, originäre Geschäfts- oder Firmenwert (Goodwill) fehlt. Dieser ergibt sich als Differenz von Vollreproduktionswert, der mittels Ertragswert- oder Discounted-Cash-Flow-Verfahren ermittelt wird, und Substanzwert. Ein Goodwill resultiert aus nicht einzeln bewertbaren Vermögensbestandteilen wie Standortvorteile, Mitarbeiterqualifikation, Kundentreue, Synergien bei Beschaffung, Produktion und Vertrieb, etc.
Der Substanzwert umfasst nicht „ das Herausholbare “ aus dem Unternehmen, aber auch nicht vollständig „ das Hineinzusteckende “ , da Bestandteile des originären Goodwill nicht „ nachgebaut “ und damit im Rahmen des Substanzwertverfahrens nicht bewertet werden können (Moxter, 1983). Im angelsächsischen Sprachgebrauch entspricht der Substanzwert am ehesten den Ausdrücken reproduction costs oder replacement costs (Pratt, /Reilly, /Schweihs, 1996) sowie green field.
Einem so verstandenen Substanzwert wird vereinzelt attestiert, er sei eine objektive Wertkategorie. Neben Auslegungsspielräumen bei der Abgrenzung von betriebsnotwendigen und nicht betriebsnotwendigen Vermögensbestandteilen sind Wiederbeschaffungspreise und Veräußerungserlöse zu schätzen. Letztere sind keineswegs einfacher zu bestimmen: Veräußerungserlöse sind abhängig vom Zeitdruck, unter dem die Veräußerung stattfindet (Zerschlagungsgeschwindigkeit; Moxter, 1983). Diese Prognosen und Ermessensspielräume machen den Substanzwert aber ebenso zu einer subjektiven Größe, wie sie ein Ertragswert darstellt; je nach Abgrenzung der Vermögensbestandteile und den getroffenen Annahmen ist eine Bandbreite von Substanzwerten begründbar.
2. Substanzwert als Wert vorgeleisteter Ausgaben
Eine andere Auffassung des Begriffs Substanzwerts geht zurück auf Sieben (Sieben, 1963). Bei ihm verkörpert der Substanzwert vorgeleistete Ausgaben, die sich ein Unternehmenskäufer ersparen kann. Je mehr an solchen vorgeleisteten Ausgaben vorhanden sind, je größer also ein so verstandener Substanzwert ist, desto größer muss auch der Ertragswert sein, da bei gegebenen Ertragsaussichten weniger für die Beschaffung von Produktionsfaktoren aufgewendet werden muss. Der Wert der Unternehmenssubstanz ist der Barwert zukünftig ersparter Investitions-, Reinvestitions- und Betriebsausgaben, wenn statt dem Nachbau des Unternehmens das Unternehmen als Ganzes gekauft wird. Er ergibt sich aus dem Vergleich des Barwerts der zukünftig zu erwartenden Erträge (Grenzpreis) mit dem Barwert der Zahlungsreihe für den Unternehmensnachbau. Der Substanzwert ist damit ein Bestandteil des Ertragswerts, sofern dieser auf Basis von Zahlungen zwischen Unternehmen und Umwelt und nicht zwischen Unternehmen und Eigentümer ermittelt wird (Sieben, 1963; Busse von Colbe, 1994).
3. Verhältnis von Substanzwert und Ertragswert a) Substanzwert als Mindestertragswert?
Wenn sich der Erwerber eines Unternehmens die Ausgaben, die in der Vergangenheit getätigt wurden und ihren Niederschlag in der „ Substanz “ des Unternehmens gefunden haben, spart, könnte der Substanzwert auch als Mindestertragswert aufgefasst werden. Zwar beeinflusst die Substanz den Ertragswert, daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Substanzwert ein „ Mindestunternehmenswert “ sei. Die Unternehmenssubstanz mag mit veralteten Anlagen oder überzähligen Vorräten Bestandteile enthalten, die den Ertragswert reduzieren. Der Substanzwert ist lediglich der Mindestbetrag, der für den teilweisen Nachbau aufgewendet werden muss. Ob sich der Nachbau indes überhaupt lohnt, kann nur mit einem Gesamtbewertungsverfahren beurteilt werden. Dann aber ist die Bestimmung des Substanzwerts für Zwecke der Kaufpreisfindung obsolet (Moxter, 1983). b) Substanzwert als Höchstertragswert?
Ebenso wenig taugt der Substanzwert als „ Höchstertragswert “ , da er lediglich einen Teilreproduktionswert abbildet und ihm wesentliche immaterielle Werte, die sich im selbst geschaffenen Goodwill niederschlagen, fehlen. Grenzpreise können niemals mittels Substanzwertverfahren bestimmt werden (Moxter, 1983). c) Substanzwert als Normalertragswert?
Das Verhältnis aus erzielbarem Ertrag und vorhandener Substanz kann (im unendlichen Rentenmodell) als eine Kapitalrendite verstanden werden. Ist diese Kapitalrendite höher als ein ggf. risikoangepasster Kapitalmarktzins, lohnt die Unternehmenstätigkeit. Aufgrund Arbitrageüberlegungen kommt es solange zu Unternehmensgründungen, bis Kapitalrendite aus Unternehmertum und Kapitalmarktzins einander entsprechen. Daraus könnte abgeleitet werden, dass zumindest langfristig Ertragswert und Substanzwert übereinstimmen. Ertrag ergäbe sich dann aus der Verzinsung des Substanzwerts. Der Substanzwert unterschätzt aber das eingesetzte Kapital, da er aufgrund der Einzelbewertung Goodwill-Bestandteile nicht erfassen kann. Insofern kann der Substanzwert auch nicht als „ Normalertragswert “ verstanden werden; die in die Kapitalrendite eingehende Kapitalbasis ist verzerrt (Moxter, 1983).
4. Substanzwert als eigenständige Wertkategorie
Wenn Objektivierungserfordernisse bei der Unternehmensbewertung dominieren, kann ein als Teilreproduktionswert verstandener Substanzwert eine Berechtigung haben (Moxter, 1983). So findet der Substanzwert z.B. Eingang bei der Bemessung der Erbschaft- und Schenkungsteuer im Rahmen des Stuttgarter Verfahrens zur Bewertung von nicht notierten Anteilen an Kapitalgesellschaften (vgl. ErbStR 1998 zu § 11 BewG), bei der Feststellung von beleihungsfähigem Vermögen oder aufgrund (gesellschafts-)vertraglicher Vereinbarungen. Unter dem Namen „ Sachzeitwert “ ist er bedeutsam für die Übertragung von Stromnetzen (Busse von Colbe, 1994; Ballwieser, 2001).
In allen anderen Fällen kommt ihm keine Bedeutung zu (so auch IDW, 2000); der Unternehmenswert ist der mit Gesamtbewertungsverfahren ermittelte subjektive Fortführungswert, dem ausschließlich der Liquidationswert gegenüberzustellen ist.
II. Substanzwert in der Rechnungslegung
1. Substanzwert und Geschäfts- oder Firmenwert
Die Differenz zwischen dem Unternehmensgesamtwert und dem Substanzwert ist der selbst geschaffene, originäre Geschäfts- oder Firmenwert (Goodwill). Er geht auf nicht einzeln bewertbare Vermögensbestandteile zurück (s.o.). Der originäre Geschäfts- oder Firmenwert ist nicht bilanzierungsfähig (Ballwieser, 1998).
Die Differenz zwischen einem tatsächlich entrichteten Kaufpreis und dem Substanzwert des Kaufobjekts ist demgegenüber objektiviert, da nicht auf den subjektiv ermittelten Ertragswert, sondern auf einen beobachtbaren Transaktionspreis abgestellt wird. Ein solcher derivativer Geschäfts- oder Firmenwert ist aktivierungsfähig.
Im Einzelabschluss nach HGB darf ein derivativer Geschäfts- oder Firmenwert gemäß § 255 IV Satz 1 HGB aktiviert werden. Der Unterschiedsbetrag zwischen den Anschaffungskosten einer Beteiligung und dem zu Verkehrswerten ermittelten Wert der Vermögensgegenstände abzüglich der Schulden des zu kaufenden Unternehmens im Erwerbszeitpunkt (= Substanzwert) bildet den (derivativen) Geschäfts- oder Firmenwert. Bei Wahrnehmung des Aktivierungswahlrechts ist er entweder in jedem folgenden Jahr zu einem Viertel oder über die Dauer der planmäßigen Nutzung abzuschreiben (§ 255 IV Sätze 3, 4 HGB). Ob er handelsrechtlich einen Vermögensgegenstand oder lediglich eine Bilanzierungshilfe darstellt, ist strittig. Im Steuerrecht wird er als aktivierungspflichtiges Wirtschaftsgut gesehen und ist über 15 Jahre linear abzuschreiben (Ballwieser, 1998). Auch in den internationalen Rechnungslegungsstandards darf der originäre Geschäfts- oder Firmenwert nicht bilanziert werden, ein derivativ erworbener wird hingegen als asset angesehen, aktiviert und bislang über seine voraussichtliche Nutzungsdauer abgeschrieben (Coenenberg, 2000).
Im Konzernabschluss gilt der aktivische Unterschiedsbetrag, der bei der Kapitalkonsolidierung mittels Erwerbsmethode nach Aufdeckung und Verrechnung der stillen Reserven verbleibt, als (derivativer) Geschäfts- oder Firmenwert. Dieser Konsolidierungsgoodwill entsteht aus dem Vergleich der Anschaffungskosten der Beteiligung und dem Substanzwert der hinter ihr stehenden Vermögensgegenstände und Schulden. Die Abschreibung eines aktivierten Geschäfts- oder Firmenwerts aus Kapitalkonsolidierung entspricht den Vorschriften des Einzelabschlusses. Darüber hinaus darf der Geschäfts- oder Firmenwert auch erfolgsneutral mit den Rücklagen verrechnet werden. Die Abbildung eines Geschäfts- oder Firmenwerts aus der Kapitalkonsolidierung ist ebenso in den internationalen Rechnungslegungsstandards geregelt, wobei die Rücklagenverrechnung und die Schnellabschreibung versagt sind (Coenenberg, 2000).
2. Substanzwert und Teilwert
Der Begriff des Teilwerts stammt aus dem Steuerrecht und bezeichnet den Betrag, den ein Unternehmenserwerber bei Fortführung als Bruchteil des Kaufpreises für das gesamte Unternehmen einem einzelnen Wirtschaftsgut anteilig zurechnen würde (§ 6 I Nr. 1 Satz 3 EStG; § 10 BewG). Der Teilwert unterliegt damit drei Annahmen:
1. | Fiktive Unternehmenstransaktion; | 2. | Fortführung des Unternehmens; | 3. | Verteilung des Kaufpreises auf die einzelnen Vermögensgegenstände bzw. Wirtschaftsgüter. |
Mit dem Teilwert soll berücksichtigt werden, dass der Wert eines Wirtschaftsguts als Teil einer wirtschaftlichen Einheit abweicht von dem Wert bei Einzelveräußerung (gemeiner Wert als Gegensatz zum Teilwert). Nachdem aber auch die Steuerbilanz nach dem Prinzip der Einzelbewertung aufgestellt wird, tritt an die Stelle einer ertragswertbezogenen Wertbestimmung eine eher substanzwertbezogene Auffassung steuerliche Teilwerte. Widerlegbare Teilwertvermutungen dienen als Hilfen zur Ermittlung der Zeitwerte, die i.A. mit dem beizulegenden Wert aus dem Handelsrecht übereinstimmen (Hoyos, /Schramm, /Ring, 1999; Winnefeld, 2000):
(a) Im Anschaffungs- oder Herstellungszeitpunkt gelten die Anschaffungskosten bzw. die Herstellungskosten als Teilwert. Ein niedrigerer Wert kann sich ergeben, wenn zu einem späteren Zeitpunkt nur der Wiederbeschaffungs- bzw. Reproduktionswert anzusetzen ist.
(b) Bei nicht abnutzbaren Vermögensgegenständen des Anlagevermögens gelten die ursprünglichen Anschaffungs- und Herstellungskosten als Teilwert (Vermutung gilt solange, wie diese sich nicht als unsachlich, weil zu hoch erweisen).
(c) Bei abnutzbaren Vermögenswerten des Anlagevermögens wird davon ausgegangen, dass die um die steuerliche AfA verminderten Anschaffungs- und Herstellungskosten (Restbuchwerte) dem Wiederbeschaffungswert und damit dem Teilwert entsprechen (Vermutung gilt solange, wie die Wiederbeschaffungskosten nicht unter dem Restbuchwert liegen).
(d) Bei Vermögenswerten des Umlaufvermögens gelten die Wiederbeschaffungs- bzw. Wiederherstellungskosten am Bewertungsstichtag als Teilwerte.
Für die Bewertung einer Beteiligung kann deren Substanzwert als niedrigerer Teilwert herangezogen werden. Eine Abwertung eines (planmäßig abzuschreibenden) Geschäfts- oder Firmenwerts auf einen Teilwert ist denkbar, wenn der Nachweis gelingt, dass der Ertragswert der Beteiligung am Bilanzstichtag niedriger als zum Erwerbszeitpunkt ist. Ein Rückgang des Substanzwerts der Beteiligung ist unmaßgeblich, da der Geschäfts- oder Firmenwert immer aus der Differenz von Ertragswert und Substanzwert im Beschaffungszeitpunkt der Beteiligung besteht. Eine über die planmäßige Abschreibung hinausgehende Abschreibung des Geschäfts- oder Firmenwerts auf einen Teilwert kann nur auf Ertragswertverringerungen zurückgehen (Ballwieser, 1998).
Literatur:
Ballwieser, W. : Geschäftswert, in: Lexikon des Rechnungswesens, hrsg. v. Busse v. Colbe, W./Pellens, B., 4. A., München 1998, S. 283 – 286
Ballwieser, W. : Ertragswert örtlicher Stromnetze – Anmerkungen zur aktuellen BGH-Rechtsprechung, in: BB 2001, S. 1519 – 1525
Busse von Colbe, W. : Bewertung von örtlichen Stromversorgungsanlagen bei einem Wechsel der Versorgungszuständigkeit, Stuttgart u.a. 1994
Coenenberg, A. G. : Jahresabschluß und Jahresabschlußanalyse, 17. A., Landsberg am Lech 2000
Herzig, N. : Teilwert, in: Lexikon des Rechnungswesens, hrsg. v. Busse v. Colbe, W./Pellens, B., 4. A., München 1998, S. 688 – 690
Hoyos, M./Schramm, M./Ring, M. : Kommentierung zu § 253 HGB, in: Beck\'scher Bilanz-Kommentar, Handkommentar, bearb. v. Budde, W. D./Clemm, H./Ellrott, H. et al., 4. A., München 1999
IDW, : WP-Handbuch, Bd. II, 12. A., Düsseldorf 2000
Mandl, G./Rabel, K. : Unternehmensbewertung, Frankfurt, Wien 1997
Moxter, A. : Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. A., Wiesbaden 1983
Pratt, S. P./Reilly, R. F./Schweihs, R. P. : Valuing a Business, 3. A., Chicago u.a. 1996
Sieben, G. : Der Substanzwert der Unternehmung, Wiesbaden 1963
Winnefeld, R. : Bilanz-Handbuch, 2. A., München 2000
|