Zentralisation und Dezentralisation (Delegation)
Inhaltsübersicht
I. Problemstruktur und Abgrenzungen
II. Das Delegationsproblem: Dimensionen, Prämissen und Rechtsgrundlage
III. Messung von Zentralisations- und Dezentralisationsgraden
IV. Gestaltungsprobleme und -lösungen
V. Ergebnis und offene Probleme
I. Problemstruktur und Abgrenzungen
In der Einpersonen-Eigentümerunternehmung sind die Fixierung von Unternehmungszielen, alle Entscheidungen zur Verfolgung gesetzter Ziele, die Umsetzung dieser Entscheidungen durch unternehmerische Aktionen sowie die Kontrolle von Ergebnissen der Aktionen in der Person des Eigentümerunternehmers konzentriert. Er besitzt zugleich die Verfügungsrechte über die mit seinem Kapital beschafften Ressourcen. Diese Konzentration stellt den höchsten Grad der Zentralisation von Aufgaben dar. Grenzen werden dieser Zentralisation durch die von einer Person zu bewältigende Arbeitsmenge sowie die dazu erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten gesetzt.
Wird eine der beiden Grenzen überschritten, so kommt es zur quantitativen oder qualitativen Arbeitsteilung. In organisatorischer Sicht bedeutet Arbeitsteilung daher stets Delegation von Aufgaben einerseits und von Verfügungsrechten über Ressourcen sowie Kapital andererseits. Als Folge sind nicht mehr alle Aufgaben und Verfügungsrechte in der Hand des Eigentümerunternehmers konzentriert. Delegation hat daher zwangsläufig Dezentralisation von Aufgaben zur Folge. Mit der Festlegung von Kompetenzen für Delegationsempfänger und Prinzipal entsteht die Organisation als Institution. Dezentralisation als Folge von Delegation ist somit vor allem Folge wachsender Unternehmungsgröße. Dezentralisation folgt in der Regel dem sehr alten Leitbild der Hierarchie.
Jede Dezentralisation von Aufgaben in Hierarchien löst für die Delegationsempfänger in Bezug auf den Wertschöpfungsprozess Problemnähe, für die Delegationsgeber dagegen Problemferne aus. Außerdem schafft Dezentralisation Koordinationsbedarf in der Weise, dass Entscheidungen und Aktionen auf die Ziele der Organisation in finaler Weise zugeordnet werden müssen. Fast alle organisatorischen Regelungen zur Mikro- und Makrostruktur einer Unternehmung sollen nach dem Mittel-Zweck-Prinzip zur finalen Lösung dieser Koordinationsprobleme beitragen.
Zusammenfassend ist zur Abgrenzung der Probleme und der sie benennenden Begriffe zu sagen, dass Zentralisation die Konzentration mindestens von Entscheidungen und Kontrolle, ggf. auch von ausführenden Aktionen in einer oder wenigen gleichrangigen Stellen an der Spitze einer hierarchischen Organisationsstruktur bedeutet. Dezentralisation bedeutet dagegen die Verlagerung von Entscheidungen, Kontrollen und Aktionen auf Personen, die üblicherweise in einer hierarchischen Beziehung zu einer zentralen, leitenden Stelle oder einem entsprechendem Gremium stehen.
Beide Vorgehensweisen kann man als Strategien organisatorischer Gestaltung interpretieren, die für Unternehmungen ebenso wie andere Institutionen Anwendung finden können. Beide Strategien schließen sich in reiner, hier skizzierter Form aus. Gesucht ist dagegen die optimale Dezentralisation als Kompromisslösung. Die Kombination beider Strategien wird möglich, wenn grundsätzliche Entscheidungen über Ziele und Strategien der Leistungserstellung sowie -vermarktung zentralisiert, die operativen Entscheidungen über das konkrete, alltägliche Vorgehen zur Realisation von Zielen und Strategien dagegen dezentralisiert werden. Ferner existieren zahlreiche Näherungslösungen der optimalen Dezentralisation (siehe IV.1.). Der Preis der Zentralisation ist bei Wachstum der Unternehmung die Überlastung der Zentrale, der Preis der Dezentralisation der zeitliche und materielle Aufwand bei der Koordination dezentraler Entscheidungen und Aktionen. Ob es eine optimale Lösung zwischen Dezentralisation und Zentralisation geben kann, wird nachfolgend diskutiert.
II. Das Delegationsproblem: Dimensionen, Prämissen und Rechtsgrundlage
Das Delegationsproblem hat in einer Unternehmung mehrere Dimensionen, nämlich ob überhaupt eine Delegation erfolgen soll, ferner die Art der zu delegierenden Ziele und Aufgaben, die Bestimmung eines oder mehrerer Delegationsempfänger, die Vorhersage des Delegationsergebnisses und schließlich dessen Kontrolle. Prämissen der Delegation sind die Zerlegbarkeit der zentralen Ziele in finale Subziele, die Aufteilbarkeit der zu delegierenden Aufgaben, die zur Zielerreichung verfolgt werden müssen, die Existenz geeigneter Delegationsempfänger und die Lösbarkeit der Probleme mit dem opportunistischem Verhalten der Delegationsempfänger.
Das Delegationsproblem ist erstmals von Laux bereits 1972 und dann 1979 ausführlich analysiert sowie später von ihm in zahlreichen Arbeiten verfeinert untersucht worden (Laux, Helmut 1972; Laux, Helmut 1979; Laux, Helmut 1990). Die formale Struktur des Delegationsproblems entspricht dem unabhängig von Laux später entdeckten Agency-Problem im Rahmen der Theorie der Firma (vgl. insb. Ross, Stephen A. 1973; Arrow, Kenneth J. 1985).
Ob eine Delegation stattfindet, hängt von der arbeitsmengenmäßigen und fachlichen Überforderung des Delegationsgebers, dem Prinzipal der Agency-Theorie, ab. Delegation ist für ihn nur dann sinnvoll, wenn der Agent ein besseres Ergebnis als der Prinzipal selbst erreichen kann. Die Grundüberlegung des Prinzipals besteht dann erstens in der Prognose des Erwartungswerts des Nettonutzens, den der Agent als Delegationsempfänger durch sein Entscheiden und Handeln verwirklicht. Zweitens muss der Prinzipal den Erwartungswert des Ergebnisnutzens seines eigenen Handelns prognostizieren. Delegation ist nur dann rational, wenn der Erwartungswert des Ergebnisnutzens für den Prinzipal selbst nicht größer als der Erwartungswert des Ergebnisnutzes für den Agenten ist.
Diese Überlegung kann auch der Bestimmung von Art und Umfang der delegationsfähigen Ziele und Aufgaben zugrunde gelegt werden. Beide Erwartungswerte könnten für jede Art der Kombination delegationsfähiger Aufgaben geschätzt werden. Eine Kontrolle von Ist- und Schätzergebnis könnte dann als Korrektiv für die Delegationsentscheidung genutzt werden. Die personalwirtschaftliche Lösung des Eignungsproblems von Delegationsempfängern (Drumm, Hans Jürgen 2004) kann nie unter Sicherheit erfolgen, weshalb deren unvollkommen explorierte Eignung stets als Restrisiko der Delegation verbleibt. Zu diesem Restrisiko gehört, dass opportunistisches Verhalten von Delegationsempfängern ebenso wenig wie dessen Unterdrückung vorhersagbar ist. Deshalb ist dessen Abwehr durch Erfolgsbeteiligung für den Agenten – mit Kostenwirkung für den Prinzipal – oder durch andere kostenwirksame Anreize sowie Verbote und Kontrollen eine fast zwingende personalwirtschaftliche Folge der Delegation von Zielen, Entscheidungen und Aktionen.
Mit dem Delegationsproblem eng verknüpft ist das rechtliche Problem des Direktionsrechts. Vorgesetzte besitzen ein aus § 611 BGB zum Dienstvertrag von der Rechtsprechung abgeleitetes Direktionsrecht gegenüber ihren abhängigen Mitarbeitern; dieses Weisungsrecht beinhaltet fachliche Anweisungen ebenso wie die Festlegung von Ort und Zeit der Arbeitsleistung (vgl. Richardi, Reinhard 1998, S. 182 – 183). Das mit dem Dienstvertrag geschaffene Direktionsrecht des Vorgesetzten ist somit die Rechtsgrundlage der Delegation von Aufgaben in Unternehmungen. In Ergänzung zu dieser Regelung des BGB verpflichtet § 59 HGB den Handlungsgehilfen als Mitarbeiter, die ortsüblichen Dienste zu erbringen.
Wenn Delegation und Dezentralisation nicht vollständig, sondern aus Gründen der besseren Arbeitsteilung oder schiefer Verteilung von Qualifikationen auf verschiedene Agenten und den Prinzipal selbst nur teilweise erfolgen, entsteht ein interessantes neues Problem: Welcher Grad von Delegation soll angestrebt werden, um den Gesamterfolg der Unternehmung zu maximieren? Der Versuch einer Lösung dieses Problems setzt die Messung von Zentralisations- oder besser Dezentralisationsgraden voraus.
III. Messung von Zentralisations- und Dezentralisationsgraden
Zur Messung von Zentralisation und Dezentralisation können mehrere Denkmodelle herangezogen werden, wobei das Maß der Dezentralisation immer gleich eins minus dem Maß der Zentralisation wäre, wenn dieses zwischen null und eins normiert wird:
- | Der Anteil von Entscheidungen auf höchster hierarchischer Stufe an der Menge aller Entscheidungen stößt als erstes Maß auf das Problem der Identifikation und Abgrenzung von Entscheidungen unabhängig von deren Bedeutung. | - | Die Klassifizierung der zuvor genannten Entscheidungen nach ihrer Bedeutung für die Unternehmung und ihrer Reichweite in einem ersten Schritt, und in einem zweiten Schritt die Bestimmung des Anteils der bedeutenden und zugleich weit reichenden Entscheidungen der obersten Hierarchieebene an der Menge aller bedeutenden und weit reichenden Entscheidungen wäre ein zweites Maß. Hier wäre zusätzlich zu den zuvor genannten Problemen die Messung von Bedeutung und Reichweite ein weiteres, kaum objektiv zu lösendes Problem. | - | Die Weite von Entscheidungsspielräumen auf unteren Ebenen der Hierarchie wäre ein drittes Maß. Je größer die Spielräume, umso stärker die Wirkung des Subsidiaritätsprinzips, das nur die auf einer Stufe nicht mehr zu leistenden Entscheidungen der nächst höheren Stufe in der Hierarchie zuweist. Auch hier besteht das Problem darin, die Weite von Entscheidungsspielräumen operational, objektiv und reliabel zu messen – ein kaum lösbares Unterfangen. | - | Ein viertes Maß wäre die in der Aston-Studie gewählte Festlegung derjenigen Person in der nach sechs Schichten klassifizierten Hierarchie, deren Entscheidung eine Aktion legitimiert (Pugh, Derek. S./Hickson, David. J. 1976, S. 51 – 53). Durch eine nach oben steigende Bewertung der Schichten mit Punktwerten wird dann die Zentralisation indirekt „ gemessen “ . Problematisch an diesem Maß ist, dass es für verschiedene Entscheidungsfelder völlig unterschiedlich ausfallen kann und die Zusammenfassung der Messwerte ein unscharfes Gesamtmaß der Zentralisation ergibt. |
Im Ergebnis ist die Messbarkeit des Zentralisationsgrades schlecht. Das wäre ein großes Problem, wenn man zur Verwirklichung bestimmter Unternehmungsziele und Steigerungen des Unternehmungserfolgs einen genauen Zentralisationsgrad oder sein Gegenteil erreichen müsste. Dieser Zusammenhang besteht aber nicht in eindeutiger Form. Immerhin scheitert an den genannten Messproblemen die Bestimmung eines optimalen Dezentralisationsgrades.
Neben der nachzuweisenden Erfolgswirkung müsste als zweite Prämisse die Konstanz des Messobjekts selbst erfüllt sein. Wenn jedoch Organisationsstrukturen vor allem auf der Mikroebene wegen laufender Veränderungen im Unternehmungsumfeld und in der Unternehmung selbst permanent mal mehr, mal weniger zentralisierend oder dezentralisierend angepasst werden müssen, wird das Messobjekt selbst variabel.
Aus heutiger Sicht handelt es sich zwar bei der in den 1970er-Jahren noch als sehr wichtig angesehenen, möglichst genauen Messung der Dezentralisation um ein Scheinproblem! Dies schließt aber die intensive Beschäftigung mit Vor- und Nachteilen von Zentralisation, Delegation und Dezentralisation nicht aus. Wenn mit wachsender Unternehmungsgröße Dezentralisation unabweisbar wird, sind nur so geeignete organisatorische Lösungsmuster als Ansatz zur Koordination dezentraler und zentraler Entscheidungen zu finden.
IV. Gestaltungsprobleme und -lösungen
1. Organisatorische Lösungsmuster der Dezentralisation
Auf der Makroebene beginnt die Dezentralisation mit der Reservierung strategischer Entscheidungen für die Zentrale und der Delegation taktischer sowie operativer Entscheidungen an nachgelagerte Instanzen in der Hierarchie. Ein weiterer Schritt besteht in der Überlagerung des hierarchischen Liniensystems durch Matrixstrukturen mit Delegation spezifischer Produkt-, Kunden- oder regionaler Entscheidungen an Matrixinstanzen. Noch einen Schritt weiter geht die Schaffung relativ selbstständiger Unternehmungs- und Geschäftsbereiche, die mehr oder weniger eigenverantwortlich für ganze Produktgruppen oder Regionen zuständig sind, ihre Geschäfte unter Einschluss aller Funktionen von der Beschaffung bis hin zur Vermarktung führen und selbstständige Investitionsentscheidungen treffen können. Anreize für zielkonformes Handeln der Führungskräfte an der Spitze von Geschäftsbereichen ebenso wie in Matrixinstanzen können durch die Beteiligung an dem durch diese Entscheidungsträger beeinflussbaren Gewinn gesetzt werden. Diese Lösung versagt aber umso mehr, je dezentraler Bereiche und Entscheidungen innerhalb einer denkbaren oder faktischen Hierarchie angesiedelt sind, weil je Bereich die Zurechenbarkeit von Auszahlungen, kaum jedoch noch diejenige von Einzahlungen möglich ist (Eigler, Joachim 2002). Dezentralisation mit dem Anspruch ökonomischer Steuerung dezentraler Bereiche findet ihre Grenze somit nur bis hin zur Ebene zurechenbarer Einzahlungen.
Auf der Ebene der Mikroorganisation sind Stellen- und Abteilungsbildung angesiedelt. Folgen beide dem Subsidiaritätsprinzip, so entstehen relativ selbstständige kleine Einheiten. Ihnen kann mehr oder weniger Autonomie gewährt werden, wenn zugleich Zielvorgaben mit Abweichungsgrenzen den Bezug zu den Unternehmungszielen und damit Handeln im Interesse der Unternehmung sichern. Gleichzeitig kann den Organisationseinheiten auf der Mikroebene Flexibilität zur Anpassung an Veränderungen von Märkten, Technik, Rechtsvorschriften oder verfügbarem Personal eingeräumt werden. Die Steuerung dezentraler Einheiten auf der Mikroebene durch Erfolgsbeteiligung ihrer Führungskräfte stößt allerdings auf das Problem, dass zwar Auszahlungen aber weder Einzahlungen noch Erfolge auf diese Einheiten eindeutig zurechenbar sind. Die Koordination durch Zielvorgaben ist gefährdet, wenn in der Kette zwischen dezentralen Zielen und zentralen Unternehmungszielen durch fehlerhafte Zielzerlegung Finalitätsbrüche geschaffen werden. Dieses Risiko steigt mit wachsender Unternehmungsgröße und damit steigender Stochastik der Zielzusammenhänge. Fehlerfreie Delegation über viele Ebenen der Hierarchie mit wirkungsvoller Koordination aller Aktionen ist somit unwahrscheinlich, wenn nicht sogar utopisch. Fehler der Zielzerlegung und -koordination bei Dezentralisation bilden somit ein Restrisiko, das jede Unternehmung tragen muss.
2. Werthaltungen und Machtverteilung
Zentralisation und Dezentralisation sind vor allem mit Vorstellungen von einer wirkungsvollen Koordination von Entscheidungen bei wachsender Unternehmungsgröße verknüpft. Sie sind werthaltig, wenn Macht angestrebt wird und als legitim gilt, oder wenn Machtverzicht mit Betonung des Gleichheitsparadigmas erwünscht ist. Jede der beiden Werthaltungen kann typisch für eine bestimmte Soziokultur sein. Romanische Soziokulturen tendieren stärker zur Anerkennung von Hierarchien und Machtkonzentration, germanische Soziokulturen mehr zum Gleichheitsparadigma und Abbau von Macht. Mit romanischen Soziokulturen ist Zentralisation, mit germanischen dagegen Dezentralisation gut vereinbar. Die organisatorischen Implikationen beider Strategien können unter dem Einfluss herrschender Werthaltungen übersehen, gering gewichtet oder sogar unterlaufen werden. Typisch für romanische Soziokulturen ist die Missachtung oder Unterlaufung zentraler, insb. fehlerhafter Entscheidungen durch dezentrale Organisationsmitglieder: Man arrangiert sich mit den unvermeidlichen Fehlern der Delegation und handelt intelligent improvisierend nach besserem Wissen. Typisch für germanische Soziokulturen ist dagegen die strikte Beachtung zentraler Entscheidungen selbst dann, wenn sie mangelhaft sind. Intelligente Improvisation als Antwort auf fehlerhafte zentrale Entscheidungen ist in germanischen Soziokulturen nicht positiv belegt.
3. Entscheidungs- und transaktionskostentheoretische Überlegungen
Wenn Marktleistungen durch organisatorische Maßnahmen abgesichert werden, so lösen diese Maßnahmen Transaktionserträge und Transaktionskosten aus. Für diese gilt die Relation, dass die nach Anbahnungs-, Abwicklungs-, Kontroll- und Fehlerkorrekturkosten aufgeschlüsselten Transaktionskosten (Picot, Arnold 1982) in ihrer Summe kleiner, höchstens aber gleich den Transaktionserträgen sein müssen. Für die Wahl zwischen Zentralisation, Dezentralisation und einem Dezentralisationsgrad dazwischen gilt in entscheidungstheoretischer Sicht, dass die Dezentralisationsstrategie gewählt werden muss, für die bei gegebenem Transaktionsertrag im Sinne von organisatorischer Effektivität die gesamten Transaktionskosten minimal sind. Auf diese Weise wäre der optimale Zentralisations- oder Dezentralisationsgrad bestimmt.
Zwar kann man zurecht annehmen, dass bei Zentralisation die Kosten der Anbahnung und Planung gering, diejenigen der Kontrolle und diejenigen der Fehlerkorrektur eher hoch sein werden, weil die Problemferne zum Wertschöpfungsprozess groß und die Koordination eher einfach ist. Bei Dezentralisation gelten tendenziell die umgekehrten Annahmen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Wirkung organisatorischer Maßnahmen von Qualifikation und Motivation des praktizierenden Personals abhängt. Dessen Transaktionskosten und -erträge können nämlich die organisatorischen Transaktionskosten entweder erhöhen oder kompensatorisch absenken (Drumm, Hans Jürgen 1998). Die genannten Transaktionskostenarten lassen sich jedoch ebenso wenig wie die Transaktionserträge eindeutig auf einzelne organisatorische Maßnahmen oder Maßnahmenbündel sowie auf Personen zuordnen und dann sauber quantifizieren. Deshalb bleibt das exakte Optimum der Dezentralisation unbestimmt. Ob Tendenzaussagen eine operationale Wahl der Organisationsstrategie ermöglichen, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Entscheidungs- und Transaktionskostentheorie können somit heuristischen Nutzen, aber keine exakte Lösung des Problems generieren.
4. Informations- und medientheoretische Überlegungen
Durch den Einsatz von Kommunikations- und Datenverarbeitungsmedien wie z.B. vernetzte Rechnersysteme oder Multimedia können Raum und Zeit überbrückt und Transport- sowie Speicherprobleme für große Informationsmengen organisatorisch elegant gelöst werden. Bei Vernetzung aller Organisationsmitglieder durch ein Mediensystem wird nicht nur eine Virtualisierung der Organisation durch zeitlich und problemspezifisch begrenzte Überlagerung gegebener Organisationsstrukturen möglich. Es können auch zentrale Entscheidungsprozesse durch mediengestützte Verknüpfung mit dezentralen Datenquellen verbessert und beschleunigt werden. Ebenso können dezentrale Entscheidungsprozesse durch mediengestützte Rückkopplung mit zentralen Entscheidungseinheiten leichter koordiniert werden. Medieneinsatz erleichtert daher ebenso stärkere Dezentralisation wie Zentralisation. Dies ist ein gewichtiges Argument für mehr Dezentralisation mit größerer Problemnähe bei steigender Unternehmungsgröße. Es ist jedoch kein Argument für mehr Rezentralisation unter den gleichen Bedingungen, da die Problemnähe der dezentralen Entscheidungsträger zu den Wertschöpfungsprozessen spezifischere Problemlösungen mit höherem Kundennutzen ermöglicht. Aus der Sicht der marktorientierten Leistungsprozesse würde der Medieneinsatz Transaktionskosten auslösen, die nicht über dessen Erträgen liegen dürften – soweit beide zurechenbar sind!
5. Probleme und Lösungen der Koordination
Delegation vor allem von Entscheidungen bewirkt Dezentralisation und zwingt zur Koordination dezentraler Entscheidungen hin auf die Ziele der Unternehmung. Koordination stellt somit sicher, dass alle dezentralen Ziele und die zu ihrer Erreichung getätigten Aktionen dazu beitragen, die Unternehmungsziele möglichst gut zu verwirklichen. Dazu muss die Finalität der dezentralen Ziele und Aktionen abgesichert werden. Finalität besagt jedoch nicht zwingend, dass stets ein deterministischer Zusammenhang zwischen dezentralen Zielen und Aktionen sowie zentralen Unternehmungszielen besteht; dieser Zusammenhang kann auch stochastisch in dem Sinn sein, dass ein Unterziel nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zum Erreichen von Unternehmungszielen beiträgt. Die Bewältigung dieser Stochastik ist das Hauptproblem jeder Koordination. Es kann im konkreten Fall nur von Experten in einer Unternehmung aufgrund ihres Fachwissens durch Bestimmung subjektiver Erfolgswahrscheinlichkeiten für dezentrale Ziele und Aktionen gelöst werden.
Unter den Ansätzen zur Koordination dezentraler Entscheidungen setzen direkte Eingriffe zentraler Instanzen und die Vorgabe von Plänen bereits die zentrale Lösung des Koordinationsproblems voraus. Dezentrale bilaterale oder multilaterale Koordination durch Abstimmung einzelner Entscheidungen zwischen dezentralen Einheiten verbessert die Stochastik, beseitigt sie aber nicht. Der Einsatz von Koordinationsgremien oder Linking pins kann ebenfalls die Stochastik der Zuordnung dezentraler Ziele und Aktionen auf zentrale Unternehmungsziele verbessern. Verrechnungspreise für Leistungen dezentraler Unternehmungseinheiten koordinieren nur dann die dezentralen Einheiten langfristig wirksam, wenn sie mit Marktpreisen übereinstimmen. Selbstabstimmung dezentraler Stellen oder Bereiche respektiert zwar die Problemnähe angemessen, sichert jedoch nicht zwingend auch Finalität der Abstimmungsergebnisse zu den Unternehmungszielen. Alle Ansätze zur Koordination dezentraler Entscheidungen lösen Transaktionskosten der Anbahnung und Abwicklung aus, die nicht größer als die Transaktionserträge der Koordination sein dürfen.
V. Ergebnis und offene Probleme
Dem durch wachsende Größe und Heterogenität des notwendigen Wissens ausgelösten Zwang zu Delegation und Dezentralisation von Entscheidungen kann zwar durch Organisationsmodelle und Medienunterstützung begegnet werden. Das dabei entstehende Koordinationsproblem wird jedoch umso unvollkommener gelöst, je größer eine Unternehmung ist. Wenn es auch keine optimale Gesamtlösung des Dezentralisationsproblems gibt, so bieten makro- und mikroorganisatorische Ansätze sowie deren Kombination zumindest brauchbare Näherungslösungen.
Organisationsmuster für die Dezentralisation sind so gut wie die Personen, die sie praktizieren. Daher ist mit dem organisatorischen Problem der Schaffung geeigneter Strukturen stets das personalwirtschaftliche Problem der angemessenen Besetzung dieser Strukturen verbunden. Diese personalwirtschaftliche Dimension des Dezentralisations- und Koordinationsproblems wäre jedoch nur durch Einsatz von „ Erzengeln “ perfekt lösbar. Ihr Fehlen löst erhebliche Restrisiken der Dezentralisation und Koordination aus.
Literatur:
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Drumm, Hans Jürgen : Das Paradigma der Neuen Dezentralisation und seine organisatorischen und personalwirtschaftlichen Implikationen, in: DBW, Jg. 56, 1996, S. 7 – 20
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Laux, Helmut : Risiko, Anreiz und Kontrolle. Principal-Agent-Theorie. Einführung und Verbindung mit dem Delegationswert-Konzept, Berlin et al. 1990
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Pugh, Derek. S./Hickson, David. J. : Organizational Structure in its Context. The Aston Programme I, Westmead, Farnborough, Hants 1976
Richardi, Reinhard : Betriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung. Gesetzes-Kommentar, 7. A., München 1998
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