Produkt- und Prozessentwicklung
Inhaltsübersicht
I. Begriff und Inhalt von Produkt- und Prozessentwicklung
II. Phasenkonzepte des Entwicklungsprozesses
III. Planung und Organisation des Entwicklungsprozesses
IV. Schnittstellen von Produkt- und Prozessentwicklung
I. Begriff und Inhalt von Produkt- und Prozessentwicklung
Unter Entwicklung werden alle Unternehmensaktivitäten subsumiert, die unter mittel- oder unmittelbarer Ausnutzung von Ergebnissen der Grundlagenforschung und/oder der angewandten Forschung auf die anwendungsorientierte Umsetzung neuer technischer und/oder marktbezogener Erkenntnisse und Ideen gerichtet sind (BMFT, 1982). Nach dem Gegenstand richtet sich die Entwicklungstätigkeit auf die Schaffung neuer oder die Verbesserung vorhandener Produkte (Produktentwicklung) und/oder Herstellungsprozesse (Prozessentwicklung, Verfahrensentwicklung); der Begriff des Produktes umfasst dabei sowohl Sachgüter als auch Dienstleistungen. Die unternehmerische Aufgabe der Produkt- und Prozessentwicklung wird darin gesehen, den Wettbewerbserfolg der Unternehmung durch die Erarbeitung und Bereitstellung markt-, zeit- und kostengerechter neuer Lösungen sicherzustellen (Picot, A./Reichwald, R./Nippa, M. 1988).
Trotz intensiver wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit den betrieblichen Aufgaben Produkt- und Prozessentwicklung findet sich in der einschlägigen Fachliteratur kein eindeutiges Verständnis zum Inhalt (Brockhoff, K. 1993; Kern, W./Schröder, H.-H. 1977; Siegwart, H 1974). Drei unterschiedliche Sichtweisen herrschen vor (vgl. Abb. 1):
Abb. 1: Auffassungen zur inhaltlichen Abgrenzung von Produkt- und Prozessentwicklung
- | Produkt- und Prozessentwicklung i.w.S. umfasst den gesamten Prozess von der Ideenfindung bis zur Mitwirkung bei der Markteinführung eines neuen Produktes bzw. der Produktionseinführung eines neuen Herstellungsprozesses. Neben technischen Aspekten beinhaltet Produkt- und Prozessentwicklung demgemäß auch markt- und produktionsorientierte Tätigkeiten (Kern, W./Schröder, H.-H. 1977; Siegwart, H 1974). | - | Produkt- und Prozessentwicklung i.e.S. umfasst die eigentliche Problemlösungsphase, d.h. die Spezifikation, Planung und Organisation sowie die Durchführung der technischen Entwicklung bis zur Vorbereitung der Produktions- und/oder Markteinführung (Kramer, F. 1987; Rupp, M. 1988). | - | Produkt- und Prozessentwicklung im technischen Sinn beinhaltet lediglich die technische Durchführung der Entwicklungsarbeiten (Mellerowicz, K. 1958; Myers, S./Marquis, D. G. 1969). |
Die im Maschinenbau mit der Produkt- und Prozessentwicklung i.A. verbundene Tätigkeit der Konstruktion wird mit Entwicklung gleichgesetzt (Kupsch, P. U./Marr, R./Picot, A. 1991) oder als Teilaufgabe der Entwicklung betrachtet, die fließende Übergänge zur Produktion aufweist (Eversheim, W. 1990; Schätzle, G. 1965). Die Konstruktion kann folglich als Tätigkeit verstanden werden, die sich sowohl im Bereich der Produkt- und Prozessentwicklung als auch in der Produktion vollzieht (Staudt, E. 1993). Die Konsistenz der Informations- und Kommunikationsprozesse wird durch CAD- und CAE-, CAM- und CIM-Systeme sichergestellt.
Unterschiedliche Sichtweisen existieren zum Verhältnis von Produkt- und Prozessentwicklung und Innovation. Im Sinne eines umfassenden Innovationsverständnisses sind Produkt- und Prozessentwicklung als Teil des Innovationsprozesses zu verstehen. Innovationen i.e.S. dagegen schließen sich als Markteinführung an die Produkt- und Prozessentwicklung an (Brockhoff, K. 1994).
Problematisch ist auch die Abgrenzung zwischen Produkt- und Prozessentwicklung: Der generell enge Zusammenhang von Produkt- und Prozessentwicklung führt zu diffusen Auffassungen (Backhaus, K./Zoeten, R. de 1992).
Eine systematische Betrachtung der Abgrenzungsproblematik muss unter verschiedenen Aspekten erfolgen:
- | In Abhängigkeit von der in der Unternehmung vorherrschenden Technik ist eine Abgrenzung u.U. überhaupt nicht möglich, weil ein neues Produkt nur mittels eines neuen Verfahrens produziert werden kann (z.B. Verfahrenstechnik bei der Herstellung von Fließgütern in der Chemie-, Pharmazie- oder Lebensmittelfabrikation sowie Energietechnik bei der Erzeugung von Nutzenergie) (Kern, W./Schröder, H.-H. 1977). Aus dieser Perspektive kann Prozessentwicklung unter dem Begriff Produktentwicklung subsumiert werden (Siegwart, H 1974). Für Fertigungstechniken, die auf die Herstellung von Stückgütern gerichtet sind oder für neue Dienstleistungen erscheint hingegen eine differenzierte Betrachtung von Produkt- und Prozessentwicklung möglich und sinnvoll. | - | Neben dieser rein technischen Zuordnung ist es allerdings notwendig, übergeordnete Aspekte zu betrachten (Hauschildt, J. 1993). Unter dem Zielaspekt sind Prozessentwicklungen neuartige Faktorkombinationen, die dem Ziel einer effizienteren Herstellung eines bestimmten Produktes dienen. Bei der Produktentwicklung geht es hingegen nicht nur um eine effizientere Kombination der Produktionsfaktoren, sondern um eine Verwertung des Entwicklungsergebnisses am Markt (Effektivitäts- und Effizienzziel). | - | Unter dem Aspekt der Umsetzung der Entwicklungsergebnisse sind Prozessentwicklungen unternehmensintern, Produktentwicklungen im Vergleich dazu vorrangig unternehmensextern orientiert. |
Produkt- und Prozessentwicklungsaufgaben zeichnen sich durch eine Reihe von konstitutiven Merkmalen aus (Geschka, H. 1970; Hauschildt, J. 1993; Picot, A./Reichwald, R./Nippa, M. 1988; Thom, N. 1980):
1. | Produkt- und Prozessentwicklungen sind erst- und einmalig zu lösende Aufgaben. Der Neuheitsgrad charakterisiert den Umfang der Abweichung von der bisherigen Lösung. | 2. | Produkt- und Prozessentwicklungsaufgaben sind durch interdependente technische, marktbezogene, ökonomische, ökologische, organisatorische und soziale Teilaufgaben gekennzeichnet. Der Komplexitätsgrad erfasst die Vielzahl und Vielfalt der Teilaufgaben ebenso wie die der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen. | 3. | Über den Erfolg der Entwicklungsarbeit besteht hinsichtlich Dauer und Ressourcenverbrauch Unsicherheit (interne Unsicherheit). Das Ausmaß der Erreichung wirtschaftlicher Ziele ist ebenfalls unsicher (externe Unsicherheit). Die Variabilität der Entwicklung beschreibt das Ausmaß und die Vorhersehbarkeit von Änderungen während des Prozesses der Aufgabenlösung, die aus dieser Unsicherheit resultieren. | 4. | Der Grad der Unstrukturiertheit der Aufgabenstellung und deren Kompliziertheitsgrad bestimmen die Vorhersagbarkeit des Eintretens der sachlichen Entwicklungsergebnisse sowie des Zeit- und Ressourcenbedarfs der Entwicklungsarbeit. |
Der Ausprägungsgrad der einzelnen Merkmale, der von bestimmendem Einfluss auf die Planung und Organisation des Entwicklungsprozesses ist, nimmt von der Neuentwicklung über die Weiterentwicklung hin zur Nachentwicklung (Imitation) ab.
II. Phasenkonzepte des Entwicklungsprozesses
Produkt- und Prozessentwicklungen sind iterative Prozesse, die oft als temporäre Folge sich wechselseitig beeinflussender Phasen beschrieben werden. Die Phaseneinteilung beruht auf der Annahme, dass bestimmte Aktivitäten in jedem Entwicklungsprozess (meist) mehrfach auftreten und gleichartige Aktivitäten gebündelt werden können, sowie der These, dass eine sachlich zwingende oder vorteilhafte Reihenfolge der Entwicklungsaktivitäten existiert (Hauschildt, J./Petersen, K. 1987). Allerdings dürfen solche Phasenbeschreibungen des Entwicklungsprozesses nicht als sequenzieller Ablauf verstanden werden: Feedback-Schleifen im Entwicklungsprozess (Hansen, R. A./Kern, W. 1992) sind ebenso möglich wie die simultane Durchführung von Teilaktivitäten verschiedener Phasen.
In der wissenschaftlichen Literatur werden zahlreiche Varianten von Phasenkonzepten des Entwicklungsprozesses vorgeschlagen (s. dazu die Übersichten bei Petersen, K. 1988; Thom, N. 1980), die zumeist auf die (konstruktive) Produktentwicklung – ggf. mit verbundener Entwicklung der Fertigungsprozesse – abstellen (Koppelmann, U. 1993; Kramer, F. 1987); die Prozessentwicklung selbst ist eher selten Gegenstand der Betrachtung (Sabisch, H. 1991). Als gängig kann das in Abb. 2 dargestellte Phasenkonzept der Produkt- bzw. Prozessentwicklung i.e.S. gelten.
Abb. 2: Phasenkonzept der konstruktiven Produkt- bzw. verfahrenstechnischen Prozessentwicklung i.e.S.
Im Produktentwicklungsprozess werden in der Phase der Produktspezifikation technische Leistungsparameter und Funktions- und Gestaltungsprinzipien, wirtschaftliche Faktoren (z.B. Herstell-, Vertriebs- und Instandhaltungskosten), formale Faktoren, wie z.B. Bauhöhe oder Bodenflächenbedarf (Siegwart, H 1974), sowie ökologische, ethische und gesetzliche Anforderungen an das zu entwickelnde Produkt formuliert. Neben den Gestaltungsanforderungen werden die zur Verfügung stehenden Ressourcen und der Zeitplan sowie die Aufbau- und Ablauforganisation festgelegt und im Pflichtenheft (Lastenheft) verbindlich fixiert.
In der Phase der konstruktionstechnischen Entwicklung werden die Anforderungen unter Anwendung konstruktiver Gestaltungsprinzipien, wie Normung, Typung und Modularisierung (Siegwart, H 1974) in ein konkretes, technisch funktionierendes Produkt umgesetzt. Dabei werden wesentliche Entscheidungen zur fertigungstechnischen Ausgestaltung sowie zur Betriebsmittelkonstruktion getroffen (Eversheim, W. 1993). Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind die Termin- und Kosteneinhaltung zu überwachen sowie aktuelle Umweltinformationen (Kundenforderungen, Verhalten der Mitbewerber, neue Gesetze) hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die Ziele der Produktentwicklung zu prüfen.
In der Phase des Prototypenbaus wird auf der Grundlage der konstruktionstechnischen Unterlagen im Versuchsbau/Musterbau oder in Einzelfertigung neben der laufenden Produktion der Prototyp als erste konkrete Ausführung des neuen Produktes gefertigt (Kramer, F. 1987). Der Bau eines Prototypen dient dem Nachweis der prinzipiellen Realisierbarkeit der konstruktiven Lösung, der Ermittlung ihrer technischen Eigenschaften und dem Aufspüren von Mängeln. Er kann durch das Verfahren des Rapid Prototyping beschleunigt werden, bei dem die Formgebung des Werkstücks im Unterschied zur konventionellen spanenden Verformung nicht durch Materialabtrag, sondern durch rechnergestütztes schichtenweises Hinzufügen von Material oder durch dessen Umwandlung vom flüssigen oder pulverförmigen in den festen Zustand erfolgt (König, W./Eversheim, W./Celi, I. et al. 1993). Rapid Prototyping ermöglicht die Simulation von Produkten und deren Funktionen; es kann zur Optimierung der Produktfunktionen ebenso beitragen wie zur Reduzierung von Entwicklungszeiten und -kosten.
Die Prototypen werden Produkt- bzw. Konstruktionstests unterzogen, bis die technisch und wirtschaftlich optimale Lösung gefunden ist.
Bei komplexen Produktentwicklungen kann es zur schnellen Produktionsreife vorteilhaft sein, Pilotfertigungen einzurichten. Sie dienen dazu, Produkte und Prozesse durch umfassende Tests der Produkt- und Prozessparameter unter fertigungsnahen Bedingungen über längere Zeit serienreif zu machen. Die Testergebnisse liefern Informationen zur Vervollkommnung der Produkte und zur Optimierung der Prozesse. Weist die Produktentwicklung einen sehr hohen Neuheitsgrad auf und ist sie mit neuen Herstellungsverfahren verbunden, kann die Pilotfertigung in speziell errichteten Pilotfabriken erfolgen (Wildemann, H. 1993).
Die vor der eigentlichen Produktionsaufnahme im größeren Umfang verfügbaren Produkte sind in Form der Pilot- oder Nullserie eine günstige Ausgangsbasis für Markttests (Brockhoff, K. 1993) und können bereits vorab ökonomische Ergebnisse erzielen. Entsprechen die im Produkt- und Markttest erreichten Ergebnisse den im Pflichtenheft formulierten Anforderungen, so kann die Entscheidung zur Produktions- und Markteinführung getroffen werden.
Ein ähnlicher Verlauf zeigt sich für die verfahrenstechnische Prozessentwicklung. In der Phase der Aufgabenspezifikation werden die Anforderungen an das neue Verfahren im Pflichtenheft festgelegt. Dieses beinhaltet – wie bei der Produktentwicklung – neben verfahrenstechnischen und Leistungsparametern (z.B. Einsatzstoffe, Ausbeute und Reinheitsgrad) wirtschaftliche Faktoren, wie z.B. Betriebs-, Personal- und Instandhaltungskosten, sowie formale, ökologische, ethische und gesetzliche Anforderungen. Darüber hinaus erfolgen die Zeit- und Ressourcenplanung sowie die Planung der organisatorischen Einordnung der Prozessentwicklung.
Im Anschluss an die Phase der verfahrenstechnischen Entwicklung, in der die Einsatzstoffe, ihre Zusammensetzung und ihr Zusammenwirken in Form der verfahrenstechnischen Lösung beschrieben werden, wird deren prinzipielle Realisierbarkeit und Reproduzierbarkeit experimentell in Versuchsreihen zunächst im Labormaßstab nachgewiesen (Brockhoff, K. 1994; Sabisch, H. 1991). So können Stoffumsetzung und Reaktionsbedingungen, wie z.B. Energiezufuhr oder Qualität der Einsatzstoffe oder die Anordnung der Versuchsapparatur, unter technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimiert werden. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind im Entwicklungsprozess vor allem Termine und Kosten zu überwachsen sowie aktuelle Informationen (z.B. veränderte Qualitätsanforderungen, neue technologische Entwicklungen oder gesetzliche Bestimmungen) hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die Ziele der Prozessentwicklung auszuwerten.
Die Weiterführung der Verfahrensentwicklung bis zur Produktionsreife erfordert nach erfolgreichem Labortest in der nächsten Phase einen im Test vergrößerten Maßstab, da die Erweiterung des Maßstabs bei Fließtechnologien zu veränderten Reaktionen der Einsatzstoffe führen kann. Zur Simulation der Produktionsbedingungen werden Pilotanlagen gebaut, die es ermöglichen, Verfahrensmängel zu beseitigen und das Erreichen der technischen und wirtschaftlichen Entwicklungsziele zu kontrollieren. Sind die Testergebnisse zufrieden stellend, so kann über die Einführung des neu entwickelten Verfahrens in die produktive Nutzung entschieden werden.
Produkt- und Prozessentwicklung sind mit einer Vielzahl von Einzelaktivitäten verbunden, die eine Planung des Entwicklungsprozesses erforderlich machen. Aufgrund des langen Vorausschauzeitraumes und der internen und externen Unsicherheit trägt die Planung von Produkt- und Prozessentwicklungen stochastischen Charakter (Brockhoff, K. 1994). Inhaltlich umfasst die Planung von Produkt- und Prozessentwicklung verschiedene Teilbereiche:
1. | Die Planung der Sachziele beinhaltet die Festlegung der Leistungs-, Gestaltungs- und Prozessparameter. | 2. | Die Struktur- und Ablaufplanung dient der Gliederung der Entwicklungsaufgabe in plan- und steuerbare Teilaufgaben und deren ablauforganisatorischer Ordnung. Spezielle Anforderungen an die Ablaufplanung stellt die Versuchsplanung. | 3. | Mit der Terminplanung werden die Ecktermine sowie die Bearbeitungsdauer von Entwicklungsaktivitäten fixiert. | 4. | Die Ressourcenplanung hat die Personal-, Sachmittel- und Raumplanung zum Inhalt. | 5. | Mithilfe der Kostenplanung erfolgt die betriebswirtschaftliche Bewertung der Entwicklungsaktivitäten. |
Die Planung der Produkt- und Prozessentwicklung ist integraler Bestandteil des Entwicklungs-Controlling, d.h. die Planung wird nicht nur als der Entwicklung vorgelagerte Aktivität, sondern als entwicklungsbegleitender Prozess der Planung, Steuerung und Kontrolle verstanden (Arbeitskreis Integrierte Unternehmensplanung, 1988). Die als Ergebnis der Planung ermittelten Zielsetzungen für das Entwicklungsprojekt werden im Pflichtenheft (Lastenheft) festgehalten (Rupp, M. 1988).
Zur Unterstützung der Produkt- und Prozessentwicklungsplanung steht ein umfangreicher Methoden-Pool zur Verfügung (Brockhoff, K 1994; Kupsch, P. U./Marr, R./Picot, A. 1991; Platz, J./Schmelzer, H. J. 1988), der von einfachen Check-Listen über Balkendiagramme bis zur computergestützten Netzplantechnik reicht. Eine hohe Mitarbeitermotivation und eine bessere Kontrollfähigkeit des Entwicklungsprozesses werden durch die Ergänzung der genannten Methoden um die Meilenstein-Trendanalyse erreicht, die wichtige Entwicklungsetappen markiert (Madaus, B. J. 1984; Platz, J./Schmelzer, H. J. 1986).
Institutionalisiert wird die Produkt- und Prozessentwicklung in der Unternehmung in Entwicklungsabteilungen oder -bereichen. Die aufbauorganisatorische Gestaltung dieser Einheiten kann verschiedenen Konzepten folgen; grundsätzlich kann zwischen prinzipiell zentral oder dezentral organisierten Entwicklungsbereichen unterschieden werden (Kern, W./Schröder, H.-H. 1977).
Zentralisation der Entwicklungsarbeit durch eine Stabsabteilung Forschung und Entwicklung auf der Ebene der Unternehmensleitung oder durch eine Hauptabteilung F&E neben anderen Funktionalbereichen ist i.d.R. durch eine hohe arbeitsteilige Spezialisierung und zahlreiche Hierarchieebenen charakterisiert. Daraus können Probleme für das Schnittstellenmanagement bei verbundenen Produkt- und Prozessentwicklungen erwachsen, die zur Einschränkung der Flexibilität führen und hinderlich für die Verkürzung von Entwicklungszeiten und die Verringerung von Entwicklungskosten sind (Schmelzer, H. J. 1993).
Im Fall vollständiger Dezentralisierung werden i.d.R. die Produktentwicklung dem Absatzbereich und die Prozessentwicklung dem Produktionsbereich zugeordnet, was die Koordination von Schnittstellen zwischen beiden Prozessen ebenfalls erschwert. Abhilfe können zentrale Stabsstellen (bei Übernahme der Koordinationsfunktion) oder »Steering Committees« (Redel, W. 1982) schaffen.
Neben diesen reinen Formen existieren in der Praxis häufig Mischformen (Brockhoff, K. 1989).
Schwächen der Aufbauorganisation können durch projektorientierte Formen der Zusammenarbeit ausgeglichen werden. Projektmanagement kann die interdisziplinären, komplexen und kreativen Entwicklungsprozesse (Platz, J./Schmelzer, H. J. 1986) unterstützen und günstige Voraussetzungen für kurze Entwicklungszeiten schaffen.
Zur personalen Steuerung der Produkt- und Prozessentwicklung haben sich – wie empirische Untersuchungen zeigen (Hauschildt, J./Chakrabarti, A. 1988; Witte, E./Hauschildt, J./Grün, O. 1988) – sog. »Promotoren-Gespanne« bewährt. Diese bestehen aus dem Machtpromotor, d.h. einer Führungskraft, die die erforderliche hierarchische Unterstützung sicherstellt, dem Fachpromotor, der über objektspezifisches Fachwissen verfügt, und ggf. dem Prozesspromotor mit Organisationskenntnis, der die Verbindung zwischen Macht- und Fachpromotor herstellt.
Neben der eigenständigen Produkt- und Prozessentwicklung in der Unternehmung spielen unter dem Aspekt der Kosten- und Risikominimierung bilaterale Entwicklungskooperationen zwischen Unternehmungen der gleichen Branche häufig eine wichtige Rolle (Rotering, Ch. 1990; Töpfer, A. 1986). Diese können in Form von strategischen Allianzen und Gemeinschaftsprojekten oder als speziell gegründete Gemeinschaftsunternehmen (Joint Ventures) in Erscheinung treten (Hauschildt, J. 1993).
In den letzten Jahren sind neben bilaterale Entwicklungskooperationen Unternehmensnetzwerke getreten, denen eine zunehmende Bedeutung für die effiziente Gestaltung von Produkt- und Prozessentwicklungsaufgaben zugeschrieben wird (Sydow, J. 1992). Unternehmensnetzwerke entstehen bspw. durch eine enge Zusammenarbeit bei Entwicklungsprojekten mit Lieferanten, Kunden oder Wettbewerbern, die bis zur Ausgliederung von Entwicklungsbereichen in eigenständige, zum Netzwerksverbund gehörende Unternehmungen reichen kann. Der Zusammenschluss von Unternehmungen zur Durchführung gemeinsamer Entwicklungsprojekte erschließt wirtschaftliche Vorteile zum einen durch die Möglichkeit für die beteiligten Unternehmungen, sich stärker auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren (»systemische Rationalisierung«), zum anderen durch die Senkung von Entwicklungszeiten und -kosten im Vergleich zu Eigenentwicklungen (Sydow, J. 1992).
Kennzeichen erfolgreicher Netzwerke, die i.d.R. nicht auf den Horizont einer Entwicklungsaufgabe fixiert, sondern längerfristig orientiert sind, ist eine enge informationelle – zunehmend auch informationstechnische – Vernetzung zwischen den Partnern des Entwicklungsnetzwerkes mit überregionaler und internationaler Reichweite (Hahn, R./Gaiser, A./Heraud, J.-A. et al. 1995). Empirische Untersuchungen belegen, dass im Mittelpunkt der Informationsbeziehungen Produktneuentwicklungen stehen, gefolgt von Produkt- und Prozessverbesserungen. Eine eher untergeordnete Rolle spielt der Informationsaustausch bei der Entwicklung von neuen Fertigungsverfahren (Herden, R. 1992).
IV. Schnittstellen von Produkt- und Prozessentwicklung
Produkt- und Prozessentwicklungen weisen prozessbezogen interne und externe Schnittstellen auf:
- | Externe Schnittstellen bestehen zu anderen in der Unternehmung bearbeiteten Entwicklungsaufgaben, anderen betrieblichen Aufgabenbereichen und externen Partnern bei Kooperationsprojekten (Brockhoff, K. 1989; Brockhoff, K./Hauschildt, J. 1993; Gerpott, T. J. 1991). | - | Interne Schnittstellen ergeben sich aus der inhaltlichen Verzahnung von Produkt- und Prozessentwicklung aufgrund von wechselseitigen Input-/Outputbeziehungen beim Austausch von Zwischenergebnissen der Entwicklungsarbeit. Ist bei verfahrenstechnischen Entwicklungen der neu entwickelte Prozess unmittelbar mit einem neuen Produkt verbunden, so handelt es sich um eine integrierte Entwicklung, bei der eine Optimierung der Leistungs- und Wirtschaftlichkeitsparameter der Herstellungsverfahren direkt an die Produktparameter gebunden ist. Interne Schnittstellen sind in diesem Fall nicht zu gestalten. Anders stellt sich die Frage der internen Schnittstellengestaltung bei konstruktiven und sonstigen Produkt- oder Prozessentwicklungen dar, bei denen eine klare Trennung von Produkt und Herstellungsprozess gegeben ist. |
Abb. 3 zeigt drei Typen der Verknüpfung von Produkt- und Prozessentwicklung, die unterschiedliche Anforderungen an die Schnittstellengestaltung stellen:
Abb. 3: Grundtypen des Zusammenhangs von Produkt- und Prozessentwicklung unter Beachtung des Neuheitsgrades
- | Grundtyp 1 beinhaltet die Entwicklung einer neuen Prozesstechnologie ohne Produktveränderung. In diesem Fall steht die optimale Abstimmung der mit der Prozessentwicklung verbundenen Veränderungen auf das bestehende Produktprogramm im Vordergrund. Die Einhaltung oder Verbesserung der Produktqualität ist Bewertungskriterium zwischen Alternativen der Prozessentwicklung. | - | Für Grundtyp 2 stecken die vorhandenen fertigungstechnischen Möglichkeiten den Zulässigkeitsbereich für die Produktentwicklung ab. Die Parameter der Fertigungsprozesse sind Datum für die Produktentwicklungsaufgabe. | - | Der größte Gestaltungsbedarf besteht bei Grundtyp 3 zwischen inhaltlich verzahnten Produkt- und Prozessentwicklungsprojekten. |
Jede Schnittstelle zwischen Produkt- und Prozessentwicklung erhöht den Koordinationsbedarf, kostet Zeit, schafft Informationsverluste und bremst den Entscheidungsprozess. Als besonders problematisch erweisen sich Schnittstellen, die mit Verantwortungswechsel und konkurrierenden Interessen verbunden sind (Schmelzer, H. J. 1993).
Der Schnittstellengestaltung kommt aus Wirtschaftlichkeitsgründen eine hohe Bedeutung zu. Sie stellt aber u.U. auch einen Wettbewerbsvorteil dar: Die enge Verzahnung von Produkt- und Prozessentwicklung führt zu fertigungsorientierten Neuprodukten, die spezifisches, von der Konkurrenz nur schwer nachzuahmendes Know-how darstellen (Gerpott, T. J./Wittkemper, G. 1991), das von Entwicklungsbeginn an auf eine kostengünstige Produzierbarkeit des neuen Produktes ausgerichtet ist (Whitney, D. E. 1988).
Um eine enge Verzahnung von Produkt- und Prozessentwicklung zu erreichen, können verschiedene Wege (gleichzeitig) beschritten werden (Gerpott, T. J./Wittkemper, G. 1991; Hanssen, R. A./Kern, W. 1992; Reichwald, R./Schmelzer, H. J. 1990):
- | Die Produkt- und Prozessentwicklungsaufgaben einschließlich bestehender Teilaufgaben sollten hinsichtlich ihrer technischen, terminlichen und wirtschaftlichen Ziele so aufeinander abgestimmt werden, dass sie zur optimalen Gesamtlösung für die Unternehmung führen. Diese inhaltliche Abstimmung ermöglicht, wenn sie in der frühen Phase Aufgabenspezifikation, Planung und Organisation der Entwicklung stattfindet, über das Pflichtenheft eine zielgerichtete Integration von Produkt- und Prozessentwicklung. | - | Das Überlappen und Kombinieren von Teilaufgaben der Produkt- und Prozessentwicklung bis hin zur simultanen Durchführung der Entwicklungsaufgaben führt zur Verkürzung der Entwicklungsdauer der integrierten Aufgabenlösung. | - | Möglichkeiten des wechselseitigen Ideenaustausches und der Verwendung gleicher Lösungsprinzipien oder Moduln vermeiden Doppelarbeit und verbessern die Integration und Synchronisation von Produkt- und Prozessentwicklung. | - | Die Beschleunigung von Vorgängen und der Austausch von Ergebnissen wird durch interaktive Arbeit unter Einsatz von Informations- und Kommunikationssystemen möglich. |
Die optimale Abstimmung von Produkt- und Prozessentwicklung kann durch die Bildung von integrierten, interdisziplinär zusammengesetzten Teams unterstützt werden (Gerpott, T. J. 1990). Derartige Teams mit Experten aus dem Bereich Produkt- und Prozessentwicklung und anderen tangierten betrieblichen Bereichen können dazu beitragen, das traditionell in hierarchischen Organisationen vorhandene Ressortdenken, das an einer sequenziellen Arbeitsweise und der Übergabe von Entwicklungsergebnissen erst nach Fertigstellung orientiert ist, durch eine integrierte Arbeitsweise zu überwinden.
Literatur:
„ Arbeitskreis Integrierte Unternehmensplanung “ , : Integrierte Forschungs- und Entwicklungsplanung, in: ZfbF, 1986, S. 351 – 382
Backhaus, K./Zoeten, R. de : Organisation der Produktentwicklung, in: HWO, hrsg. v. Frese, E., 2. A., Stuttgart 1992, Sp. 2024 – 2039
BMFT, : Die Messung wissenschaftlicher und technischer Tätigkeiten – Allgemeine Richtlinien für statistische Übersichten in Forschung und experimenteller Entwicklung, Frascati-Handbuch 1980, Übersetzung, Bonn 1982
Brockhoff, K. : Schnittstellenmanagement, Stuttgart 1989
Brockhoff, K. : Produktpolitik, 3. A., Stuttgart et al. 1993
Brockhoff, K. : Forschung und Entwicklung, Planung und Kontrolle, 4. A., München et al. 1994
Brockhoff, K./Hauschildt, J. : Schnittstellen-Management – Koordination ohne Hierarchie, in: ZfO, 1993, S. 396 – 403
Eversheim, W. : Organisation in der Produktionstechnik, Bd. 2, Konstruktion, 2. A., Düsseldorf 1990
Gerpott, T. J. : Simultaneous Engineering, in: DBW, 1990, S. 399 – 400
Gerpott, T. J./Wittkemper, G. : Verkürzung von Produktentwicklungszeiten, in: Integriertes Technologie- und Innovationsmanagement, hrsg. v. Booz, Allen & Hamilton, , Berlin 1991, S. 119 – 150
Geschka, H. : Forschung und Entwicklung als Gegenstand betrieblicher Entscheidungen, Meisenheim a.Gl. 1970
Hahn, R./Gaiser, A./Heraud, J.-A. : Innovationstätigkeit und Unternehmensnetzwerke, in: ZfB, 1995, S. 247 – 266
Hanssen, R. A./Kern, W. : Integrationsmanagement für neue Produkte, Düsseldorf et al. 1992
Hauschildt, J. : Innovationsmanagement, München 1993
Hauschildt, J./Chakrabarti, A. : Arbeitsteilung im Innovationsmanagement – Forschungsergebnisse, Kriterien und Modelle, in: ZfO, 1988, S. 378 – 388
Hauschildt, J./Petersen, K. : Phasen-Theorem und Organisation komplexer Entscheidungsverläufe – weiterführende Untersuchungen, in: ZfbF, 1987, S. 1043 – 1062
Herden, R. : Technologieorientierte Außenbeziehungen im innerbetrieblichen Innovationsmanagement, Heidelberg 1992
Kern, W./Schröder, H.-H. : Forschung und Entwicklung in der Unternehmung, Reinbek 1977
König, W./Eversheim, W./Celi, I. : Rapid Prototyping – Bedarf und Potentiale, in: VDI-Z, Nr. 8/1993, S. 92 – 97
Koppelmann, U. : Produktmarketing, 4. A., Berlin et al. 1993
Kramer, F. : Innovative Produktpolitik, New York et al. 1987
Kupsch, P. U./Marr, R./Picot, A. : Innovationswirtschaft, in: Industriebetriebslehre, hrsg. v. Heinen, E., 9. A., Wiesbaden 1991, S. 1069 – 1156
Madauss, B. J. : Projektmanagement, München 1984
Mellerowicz, K. : Forschungs- und Entwicklungstätigkeit als betriebswirtschaftliches Problem, Freiburg i.Br. 1958
Myers, S./Marquis, D. G. : Successful Industrial Innovations, Washington D.C. 1969
Petersen, K. : Der Verlauf individueller Entscheidungsprozesse, Frankfurt a.M. et al. 1988
Picot, A./Reichwald, R./Nippa, M. : Zur Bedeutung der Entwicklungsaufgabe für die Entwicklungszeit, in: Zeitmanagement in Forschung und Entwicklung, ZfbF-Sonderheft 23, hrsg. v. Brockhoff, K./Picot, A./Urban, Ch., Düsseldorf 1988, S. 112 – 137
Platz, J./Schmelzer, H. J. : Projektmanagement in der industriellen Forschung und Entwicklung, Berlin et al. 1986
Redel, W. : Kollegienmanagement – Effizienzaussagen über Einsatz und interne Gestaltung betrieblicher Kollegien, Bern et al. 1982
Reichwald, R./Schmelzer, H. J. : Durchlaufzeiten in der Entwicklung, München 1990
Rotering, Ch. : Forschungs- und Entwicklungskooperationen zwischen Unternehmen, Stuttgart 1990
Rupp, M. : Produkt/Markt-Strategien, 3. A., Zürich 1988
Sabisch, H. : Produktinnovationen, Stuttgart 1991
Schätzle, G. : Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, Köln et al. 1965
Schmelzer, H. J. : Zeitmanagement in der Produktentwicklung, in: F&E-Management, hrsg. v. Domsch, M./Sabisch, H./Siemers, S., Stuttgart 1993, S. 119 – 135
Schmelzer, H. J./Buttermilch, K.-H. : Reduzierung der Entwicklungszeiten in der Produktentwicklung als ganzheitliches Problem, in: Zeitmanagement in Forschung und Entwicklung, ZfbF-Sonderheft 23, hrsg. v. Brockhoff, K./Picot, A./Urban, Ch., Düsseldorf 1988, S. 43 – 73
Siegwart, H. : Produktentwicklung in der industriellen Unternehmung, Bern et al. 1974
Staudt, E. : Forschung und Entwicklung, in: HWB, Bd. I, hrsg. v. Wittmann, W./Kern, W./Köhler, R. et al., 5. A., Stuttgart 1993, Sp. 1185 – 1198
Stock, U. : Das Management von Forschung und Entwicklung, München 1990
Sydow, J. : Strategische Netzwerke – Evolution und Organisation, Wiesbaden 1992
Thom, N. : Grundlagen des betrieblichen Innovationsmanagements, 2. A., Königstein/Ts. 1980
Töpfer, A. : Innovationsmarketing, in: Das Management von Innovationen, hrsg. v. Staudt, E., Frankfurt a.M. 1986, S. 544 – 560
Whitney, D. E. : Manufacturing by Design, in: HBR, Nr. 4/1988, S. 83 – 91
Wildemann, H. : Organisation der Produktion, in: HWB, Bd. II, hrsg. v. Wittmann, W./Kern, W./Köhler, R. et al., 5. A., Stuttgart 1993, Sp. 3388 – 3404
Witte, E./Hauschildt, J./Grün, O. : Innovative Entscheidungsprozesse, Tübingen 1988
|