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Vertikales Marketing


Inhaltsübersicht
I. Praktische Bedeutung und Grundlagen des Vertikalen Marketing
II. Ziele, Voraussetzungen und Instrumente des Vertikalen Marketing

I. Praktische Bedeutung und Grundlagen des Vertikalen Marketing


1. Praktische Bedeutung des Vertikalen Marketing

a) Der betriebswirtschaftliche Problemkreis im Überblick


Als Ausgangspunkt von Untersuchungen zum Vertikalen Marketing ist i.d.R. ein Hersteller eines bestimmten Produktes oder einer Produktlinie anzutreffen, der bestrebt ist, den Absatz dieser Erzeugnisse über ihre Distributionsstufen hinweg zu koordinieren. Damit ist eine einzelwirtschaftliche Betrachtungsperspektive gegeben, an der sich die Zielsetzungen und Instrumente des Vertikalen Marketing orientieren. Gleichwohl ist die Berücksichtigung der Interessen des Handels in Marketingkonzeptionen der Industrie als ein prägendes Merkmal des Vertikalen Marketing zu bezeichnen. Beide Wirtschaftsstufen agieren somit im Rahmen ihrer absatzpolitischen Zielsetzungen und mit Blick auf den Verbraucher, stimmen sich jedoch in Teilbereichen ab.
Als Motor einer derartigen vertikalen  Kooperation kann das Bestreben des Herstellers gesehen werden, den Marktauftritt seiner Produkte möglichst vollständig zu koordinieren und zu kontrollieren. Der Marktauftritt von Absatzgütern wird neben dem Hersteller insbesondere vom Einzelhandel bzw. den in vielen Branchen zunehmend anzutreffenden Filialsystemen und kooperierenden Gruppen mitgestaltet. Der Einzelhandel verfügt über den unmittelbaren Kontakt zum Endabnehmer und kann durch den gezielten Einsatz seiner absatzpolitischen Instrumente, d.h. durch die Gestaltung derjenigen Instrumente des Handelsmarketing, die auf die Abnehmer gerichtet sind, ihre Kaufentscheidungen wesentlich beeinflussen. Dabei orientiert er den Einsatz produktspezifischer Marketinginstrumente (z.B. Preis, Platzierung) nicht allein an produktspezifischen Zielen, sondern lässt sortimentspolitische Zielsetzungen (z.B. die Realisierung einer Mischkalkulation, Sortimentspolitik) und geschäftsstättenpolitische Erwägungen (z.B. die Beeinflussung des Geschäftsstättenimage) in die Auswahl und den Einsatz der Instrumente einfließen.

b) Rahmenbedingungen des Vertikalen Marketing


Die Entwicklung zu folgenden Rahmenbedingungen hat seit Mitte der 1970er-Jahre dazu geführt, dass die stufenübergreifende Koordination und Kontrolle des Marktauftritts für den Hersteller immer bedeutender wird:

1.

Durch den Wegfall der vertikalen Preisbindung in fast allen Bereichen der Konsumgüterdistribution ist der Endabnehmerpreis – eines der wichtigsten absatzpolitischen Instrumente des Herstellers – seiner unmittelbaren Kontrolle entzogen worden (Olbrich, R. 2001a, S. 32 ff; Olbrich, R. 2001b, S. 253 ff; Olbrich, R. 2004).

2.

Die Konzentration in vielen Branchen des Handels und die damit einhergehende Bündelung von Umsatzvolumina auf eine immer geringer werdende Anzahl eigenständig agierender Handelskonzerne haben die Verhandlungsposition vieler Herstellerunternehmen im Wettbewerb um den Regalplatz, bei Verhandlungen über Einkaufskonditionen und bei der wechselseitigen Abstimmung absatzpolitischer Instrumente geschwächt.

3.

Die zunehmende Produkt- und Markenvielfalt im Konsumgüterbereich sorgt dafür, dass eine ausgeprägte Profilierung produktspezifischer Marketingkonzeptionen Grundvoraussetzung ist, um im Wettbewerbsumfeld vom Verbraucher überhaupt wahrgenommen zu werden.

4.

Der Handel betreibt sowohl gegenüber den Verbrauchern als auch gegenüber den Lieferanten zunehmend ein eigenständiges, Profil setzendesHandelsmarketing. Sortiments- und Geschäftsstättenprofilierung treten in den Mittelpunkt seiner absatzmarktgerichteten Zielgrößen. Im Hinblick auf diese Zielgrößen tritt er durch das Angebot von Handelsmarken vielfach in unmittelbare Konkurrenz zu Herstellermarken.

c) Rollen des Handels im Absatzkanal des Herstellers


Aus der Perspektive des Herstellers kann der Handel, sofern er die betreffenden Produkte gelistet hat, d.h. Mitglied des Distributionssystems ist, vor dem Hintergrund der skizzierten Rahmenbedingungen drei verschiedene Rollen einnehmen:

1.

Er kann einerseits als Störfaktor auftreten, d.h. der vom Hersteller intendierte Marktauftritt wird zum Nachteil des Herstellers verzerrt. Beispielhaft sei angeführt, dass eine vom Hersteller intendierte Hochpreisstrategie durch wiederholte Sonderpreisaktionen des Handels zunichte gemacht werden kann.

2.

Er kann gegenüber dem Verbraucher lediglich als neutraler Bote der Marketingkonzeption des Herstellers fungieren. Der Einsatz von Instrumenten des Handelsmarketing dient dann lediglich dazu, am PoS die Voraussetzungen für den Marktauftritt zu schaffen, den der Hersteller aus eigener Kraft (z.B. im Rahmen der verbrauchergerichteten Absatzkommunikation) herbeiführen kann.

3.

Die für den Hersteller interessanteste Rolle des Handels liegt hingegen vor, wenn er sich als Katalysator für die Marketingkonzeption des Herstellers erweist, d.h. über die reine Darbietungsfunktion hinaus, im Sinne des Herstellers unterstützende Instrumente des Handelsmarketing einsetzt (z.B. Sonderplatzierungen, kommunikative Unterstützung und Hervorhebung einzelner Produkte oder ganzer Absatzprogramme des Herstellers).


Im Rahmen des Vertikalen Marketing kann es somit nicht allein Zielsetzung des Herstellers sein, vom Handel ausgehende Verzerrungen der intendierten verbrauchergerichteten Marketingkonzeption zu vermeiden; von besonderer Bedeutung ist vielmehr die Chance, Marketingkonzeptionen mit Unterstützung des Handels zu realisieren, die ohne diese Unterstützungsleistungen nicht möglich wären. In diesem letztgenannten Aspekt liegt der eigentliche Kern und Grundgedanke des Vertikalen Marketing.

2. Begriffliche Grundlagen und Einordnung des Vertikalen Marketing in das Instrumentarium des Absatzmarketing

a) Begriffliche Grundlagen


Das Vertikale Marketing beinhaltet einen bestimmten Ausschnitt aus dem Absatzmarketing. Betrachtet man die Absatzpolitik als Kernbereich des Marketing, so umfasst die handelsgerichtete Absatzpolitik sämtliche Entscheidungsbereiche eines Herstellers, die mit Blick auf die Warenverkaufprozesse den Handel als potenziellen Absatzmittler in irgendeiner Form betreffen. Für diese Entscheidungsbereiche finden u.a. auch die Begriffe Absatzkanalpolitik, Absatzkanalmanagement, gelegentlich auch die Begriffe handelsgerichtetes Marketing bzw. Trade Marketing Verwendung. Als Beispiel für Entscheidungstatbestände der handelsgerichteten Absatzpolitik sei die Wahl der Absatzwege angeführt. Damit zählt auch die Exklusion bestimmter, oder im Falle des Direktvertriebs gar aller infrage kommender Handelsbetriebe zur handelsgerichteten Absatzpolitik. Sie kann in diesem Sinne als Kernbereich des Marketing-Submixbereiches Distributionspolitik bezeichnet werden (Ahlert, D. 1996, S. 18 ff.).
Mitunter wird Vertikales Marketing mit der handelsgerichteten Absatzpolitik gleichgesetzt (Meffert, H./Kimmeskamp, G. 1983; Irrgang, W. 1989, S. 12 ff. u. insbes. S. 65). Dieser Fall soll hier als Vertikales Marketing i.w.S. bezeichnet werden Es unterstellt damit nicht zwingend eine Kooperation zwischen Hersteller und Handel. Vertikales Marketing i.e.S. geht hingegen stets von der eingangs skizzierten Kooperation zwischen Hersteller und Handel aus (Steffenhagen, H. 1974, S. 675; Thies, G. 1976, S. 49 ff.; Florenz, P. J. 1992, S. 19 ff. u. 34 ff.). Diese Begriffsfassung wird auf die Untersuchung von McCammon zurückgeführt (McCammon, B. C. 1970; Kunkel, R. 1977, S. 21; Florenz, P. J. 1992, S: 19), der in diesem Zusammenhang den Begriff des »vertical marketing-system« prägte, und kann als ursprüngliche Begriffsfassung bezeichnet werden. Sie ist in einigen späteren Untersuchungen mit dem Hinweis auf eine ungerechtfertigte begriffliche Einengung erweitert worden. Die beiden wesentlichen Erweiterungen erfolgten einerseits dahingehend, dass nicht zwingend von einer Kooperation zwischen Hersteller und Handel ausgegangen wurde (Vertikales Marketing i.w.S.). Andererseits wurde die einseitige Betrachtung der Hersteller-Händler-Dyade kritisiert – so z.B. von Kunkel, der ausschließlich den Herstellerbereich betrachtet und in diesem Bereich die speziellen Gestaltungsmöglichkeiten »stufenübergreifender« Marketingkonzeptionen, die auf weiter verarbeitende Unternehmen gerichtet sind, untersucht (Kunkel, R. 1977).

b) Einordnung des Vertikalen Marketing in das Instrumentarium des Absatzmarketing


Gegenwärtig kann nicht von einer vorherrschenden Begriffsfassung gesprochen werden. Mit Blick auf den praktischen Untersuchungsgegenstand ist jedoch festzustellen, dass in dem Großteil der Untersuchungen nach einer allgemeinen Diskussion und Abgrenzung des Vertikalen Marketing die stufenübergreifende  Kooperation in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt wird. Aus diesem Grund wird hier von der engeren Begriffsfassung ausgegangen (Abb. 1).
Vertikales Marketing
Abb. 1: Die Einordnung des Vertikalen Marketing in das Instrumentarium des Absatzmarketing
Darüber hinaus wird als Initiator des Vertikalen Marketing i.d.R. ein Hersteller (bzw. eine Gruppe von Herstellern) unterstellt. In diesem Sinne wird Vertikales Marketing in der Literatur i.d.R. aus einzelwirtschaftlicher Perspektive definiert, obwohl es sich im Kern um die Konzeptionierung und Praktizierung eines abgestimmten Verhaltens von mindestens zwei Interessensträgern handelt. Es soll an dieser Stelle schon darauf hingewiesen werden, dass gerade vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen ebenso der Handel als Initiator eines Vertikalen Marketing auftreten kann. Einerseits kann z.B. ein Großhändler als Vorstufenlieferant mit Blick auf den Einzelhandel Vertikales Marketing initiieren. Andererseits können Handelsunternehmen Hersteller dazu veranlassen, ihr absatzpolitisches Instrumentarium in einer bestimmten Weise auszurichten. Diese Perspektiven stellen jedoch derzeitig noch nicht einen gewichtigen Schwerpunkt der Untersuchungen zu Konzeptionen des Vertikalen Marketing dar.
Hier soll Vertikales Marketing zusammenfassend aus der Perspektive des Herstellers und im Hinblick auf die Hersteller-Händler-Dyade wie folgt definiert werden:
Vertikales Marketing ist derjenige Bereich des Abatzmarketing, der spezifisch darauf gerichtet ist, im Wege einer koordinierten Zusammenarbeit das Verhalten der Absatzmittler nach den absatzpolitischen Zielen des Herstellers auszurichten.
Im Mittelpunkt des Vertikalen Marketing steht eine Abstimmung der absatzpolitischen Instrumente der ausgewählten Händlergruppe mit den absatzpolitischen Instrumenten des Herstellers – vom Ergebnis her betrachtet handelt es sich damit um ein koordiniertes verbrauchergerichtetes Marketing. Vertikales Marketing setzt folglich ein kooperatives Verhalten gegenüber den ausgewählten Händlern und damit nur eine von mehreren möglichen Verhaltensweisen im Rahmen der handelsgerichteten Absatzpolitik ein. Als Alternativen sind der Verzicht auf eine bewusste Abstimmung der absatzpolitischen Instrumente mit der ausgewählten Händlergruppe und darüber hinaus die Umgehung des Handels im Wege des Direktvertriebs zu nennen. Die Verhaltensweisen können im Hinblick auf verschiedene Händlergruppen auch unterschiedlich angewendet werden.

II. Ziele, Voraussetzungen und Instrumente des Vertikalen Marketing


1. Ziele und Voraussetzungen des Vertikalen Marketing

a) Ziele und Grundvoraussetzungen vertikaler Kooperationen


Die absatzpolitischen Zielsetzungen des Herstellers konkretisieren sich in seiner Marketingkonzeption. Sie legt den geplanten Marktauftritt fest. Damit ist es aus der Perspektive des Herstellers die primäre Zielsetzung des Vertikalen Marketing, Marketingkonzeptionen zu realisieren, die ein bestimmtes absatzpolitisches Verhalten der ausgewählten Händlergruppe als unverzichtbaren Bestandteil aufweisen. Der Erfolg der Marketingkonzeption hängt mithin von dem Verhalten der Händlergruppe ab. Sowohl für den Hersteller als auch für die beteiligten Händler stellt sich damit unmittelbar die Frage, aus welchem Grund sie eine derartige Zusammenarbeit praktizieren sollten. Als Antwort ist herauszustellen, dass die Grundvoraussetzungen jeglicher  Kooperation, die auf Dauer angelegt sein soll, auch im vertikalen Beziehungsfeld gelten müssen (Ahlert, D. 1996, S. 203 f.).

1.

Es muss unter Berücksichtigung der Kooperationskosten ein Kooperationsgewinn entstehen, der größer ist als die Summe der individuellen Gewinne, die bei einem individuellen Vorgehen der Beteiligten zu erzielen. sind.

2.

Des Weiteren muss die Aufteilung des Kooperationsgewinns so erfolgen, dass keiner der Kooperationspartner durch das individuelle Vorgehen eine Verbesserung erzielen könnte.


Vor dem Hintergrund dieser Erläuterungen können eine originäre und eine derivative Zielsetzung des Vertikalen Marketing unterschieden werden:
Im Mittelpunkt der originären Zielsetzung steht die Umsetzung einer Marketingkonzeption gegenüber der Verbraucherstufe, die gegenüber einem Verzicht auf eine vertikale Kooperation ein zusätzliches Gewinnpotenzial verspricht. Eine gemeinsame Ausrichtung der absatzmarktgerichteten Aktivitäten, gegebenenfalls ergänzt um Effizienzsteigerungen bei weiteren Aktivitäten, bietet den Anreiz für eine vertikale Kooperation.
Als derivative Zielsetzung ist die Beeinflussung der Gewinnverteilung zwischen den beteiligten Kooperationspartnern anzuführen. Durch Einflussnahme auf die Funktionsverteilung und die davon abhängenden Konditionen wird der potenzielle Kooperationsgewinn zwischen Industrie und Handel aufgeteilt. Beide Zielsetzungen sind sowohl für den Hersteller als auch für die beteiligten Händler gültig. Aus den jeweiligen Zielvorstellungen können konkurrierende Zielbeziehungen und damit Konflikte resultieren, deren Handhabung Gegenstand des Konfliktmanagements in Absatzkanälen ist (Steffenhagen, H. 1975, S: 72 ff. u. 129 ff.).

b) Marketingführerschaft und ihre Voraussetzungen


Wählt der Hersteller den indirekten Vertrieb, d.h. schaltet er Absatzmittler in den Vertrieb seiner Erzeugnisse ein, und ist das Verhalten dieser Absatzmittler für den Marktauftritt seiner Produkte von immenser Bedeutung, so entsteht für den Hersteller unmittelbar das Erfordernis zur Verhaltensabstimmung mit dem Handel. In welchem Umfang der Hersteller seine Marketingkonzeption in diesem Falle durchsetzen kann, hängt dann davon ab, ob er einen maßgebenden Einfluss auf die eingeschalteten Händler und sonstigen Akteure in seinen Distributionssystemen besitzt, d.h. ob er die Marketingführerschaft innehat. Marketingführerschaft bedeutet nach Kümpers »? die Möglichkeit eines Mitglieds im Distributionssystem zur Steuerung des Marketingmix für ein Produkt oder eine Produktgruppe bzw. für ein Leistungsangebot« (Kümpers, U. A. 1976, S. 19 f.). Um diese Möglichkeit zu besitzen, d.h. aber um erfolgreich auf die an der Realisierung der intendierten Marketingkonzeption beteiligten Institutionen einwirken zu können, sind für den Hersteller bestimmte Voraussetzungen erforderlich (vgl. zur folgenden Systematik Kümpers, U. A. 1976, S. 104 ff.; Steffenhagen, H. 1975, S. 107 ff.; Ahlert, D. 1996, S. 103 ff.).

1.

Er muss zunächst über ein genügend großes Machtpotenzial verfügen, welches, gestützt auf entsprechende Sanktionsgrundlagen (z.B. ein attraktives Absatzprogramm), ausreicht, um mit Blick auf den Handel von einer asymmetrischen Machtverteilung zu seinen Gunsten sprechen zu können. Er besitzt damit ein Machtübergewicht. Gegenläufige Abhängigkeitsbeziehungen und Sanktionsgrundlagen kompensieren sich also nicht völlig.

2.

Er muss darüber hinaus eine entsprechende Befähigung zur Führung (Fähigkeitspotenzial) und

3.

eine entsprechende Bereitschaft zur Führung (Motivationspotenzial) mitbringen.


Die Durchsetzung der Interessen des Herstellers fällt ihm also umso leichter, je größer sein Macht-, Fähigkeits- und Motivationspotenzial im Vergleich zum Handel ausfällt.
Die Frage nach der Marketingführerschaft in Distributionssystemen ist jedoch gerade vor dem Hintergrund der skizzierten Rahmenbedingungen nicht automatisch zugunsten des Herstellers zu beantworten. Der bislang vorherrschenden Perspektive des Herstellers von Absatzgütern als Initiator und Träger von Entscheidungen im Rahmen des Vertikalen Marketing kann gerade im Hinblick auf die sich in jüngster Zeit weiter verändernden Rahmenbedingungen in einzelnen Bereichen der Konsumgüterdistribution eine umgekehrte Perspektive gegenübergestellt werden. So liegt z.B. bei der Produktion und Vermarktung von Handelsmarken die Initiative und die Koordination der auf den Absatz dieser Produkte gerichteten Instrumente in Händen des Handels (Olbrich, R. 2001a; Olbrich, R. 2001b; Olbrich, R. 2004).
Des Weiteren ist mittlerweile ein »sprunghaftes Größenwachstum« der Handelskonzerne zu beobachten, das auf Akquisitionen und Fusionen unter ihren größten Vertretern beruht und für eine weitere Konzentration der Umsatzvolumina sorgt (Olbrich, R. 1998). Das Wachstum der Handelskonzerne ist schon lange nicht mehr auf den Lebensmittelhandel beschränkt, sondern in vielen weiteren Branchen des Konsumgüterhandels anzutreffen, insbesondere allerdings in denjenigen, die über Konzernstrukturen mit dem Lebensmittelhandel »verwandt« sind (z.B. der Textilhandel und der Handel mit Unterhaltungselektronik). Hinzu kommt die Neigung der Handelskonzerne, auf europäischer Ebene im Wege der horizontalen Kooperation Organisationseinheiten für den europaweiten Einkauf und für weitere, hinsichtlich ihres Umfanges bislang noch nicht gänzlich abzusehende Koordinationsaufgaben zu gründen.

c) Berücksichtigung ausgewählter Interessen des Handels als Beitrag zum Erwerb der Marketingführerschaft


Gerade vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen können Hersteller die Praktizierung eines Vertikalen Marketing nicht davon abhängig machen, ob sie im Besitz der Marketingführerschaft sind bzw. ob ein Machtgleichgewicht im Distributionssystem herrscht. Insbesondere bei hoher Macht des Handels ist es für diejenigen Hersteller, die die entsprechende Handelsstufe u.U. nicht umgehen können, unerlässlich, eine Verhaltensabstimmung über den Einsatz der absatzpolitischen Instrumente am PoS herbeizuführen. Vertikales Marketing ist vor allem in derartigen Fällen für viele Hersteller von existentieller Bedeutung, gleichzeitig jedoch außerordentlich schwer zu praktizieren.
Ein Ansatzpunkt zur Herbeiführung einer kooperativen Verhaltensabstimmung ist in dieser Situation die frühzeitige Berücksichtigung der Interessen des Handels auf dem Gebiet der Funktionsverteilung zwischen den beiden Wirtschaftsstufen. Übernimmt der Hersteller außerhalb des engeren Bereiches des Absatzmarketing Funktionen für den Handel, so erleichtert dieses ein Entgegenkommen des Handels bei der Abstimmung des absatzpolitischen Instrumentariums. Beispielhaft sei auf die Bereiche Warenwirtschaft, Informationswirtschaft und Logistik verwiesen. Die koorganisatorische Handhabung dieser Funktionsbereiche (z.B. bei der Berücksichtigung von Normen für den elektronischen Datenaustausch und für Transportverpackungen) verspricht wesentliche Ökonomisierungseffekte in der Distribution (Olbrich, R. 1992; Ahlert, D./Olbrich, R. 1997). Auf diesem Wege wird indirekt ein Beitrag zum Erwerb und zur Absicherung von Marketingführerschaft geleistet.

2. Instrumente des Vertikalen Marketing

a) Die Instrumentalbereiche des Vertikalen Marketing im Überblick


Vertikales Marketing kann einerseits selbst als Instrument begriffen werden, um die Marketingkonzeption und damit den intendierten Marktauftritt durchzusetzen. Andererseits beinhalten Konzeptionen zum Vertikalen Marketing selbst die planerische Grundlage für den Einsatz absatzpolitischer Instrumente. Aus der Perspektive des Herstellers sind zwei Instrumentalbereiche des Vertikalen Marketing zu unterscheiden:

1.

Instrumente, die der Anbahnung und dem Erhalt von Kooperationsbereitschaft auf der Seite des Handels dienen. Den zentralen Stellenwert in diesem Bereich besitzt die handelsgerichtete Kommunikation, d.h. die gezielte Information ausgewählter Entscheidungsträger im Handel über die Attraktivität des Absatzprogramms und mögliche Kooperationsgewinne bei einer Abstimmung des absatzpolitischen Instrumentariums. Neben der Kommunikation mit bereits ausgewählten Entscheidungsträgern sind als wichtige Instrumente für die Anbahnung von Kooperationsbeziehungen die Beschickung handelsgerichteter Messen und Ausstellungen zu nennen.

2.

Instrumente, die Inhalt, Umfang und die Funktionsverteilung im Rahmen der vertikalen  Kooperation festlegen. In diesen Bereich fallen die konkreten Formen und Intensitäten der Vertikalen Kooperation.

b) Formen und Intensitäten der vertikalen Kooperation


Die einzelnen Formen der vertikalen  Kooperation (Ahlert, D. 1982) dienen in unterschiedlichem Ausmaß der Abstimmung des absatzpolitischen Instrumentariums von Herstellern und Händlern und lassen sich nach dem Intensitätsgrad der Verhaltensabstimmung auf einer Skala unterscheiden (Abb. 2).
Vertikales Marketing
Abb. 2: Intensitätsskala der Verhaltensabstimmung in Absatzkanalsystemen (Quelle: Ahlert, D. 1981b, S. 76)
Die in Abb. 2 dargelegten Formen der Verhaltensabstimmung dienen aus der Perspektive des Herstellers letztlich allesamt dazu, den Einsatz absatzpolitischer Instrumente, die die Produkte auf dem Weg zum Verbraucher betreffen, zu koordinieren und zu kontrollieren. Zwischen den beiden Extrempolen, die nicht zu den Kooperationsformen zählen (anarchistische Beziehungen, herstellereigene Verkaufsorgane), liegen vielfältige und mit unterschiedlichen Bindungen ausgestattete Kooperationsvereinbarungen, von denen als wichtigste Instrumente der vertraglichen Verhaltensabstimmung Vertragliche Vertriebssysteme hervorzuheben sind (vgl. zu einer umfassenden betriebswirtschaftlichen, rechtlichen und volkswirtschaftlichen Beurteilung Vertraglicher Vertriebssysteme Ahlert, D. 1981a und zu einer Typologie Vertraglicher Vertriebssysteme Ahlert, D. 1981b).
Literatur:
Ahlert, D. : Vertragliche Vertriebssysteme zwischen Industrie und Handel, Wiesbaden 1981a
Ahlert, D. : Absatzkanalstrategien des Konsumgüterherstellers auf der Grundlage vertraglicher Vertriebssysteme mit dem Handel, in: Vertragliche Vertriebssysteme zwischen Industrie und Handel, hrsg. v. Ahlert, D., Wiesbaden 1981b, S. 45 – 98
Ahlert, D. : Vertikale Kooperationsstrategien im Vertrieb, in: ZfB, Jg. 52, 1982, S. 62 – 93
Ahlert, D. : Distributionspolitik – Das Management des Absatzkanals, 3. A., Stuttgart/ Jena 1996
Ahlert, D./Olbrich, R. : Integrierte Warenwirtschaftssysteme und Handelscontrolling, 3. A., Stuttgart 1997
Florenz, P. J. : Konzept des vertikalen Marketing, Köln 1992
Irrgang, W. : Strategien im vertikalen Marketing, München 1989
Irrgang, W. : Vertikales Marketing im Wandel, München 1993
Kümpers, U. A. : Marketingführerschaft. Eine verhaltenswissenschaftliche Analyse des vertikalen Marketing, Münster 1976
Kunkel, R. : Vertikales Marketing im Herstellerbereich, München 1977
McCammon, B. C. : Perspectives for Distribution Programming, in: Vertical Marketing Systems, hrsg. v. Bucklin, L. P., Glenview/Ill. et al. 1970, S. 32 – 51
Meffert, H./Kommeskamp, G. : Industrielle Vertriebssysteme im Zeichen der Handelskonzentration, in: asw, H. 3/1983, S. 214 – 231
Olbrich, R. : Informationsmanagement in mehrstufigen Handelssystemen, Grundzüge organisatorischer Gestaltungsmaßnahmen unter Berücksichtigung einer repräsentativen Umfrage zur Einführung dezentraler computergestützter Warenwirtschaftssysteme im Lebensmittelhandel, in: Schriften zur Distribution und Handel, Band 8, hrsg. v. Ahlert, D., Frankfurt a.M. et al. 1992
Olbrich, R. : Unternehmenswachstum, Verdrängung und Konzentration im Konsumgüterhandel, Stuttgart 1998
Olbrich, R. : Ursachen, Entwicklung und Auswirkungen der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Markenartikelindustrie und Handel, in: Berichte aus dem Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Marketing, Forschungsbericht Nr. 4, hrsg. v. Olbrich, R., FernUniversität in Hagen 2001a
Olbrich, R. : Ursachen und Konsequenzen der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Markenartikelindustrie und Handel, in: Marketing ZfP, Jg. 23, H. 4/2001b, S. 253 – 267
Olbrich, R. : Mehr Wettbewerbschancen für die industrielle Marke durch Aufhebung des Preisbindungsverbotes. Zur Frage der Abschottung von wettbewerb durch \'private labels\', in: Exzellenz in Markenmanagement und Vertrieb, hrsg. v. Ahlert, D. et al., Wiesbaden 2004, S. 165 – 178
Steffenhagen, H. : Vertikales Marketing, in: Marketing Enzyklopädie, Bd. 2, München 1974, S. 675 – 690
Steffenhagen, H. : Konflikt und Kooperation in Absatzkanälen, Wiesbaden 1975
Thies, G. : Vertikales Marketing, Berlin et al. 1976

 

 


 

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