Materialwirtschaft
Inhaltsübersicht
I. Die materialwirtschaftliche Konzeption
II. Die materialwirtschaftlichen Institutionen
III. Die materialwirtschaftlichen Aufgaben und Instrumente
IV. Künftige Entwicklungen in der Materialwirtschaft
I. Die materialwirtschaftliche Konzeption
In Europa erkannte Erwin Grochla Ende der 1950er-Jahre die Bedeutung der Materialwirtschaft als unternehmerische Funktion. Schrittweise baute er sein Konzept bis zur »integrierten Materialwirtschaft« aus (Grochla, E. 1990). Er hat damit in Wissenschaft und Praxis entscheidend dazu beigetragen, dass die Materialwirtschaft als Erfolgspotenzial neben den übrigen Unternehmensfunktionen erkannt und systematisch entwickelt wurde. Grochlas Konzept wurde inzwischen erweitert und vertieft, indem der Katalog der Beschaffungsgüter ausgeweitet und die materialwirtschaftlichen Funktionen um Teilbereiche der Logistik und Entsorgung ergänzt wurden.
Materialwirtschaft ist somit eine betriebliche Funktion, die gleichgewichtig neben den Funktionen Produktion und Absatz zu sehen ist und in der Ausprägung der integrierten Materialwirtschaft den Aufgaben- und Funktionsumfang der traditionell als dritte Funktion genannten Beschaffung bei weitem übersteigt.
Logistik ist im Gegensatz dazu eine Querschnittsfunktion, die ausgehend vom Warenfluss das Wertschöpfungssystem eines Unternehmens bereichsübergreifend koordiniert. Die traditionelle Materialwirtschaft beschränkt sich auf Beschaffungs- und Lagerungsaufgaben unter Einschluss der Material- und Lagerverwaltung und klammert den Materialfluss aus (Krycha, K.-T. 1986). Im Konzept der erweiterten Materialwirtschaft wird die Funktion Verteilen eingeschlossen, und es treten zusätzliche innerbetriebliche logistische Prozesse hinzu, die das gesamte Unternehmen umfassen (Cordts, J. 1985). In der integrierten Materialwirtschaft werden alle materialwirtschaftlichen Prozesse als logistische Versorgungs- und Entsorgungssysteme des Unternehmens nicht mehr isoliert, sondern integriert, d.h. in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit betrachtet. Nur wenn es gelingt, zwischen den Zielen des Versorgungssystems und konkurrierenden Zielen anderer Subsysteme wie Produktion und Absatz das Optimum zu finden und in unternehmerische Entscheidungsprozesse einzubeziehen, kann von Integration gesprochen werden.
In der Praxis besteht die Gefahr, dass an den Schnittstellen der Subsysteme durch die Rivalität um betriebliche Ressourcen und Machtpositionen Konflikte entstehen. Es müssen zwischen Materialwirtschaft und Logistik keine organisatorischen Über- oder Unterstellungsverhältnisse bestehen. Es existieren allerdings auch Organisationsformen, in denen die betriebliche Logistik ein Subsystem der Materialwirtschaft ist (Fieten, R. 1986) und andere, in denen die Materialwirtschaft als Subsystem der Logistik dargestellt wird (Lück, W. 1984).
Im Interesse kürzerer Durchlaufzeiten, niedrigerer Kosten und höherer Servicequalität werden materialwirtschaftliche Prozesse zunehmend im weiteren Rahmen logistischer Wertschöpfungsketten entlang von Versorgung, Produktion, Absatz und Entsorgung, d.h. auch im Zusammenhang mit unternehmensübergreifenden Operationen gesehen. Die Optimierung solcher Ketten wird als Supply Chain Management bezeichnet. Pionier auf diesem Gebiet ist die Automobilindustrie.
1. Begriff der Materialwirtschaft
Der Begriff der Materialwirtschaft erfuhr in den vergangenen Jahrzehnten manchen Bedeutungswandel. Im Zusammenhang mit der Versorgung des Unternehmens mit bestimmten Gütern und Leistungen sprach man ursprünglich von »Einkauf«, später von »Beschaffung«. Anfang der 1960er-Jahre wurde aus den USA der dort gebräuchliche Begriff »materials management« als »Materialwirtschaft« – sprachlich nicht geglückt – übernommen.
Ein wichtiger Durchbruch im Hinblick auf eine weit gefasste und einheitliche Definition des Begriffs Materialwirtschaft wurde 1977 erzielt. Auf dem Kongress der IFPMM (International Federation of Purchasing and Materials Management) in Venedig wurde nach Vorarbeiten des deutschen BME (Bundesverband Materialwirtschaft und Einkauf) folgende Begriffsbestimmung beschlossen: »Die Materialwirtschaft ist das Versorgungssystem der Unternehmung vom Lieferanten bis zum Kunden über alle Wertsteigerungsstufen der Unternehmung.« (Busch, H. 1984).
Heute ist allgemein anerkannt, insbesondere auch in der Praxis, dass sich die Materialwirtschaft keineswegs nur mit »Material«, also Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen zu beschäftigen hat, sondern für die Beschaffung aller Inputgüter und -leistungen in unterschiedlichem Ausmaß verantwortlich ist. Ausnahmen sind Personen, Kapital und Rechte, auf deren Beschaffung sich eigene Stellen in den Unternehmen spezialisiert haben. Der Begriff der Materialwirtschaft ist heute mit dem umfassenderen des Versorgungs- und Entsorgungsmanagements gleichzusetzen. Dabei wird das Wort »Materialwirtschaft« sowohl für das Aufgabenfeld als auch für die Institution verwendet (Eschenbach, R. 1990; Grün, O. 1994).
2. Ziele der Materialwirtschaft
Das Oberziel der Materialwirtschaft ist die Sicherung der wirtschaftlichen Versorgung des Unternehmens mit Gütern und Leistungen. Aus diesem Oberziel lassen sich materialwirtschaftliche Sicherungsziele und Gestaltungsziele ableiten. Sicherungsziele sind unmittelbar Gegenstand der materialwirtschaftlichen Aufgabenerfüllung. Gestaltungsziele dagegen betreffen die Voraussetzungen für das Erreichen von Sicherungszielen. Dabei geht es um die Aufbau- und Ablauforganisation der betrieblichen Materialwirtschaft und ihr Zusammenwirken mit anderen Stellen im Unternehmen und mit externen Stellen (Dobler, D. W./Burt, D. N./Lee, L. Jr. 1990).
Die wichtigsten Sicherungsziele der Materialwirtschaft sind
- | Sicherung der Lieferbereitschaft. Die optimale Lieferbereitschaft ist entweder eine interne Lieferbereitschaft und betrifft die termin- und mengengerechte Bereitstellung aus unternehmensinternen Lagern oder Leistungskapazitäten oder eine externe Lieferbereitschaft durch Sicherung von Beschaffungsmärkten. | - | Sicherung der Flexibilität dient der raschen und reibungslosen Anpassung des Unternehmens an Schwankungen und Risiken des Angebots und des Bedarfs. | - | Sicherung der Qualität (d.h. den Anforderungen entsprechend) betrifft die Beschaffungsgüter und -leistungen und beeinflusst maßgebend die Kosten ihrer Verarbeitung sowie die Beschaffenheit der Absatzgüter und -leistungen. | - | Sicherung der Wirtschaftlichkeit und damit verbunden die Nutzung des Kostensenkungs- und Leistungssteigerungspotenzials der Materialwirtschaft betrifft die Beschaffung definierter Güter und Leistungen zu möglichst niedrigen Preisen und zu günstigen Konditionen. Auch die kostengünstige Abwicklung aller materialwirtschaftlichen Aufgaben gehört zu diesem Sicherungsziel. | - | Sicherung der optimalen Kapitalbindung und Liquiditätserhaltung dienen der Minimierung des in definierten Vorräten gebundenen und tatsächlich oder kalkulatorisch zu verzinsenden Kapitals bei Sicherung der Lieferbereitschaft (materialwirtschaftliches Optimum nach Grochla, E./Fieten, R./Puhlmann, M. et al. 1983). |
Zu den sachlichen Gestaltungszielen zählen
- | die Unterstützung anderer Funktionen durch Information und reibungslose Zusammenarbeit, | - | angemessene fachliche Kompetenz der Mitarbeiter der Materialwirtschaft, | - | Schaffung und Erhaltung erstrebenswerter Arbeitsplätze in der Materialwirtschaft. |
Soziale Gestaltungsziele sind
- | der Beitrag der Materialwirtschaft zum Ansehen des Unternehmens im unternehmerischen Umfeld und zum Ansehen der Materialwirtschaft im Unternehmen, | - | die persönlich befriedigende und harmonische Zusammenarbeit der Mitarbeiter innerhalb der Materialwirtschaft und mit anderen Stellen inner- und außerhalb des Unternehmens. |
3. Die Materialwirtschaft als unternehmerisches Erfolgspotenzial
Die systematische Nutzung der Materialwirtschaft als Erfolgs- und Rationalisierungspotenzial ist das Resultat materialwirtschaftlicher Profilierungsbemühungen seit den 1960er-Jahren. Gegenüber Rationalisierungspotenzialen anderer unternehmerischer Funktionen bieten die der Materialwirtschaft den Vorteil, dass Rationalisierungserfolge meist ohne beträchtliche finanzielle Vorleistungen in Gestalt von Investitionen und damit ohne zusätzliche feste Kosten und ohne Einbuße an Flexibilität errungen werden können.
Beim Erfolgspotenzial ist zwischen Ertragspotenzial, Liquiditätspotenzial und Imagepotenzial zu unterscheiden (Eschenbach, R. 1990). Dabei ist das Kostensenkungs- und Leistungssteigerungspotenzial in der Materialwirtschaft absolut und relativ meist höher als in den meisten anderen betrieblichen Bereichen. Nahezu keine Aufwands- und Ertragsposition bleibt ohne materialwirtschaftlichen Einfluss. Die Ansatzpunkte zur materialwirtschaftlichen Ertragssteigerung sind sehr vielfältig. Materialwirtschaftliche Nebenschauplätze wie die materialwirtschaftliche Kooperation, das Ersatzteilgeschäft, die Qualitätspolitik, Gegengeschäfte und die Lagerwirtschaft bieten dabei häufig höhere Erfolgschancen als die traditionelle Preis- und Konditionenpolitik.
Die Liquidität des Unternehmens wird durch die Materialwirtschaft auf folgende Weise beeinflusst: durch Steuerung der Höhe des Vorrats- und Anlagevermögens über die Vorratspolitik und durch günstige Beschaffung sowie durch Steuerung der liquiden Mittel über die Konditionenpolitik und durch günstige Entsorgung.
Die Materialwirtschaft prägt das Image des Unternehmens nach innen und nach außen entscheidend mit. Positives Image kann sich in materiellen Einkaufserfolgen niederschlagen, wenn ein Lieferant sein eigenes Image durch die Belieferung eines Kunden mit hohem Image unterstützt sieht. Negatives Image führt im Extremfall zu Versorgungsschwierigkeiten.
Abb. 1: Das Zielsystem der Materialwirtschaft
II. Die materialwirtschaftlichen Institutionen
Die Materialwirtschaft als Institution ist die Summe aller Stellen und Einrichtungen der Materialwirtschaft, die durch Informations- und Anweisungsbeziehungen miteinander verbunden sind. Art und Umfang der materialwirtschaftlichen Aufgaben bestimmen die materialwirtschaftliche Organisation, die sich flexibel wechselnden Anforderungen anpassen können muss.
Als Institution setzt sich die Materialwirtschaft aus Subinstitutionen zusammen (z.B. aus Stellen oder Abteilungen für Einkauf, Lager, Entsorgung, Rechnungsprüfung). Zusammen bilden sie den materialwirtschaftlichen Apparat oder »die Materialwirtschaft«. Die Organisation der Zusammenarbeit der materialwirtschaftlichen Institutionen untereinander, mit anderen Institutionen im Betrieb und mit Stellen außerhalb des Betriebes dient der materialwirtschaftlichen Zielerreichung.
1. Aufbau der materialwirtschaftlichen Organisation
Es ist üblich, insbesondere in der Lehre, aus methodischen und didaktischen Gründen zwischen Aufbau- und Ablauforganisation zu unterscheiden. Diese Trennung ist fragwürdig, da es sich nur um verschiedene Betrachtungsweisen ein und desselben betrieblichen Tatbestandes handelt. Durch die Aufbauorganisation wird eine klare Trennung der betrieblichen Aufgaben herbeigeführt. Auf dieser Grundlage lassen sich Aufgaben und damit Verantwortung auf einzelne Mitarbeiter (Stellen) im Betrieb delegieren.
Für die Organisation der Materialwirtschaft (Dobler, D. W./Burt, D. N./Lee, L. Jr. 1990; Grochla, E. 1982) sind folgende Ziele zu nennen: Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der Versorgungsaufgabe, Schaffung anspruchsvoller Aufgaben- und Verantwortungsbereiche, Erhöhung der Anpassungsfähigkeit der Materialwirtschaft.
Grundsätzlich können Materialwirtschaften zentral oder dezentral organisiert werden. In der Praxis wird man sich weder für das eine noch für das andere Prinzip extremer Ausprägung entscheiden, sondern das für die spezielle Aufgabenerfüllung jeweils angemessene Maß an Zentralisation oder Dezentralisation wählen.
Materialwirtschaftliche Zentralisation dient der optimalen Ausnutzung von Nachfragemacht, birgt aber die Gefahren von Bürokratisierung und in deren Gefolge Flexibilitätsverlust und hohe Kosten. Materialwirtschaftliche Dezentralisation dient der marktnahen Flexibilität, wird aber durch Verlust an Marktmacht und durch zusätzliche Kosten für den Systemzusammenhang erkauft. Unternehmen mit ausgeprägter dezentraler Organisation stehen vor der Notwendigkeit, dezentrale Entscheidungen mit den wichtigsten zentral vereinbarten Unternehmenszielen abzustimmen. Ein Unternehmen mit dezentral geprägter Organisation ist von Gruppeninteressen und Einzelinteressen bedroht. Der Zusammenhalt des Gesamtsystems und die Durchsetzung zentraler strategischer Hauptstoßrichtungen erfordern den Einsatz von Informations- und Kommunikations-Know-how.
2. Informationsbeziehungen
Die Materialwirtschaft ist zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf aktuelle, gut strukturierte und prompt greifbare Informationen angewiesen, denn nur organisiertes Wissen bedeutet Marktmacht. Neben dem üblichen unternehmensinternen Informationsaustausch spielt die Beschaffung von Informationen aus dem Unternehmensumfeld eine wichtige Rolle für die Stärkung der Wettbewerbsposition. Informationen werden entweder von außen herangetragen oder sind das Resultat systematischer Absuche des Unternehmensumfeldes. Dabei haben freiwillig erteilte Informationen seitens der Lieferanten, die in der Regel entgeltlos zu erhalten sind, den Charakter wichtiger Nebenleistungen. Die Materialwirtschaft besitzt eine Schlüsselrolle insbesondere bei der Versorgung des Unternehmens mit schwachen Signalen. Sie fungiert gleichzeitig als Sieb, das Informationen ordnet und gegebenenfalls auch aussondert.
3. Formale Rahmenbedingungen
Die Gestaltung der formalen Rahmenbedingungen dient der Absicherung der effizienten materialwirtschaftlichen Aufbau- und Ablauforganisation. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang in erster Linie Stellenbeschreibungen und Allgemeine Führungsanweisungen. Gerade die Materialwirtschaft, die für nahezu alle anderen betrieblichen Stellen dienstleistend tätig ist, ist auf transparente Verhältnisse hinsichtlich Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung angewiesen. Derartige formale Instrumente der Führungsorganisation bergen allerdings auch die Gefahr bürokratischer Erstarrung.
Die wichtigsten Verhaltensgrundsätze (Eschenbach, R. 1990) für die Gestaltung von Beziehungen zwischen dem beschaffenden Unternehmen und seinen Lieferanten sind durch folgende Stichworte gekennzeichnet: Aufrechterhaltung von Loyalität, Wettbewerb, Fairness, Vertraulichkeit sowie Vermeidung von Abhängigkeit und Abwehr von Bestechung.
Loyalität bedeutet die Wahrung der langfristigen wirtschaftlichen Vorteile des beschaffenden Unternehmens. Dabei sind die Gesetze zu wahren und die Regeln ordentlicher Kaufleute zu beachten. Wettbewerb unter Anbietern ist die Grundlage erfolgreicher Beschaffung unter den Bedingungen der Marktwirtschaft. Dazu gehört auch der Verzicht auf die Nutzung ruinösen Wettbewerbs, was insbesondere sehr große Nachfrager zu beachten haben, die eine auch volkswirtschaftliche Verantwortung tragen. Fairness allen Verhandlungs- und Vertragspartnern gegenüber bedeutet, die Regeln kaufmännischen Anstandes zu wahren, vertraulich erteilte Informationen nicht zu missbrauchen und die Mitarbeiter eines anbietenden Unternehmens nicht persönlich zu diskriminieren. Abhängigkeiten vermeiden heißt, Alternativen in der Gestaltung der Beziehungen zwischen Abnehmer und Lieferant aufrechtzuerhalten. Die Abwehr von Geschenken (Bestechungs- und Schmiergelder) seitens der Lieferanten ist ein in der Praxis schwer durchzusetzender Grundsatz. Sorgfältige Auswahl und angemessene Bezahlung der Mitarbeiter, klare Anweisungen an die eigenen Mitarbeiter, eindeutige Aussagen in einem Beschaffungshandbuch und unmissverständliches Verhalten bei Bestechungsversuchen sind die Mindestvoraussetzungen, die ein Unternehmen schaffen sollte.
III. Die materialwirtschaftlichen Aufgaben und Instrumente
Die materialwirtschaftlichen Aufgaben dienen der anforderungsgerechten, rechtzeitigen Versorgung des Unternehmens mit Gütern und Leistungen und der Entsorgung von Ab- und Anfallprodukten und nicht ausgenutzten Dienstleistungskapazitäten zu wirtschaftlich angemessenen Bedingungen. Dabei ist es Ziel der Materialwirtschaft, die Nachfragemacht durch betriebswirtschaftlichen Sachzwang in günstige Preise, Bezugskosten und Konditionen, angemessene Nebenleistungen, zuverlässige Belieferung und nachfragegerechte Qualität umzusetzen.
1. Vorbereitung des Erwerbs
Der Erwerb wird durch die Beurteilung der Beschaffungsmärkte (Beschaffungsmarktforschung) und durch die Bewertung des Nutzens der Güter und Leistungen für das beschaffende Unternehmen (Wertanalyse) vorbereitet. Beschaffungsmarktforschung (Beschaffungsmarketing) dient aktiv, systematisch und zielorientiert der Suche, Sammlung, Aufbereitung und Analyse von Informationen über Beschaffungsmärkte, -güter und -leistungen. Im Einzelnen dient sie der Suche nach leistungsfähigen Lieferanten (Wettbewerbsstruktur bei Anbietern), der Lieferantenauswahl, der Suche und Auswahl von Beschaffungsgütern und Problemlösungen, der allgemeinen Verbesserung der Position gegenüber Lieferanten und der Wettbewerberbeobachtung. Erst durch planmäßige Beschaffungsmarktforschung kann das Erfolgspotenzial der Materialwirtschaft voll erschlossen werden.
Mithilfe der Wertanalyse, auch Funktionskostenoptimierung genannt, wird versucht, eine bestimmte Funktionserfüllung so kostengünstig wie möglich zu beschaffen. Durch Konzentration auf die im konkreten Anwendungsfall verlangten Funktionen gelingt es, überflüssige Funktionen zu eliminieren und dadurch Kosten einzusparen.
2. Make or Buy-Entscheidung
Die Make or Buy-Entscheidung (MOB-Entscheidung) ist die Entscheidung über die vertikale Produktions- und Leistungstiefe eines Unternehmens. Es ist dabei zu entscheiden, ob es zweckmäßiger ist, Güter und Leistungen vom Markt zu beschaffen oder selbst zu erstellen. Solche Entscheidungen stellen sich auf allen Stufen des betrieblichen Wertschöpfungsprozesses. Insbesondere bei der Konzentration auf Kernkompetenzen eines Unternehmens als strategisches Prinzip sind die Möglichkeiten des outsourcing (buy) angesichts des steigenden Angebots von spezialisierten in- und ausländischen Anbietern zu überprüfen (Dobler, D. W./Burt, D. N./Lee, L. Jr. 1990).
3. Die Lieferantenbewertung
Ziel der Lieferantenbewertung ist die Identifizierung des »guten« Lieferanten und seine Förderung sowie die Eliminierung weniger leistungsfähiger Lieferanten. Die Auswahl der Bewertungskriterien für aktuelle und potenzielle Lieferanten ist von Fall zu Fall an die individuellen Ziele der Bewertung anzupassen. Gegenstand der Bewertung sind Lieferungen und Leistungen, das Unternehmen des Lieferanten und dessen Umfeld. Bei der Auswertung stehen Scoringmodelle im Vordergrund. Die Praxis hat wiederholt die Nützlichkeit der systematischen Lieferantenbewertung bestätigt, macht aber nur in Einzelfällen davon Gebrauch. In letzter Zeit werden (durch die Automobilindustrie) zunehmend die Ergebnisse der Lern- und Erfahrungskurve für die Bewertung von Lieferanten herangezogen.
4. Der Erwerb
Der Erwerb ist die Kernfunktion der Beschaffung. Ihr vorgeschaltet sind die Beschaffungsmarktforschung, die Anbahnung von Lieferantenbeziehungen und die Lieferantenbewertung. Durch den Erwerb setzt sich das beschaffende Unternehmen in den Besitz, meist auch in das Eigentum der erworbenen Beschaffungsgüter und -leistungen. Dem Erwerb nachgeschaltet ist die Vertragserfüllung gegenüber dem Lieferanten durch Abnahme und Bezahlung der erworbenen Güter und Leistungen. Der Erwerb kann rechtlich in folgenden Formen abgewickelt werden, wobei der Kauf die häufigste Form darstellt: Kauf, Miete/Leasing, Leihe, Tausch/Gegengeschäft, Selbsterstellen.
5. Bevorraten, Verteilen, Entsorgen
In das Konzept des integrierten Versorgungs- und Entsorgungsmanagements sind Bevorraten, innerbetriebliche Verteilung und in neuester Zeit die Entsorgung eingeschlossen. Dies entspricht dem Konzept, das Unternehmen als logistisches System zu betrachten.
In der Entsorgung liegen meist noch nicht ausreichend genützte Ertrags- und Imagepotenziale. Der umfassende moderne Entsorgungsbegriff schließt die Vermeidung des Anfalles von Entsorgungsgütern und -leistungen, ihre Verwertung und Beseitigung ein. Die materialwirtschaftliche Zukunftsperspektive – ökologisch determiniert – geht in Richtung Ressourcen schonender Programmgestaltung, hohem Verwertungsgrad der Inputmaterialien und schadstoffarmer Produktion und Produkte.
6. Der materialwirtschaftliche Erfolgsnachweis
Leistungsnachweis und Leistungskontrolle gehören zum Managementinstrumentarium auch in der Materialwirtschaft. Dem Erfolgsnachweis (Erfolgskontrolle) liegt der Gedanke zugrunde, dass alle betrieblichen Funktionen zum Erfolg des Gesamtunternehmens beizutragen haben.
In der betriebswirtschaftlichen Literatur werden zwei Sichtweisen des Erfolgsnachweises unterschieden (Kunesch, H. 1993): Eine Fehler aufdeckende und fokussierende Auffassung, typisch für interne Revision und externe Prüfung mit dem Schwergewicht auf der rechenschaftslegenden und vergangenheitsbezogenen Kontrolle und eine konstruktive und ergebnisorientierte Sichtweise, typisch für das Management. Letztere erweitert den Adressatenkreis des Erfolgsnachweises auf alle Unternehmensbereiche, die die Bedeutung der Materialwirtschaft für den Unternehmenserfolg beurteilen können. Dadurch wird die Kontrollfunktion durch eine Lenkungsfunktion ergänzt.
Die Hauptfunktionen des materialwirtschaftlichen Erfolgsnachweises sind die Kontroll- und die Sicherungsfunktion. Zur Kontrollfunktion gehört die Prüfung, ob, in welchem Ausmaß und zu welchen Terminen vereinbarte Ziele erreicht wurden – Erfolgsnachweis durch Zielerreichungsnachweis. Zur Sicherungsfunktion gehört, dass Maßnahmen ergriffen werden, Ziele zu erreichen oder bei Zielabweichungen im Einzelfall die wichtigsten Eckdaten doch noch zu erreichen – Erfolgsnachweis durch den Nachweis der ergriffenen Maßnahmen. Beide Hauptfunktionen müssen durch die Lernfunktion und durch Motivation unterstützt werden.
Am materialwirtschaftlichen Erfolgsnachweis sollte nicht nur die Unternehmensleitung interessiert sein, sondern jeder einzelne in der Materialwirtschaft Tätige. Unternehmensleitung und Materialwirtschaft benötigen Kriterien zur Lenkung von Kapital, menschlicher Arbeitskraft und Zuwendung. Sowohl geplante als auch nachgewiesene Erfolge sind wichtige Bestimmungsgründe für die Zuteilung von Ressourcen. Im betrieblichen Alltag ist der Erfolgsnachweis oft schwierig und meist auf Einzelaktionen im operativen Bereich beschränkt.
IV. Künftige Entwicklungen in der Materialwirtschaft
Betrachtet man die bisherige Entwicklung der Materialwirtschaft von der Beschaffung bis zur integrierten Materialwirtschaft, so zeigt sich als deutlichste Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis der Bereich des Entsorgungsmanagements. Gesetzliche Auflagen, zunehmendes Umweltbewusstsein im Unternehmen selbst, nicht zuletzt ausgelöst durch Kostensenkungs- und Produktionsablaufverbesserungspotenziale durch Abfall vermeidende Wertschöpfung und der Druck der Konsumenten, lenken die Bemühungen der Praxis in Richtung eines in die Materialwirtschaft integrierten Entsorgungsmanagements.
Weiter zunehmen werden auch Zahl und Umfang materialwirtschaftlicher Kooperationen. Die Konzentration der Unternehmen auf betriebliche Kernbereiche verbunden mit hohen Qualitätsstandards für zugelieferte Produkte und Leistungen, lässt betriebsübergreifendes Wertkettenmanagement vor allem im Bereich der Materialwirtschaft sinnvoll erscheinen. Diese Form der Kooperation, die in einzelnen Branchen schon erfolgreich eingeführt wurde (Automobilindustrie, Elektronikindustrie) konzentriert sich auf Beziehungen zwischen Kunden und Lieferanten. Eine weitere Form der materialwirtschaftlichen Kooperation, vor allem im mittelständischen Bereich, zielt auf die Erhöhung der Beschaffungsmarktmacht der einzelnen Unternehmen durch vergrößerte Einkaufsvolumina. Zunehmender Kostendruck auf mittelständische Produzenten wird dieser Art der Zusammenarbeit nach dem Vorbild von Einkaufsgenossenschaften im Agrar- und Handelsbereich auch für produzierende Unternehmen zur besseren Positionierung im Wettbewerb verhelfen.
Schließlich wird die Rolle der Materialwirtschaft in der betrieblichen Informationsbeschaffung von immer größerer Bedeutung werden. Spielt die Beschaffung von Materialien im engeren Sinn für Unternehmen mit geringer Produktionstiefe oder Dienstleister nur eine untergeordnete Rolle, so ist die Versorgung mit Informationen auch für diese Unternehmen von zentraler Bedeutung. Natürlich ist die Informationsbeschaffung nicht exklusiv eine Aufgabe der Materialwirtschaft, diese hat aufgrund der zahlreichen Außenkontakte aber eine wichtige Position, die wegen der oben erwähnten Konzentration der Unternehmen auf Kernbereiche und der damit zunehmenden Anzahl von Lieferantenbeziehungen zusätzlich Bedeutung erlangt.
Literatur:
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Bowersox, D. J./Closs, D. J./Helferich, O. K. : Logistical management, 3. A., New York, London 1986
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Cordts, J. : Materialmanagement, Frankfurt a.M. 1985
Dobler, D. W./Burt, D. N./Lee, L. Jr. : Purchasing and materials management, New York 1990
Eschenbach, R. : Erfolgspotential Materialwirtschaft, Wien et al. 1990
Fieten, R. : Integrierte Materialwirtschaft, Frankfurt a.M. 1984
Grochla, E. : Grundlagen der organisatorischen Gestaltung, Stuttgart 1982
Grochla, E. : Grundlagen der Materialwirtschaft, 3. A., Wiesbaden 1990
Grochla, E./Fieten, R./Puhlmann, M. : Erfolgsorientierte Materialwirtschaft durch Kennzahlen, Baden-Baden 1983
Grün, O. : Industrielle Materialwirtschaft, in: Industriebetriebslehre, hrsg. v. Schweitzer, M., 2. A., München 1994, S. 447 – 568
Grün, O. : Materials Management, in: Handbook of German Business Management, hrsg. v. Grochla, E./Gaugler, E., Stuttgart et al. 1990, Sp. 1460 – 1471
Konrad, G. : Theorie, Anwendbarkeit und strategische Potenziale des Supply Chain Management, Wiesbaden 2005
Krycha, K. T. : Materialwirtschaft, München 1986
Kunesch, H. : Materialwirtschaftlicher Erfolgsnachweis, Wiesbaden 1993
Lück, W. : Logistik und Materialwirtschaft, Schriftenreihe der Betriebswirtschaftlichen Abteilung der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin, Band 6, Berlin 1984
Wannenwetsch, H. : Vernetztes Supply Chain Management, Berlin 2005
Weber, J. : Logistik- und Supply Chain Controlling, Stuttgart 2002
Werner, H. : Supply Chain Management, Wiesbaden 2002
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