Geschichte der BWL
Inhaltsübersicht
I. Betriebswirtschaftslehre – eine „ interdisziplinäre Wissenschaft “ ?
II. Ethische Ursprünge des Denkens über betriebswirtschaftliche Probleme
III. Kameralwissenschaft als Vorläufer der Betriebswirtschaftslehre
IV. Akademische Verselbstständigung der Betriebswirtschaftslehre nach 1900
V. Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg
In einem Großteil der jüngeren Unterrichtswerke zur Betriebswirtschaftslehre wird diese als interdisziplinäre Wissenschaft bezeichnet. Das ist aus mindestens zwei Gründen unzulänglich. Zum Ersten verlangt zwar das praktische Handeln interdisziplinäres, also fachübergreifendes Wissen, nicht jedoch anfänglich die Suche nach Erkenntnis, die wissenschaftliche Forschung nach Erklärungen. Wer interdisziplinär forschen will, muss als Ausgangspunkt erst einmal mindestens zwei Disziplinen unterscheiden können: Einzuzäunen sind die zu untersuchenden Probleme und ihre bisherigen Lösungsversuche in der Betriebswirtschaftslehre, z.B. soweit sie auf dem Wirtschaftlichkeitsprinzip aufbaut, um diese anschließend etwa durch juristische Vorgaben oder verhaltenswissenschaftliche Einsichten abzuwandeln.
Zum Zweiten ist es völlig geschichtsfremd, von der Betriebswirtschaftslehre als einer interdisziplinären Wissenschaft zu reden; denn die Erforschung aller Erkenntnisbereiche ist im Zeitablauf durch vervielfachte Arbeitsteilung, Spezialisierung, gekennzeichnet: Aus einer umfassenden (interdisziplinären Gesamt-)Wissenschaft der Philosophie mit Theologie spalteten sich noch in der Antike die anwendungsbezogenen Gebiete der Medizin und Jurisprudenz ab. Im Mittelalter dominiert die Theologie. Mathematik und Naturwissenschaften verselbstständigen sich nach und nach. In der „ angewandten “ Philosophie bleibt als kläglicher Teilbereich eine alteuropäische Ökonomik als eine erste Vorläuferwissenschaft heutiger akademischer Betriebswirtschaftslehre. Diese Ökonomik wird, mit der Politik des Aristoteles verbunden, um 1600 als économie politique von zwei Rechtsreformern je einmal erwähnt und bildet etwa ab 1700 einen Grundstock heutiger Volkswirtschaftslehre. Ab Mitte des 19. Jahrhundert verselbstständigt sich davon die Soziologie.
Dieser Beitrag hebt die philosophischen, insoweit interdisziplinären Vorläufer der heutigen deutschsprachigen akademischen Betriebswirtschaftslehre heraus, während sich interdisziplinär nennende Forschung heute vor allem in Speziellen Betriebswirtschaftslehren siedelt.
II. Ethische Ursprünge des Denkens über betriebswirtschaftliche Probleme
Den interdisziplinären Quell betriebswirtschaftlichen Denkens bilden innerhalb der antiken Philosophie ethische Überlegungen. Erste Lösungsideen für Probleme, die als wirtschaftliche bezeichnet werden, gehen von Moralgeboten aus. Die Tugendlehre der Selbstgenügsamkeit, wie sie Hesiod, / (um 700 v. Chr.), der chinesische Philosoph Lao Tsu, / (um 500 v. Chr.) oder Aristoteles, / hinsichtlich der „ natürlichen Erwerbskunst “ (Ökonomik genannt) predigen, wandeln schriftstellernde Offiziere und Gutsherren, wie der Sokrates-Schüler Xenophon, / und die Römer Varro, / und Columella, , zu einer Lehre von der sittlich und technisch-wirtschaftlich vernünftigen Unternehmensführung für den Haus- und Gutsherren ab. Das Fixkostenproblem und das der Kontrollspanne werden erkannt, erste rohe Investitionsrechnungen finden sich (diese und die folgenden Quellen sind näher in Schneider, Dieter 2001 dargestellt). Diese alteuropäische Ökonomik wird ab dem 12. Jahrhundert teilweise sogar an Universitäten gelehrt: als Teil der angewandten Philosophie, allerdings mitunter von „ Professores ?; welche zweifeln müssen, ob die Korn-Ähren auf den Bäumen oder auf dem Acker zu suchen wären “ (wie der Kanzler der Universität Halle a.d. Saale 1727 an seinen König schreibt). Inhaltlich umfasst die Ökonomik eine landwirtschaftliche oder kaufmännische Morallehre mit psychologischen Binsenweisheiten und oft weitschweifigen Ausführungen zur Wahl der richtigen Ehefrau. Das Schrifttum zur Ökonomik ist später als „ Sittenlehre für Hausväter und Hausmütter, Kinder und Gesinde “ verspottet worden. Der Spott ist unangebracht, denn der Hausvater ist damals der allein Entscheidende in einer zentral geleiteten Konsum- und Erwerbsgemeinschaft. Die einseitige Zuordnung der Herrschaftsgewalt auf den Hausherrn gilt als gottgegeben. Bei einseitiger Verteilung der Befehlsgewalt ist eine Tugendlehre für den Hausherrn bitterste Notwendigkeit, um den nicht mitbestimmenden Mitgliedern des Haushalts ein einigermaßen erträgliches Leben zu ermöglichen. Solange die sozialen Verhältnisse nicht verändert sind, hilft dazu nur der Appell an die Einsicht des Befehlenden.
Die Notwendigkeit der Ökonomik steht freilich in schroffem Gegensatz zu ihrer Wirksamkeit; denn ethische Phrasen werden schwergewichtig von Herrschern und ihren Handlangern (Moralphilosophen und -theologen eingeschlossen) dazu benutzt, eine bestehende Gesellschaftsordnung abzusichern. Moralvorschriften dienen zur Disziplinierung der Schwächeren, der Ärmeren, während die Herrschenden Wege finden (lassen), sich selbstherrlich über Moralgebote hinwegzusetzen. Zum einen erzeugen oder stützen die ethischen und moraltheologischen Wertungen wirtschaftliche Irrlehren, z.B. das Zinsverbot oder das von Aristoteles, / bis Voltaire, zu findende Vorurteil, ein Tausch sei nur gerecht, wenn keiner einen Vorteil erziele. Gemeinhin tauscht jemand nur dann, wenn er das zu Erwerbende höher schätzt als das Hinzugebende, wobei der Saldo aus Freud und Leid des Tauschaktes (des Feilschens) einzubeziehen ist. Zum anderen ist mangelndes Nachdenken über die Verbesserung der materiellen Bedingungen zu tadeln: die Unwirtschaftlichkeit der Leistungserstellung und Behinderung von Innovationen, oft durch ethisch-religiöse Gebote erzwungen, sowie die weitgehende Unterbindung von Wettbewerb durch Zunft- und anderen Gewerbezwang.
III. Kameralwissenschaft als Vorläufer der Betriebswirtschaftslehre
Neuen Wein in alte Schläuche der Wissenschaft an den spätmittelalterlichen Universitäten gießt die Philosophie der Aufklärung. Diese Revolution im Wissenschaftsverständnis erzwingt die Abkehr von der ganzheitlichen Sicht einer Einheitswissenschaft Philosophie und wendet sich empirischen Methoden der Naturwissenschaft zu. Eine Folge davon ist die Verengung und Vertiefung wissenschaftlicher Forschung auf eine aspektbezogene Betrachtungsweise.
Aus der damit verbundenen Aufspaltung in Einzelwissenschaften erwächst die Forderung, auch für einzelwirtschaftliche Probleme Lehrstühle zu errichten. Im deutschen Sprachraum sprechen sich für selbstständige Lehrstühle über das Wirtschaften um 1700 mehrere Gelehrte aus. Die bekanntesten sind Leibniz, Gottfried Wilhelm/ und der Naturrechtler Thomasius, Christian. Thomasius, der in Halle a.d. Saale lehrt, veröffentlicht 1693 eine Schrift „ Vom elenden Zustand der Studenten “ , die in drastischen Worten einen Einblick in das damalige Universitätsleben gibt. Thomasius verfasst mehrere Schriften zur Lebensklugheit, deren Nutzen er auch denen beibringen will, die „ von der Kauffmannschafft / Haußwirthschaft u.d.g. Profession machen “ . Neben ethischen Platitüden aus der Ökonomik fordert er z.B. vom Kaufmann nicht nur, „ daß er beym Einkauff vorsichtig sey / sondern er muß auch einen sonderbahren Witz beim Verkauff zu gebrauchen / und teyls die Käuffer ehrlicher Weise an sich zu ziehen / theils nicht zu viel noch zu wenig zu trauen geschickt sey “ .
Ähnliche Anforderungen nennt das 1716 in Halle geschriebene „ Project der Oeconomie in Form einer Wissenschafft “ des Amthor, Christoph Heinrich/, „ Hofhistoriograph “ in Kopenhagen, der unter dem Namen Sincerus, publiziert.
König Friedrich Wilhelm von Preußen, I./ missfällt, dass junge Leute „ schlechte Oeconomie “ betreiben. Durch juristische Studien würden Advokaten erzeugt, die das Land nur „ aussaugen, sozusagen aushungern “ . Man müsse auch Gewicht legen auf „ politica, oeconomica und cameralia ?, so man im Lande würcklich gebrauchen könte “ . Aus dieser Abneigung gegen Juristerei heraus errichtet er 1727 sowohl eine Vorläufer-Professur zur Betriebswirtschaftslehre an der Universität Halle als auch im selben Jahr eine an der Universität Frankfurt (Oder). Dieser Soldatenkönig steht auch hier im Gegensatz zu seinem berühmteren Sohne, Friedrich dem Großen, der 1772 an den Rand des Besoldungswunsches des nach Halle zu berufenden ersten Geschichtsschreibers der Wirtschaftswissenschaft, Schreber, Daniel Gottfried, vermerkt: „ Die Ökonomie lernet man bei den Bauern und nicht auf den Universiteten “ .
Der erste Inhaber des Lehrstuhls in Halle, der Jurist und Domänenverwalter Gasser, Simon Peter/ (1676 – 1745), beschränkt sein Lehrbuch auf die Erwerbswirtschaft (s)eines Landesherrn. Ausführlich behandelt er die technischen Vorbedingungen für Vorkalkulationen bei der Gebäudeunterhaltung und den Vorschaurechnungen (Anschlägen genannt), wie sie für die Ermittlung der Pacht einer landesherrlichen Domäne erforderlich sind. Die Arbeitsbedingungen der Kameralwissenschaftler sind für das Gewinnen neuer Forschungsergebnisse ungünstig. Gasser klagt, dass er von morgens „ bis Abends um 5 bis 6 Uhr allemal lese und docire, von da bis in die sinckende Nacht habe ich mit der Cammer, Facultät und anderer Amts=Arbeit kundiger massen für 2 bis 3 Menschen völlig zu thun “ , sodass ihm zum Nachdenken und Schreiben nur „ die wenigen Morgen=Stunden bis 8 Uhr “ übrig bleiben. Für Forschungen wenig förderlich ist zudem, dass Friedrich Wilhelm von Preußen, I. die Professoren der Universität Halle und Frankfurt a.d. Oder dazu verdonnert, honorarlos Aufsätze für Intelligenzblätter (mit Inseraten- und Bezugszwang für Behörden, Geistliche, Wundärzte, Apotheker, Gastwirte usw.) zur Verfügung zu stellen, was ziemlich erfolglos bleibt.
An zahlreichen Hochschulen werden bis um die Mitte des 18. Jahrhunderts Lehrstühle zur Kameralwissenschaft errichtet. Dennoch geht diese nach 1800, zuletzt oft verspottet als Vieharzneikunde, an niveauarmem Praxisbezug zugrunde. Als Berufsausbildung für die Verwaltung staatlicher Domänen und die Finanzverwaltung wird sie von der Jurisprudenz verdrängt und an den Hochschulen von der aus Großbritannien und Frankreich importierten Nationalökonomie, die freilich für die Unternehmenspolitik im 19. Jahrhundert bedeutungslos bleibt.
Noch fremd sind dem ökonomischen Denken zur Zeit der Kameralwissenschaft heutige Leitgedanken betriebswirtschaftlicher Lehre: Die erste Optimumbestimmung unter Handlungsalternativen mittels der Annahme eines sinkenden Grenznutzens in Abhängigkeit vom alternativ wachsenden Vermögen, Bernoulli, Daniels Theorie des Risikonutzens, wird erst rund ein Jahrzehnt nach Gassers Lehrbuch veröffentlicht. Und dann dauert es über 250 Jahre, bis diese Theorie der Risikostreuung für Investitionen, trotz Bernoullis Beispielen aus der Seeversicherung hierzu, sich zu einem allgemein gelehrten Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre entfaltet.
Erst drei Jahrzehnte nach Gassers Lehrbuch wird das ökonomische Prinzip (Wirtschaftlichkeitsprinzip), der Physik entlehnt, durch den Leibarzt der Pompadour, Quesnay, Francois/, formuliert. Nach Errichtung des Lehrstuhls an der Universität Halle dauert es 80 Jahre, bis produktionswirtschaftliche Optima mit Hilfe der Differentialrechnung formuliert werden: durch den Hessischen Kammerrat in der Bau- und Finanzverwaltung Kröncke, Claus/ und den flandrisch-tschechischen Grafen von Buquoy, Georg Franz August de Longueval, Freiherr von Vaux, Graf von/-de Longueval. Von Thünen, Johann Heinrich von spricht (1826, 1850) als erster heute allgemein bekannte Optimumregeln aus, wie: Die Produktion sei auszudehnen, bis das Erzeugnis des letzten Arbeiters durch den Lohn, den er erhält, aufgezehrt wird. Sinngemäß bestimmt er den Investitionsumfang nach der Regel Grenzrendite gleich Kalkulationszinsfuß und erörtert, wann bei sich ändernden Umweltbedingungen eine Handlungsweise von einer anderen, dann vorteilhafteren, verdrängt wird. Thünen betont die Notwendigkeit des Modelldenkens. Den Gefahren eines ungeprüften Übertragens von Modellergebnissen in die Praxis sucht er durch Vergleiche mit seiner jahrelang mühsam aufgebauten landwirtschaftlichen Buchhaltung (also durch Tests von Hypothesen) zu begegnen.
IV. Akademische Verselbstständigung der Betriebswirtschaftslehre nach 1900
Falsch ist es, in der Gründung von Handelshochschulen ab 1898 eine Art Geburt der Betriebswirtschaftslehre zu sehen. Zum einen ist die Gründung von Handelshochschulen nur in provinzieller Sicht eine Neuerung; denn sie folgt Vorbildern in Frankreich, Belgien und den USA. Zum anderen entstehen Handelshochschulen, um die Allgemeinbildung der Kaufleute in Recht, Fremdsprachen und Volkswirtschaftslehre zu verbessern, letzteres nicht zuletzt wegen des als unternehmerfeindlich empfundenen Selbstverständnisses der historisch-ethischen Volkswirtschaftslehre an den reichsdeutschen Universitäten.
In den Handelshochschulen erlebt zunächst das kameralistische Wissenschaftsverständnis eine nur wenig veränderte Wiederauferstehung. Erst nach 1908, also ein Jahrzehnt nach Errichtung der ersten Handelshochschulen, beginnen Lehrer der Buchhaltung und Handelskunde jene wissenschaftliche Gemeinschaft zu entwickeln, die heute Betriebswirtschaftslehre heißt. Sie führt zunächst noch den Namen Privatwirtschaftslehre oder Handelswissenschaft (zu verstehen in dem weiten Sinne, in dem das Handelsgesetzbuch kaufmännische Tätigkeiten regelt). Sie verselbstständigt sich als akademische Disziplin ab 1912 durch Abgrenzung gegenüber der Volkswirtschaftslehre und Betonung des Wirtschaftlichkeitsprinzips bzw. einer „ Gemeinwirtschaftlichkeit “ als Trivialform von Wohlfahrtsökonomie (Allokationseffizienz) bei Schmalenbach, Eugen/ (1973 – 1955), Schmidt, Fritz/ (1882 – 1950) u.a. Gegen den Strom gemeinwirtschaftlichen Denkens äußert Rieger, Wilhelm (1878 – 1971) ein Bekenntnis zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung und nennt sich zuletzt als einziger noch Privatwirtschaftler. Er sieht Gewinnstreben als das Unternehmungsziel an, auf das hin die Betriebswirtschaftslehre erklärende Theorien zu entwickeln habe.
Um 1920 führt die Privat- bzw. Betriebswirtschaftslehre noch ein wenig beachtetes Dasein. Eine erste in den Augen der Öffentlichkeit Respekt erheischende Leistung gelingt mit Lösungsvorschlägen zum Problem Geldentwertung und Bilanzierung. Praktiker, wie Rathenau, Walter (Leiter der AEG und der Rohstoffabteilung im Preußischen Kriegsministerium, 1922 als Reichsaußenminister ermordet) und betriebswirtschaftliche Hochschullehrer erkennen ab Oktober 1920 das Problem und entwickeln Lösungsvorschläge. Die damals entwickelten Messtechniken zur Substanzerhaltung und realen Kapitalerhaltung spielen in der heutigen wissenschaftlichen Diskussion, nach der Kapitulation der Lehre von der Rechnungslegung vor den IFRS, nur mehr eine Nebenrolle.
Bis nach 1950 bestimmt eine oft Handels- und Steuerrecht ferne Lehre von Bilanzauffassungen bzw. Bilanztheorien das, was in der damaligen Betriebswirtschaftslehre neben Kostenrechnung und Preispolitik als Theorie bezeichnet wird.
Bei der damaligen geringen Zahl betriebswirtschaftlicher Hochschullehrer (rund 50 sind es 1933 bzw. 60 nach dem Anschluss Österreichs) treffen die Verfolgungen des Nationalsozialistischen Regimes die Betriebswirtschaftslehre härter als manche andere Wissenschaft (rund 13 schwer und 5 weniger schwer Verfolgte, die im beruflichen Fortkommen behinderten Assistenten und Lehrbeauftragten nicht gerechnet).
V. Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg
Dem Aufbau der Betriebswirtschaftslehre bis 1944/1945, geleistet durch eine Gründergeneration, folgt ab 1945 bis etwa 1970 in Westdeutschland eine Zeit des Wiederaufbaus und Ausbaus durch eine zweite Generation von Hochschullehrern, die zwischen 1890 und 1917 geboren sind. 44 von 75 Hochschullehrern gehören 1962 dieser Generation an. Diese zweite Generation, durch hohe Studentenzahlen in der Lehre maßlos überlastet, bleibt überwiegend den Traditionen der Gründergeneration verhaftet. Einzelne ihrer Vertreter bemühen sich um eine Verknüpfung mit der Mikroökonomie oder wenden sich dem angelsächsischen Managementdenken zu: zwei alternative Denkstile, die Forschung und Lehre in der dritten Generation (den etwa 1920 – 1950 Geborenen) und der vierten Generation (den nach 1950 Geborenen) überwiegend bestimmen.
Der Zwiespalt zwischen einer Betriebswirtschaftslehre, die auf der Wirtschaftstheorie aufbaut, und einer Managementlehre, die unter die Fittiche einer umfassenden Verhaltens- bzw. Sozialwissenschaft schlüpfen will, bricht auf, nachdem Gutenberg, Erich (1897 – 1984) sein Verständnis von den „ Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre “ in einer Kritik des Ertragsgesetzes der mikroökonomischen Produktionstheorie (ab 1951) und auf der Theorie der monopolistischen Konkurrenz (ab 1955) entwickelt. Anhänger einer Betriebswirtschaftslehre als ganzheitlicher Organisationswissenschaft (im heutigen Sprachgebrauch: einer interdisziplinären Managementwissenschaft) suchen der wirtschaftstheoretischen Sicht Gutenbergs und seiner Anhänger zu widersprechen.
Von der bis etwa 1970 in eine fast dominierende Rolle hineinwachsenden mikroökonomisch fundierten Betriebswirtschaftslehre wenden sich viele an Absatz- und Organisationsfragen Arbeitende ab. Die über Absatz- und Organisations- (bzw. Personal- und Unternehmungsführungs-) Fragen Forschenden folgen mehrheitlich einem sozialwissenschaftlichen Basiskonzept bzw. einer interdisziplinären Managementwissenschaft: Richtungen, denen auch viele im Gebiet des Controlling Lehrende zuneigen. Die bis 1970 kaum über begriffliche Systematisierungen und Faustformeln hinausgelangte Lehre von Investition und Finanzierung wählt hingegen seit dieser Zeit eine wirtschaftstheoretische Sichtweise und baut, verstärkt ab etwa 1980, auf Kapitalmarktgleichgewichtsmodelle. Da jedoch Modelle des Konkurrenzgleichgewichts Wettbewerb als Handeln im Ungleichgewicht wegdefinieren (auf einen Nullpunkt reduzieren), gilt auch für diesen Bereich betriebswirtschaftlicher Forschung, dass sich marktwirtschaftlicher Wille mit überwiegend planwirtschaftlichem Können und dessen Überschätzung paart.
Mit der nach 1970 offenkundig werdenden Spaltung der Hochschulgemeinschaft Betriebswirtschaftslehre in gegensätzliche (entweder wirtschaftstheoretisch oder sozial- bzw. verhaltenswissenschaftlich verankerte) Denkstilgemeinschaften geht ein Auflösungsprozess der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre einher, vor allem im Hauptstudium. Ein Grund hierfür ist, dass sich in den letzten 25 Jahren die Forschung immer stärker auf Spezielle Betriebswirtschaftslehren verlagert, wobei die früheren Wirtschaftszweiglehren (vor allem: Industriebetriebslehre, Handelsbetriebslehre, Bankbetriebslehre) überwiegend durch weitaus stärker aufgegliederte Funktionslehren ersetzt werden.
Noch vor 1990 wenden sich die Bereiche Investition und Finanzierung sowie der steuer- und handelsrechtlichen Rechnungslegung einer Theorie der Institutionen innerhalb einer Wettbewerbsordnung oder auch einer Lehre vom Marktversagen zu. Die Forschungen aus der Institutionenökonomie beleben neben den seit etwa 1970 schwelenden Streitigkeiten über Ziele und Methoden betriebswirtschaftlicher Forschung das Interesse an einer Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre wieder und werden in den letzten Jahren auch in der Absatz-, Organisations- und neuerdings in der Personalwirtschaftslehre aufgegriffen.
Die institutionenökonomischen Ansätze sind inzwischen um evolutorische Sichtweisen über Marktprozesse, über Ressourcen, die anhaltende Wettbewerbsvorteile versprechen, und eine Lehre des Ausübens von Unternehmerfunktionen erweitert worden.
Literatur:
Schneider, Dieter : Betriebswirtschaftslehre Bd. 4. Geschichte und Methoden der Wirtschaftswissenschaft, München et al. 2001
Schneider, Dieter : Junger Wein in alten Schläuchen. Der frühen Universität Halles Beitrag zum Gestaltwandel des ökonomischen Denkens, in: Betriebswirtschaftliche Diskussionsbeiträge, Nr. 46, hrsg. v. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Halle a.d. Saale 2002
|