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Logistik


Inhaltsübersicht
I. Ursprünge der Logistik
II. Objektbezogene Differenzierungen der Logistik
III. Entwicklungsphasen der Logistik
IV. Konsequenzen der Entwicklung der Logistik für ihre Stellung als betriebswirtschaftliche Teildisziplin

I. Ursprünge der Logistik


Die betriebswirtschaftliche Logistik wird dominant durch ihre Ursprünge im militärischen Bereich beeinflusst. Es herrscht Übereinstimmung (z.B. Ihde, G. B. 1991), dass der byzantinische Kaiser Leontos VI (886 – 911) in seinem Werk »Summarische Auseinandersetzung der Kriegskunst« die älteste überlieferte Definition der Logistik verfasste. Für Leontos war die Logistik nach der Taktik und der Strategie die dritte Kriegskunst. Ihre Aufgabe war eine umfassende Unterstützung des Heeres.
Der Schweizer Baron de Jomini gab der Militärlogistik richtungweisende Impulse. Jomini entwickelte in seinem 1837 veröffentlichten Werk »Abriß der Kriegskunst« ein achtzehn Punkte umfassendes Verzeichnis. Alle wesentlichen Aufgaben, die zur Unterstützung der Streitkräfte dienen (z.B. Standortbestimmung von Lägern, Truppentransporte, Quartierung und Versorgung sowie Entsorgung der Truppen), gehören demnach in den Verantwortungsbereich der Logistik.
Nach Ende des 2. Weltkrieges wurden – zunächst in den USA – die im Militärbereich gewonnenen Logistikerkenntnisse auf den Bereich der Wirtschaft übertragen (Bowersox, D. J./Closs, D. J./Helferich, O. K. 1986). In unterschiedlichen, später noch im Einzelnen darzustellenden Ausprägungen befasst sich die betriebswirtschaftliche Logistik mit Problemen der Gestaltung von Güterflusssystemen. In den 1970er-Jahren setzte sich die Logistikdurchdringung der Wirtschaft in Europa und in der Bundesrepublik Deutschland fort (Weber, J./Kummer, S. 1994).
Die Entwicklung der Logistik als eine wissenschaftliche Disziplin wurde entscheidend von Oskar Morgenstern beeinflusst. Seine Veröffentlichung des Jahres 1955 (Morgenstern, O. 1955) wird allgemein als der erste fundierte Beitrag zur Formulierung einer Theorie der Logistik aufgefasst.

II. Objektbezogene Differenzierungen der Logistik


Objektbezogen ist im ersten Schritt zu differenzieren in eine Mikrologistik und eine Makrologistik. Erstere bezieht sich auf Einzelwirtschaften, Letztere auf Gesamtwirtschaften (Pfohl, H.-Chr. 1990).
Zum Gegenstandsbereich der Mikrologistik zählen Güterflüsse innerhalb und zwischen Einzelwirtschaften. Als Einzelwirtschaften werden bevorzugt Industrie- und Handelsunternehmen betrachtet. Dem unternehmensinternen Wertschöpfungsprozess folgend ist die weitergehende Differenzierung in eine Beschaffungslogistik, Produktionslogistik, Distributionslogistik und Entsorgungslogistik üblich (Jünemann, R. 1989). Parallel unterscheidet man nach der Art der Güter neben einer Materiallogistik und Warenlogistik, Anlagenlogistik und Personallogistik, zunehmend auch Informationslogistik. Güterflüsse zwischen Unternehmen werden sowohl aus Sicht der in der Wertschöpfungskette jeweils angrenzenden Unternehmen (z.B. Gestaltung einer Zulieferbeziehung zwischen einem Systemlieferanten und seinem Kunden) als auch aus Sicht der zwischen zwei Unternehmen angesiedelten Logistikdienstleister (Verkehrs-, Lager- und Umschlagsbetriebe) betrachtet. Obwohl nicht unumstritten (z.B. Diederich, H. 1986), bezeichnet man Letztere zumeist als »Logistikunternehmen« (Pfohl, H.-Chr. 1990, S. 14).
Die Makrologistik beschäftigt sich mit der Gestaltung von Güterflusssystemen in Volkswirtschaften. Sie ist nicht Gegenstand betriebswirtschaftlicher Betrachtung.

III. Entwicklungsphasen der Logistik


Der Logistikbegriff und in der Theorie entwickelte sowie in der Praxis realisierte Logistikkonzepte und -konzeptionen sind wenig einheitlich. Die Hauptsichten sollen im Folgenden einer Ordnung unterzogen werden. Diese Ordnung leitet sich aus der empirisch feststellbaren praktischen Entwicklung der Logistik ab.

1. Logistik als funktionale Spezialisierung


Am Beginn der Logistik als eigenständiger Disziplin steht die Spezialisierung auf material- und warenflussbezogene Dienstleistungen, wie Transportieren, Lagern, Palettieren, Verpacken, Kommissionieren sowie deren Verknüpfung.

a) Kennzeichnung der Kontextsituation


In den 1950er-Jahren vollzieht sich in den USA ein grundlegender Wandel von Verkäufer- zu Käufermärkten. Die Notwendigkeit stärkerer Marktorientierung führt zu komplexeren Produktprogrammen ebenso wie zur erhöhten Bedeutung distributionsbezogener Merkmale (z.B. Lieferservice). Die Unternehmen sind funktionsorientiert organisiert. Lager-, Transport- und Umschlagsfunktionen gewinnen an Bedeutung, besitzen aber gegenüber den anderen Funktionen einen erheblichen Rückstand bezüglich des Ausschöpfens möglicher Spezialisierungsvorteile. Ein Grund für diesen Rückstand ist in der organisatorischen Zersplitterung der material- und warenbezogenen Dienstleistungsbereiche zu suchen. Anderer Gründe finden sich im geringen Entwicklungsstand der Materialfluss- und der Informationstechnik. Auf beiden Feldern werden in den Folgejahren große Fortschritte erzielt.

b) Ausprägung der Logistik


In ihrer ersten Entwicklungsphase lässt sich die Logistik als Funktionsspezialisierung begreifen, die in ihrem Spezialisierungsansatz mit der Produktion und anderen Grundfunktionen vergleichbar ist. Ihr Betrachtungsgegenstand sind spezielle Arten von Dienstleistungen, die vorher weder gesamthaft noch ausreichend in Ausschnitten gestaltet und erbracht wurden. Logistik in diesem Sinn fasst alle Lager-, Transport- und Umschlagstätigkeiten zusammen und erzielt damit Spezialisierungsvorteile.
Diese liegen zum einen in der Realisierung von Erfahrungskurveneffekten innerhalb einzelner Dienstleistungsarten. So führt etwa die Bildung von Zentrallägern verbunden mit höheren Investitionen in Lagertechnik zu Lagerkostendegressionen. Investitionen stoßen materialflusstechnische Entwicklungen an, die weitere Rationalisierungen ermöglichen. Ein Teil der Logistikentwicklung ist stark technikgeprägt. Dies zeigt sich in Deutschland u.a. daran, dass einer der beiden Logistikverbände (Deutsche Gesellschaft für Logistik) seinen Ursprung an einem materialflusstechnischen Lehrstuhl besitzt.
Zum anderen werden Spezialisierungsnutzen durch die Zusammenschau der unterschiedlichen material- und warenflussbezogenen Dienstleistungen erzielt. Große Bedeutung für die Durchsetzung der Logistik in den USA wird in diesem Sinne einer Studie aus dem Jahr 1956 zugemessen (Lewis, H. T./Culliton, J. W./Steel, J. D. 1956). Diese deckt für Luftfracht auf, dass eine höhere Taktfrequenz zwar höhere Transportkosten mit sich bringt, diese jedoch durch eine so ermöglichte deutliche Verringerung von Lagerbeständen kompensiert werden können. Interdependenzen dieser und ähnlicher Art bestehen in hohem Umfang. Abb. 1 zeigt einige von ihnen (in Anlehnung an Pfohl, H.-Chr. 1990). Ihre Beachtung führt zu höherer Effizient der material- und warenflussbezogenen Prozessgesamtheit.
Logistik
Abb. 1: Faktorinterpretation
Bedingt durch den Wechsel von Verkäufer- zu Käufermärkten liegt der Schwerpunkt der Logistik zunächst in der Distribution. Das erste grundlegende Buch zur Logistik erscheint entsprechend unter dem Titel »Physical Distribution Management« (Bowersox, D. J./Smykay, E. W./LaLonde, B. J. 1961), die erste Logistikvereinigung benennt sich »National Council of Physical Distribution Management«. Der Versorgungsaspekt, die Bereitstellung von Gütern für das eigene Unternehmen, wird in dieser Phase weniger unter dem Begriff der Logistik als unter dem des materials management behandelt.
Auch in Deutschland liegt der Kristallisationskern der Logistik im Distributionsbereich (Pfohl, H.-Chr. 1972). Eine Ausnahme bildet lediglich die Automobilindustrie. In dieser Branche, der für die praktische Entwicklung der Logistik in Deutschland eine Schlüsselrolle zukommt, finden sich die Anfänge der Logistik aufgrund der spiegelbildlichen physischen Güterflusskomplexität im Beschaffungsbereich. Organisatorisch führt die Logistik zur Bildung neuer Unternehmensbereiche, die eine Zusammenfassung der Lager-, Transport- und Umschlagsfunktionen unter einheitlicher Leitung beinhalten (Endlicher, A. 1981). Beharrungstendenzen, Machtfragen und ähnliche Probleme (Christopher, M. 1973) behindern jedoch den Veränderungsprozess und lassen es selten zu einer vollständigen Durchgängigkeit kommen.

c) Betriebswirtschaftliche Problemstellungen und Lösungsinstrumente


Material- und warenflussbezogene Dienstleistungen als Betrachtungsobjekt erweisen sich aus zwei Aspekten heraus als betriebswirtschaftlich reizvoll:

-

Transportprobleme sind bei nicht trivialer Ausprägung schnell von einer erheblichen Komplexität gekennzeichnet. Schon bei der Tourenplanung für 1 Fahrzeug und 10 Kunden gibt es mehrere Millionen Möglichkeiten der Routengestaltung.

-

Lagerprobleme erfordern – wiederum in nicht trivialer Variante – die Bewältigung von Unsicherheit. Vielfältige Gründe können für Unsicherheiten verantwortlich sein (stochastische Marktnachfrage, Anlagenausfälle, Lieferprobleme usw.) und getrennt oder kombiniert wirken.


Zur Lösung von Transportproblemen wurden schon früh die Möglichkeiten des sich nicht nur in der Theorie durchsetzenden Operations Research genutzt (z.B. Domschke, W. 1981, Domschke, W. 1982). Analoges gilt für Simulationsmodelle oder die Netzplantechnik. Lösungen von Lagerhaltungsmodellen (Tempelmeier, H. 1983) bauen stark auf die Wahrscheinlichkeitstheorie. Handlingsleistungen (Kommissionierung, Verpackung u.a.) haben wegen ihrer komparativ geringen Bedeutung zunächst weniger Aufmerksamkeit genossen. Heute sind auch sie standardmäßig Gegenstand von Optimierungen. Gleiches gilt für Fragen des geeigneten Bereitstellungswegs für material- und warenflussbezogene Dienstleistungen (Riebel, P. 1978).
Die stärkere Heraushebung material- und warenflussbezogener Dienstleistungen in Praxis und Theorie macht schließlich deren nur unzureichende Abbildung im Rechnungswesen deutlich. In der Folge wird das Konstrukt einer Logistikkostenrechnung entwickelt (Reichmann, Th. 1985; Weber, J. 1987). Diese lässt sich als Erweiterung der traditionellen Kostenrechnung beschreiben. Umsetzungsschwierigkeiten in der Praxis sind im Wesentlichen auf die mangelnde leistungswirtschaftliche Datenbasis zurückzuführen. Der Engpass der Logistikkostenrechnung liegt in der Logistikleistungsrechnung (Weber, J. 1995).

2. Logistik als unternehmensbereichs- und unternehmensübergreifende Koordinationsfunktion


Die nächste Phase der Logistikentwicklung lässt sich als Folge der Funktionsspezialisierung auffassen. Nach einer vollzogenen Rationalisierung sind weitere Spezialisierungsgewinne nur dadurch möglich, dass Einfluss auf Struktur und Höhe des Bedarfs an material- und warenflussbezogenen Dienstleistungen genommen wird. Der Fokus wendet sich von der Effizienz zur Effektivität.

a) Kennzeichnung der Kontextsituation


Die Rationalisierungserfolge der Logistik in ihrer Anfangszeit vollziehen sich – wie skizziert – im Distributionsbereich. Später folgt – auch angestoßen durch die Ölkrise – die transportintensive Beschaffung nach. Ein Ausschöpfen der Effizienzpotenziale lässt die Schnittstelle zum Produktionsbereich in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken. Dort haben sich insbesondere durch die intensive Durchdringung mit DV erhebliche Veränderungen ergeben. Die Informations- und Kommunikationstechnik treibt auch die Logistik voran, z.B. elektronischer Datenaustausch (EDI) oder Automatisierung der Lagertechnik. Obwohl die Märkte immer weiter steigende Anforderungen an Kundenindividualität, Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit der Unternehmen stellen, bleibt – oftmals durch Divisionalisierung in der Komplexität reduziert – die Spezialisierung der Unternehmen in funktionale Teilbereich unangetastet.

b) Ausprägung der Logistik


In der zweiten Phase der Entwicklung der Logistik stehen zwei Aufgabenfelder im Mittelpunkt:

-

die Koordination von Material- und Warenflüssen zwischen Quellen und Senken des Güterflusses und

-

die Ausweitung der Logistik auf die gesamte Wertschöpfungskette, die – unternehmensübergreifend – Kunden und Lieferanten einbezieht.


Ausgangspunkt für die Heraushebung der Koordinationsaufgabe sind nicht adäquat berücksichtigte Interdependenzen zwischen den den güterwirtschaftlichen Grundfunktionen entsprechenden Unternehmensbereichen. Ein sehr einfaches Beispiel hierfür liefert die Losgrößenplanung. Sowohl im Bereich der Materialsbereitstellung (Bestelllosgröße) als auch im Produktionsbereich (Fertigungslosgröße) werden isoliert voneinander Optimalgrößen ermittelt – dies in der Theorie ebenso wie im Rahmen von Planungs- und Steuerungssystemen, die in der Praxis zur dispositiven Unterstützung der Beschaffungs- und Produktionsaufgabe verwendet werden. Die üblicherweise hierfür herangezogenen Ermittlungsmodelle gehen dabei von nicht kompatiblen Prämissen aus: Während das Modell zur Bestimmung der Bestelllosgröße einen kontinuierlichen Faktorbedarf annimmt, wird dieser in der sich materialflussbezogen anschließenden Produktion im Fertigungslosgrößenmodell als diskontinuierlich betrachtet (Losfertigung). Beide Prämissen sind nur in Ausnahmefällen hinreichend kompatibel, und zwar dann, wenn es sich bei dem bereitzustellenden Gut um ein Standardmaterial handelt, das in allen Produkten verarbeitet wird oder das parallel in mehreren unterschiedlichen Produktionslinien Verwendung findet.
Schnittstellen dieser Art (Kummer, S. 1992) führen – als Preis der erreichten Komplexitätsreduzierung – zu Effizienzverlusten gegenüber der bei einer Gesamtplanung potenziell erzielbaren Optimallösung. Zielkonflikte werden nicht ausreichend aufgelöst. Schnittstellen haben darüber hinaus Verhaltenswirkungen. Eine Segmentierung von Kompetenz- und Verantwortungsbereichen begünstigt das Herausbilden von Partialinteressen, fordert dieses streng genommen sogar, mit der empirisch beobachtbaren Folge von Bereichsegoismen und dysfunktionalen Bereichskonflikten (Schulte, C. 1991).
Weitgehend vollzogene Optimierung material- und warenflussbezogener Dienstleistungen innerhalb der betrieblichen Funktionsbereiche einerseits und mangelnde prozessbezogene Abstimmung zwischen diesen andererseits führt zur Ausweitung des Aufgabenfeldes der Logistik um material- und warenflussbezogene Koordinationsaufgaben. Ein in der Praxis wichtiges Beispiel hierfür ist die Just-in-Time-Produktion als Verbindung zwischen Beschaffung und Produktion. Ressourcen werden (erst) dann bereitgestellt, wenn sie tatsächlich benötigt werden. Ein derartiges Bereitstellungskonzept reduziert Lagerbestände im Grenzfall auf null. Dies führt zur Verringerung von Kapitalbindungs- und sonstigen Lagerkostenbestandteilen und vermeidet Obsoleszenzbestände. Zwar war das Prinzip als produktionssynchrone Beschaffung auch schon vorher bekannt; eine isolierte Betrachtung des Beschaffungsbereichs zeigt aber nur in Grenzfällen eine Vorteilhaftigkeit gegenüber einer normalen Beschaffung in größeren Losen. Erst die gemeinsame Gestaltung von Produktions- und Bereitstellungsprozessen lässt Just-in-Time-Produktion wirtschaftlich werden.
Der Fokus der logistischen Optimierung liegt – wie das Beispiel zeigt – in der zweiten Phase der Logistikentwicklung auf der Beeinflussung des Bedarfs an material- und warenflussbezogenen Leistungen. Dieser lässt sich durch eine einzelbereichsübergreifende Sicht nicht unerheblich reduzieren bzw. verändern. Hierzu gibt die Logistik ihre Beschränkung auf Teile der Wertschöpfungskette auf und betrachtet sie in toto. Dies beinhaltet, die Produktionsplanung und -steuerung als festen Bestandteil der Logistik zu etablieren (zum empirischen Beleg Weber, J. 1992). Die Logistik entwickelt sich zur übergeordneten Steuerungsinstanz, so wie es die Abb. 2 veranschaulicht, und umschließt den in vielen Unternehmen vorher realisierten materialflussbezogenen Integrationsansatz, die Materialwirtschaft. Diese Heraushebung findet ihren Niederschlag auch in einer entsprechenden Organisation der Logistik (Pretzsch, H.-U. 1987; Holzer, A. 1987; Freyend, C.J. v. 1987; Lenzen, B. 1987; Binder, G. 1987; Lesch, K. 1987). Allerdings verläuft der Prozess der organisatorischen Aufwertung nur in wenigen Unternehmen problemfrei, da die gleichberechtigte Positionierung einer »Querschnittsfunktion« Kompetenz- und Machtverluste der tradierten Grundfunktionen bedeutet.
Logistik
Abb. 2: Faktorgliederung nach Gutenberg (Ellinger, Th./Haupt, R. 1990, S. 10)
Der Koordinationsgedanke macht schließlich nicht an den Unternehmensgrenzen Halt. Problemstellung wie Nutzen einer quellen- und senkenbezogenen Abstimmung sind grundsätzlich unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem oder zu mehreren Unternehmen. Nur durch Koordination erzielbare Rationalisierungspotenziale werden anfangs aufgrund von unterschiedlichen Fähigkeitenniveaus der beteiligten Unternehmen allerdings mehr oktroyiert als freiwillig realisiert. Deutlichstes Beispiel hierfür ist die Automobilindustrie. Dies führt dazu, dass Fragen einer »gerechten« Aufteilung der Nutzen einer logistischen Gestaltung der Lieferanten-Kunden-Beziehung längere Zeit kontrovers im Verband dieser Branche diskutiert werden (VDA, 1989). Durch die gewonnene Erfahrung spielen Automobilzulieferer eine besondere Rolle für die Durchsetzung des Logistikgedankens in der mittelständischen Industrie.
Die unternehmensübergreifende Gestaltung von Logistikketten stellt schließlich auch die Frage nach der Trägerschaft material- und warenflussbezogener Dienstleistungen neu. Nur wenige Speditionen stellen sich allerdings der Herausforderung, neben der traditionell wahrgenommenen Dienstleistung zusätzlich Koordinationsaufgaben zu übernehmen. Konzepte von »Logistikunternehmen« (die diesen Namen nun auch tatsächlich verdienen), die mehrere Abschnitte der Wertschöpfungskette integrieren (z.B. die Warenbereitstellung bis zum Band für einzelne Werke von Industrieunternehmen), finden sich in größerer Zahl erst in der später darzustellenden Entwicklungsphase der Logistik.

c) Betriebswirtschaftliche Problemstellungen und Lösungsinstrumente


Die zweite Phase der Logistik ist durch einen erheblichen Bedeutungszuwachs gekennzeichnet. Die Logistik wird zum Instrument zur Durchsetzung von Wettbewerbsstrategien. Differenzierung durch erhöhten logistischen Leistungsgrad (z.B. höhere Lieferflexibilität, höherer Lieferservice, kürzere Lieferzeit u.a.) bei Produkten und Zusatzleistungen (z.B. Ersatzteilservice) wird ebenso möglich wie die Unterstützung einer angestrebten Kostenführerschaft durch Kostensenkung in der gesamten logistischen Kette. Dies führt zum Eingang in die strategische Unternehmensplanung (Weber, J./Kummer, S. 1990; Pfohl, H.-Chr. 1994). Die Logistik wird dort im Rahmen der Funktionalstrategien verortet und mit Geschäftsfeldstrategien zur Unternehmensstrategie verbunden. Als für die Logistik sehr geeignetes, wenngleich nicht originäres Instrument erweist sich die Wertschöpfungskettenanalyse (Porter, M. E. 1985).
Im Bereich der Produktionssteuerung stoßen konventionelle PPS-Systeme angesichts stark gestiegener Variantenvielfalt und hoher Anforderungen an die Flexibilität des Produktionssystems an ihre Grenzen. Ein in seiner Konsequenz neues Steuerungskonzept für derartige Kontextsituationen (Görgens, J. 1994) stellt Kanban dar, das sich als eine Verlängerung der Idee fertigungssynchroner Bereitstellung in die Produktion verstehen lässt.
Auch außerhalb der Logistik wird die Idee der Steuerung von Prozessketten zunehmend aufgenommen (Prozessmanagement). Der Prozessgedanke führt in der Kostenrechnung zu einem erneuten Anlauf, die Logistik adäquat abzubilden, der sich mit dem Begriff Prozesskostenrechnung verbindet (Horváth, P./Kleininger, M./Mayer, R. et al. 1993). Controllingansätze entwickeln sich von einer primär einzelprozess- zu einer prozesskettenbezogenen Sicht (Giehl, H. 1993). Die zunehmende Bedeutung der zwischenbetrieblichen Logistik mit den unterschiedlichen Möglichkeiten der Einbindung von Logistikunternehmen führt schließlich dazu, die anfangs traditionellen Instrumente von Make-or-Buy-Analysen methodisch zu erweitern. Als fruchtbarer Ansatz erweist sich hier die Transaktionskostentheorie (Pfohl, H.-Chr./Large, R. 1992).

3. Logistik als Durchsetzung der Flussorientierung


Die (vorerst) letzte Phase der Logistikentwicklung geht aus der vorherigen durch eine Veränderung zweier wichtiger Kontextfaktoren hervor und fokussiert die Betrachtung auf einen Aspekt, der auch in vorherigen Entwicklungsphasen als bedeutsam, jedoch nicht als entscheidend angesehen wurde.

a) Kennzeichnung der Kontextsituation


Die Wettbewerbsintensität steigt in den 1990er-Jahren weiter an. Unternehmen stehen vor dem Problem, Differenzierung mit Kostensenkungen verbinden zu müssen. Derartige Anforderungen sind mit traditionellen, auf Funktionsspezialisierung aufbauenden Gestaltungen der Geschäftssysteme nicht mehr zu bewältigen. Unter den verschiedensten Begriffen (Lean Production, Systems Reengineering, TQM, Time Based Management, Mass Customization) kommt es zu Strukturbrüchen. Diese beinhalten jeweils die Präferenz, zumindest jedoch die Gleichstellung einer Prozess- gegenüber einer Struktursicht. Hohe Dynamik macht eine Reduzierung der Komplexität (z.B. durch Fertigungssegmentierung) ebenso erforderlich, wie sie zu einer Reduktion einer Koordination durch Pläne gegenüber einer Koordination durch Selbstabstimmung führt (Warnecke, H. J./Kühle, H./Bischoff, J. 1994).
Die zweite wichtige Kontextfaktoränderung betrifft das material- und warenflussbezogene Know-how in allen Unternehmensbereichen. Die Spezialisierung hat zu einer Bedeutungserhöhung und einer besseren Sichtbarkeit geführt. Logistische Aspekte gehören zu den standardmäßigen Rahmendaten einer Produktgestaltung ebenso wie zu einer Produktionstiefenbestimmung; Servicegrade sind als wettbewerbskritisch ebenso erkannt wie eine unternehmensübergreifende Gestaltung des Logistiksystems.

b) Ausprägung der Logistik


Das gestiegene material- und warenflussbezogene Know-how ermöglicht es, die in den ersten beiden Phasen der Logistik erfolgte Spezialisierung wieder zurückzuführen. Der Fokussierungswandel von Strukturen zu Prozessen in der Aufbauorganisation macht diese Respezialisierung geradezu unumgänglich:

-

In einer Arbeitsgruppe in der Produktion werden material- und warenflussbezogene Dienstleistungen zusammen mit Instandhaltungs- und Fertigungsleistungen von denselben Mitarbeitern durchgeführt.

-

Ständig notwendige flussbezogene Koordinationsleistungen entfallen bei der Aufgabe von Funktionsbereichen zugunsten von Formen der Prozessorganisation.


Die Logistik wandelt sich in dieser Veränderung von einer Dienstleistungs- zu einer Führungsfunktion: »Das Ziel der Logistik besteht darin, das Leistungssystem des Unternehmens flussorientiert auszugestalten« (Weber, J./Kummer, S. 1994, S. 21). Zwar wurde auch in den vorangegangenen Entwicklungsphasen der Logistik die Realisierung eines reibungslosen Material- und Warenflusses angestrebt, wie als Beispiel die Definition der Logistik des Council of Logistics Management zeigt (»? process of planning, implementing, and controlling the efficient, cost effective flow and storage of raw materials, in-process inventory, finished goods, and related information ?« [Council of Logistics Management, 1111, S. 1 f.]). Logistik als Durchsetzung des Flussprinzips ist aber zum einen nicht auf einen bestimmten Leistungstyp beschränkt. Sie betrachtet a priori z.B. einen Transportvorgang und einen Instandhaltungsvorgang als gleichbedeutend (eine zu spät ausgeführte schadensbedingte Instandsetzung stört u.U. den Fertigungsfluss mehr als ein verspäteter Transport). Zum anderen beinhaltet sie nicht mehr die Führung der Leistungshandlungen selbst, sondern »nur« noch die Gestaltung dieser Führung. Die Logistik nimmt »eine Koordinationsfunktion im Führungssystem wahr. Sie umfasst die Strukturgestaltung aller Führungsteilsysteme, die zwischen diesen bestehenden Abstimmungen sowie die führungsteilsysteminterne Koordination« (Weber, J/Kummer, S. 1994, S. 21).

c) Betriebswirtschaftliche Problemstellungen und Lösungsinstrumente


Die strikte Fokussierung auf die Durchsetzung des Flussprinzips ist jüngsten Datums. Insofern liegen bislang nur wenig spezifische Erkenntnisse vor:

-

Im Wertesystem geht es darum, das Denken in Stoffflüssen und -kreisläufen als grundsätzliche(n) Norm oder Wert zu verankern (Pfohl, H.-Chr. 1994).

-

Die Erreichung turbulenzarmer Leistungsprozesse bedeutet eine strategische Fähigkeit, die in der strategischen Planung zu verankern ist (Klaus, P. 1994).

-

Flussbezogene Zielgrößen müssen neben den traditionellen Größen im Kontrollsystem überprüft werden. Die Kontrollen dürfen ihrerseits nicht zu Flussstörungen führen.

-

Das Informationssystem muss einen Erfahrungsaufbau zur flussgerechten Gestaltung der Führung ermöglichen (zu Beispielen Weber, J. 1994).

-

Im Personalführungssystem gilt es, die Bedeutung einer Erreichung turbulenzarmer Leistungsprozesse durch eine entsprechende Ausrichtung der Anreizinstrumente (z.B. Karrieregestaltung, Entgeltsystem) zu berücksichtigen.

-

Im Organisationssystem schließlich müssen Nutzen einer Prozessspezialisierung standardmäßig neben den Nutzen anderer Spezialisierungsrichtungen Berücksichtigung finden.


Instrumente für eine derartige Durchsetzung des Flussprinzips sind in der allgemeinen Führungstheorie zu finden.

IV. Konsequenzen der Entwicklung der Logistik für ihre Stellung als betriebswirtschaftliche Teildisziplin


Die skizzierte Entwicklung der Logistik ist das Ergebnis spezifischer Kontextfaktorausprägungen in der Unternehmenspraxis und deren Veränderung. Soll eine konsistente Einordnung der Logistik in das Theorie- und Lehrgebäude der Betriebswirtschaftslehre erfolgen, kann man sich nicht mit einer reinen Beschreibung der unterschiedlichen Phasen praktischer Ausprägung begnügen. Zwei Alternativen stehen für die Einordnung zur Wahl:

-

Logistik bedeutet eine auf einen speziellen Typus von Ausführungshandlungen (material- und warenflussbezogene Dienstleistungen) bezogene Funktionenlehre, die neben der Verkehrsbetriebslehre steht oder aber diese integriert.

-

Logistik wird als eine spezielle Ausprägung einer (Meta-)Führungslehre verstanden (Weber, J. 1995), die geeignet erscheint, alle prozessbezogenen Ansätze zu integrieren.


Damit werden die erste und die dritte praktische Entwicklungsstufe abgebildet. Die zwischen diesen stehende Koordinationsausprägung erscheint zu spezifisch kontextfaktorgeprägt, um eine eigene Disziplin in der Betriebswirtschaftslehre zu konstituieren.
Literatur:
Binder, G. : Die BMW-Logistik: 5 Interkontinentale Logistik, in: Beschaffung aktuell, H. 8/1987, S. 42 – 45
Bowersox, D. J./Closs, D. J./Helferich, O. K. : Logistical Management, 3. A., New York et al. 1986
Bowersox, D. J./Smykay, E. W./LaLonde, B. J. : Physical Distribution Management, New York 1961
Christopher, M. : Marketing and Logistics, in: Business Logistics, hrsg. v. Buijtenen, P.M. van, Den Haag 1976, S. 35 – 50
Council of Logistics Management, : What It\'s All About, Oak Brook/Ill. o.J
Diederich, H. : Entwicklung und Stand der Verkehrsbetriebslehre, in: ZfB, 1986, S. 51 – 88
Domschke, W. : Logistik, Bd. 1: Transport, München 1981
Domschke, W. : Logistik, Bd. 2: Rundreisen und Touren, München 1982
Endlicher, A. : Organisation der Logistik, Dortmund 1981
Freyend, C.J. von : Die BMW-Logistik: 3 Aufgaben und Organisation der Materialplanung, in: Beschaffung aktuell, H. 6/1987, S. 28 – 31
Giehl, H. : Weiterentwicklung des Logistik-Controlling zum Prozeßketten-Controlling in der BMW AG, in: Praxis des Logistik-Controlling, hrsg. v. Weber, J., Stuttgart 1993, S. 291 – 307
Görgens, J. : Just-in-Time Fertigung, Stuttgart 1994
Holzer, A. : Die BMW-Logistik: 2 Programmplanung und Auftragssteuerung, in: Beschaffung aktuell, H. 5/1987, S. 42 – 44
Horváth, P./Kleininger, M./Mayer, R. : Prozeßkostenrechnung – oder wie die Praxis die Theorie überholt, in: DBW, 1993, S. 609 – 628
Ihde, G. B. : Transport, Verkehr, Logistik, 2. A., München 1991
Jünemann, R. : Materialfluß und Logistik, Berlin et al. 1989
Klaus, P. : Jenseits einer Funktionenlogistik: der Prozeßansatz, in: Logistik, Beschaffung, Produktion, Distribution, hrsg. v. Isermann, H., Landsberg a.L. 1994, S. 331 – 348
Kummer, S. : Logistik im Mittelstand, Stuttgart 1992
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Lesch, K. : Die BMW-Logistik: 6 Integrierte Datenverarbeitung in der Logistik, in: Beschaffung aktuell, H. 9/1987, S. 52 – 55
Lewis, H. T./Culliton, J. W./Steel, J. D. : The Role of Air Freight in Physical Distribution, Boston 1956
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Riebel, P. : Eigen- oder Fremdtransport, die Antwort aus betriebswirtschaftlicher Sicht, Frankfurt a.M. 1978
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Tempelmeier, H. : Quantitative Marketing-Logistik, Berlin et al. 1983
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Weber, J. : Logistikkostenrechnung, Berlin et al. 1987
Weber, J. : Logistik als Koordinationsfunktion. Zur theoretischen Fundierung der Logistik, in: ZfB, 1992, S. 877 – 895
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Weber, J. : Einführung in das Controlling, 6. A., Stuttgart 1995
Weber, J./Kummer, S. : Aspekte des betriebswirtschaftlichen Managements der Logistik, in: DBW, 1990, S. 775 – 787
Weber, J./Kummer, S. : Logistikmanagement, Stuttgart 1994

 

 


 

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