A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
wirtschaftslexikon wirtschaftslexikon
 
Wirtschaftslexikon Wirtschaftslexikon

 

wirtschaftslexikon online lexikon wirtschaftslexikon
   
 
     
wirtschaftslexikon    
   
    betriebswirtschaft
     
 
x

Betriebs- und Organisationssoziologie


Inhaltsübersicht
I. Begriff und Gegenstand
II. Forschungsansätze
III. Betriebliches Handeln und betriebliche Strukturen
IV. Praxisbezug

I. Begriff und Gegenstand


Gegenstand der Soziologie ist generell das Wechselspiel von sozialem Handeln und sozialen Strukturen. Alle sozialen Strukturen, wie etwa auch Organisationen, werden durch das Zusammenwirken einer Mehrzahl von Handelnden geschaffen, erhalten, verändert oder auch zerstört. Umgekehrt wird jedes soziale Handeln durch seinen sozialen Strukturkontext, der u.a. aus Organisationsstrukturen bestehen kann, geprägt. Die Strukturen lassen manches Handeln zu, vieles andere nicht, ermöglichen oder erleichtern das eine Handeln oder legen es nahe und behindern oder entmutigen ein anderes.
Die Organisationssoziologie beschäftigt sich mit diesem Wechselspiel am Fall von Organisationen, die Betriebssoziologie am speziellen Fall von Wirtschaftsbetrieben. Beides sind seit langem wichtige Arbeitsfelder der Soziologie, die sie sich mit anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen – vor allem mit der betriebswirtschaftlichen Organisationsanalyse und der Arbeits- und Organisationspsychologie teilt. In Deutschland kultivieren die verschiedenen Disziplinen, die sich mit Organisationen bzw. Betrieben beschäftigen, noch relativ stark ihre jeweilige Eigenständigkeit. Dem gegenüber sind diese Disziplinen in den Vereinigten Staaten schon seit längerem beinahe nahtlos ineinander greifende Bestandteile einer Organisationswissenschaft, wie man etwa an der bedeutendsten einschlägigen Zeitschrift, dem „ Administrative Science Quarterly “ , ablesen kann.
Die Bedeutsamkeit einer sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit Organisationen hängt zweifellos damit zusammen, dass in der modernen Gesellschaft tendenziell alle Lebensbereiche von Organisationen durchzogen werden und diese sich fast überall zu den maßgeblichen Leistungsproduzenten und Entscheidungsträgern aufgeschwungen haben (Schimank,  2001). Die moderne Gesellschaft ist eine Organisationsgesellschaft. Dabei sind zwei grundlegende Arten von Organisationen zu unterscheiden: Interessen- und Arbeitsorganisationen. Interessenorganisationen – alle Arten von Vereinen und Verbänden sowie politische Parteien – werden „ von unten “ konstituiert (Coleman,  1974). Individuen, die gemeinsame Interessen haben, gründen zur Bündelung ihres Einflusses eine Organisation als korporativen Akteur. Wirtschaftsbetriebe gehören demgegenüber, wie auch öffentliche Verwaltungen, zur Kategorie der Arbeitsorganisationen. Diese sind „ von oben “ konstituiert. Es gibt einen Träger, der die Organisation gründet und leitet. Dies kann eine einzelne Person – ein Unternehmer – sein. Es kann sich aber auch um eine Gruppe von Personen oder um eine andere Organisation – z.B. um eine „ Muttergesellschaft “ – handeln.
Der Träger eines Betriebes will mit diesem in der Regel wirtschaftliche Gewinne erzielen und zu diesem Zweck bestimmte Güter oder Dienstleistungen produzieren und verkaufen. Er sucht sich auf dem Arbeitsmarkt geeignete Personen, die gegen Lohn in einem Arbeitsvertrag festgelegte Beiträge zur betrieblichen Leistungsproduktion erbringen. Der Arbeitsvertrag ist also das Bindeglied zwischen Betrieb und Arbeitnehmern. Er regelt in der einen Richtung u.a. die zeitliche Dauer der Tätigkeit des Mitarbeiters für die Organisation und die Arbeitszeiten, dessen sachliches Aufgabengebiet und Befugnisse, insbesondere Entscheidungsrechte, sowie dessen Kooperationsverpflichtungen innerhalb der Organisation. In der anderen Richtung spezifiziert der Arbeitsvertrag vor allem die Ansprüche des Mitarbeiters in Bezug auf Lohn und eventuelle weitere an ihn gehende Leistungen der Organisation sowie Urlaubszeiten.
Arbeitsorganisationen können also hinsichtlich ihres Verhältnisses zu den Mitarbeitern als ein Tauschzusammenhang von „ Anreizen “ der Organisation gegenüber den Mitarbeitern und „ Beiträgen “ der Mitarbeiter für die Organisation gesehen werden (March, /Simon,  1958, S. 35 – 112). Dabei verfügen Arbeitsorganisationen über die Möglichkeit, sich in ihrer Zielverfolgung und ihren Routinen sehr weitgehend über die konkreten und je individuellen Motivlagen ihrer Mitarbeiter hinweg zu setzen (Luhmann,  1964, S. 89 – 108) – ganz anders als Interessenorganisationen. Dies gestattet dann auch, im Arbeitsvertrag die Art des Beitrags der Mitarbeiter zur organisatorischen Leistungsproduktion nicht präzise spezifizieren zu müssen, sondern lediglich eine „ zone of indifference “ (Barnard,  1976, S. 167 – 169) zu umreißen, innerhalb derer sich die Anforderungen der Organisation bewegen müssen. Denn ein Arbeitsvertrag wird in der Regel über längere Zeit, oftmals unbefristet geschlossen. In diesem Zeitraum können sich die organisatorischen Anforderungen in Richtungen verändern, die bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar waren. Um dann nicht jedes Mal wieder einen neuen Vertrag aushandeln zu müssen, baut man in den Arbeitsvertrag eine gewisse sachliche Flexibilität ein.
Ein Betrieb ist also zum einen ein korporativer Akteur, der – repräsentiert und geleitet durch seine Träger – sowohl seinen Mitarbeitern als auch anderen Akteuren in seiner Umwelt als handlungsfähige Einheit gegenüber tritt. Zum anderen ist ein Betrieb seinen Mitarbeitern gegenüber aber zugleich ein handlungsprägendes  Sozialsystem. Diese Handlungsprägung vollzieht sich über die organisatorische Formalstruktur, die normative Erwartungen an alle Mitarbeiter richtet. Auch die Anerkennung der durch organisatorische Gestaltungsentscheidungen – bei einem Letztentscheidungsrecht des Trägers – festgelegten und immer wieder geänderten Formalstruktur wird im Arbeitsvertrag geregelt. Äußerste Sanktion für die Nichteinhaltung formaler Verhaltungserwartungen durch Mitarbeiter ist die Kündigung. Jeder Mitarbeiter muss bei all seinem Handeln im und für den Betrieb stets die Frage im Hinterkopf behalten: „ Kann ich Mitglied bleiben, wenn ich diese oder jene Zumutung offen ablehne? “ (Luhmann,  1964, S. 40)

II. Forschungsansätze


Dieser Doppelcharakter jeder Organisation, zugleich handlungsfähiger korporativer Akteur und handlungsprägendes Sozialsystem zu sein, spiegelt sich in den verschiedenen Forschungsansätzen der Organisations- und Betriebssoziologie wider. Einige Ansätze betonen eher die Akteurqualität, andere das Systemische der Organisation. Grob lassen sich die Ansätze danach sortieren, ob sie ihren Blick eher auf die organisatorischen Binnenverhältnisse richten oder eine Organisation in ihrer Umwelt betrachten.

1. Organisatorische Binnenverhältnisse


Eine systematische und schulenbildende Betrachtung formaler Organisationen setzte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland wie auch in den Vereinigten Staaten ein. In Deutschland war Max Weber mit seiner Theorie bürokratischer Herrschaft die überragende Figur (Weber,  1972, S. 124 – 130, S. 551 – 579). Auf Grund von Merkmalen wie Arbeitsteilung, eindeutiger Kompetenzfestlegung, Amtshierarchie, Regelbindung, Aktenführung und Beruflichkeit der Amtsführung weist eine bürokratische Organisation Weber zufolge eine überlegene Sachlichkeit, Berechenbarkeit und Unpersönlichkeit der Aufgabenerledigung auf. Wegen dieser organisatorischen Effizienz und Effektivität setzen sich solche Organisationen in immer mehr Gesellschaftsbereichen durch. Webers zeitgenössisches Anschauungsmaterial war die preußische Verwaltung; doch er sah vergleichbare Strukturen auch in Wirtschaftsbetrieben – zumindest in Großbetrieben. Die klassische amerikanische Organisationsforschung – Frederick Taylors „ scientific management “ und die Schule der „ science of administration “ – nahm von vornherein Industriebetriebe in den Blick (Kieser,  1993). Taylor, setzte auf der Produktionsebene bei Arbeitsgeschwindigkeit, Ausdauer, Bewegungsabläufen und Ähnlichem an, wobei er sich ausschließlich repetitiven Tätigkeiten zuwandte. Ihm ging es darum, den Menschen als Anhängsel der Produktionsmaschinerie möglichst effizient einzusetzen. Dabei legte er eine äußerst einfache Motivationstheorie zu Grunde, die auf finanzielle Gratifikationen als einzige Arbeitsanreize setzte. Dem gegenüber konzentrierten sich die Vertreter der „ science of administration “ auf die Organisationsgestaltung durch die Führungskräfte und versuchten, diesen allgemein gültige Managementprinzipien an die Hand zu geben – beispielsweise hinsichtlich der Kontrollspanne oder der Zerlegung einer komplexen Aufgabe in Abteilungsstrukturen. Leitvorstellung war, dass es eine bestimmte optimale Gestaltung gibt, die auf jede Organisation, gleich welcher Art und welcher Situation, passt. Im Ergebnis hatten die herausgefundenen Managementprinzipien freilich meist den Charakter von vagen, lehrformelhaften Parolen.
Seit den dreißiger Jahren wurden die Mitarbeiter von Betrieben durch die Untersuchungen des Human-Relations-Ansatzes als Personen mit einer Vielfalt unterschiedlicher Bedürfnisse und Motive entdeckt (Roethlisberger, /Dickson,  1939). Ausgangspunkt dafür waren praktische Organisationsprobleme, an denen die Grenzen des Taylorismus offenkundig wurden. Man wurde gewahr, dass es neben der formalen Struktur auch informale Strukturen gibt. So stellte man z.B. fest, dass es in Arbeitsgruppen informale, aber gleichwohl äußerst wirksame Produktivitätsnormen gibt, die als Schutzmechanismus gegen übertriebenes Leistungsstreben von Kollegen wirkten. Man begann, auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass finanzielle Anreize (Entgeltpolitik; Erfolgsbeteiligung der Arbeitnehmer) nur einen Aspekt von mehreren Bestimmungsgrößen der Arbeitsproduktivität darstellen – und nicht immer die wichtigsten sind. Attraktivität und Selbständigkeit der Aufgabe, der Führungsstil des Vorgesetzten oder das Betriebsklima sind weitere. Noch in den siebziger und achtziger Jahren haben in Deutschland große Programme zur „ Humanisierung der Arbeit “ diese Denktradition fortgesetzt. Dabei wurde immer deutlicher, dass in völligem Gegensatz zu Taylors, Prämissen die Betriebe in zunehmendem Maße auf die Subjektivität ihrer Mitarbeiter angewiesen sind: auf deren Verantwortungsbewusstsein, Mitdenken, Findigkeit, Kooperationsbereitschaft u.a.m. (Kern, /Schumann,  1984; Pries, /Schmidt, /Trinczek,  1990). „ Humanisierung “ ist damit nicht bloß eine Konzession an die Mitarbeiter, sondern funktionales Erfordernis organisatorischer Effektivität und Effizienz.
Was der Human-Relations-Ansatz für diejenigen Organisationsmitglieder herausstellte, die Routinetätigkeiten ausüben, war bezüglich einer anderen Gruppe von Mitarbeitern immer schon klar gewesen: der Professionellen. Sie verfügen über ein in der Regel durch eine akademische Ausbildung erworbenes Spezialwissen, auf Grund dessen sie einerseits unentbehrlich für viele organisatorische Aufgaben sind. Doch andererseits können die mit diesem Wissen verbundenen Handlungsorientierungen den organisatorischen Regeln mehr oder weniger stark zuwider laufen, was zu dauerhaften Spannungen führen kann. In vielen Industriebetrieben reibt sich etwa die  „ funktionale Autorität “ (Hartmann,  1964) der Ingenieure an der durch die formale Struktur festgelegten bürokratischen Autorität. Solche Spannungsverhältnisse sind vielfach untersucht worden (Blau, /Scott,  1970, S. 60 – 74). Um einen für Betriebe möglichst produktiven Modus Vivendi organisatorischer und professioneller Handlungsorientierung zu etablieren, wird generell empfohlen, die Formalstrukturen in den betreffenden Arbeitsbereichen – z.B. den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen – so locker zu gestalten, dass die Professionalität sich zu entfalten vermag.
Viele Betriebe setzen mehr oder weniger komplexe technische Artefakte ein: Maschinen, Fließbänder, Fahrzeuge, Computer u.ä.. Seit Anfang der fünfziger Jahre wurde mit dem Konzept des „ sozio-technischen Systems “ dem Verhältnis zwischen Technologie und sozialen Strukturen von Betrieben nähere Aufmerksamkeit geschenkt (Woodward,  1958). Wiederum zeigte sich in empirischen Untersuchungen, dass bestimmte Merkmale der eingesetzten Technologie – vor allem deren Standardisierungsgrad – wichtige Randbedingungen dafür sind, wie stark die organisatorischen Vorgänge zweckmäßigerweise formalisiert werden können. Insbesondere bei wenig standardisierten Technologien sind flexiblere Organisationsformen, die dann entsprechend höhere Anforderungen an das Personal stellen, angemessen. In der Folgezeit ist dann auch die umgekehrte Wirkungsrichtung betrachtet und gezeigt worden, dass bestimmte Organisationsstrukturen den Einsatz von Technologien erschweren oder gar verunmöglichen können (Goodman, /Sproull,  1990). So können etwa in streng hierarchischen Strukturen die technischen Möglichkeiten dezentral angelegter Computernetzwerke nicht zur Entfaltung kommen. Von einem Technikdeterminismus betrieblicher Strukturen kann also keine Rede sein – was sich auch immer wieder daran zeigt, dass bestimmte Technologien Gegenstand konflikthafter innerbetrieblicher Auseinandersetzungen sind und dann je nach dem höchst unterschiedlich oder auch gar nicht zum Einsatz kommen.
Das letztgenannte Phänomen weist bereits auf die politische Dimension des innerorganisatorischen Geschehens hin (Küpper, /Ortmann,  1988). Diese sog. „ Mikropolitik “ erweist sich etwa darin, dass bestimmte Mitarbeitergruppen, die strategisch wichtige technologische Ungewissheiten kontrollieren, eine informale Machtposition inne haben, die weit über ihren formalen Rang hinaus reicht (Crozier,  1964). Generell können Organisationen aus dieser Perspektive als mehr oder weniger stabile politische Koalitionen von Abteilungen und Mitarbeitergruppen angesehen werden. „ Mikropolitik “ bringt distributive Kriterien in organisatorische Entscheidungen hinein: wer welche Lasten zu tragen hat und welche Vorteile gewinnt. In dem Maße, wie Erfordernisse organisatorischer Effektivität und Effizienz den distributiven Interessen der innerhalb einer Organisation herrschenden politischen Koalition zuwider laufen, sind Funktionalitätsdefizite zu erwarten.
Damit hat die organisations- und betriebssoziologische Forschung neben der schon von den Klassikern betonten Formalstruktur eine Reihe weiterer wichtiger Dimensionen der binnenorganisatorischen Verhältnisse heraus gearbeitet: die Subjektivität der Mitarbeiter und die informalen Strukturen, das professionelle Wissen und die Technologien sowie die „ Mikropolitik “ . All das muss beachtet werden, um das Geschehen innerhalb einer Organisation angemessen einschätzen zu können.

2. Umweltbezüge der Organisation


Seit den fünfziger Jahren hat die Forschung zunehmend die verschiedenen Bezüge von Organisationen zu ihrer Umwelt erschlossen. Diese Forschungsrichtung ergab sich insbesondere aus einer Konzeption von Organisationen als umweltoffene Sozialsysteme.
Zunächst bildete sich eine Sichtweise heraus, die Entsprechungsverhältnisse zwischen bestimmten Komplexitätsmerkmalen der Umwelt einer Organisation und deren Formalstrukturen identifizierte. Verschiedene Untersuchungen stellten in expliziter Abgrenzung gegenüber Webers Bürokratiemodell heraus, dass bürokratische Organisationsstrukturen nicht zu komplexen, sich rasch wandelnden und hohe Ungewissheit bergenden Umwelten passen (Burns, /Stalker,  1961). Solchen Umwelten seien vielmehr dezentrale, auf teamförmige Kooperation angelegte und Mitarbeiter mit hohem professionellen Sachverstand beschäftigende Organisationen angemessener (Lawrence, /Lorsch,  1967). Die Komplexitätsmerkmale der Umwelt lassen sich dabei für Betriebe an der Beschaffenheit der verschiedenen Beschaffungs- und Absatzmärkte festmachen.
Diese Betrachtungsweise betont die Umweltabhängigkeit von Organisationen. Diese müssen sich, um längerfristig zu überleben, ihrer Umwelt anpassen. In weiteren Forschungssträngen sind noch andere Aspekte der Umweltabhängigkeit spezifiziert worden. So ist die „ Resource Dependency “ von Organisationen betont worden (Pfeffer, /Salancik,  1978). Jede Organisation benötigt eine Reihe von Ressourcen aus ihrer Umwelt und muss ihr eigenes Agieren und ihre internen Strukturen darauf ausrichten, diese Ressourcenbasis nicht zu gefährden. Im Einzelnen kann es sich bei den Ressourcen um Finanzmittel, Personal mit bestimmten Qualifikationen, Rohstoffe oder auch Unterstützung – etwa durch andere Organisationen – handeln.
Der organisationssoziologische „ New Institutionalism “ der achtziger und neunziger Jahre hat sich vor allem damit beschäftigt, wie sich bestimmte institutionelle Muster der Gesellschaft den Organisationen einprägen (Powell, /Maggio, di,  1991). Teilweise sind dies sehr generelle Muster, zu denen etwa auch das Webersche Bürokratiemodell zählt. Ein anderes, aktuelleres Beispiel wäre die Vorstellung, dass heutzutage jeder Betrieb über ein ausgebautes EDV-System verfügt, das für viele Funktionen genutzt wird. Spezifischere institutionelle Muster beziehen sich nur auf eng abgegrenzte Gruppen von Organisationen – z.B. Betriebe einer bestimmten Branche und einer bestimmte Region wie etwa das deutsche Speditionsgewerbe. Auf drei Wegen werden diese institutionellen Muster den Organisationen vermittelt: über staatliche Regulierungen, über professionelle Standards und – am wichtigsten – über wechselseitige Beobachtung und Imitation zwischen den betreffenden Organisationen. Im Ergebnis stellt sich ein mehr oder weniger starker „ Isomorphismus “ der betreffenden Organisation heraus, also eine Gleichförmigkeit der Formalstrukturen und Arbeitsweisen.
Eine weitere Umweltdimension wird von der eng mit der Betriebssoziologie verflochtenen Industriesoziologie heraus gestellt. Die Industriesoziologie begreift die moderne Wirtschaft als eine kapitalistische, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer einander in einem strukturell angelegten, unauflösbaren Konflikt gegenüber stehen. Dies spiegelt sich in den Betrieben im Verhältnis von Trägern und Management auf der einen Seite und Beschäftigten auf der anderen Seite wider. Diese „ Industrial Relations “ sind je nach Land, Branche und Phase der wirtschaftlichen Entwicklung ganz unterschiedlich ausgeprägt, was sich dann wiederum in entsprechend verschiedenartigen Konfliktmustern und Konfliktintensitäten innerhalb der Betriebe manifestiert (Altmann, /Bechtle,  1971; Müller-Jentsch,  1986; Ferner, /Hyman,  1992). An einem Extrempunkt stehen korporatistische Verhandlungssysteme zwischen Gewerkschaften und Großunternehmen. Diese Form industrieller Beziehungen minimiert offene Konflikte, zahlt dafür aber häufig den Preis des Immobilismus, der notwendige Anpassungsreaktionen in Umbruchzeiten verzögert oder mehr oder weniger gänzlich verhindert. Das andere Extrem bilden Beschäftigungsverhältnisse in der „ New Economy “ oder im Speditionsgewerbe, wo Arbeitnehmer kaum gewerkschaftlich organisiert sind und Praktiken des „ Hire and Fire “ sowie der Scheinselbstständigkeit verbreitet sind, womit betriebliche Flexibilität weitgehend auf Kosten der Arbeitnehmer geht.
Die Umwelt der Organisation ist in all diesen Forschungsperspektiven eine von der Organisation selbst kaum oder gar nicht beeinflussbare Größe. Die Umwelt übt Anpassungsdruck aus, dem sich die Organisation zu fügen hat, um längerfristig zu überleben. Noch deterministischer sieht dies der „ Population Ecology “ -Ansatz (Hannan, /Freeman,  1977). Ihm zufolge sind Organisationen durch eine hochgradige strukturelle Trägheit gekennzeichnet, die kaum Anpassungsbemühungen aufkommen lässt. Wenn eine Organisation also nicht zu ihrer Umwelt passt oder die Passung auf Grund von Umweltveränderungen verloren geht, ist sehr viel wahrscheinlicher, dass die Organisation zugrunde geht, als dass sie sich entsprechend ändert. Daneben hat die Organisations- und Betriebssoziologie allerdings auch immer wieder betont, dass sich Organisationen nicht nur gleichsam schicksalsergeben ihrer Umwelt fügen müssen, sondern diese auch in erheblichem Maße mitgestalten können. Diese komplementäre Sicht stellt die strategischen Fähigkeiten und Möglichkeiten von Organisationen gegenüber Akteuren und Strukturen ihrer Umwelt heraus (Thompson,  1967). Je nachdem, wie mächtig eine Organisation in ihrer relevanten Umwelt ist, kann sie sich gegenüber Ansprüchen, die von dort an sie gerichtet werden, mehr oder weniger gleichgültig und abweisend verhalten. Insbesondere in Interorganisationszusammenhängen findet gezielte Umweltgestaltung durch Organisationen statt, wenn sich etwa Betriebe in Netzwerken, von Preiskartellen bis zu Forschungskooperationen, zusammen tun oder sich zwischen Konkurrenten informale Solidarnormen des „ leben und leben lassen “ herausbilden. Genau so wenig wie im Verhältnis zwischen Organisation und Mitarbeitern findet sich also im Verhältnis zwischen der Umwelt und der Organisation ein einseitiger Determinationszusammenhang vor. Die Mitarbeiter können die Organisationsstrukturen unterlaufen oder zu verändern versuchen; und die Organisation kann auf ihre Umwelt einwirken.

III. Betriebliches Handeln und betriebliche Strukturen


Die Binnenstrukturen – von den formalen Verhaltenserwartungen bis zur Technologie – prägen somit in erheblichem Maße das Handeln in Organisationen; und das Handeln von Organisationen wird seinerseits durch verschiedene Strukturen ihrer Umwelt geprägt. Trotz dieser starken strukturellen Prägungen sind Organisationen zugleich eine Arena für Gestaltungsentscheidungen (Friedberg,  1995). Sowohl die organisatorischen Binnenverhältnisse als auch das Verhältnis einer Organisation zu ihrer Umwelt ist durch Entscheidungen gestaltbar (Entscheidungstheorie). Neben der Organisationsleitung und dem Träger wirken, formell oder informell, auch weitere Gruppen und Personen hieran mit. Bei Betrieben reicht das Spektrum von Betriebsräten und Bereichs- oder Abteilungsleitern bis zu informellen Seilschaften und heimlichen Koalitionen. Derartige Gestaltungsentscheidungen können weit reichend sein, also viele Organisationsstrukturen grundlegend ändern, oder sich auf sehr begrenzte Strukturelemente wie etwa eine neue Regelung der Handhabung von Verbesserungsvorschlägen im Produktionsbereich richten.
Die klassischen Organisationstheorien hegten hohe Erwartungen an die Gestaltungstätigkeit des Managements. Organisationen im Allgemeinen und Betriebe im Speziellen galten als diejenigen Sozialgebilde, die am durchgreifendsten und zielsichersten gestaltbar seien. Tatsächlich stellte man aber bald fest, dass auch in Organisationen Gestaltungsentscheidungen nur einen von drei Handlungsströmen bilden, die die Strukturen aufbauen, erhalten, verändern oder zerstören können. Ein zweiter Handlungsstrom sind all diejenigen Handlungen von Organisationsmitgliedern, die von keinerlei Gestaltungsabsichten getragen sind, sehr wohl aber beiläufige und naturwüchsige, teils bemerkte und teils unbemerkte Struktureffekte haben. Dass z.B. bestimmte „ Standard Operating Procedures “ (Nelson, /Winter,  1982) immer wieder ohne Nachdenken reproduziert werden, sorgt nicht nur dafür, dass sie selbst erhalten bleiben; es kann darüber hinaus z.B. den Effekt haben, ein bestimmtes Muster selektiver Wahrnehmung zu perpetuieren, das seinerseits ein bestimmtes Arbeitsteilungsmuster innerhalb der Organisation stützt. Ein dritter Handlungsstrom sind die schon ausführlich dargestellten Handlungen von Akteuren in der Umwelt der Organisation, die über strukturelle Prägungen oder auch unmittelbar – etwa bei Verhandlungen mit der Organisation – in diese hineinwirken.
Gestaltungsentscheidungen in der und für die Organisation sind also stets kontextuiert durch sonstiges Handeln in der Organisation und auf die Organisation wirkendes Handeln in deren Umwelt. Dementsprechend kann die Gestaltungskraft der Entscheidungen manchmal nur sehr gering sein, weil einer der beiden anderen Handlungsströme viel wirkungsmächtiger ist. Neben dieser Frage der Gestaltungskraft kommt als weiteres Problem von organisatorischen Gestaltungsentscheidungen das Problem der Informationsverarbeitung und der Zeitknappheit hinzu. Untersuchungen zu Organisationsentscheidungen haben seit den vierziger Jahren auf deren immer nur höchst begrenzte Rationalität hingewiesen (Simon,  1976; March, /Simon,  1958; Kirsch,  1977). Unvollständige Informationen über den Entscheidungsgegenstand und begrenzte Fähigkeiten der Informationsverarbeitung gehen einher mit dem Zwang, schnell etwas zu tun, sollen nicht irreversible negative Konsequenzen eintreten. Die Forschung zu Entscheidungen in Organisationen und Betrieben hat eine Reihe von Strategien begrenzter Rationalität identifiziert – wie etwa den „ Disjointed Incrementalism “ (Lindblom,  1969). Neuere Studien stellen noch weitreichendere Abstriche gegenüber Rationalitätsansprüchen fest. Insbesondere dann, wenn Organisationen in hochgradig turbulenten Umwelten und mit sehr unklaren Wirkungsvorstellungen bezüglich des eigenen Handelns und Entscheidens operieren müssen, können sie nur noch als „ adhocracies “ (Mintzberg, /McHugh,  1985) agieren.
Worauf freilich in fast allen Bereichen organisatorischen Handelns rekurriert werden kann, sind die vom „ New Institutionalism “ heraus gearbeiteten Rationalitätsfiktionen. Diese geteilten Vorstellungen darüber, was adäquate Umgangsweisen mit bestimmten Problemen darstellen, geben den organisatorischen Entscheidungsträgern zumindest die Möglichkeit, zügig zu entscheiden – und für den Fall, dass etwas schief geht, eine kaum anfechtbare Rechtfertigung zu haben. Denn wer tut, was „ alle vernünftigen Leute “ tun würden, kann ja nichts falsch gemacht haben; wenn er mit seiner Entscheidung scheitert, kann das dann nur noch an widrigen Umständen gelegen haben. Insbesondere Instanzen der Organisationsberatung sind wichtige Multiplikatoren für solche Rationalitätsfiktionen. Die rasch wechselnden Managementmoden sorgen dann auch dafür, dass keine der dort propagierten Rationalitätsfiktionen einen dauerhafteren Realitätstest überstehen muss.

IV. Praxisbezug


Das zuletzt Gesagte markiert bereits einen nicht unwichtigen Praxisbezug betriebs- und organisationssoziologischer Analysen. Sie beobachten das zunehmend wichtig gewordene Geschäft der Organisationsberatung und verbreiten heilsame Skepsis gegenüber den oftmals lauthals verkündeten Patentrezepten dieser Zunft. Unternehmensberatung hat freilich häufig kaum noch etwas mit wissenschaftlich fundierter Analyse zu tun. Die Praxisrelevanz organisations- und betriebssoziologischer Erkenntnisse reicht jedoch weit darüber hinaus, derartige wissenschaftlich zweifelhaften Praxisempfehlungen zu relativieren. Auch die Perspektiven und Empfehlungen anderer wissenschaftlicher Betrachtungen von Organisationen und Betrieben, insbesondere auch der Betriebswirtschaftslehre und der Arbeits- und Organisationspsychologie, erhalten einen organisations- und betriebssoziologischen Kontrapunkt.
Alle Sozialwissenschaften stehen vor dem Dilemma, ihre gegenstandsbezogene analytische Perspektive auf einem Kontinuum zu justieren, dessen Pole ein rigoroser Reduktionismus auf der einen Seite und eine möglichst differenzierte Einbeziehung der konkreten Komplexität des jeweils betrachteten Einzelfalls auf der anderen Seite darstellen. Die Betriebswirtschaftslehre ebenso wie die Organisationspsychologie und andere Herangehensweisen an Organisationen und Betriebe tendieren zum erstgenannten Pol, während die Soziologie, wie die Darstellung der mannigfaltigen Forschungsansätze gezeigt hat, sich weit mehr in Richtung des letztgenannten Pols bewegt. Keiner der beiden Pole ist wissenschaftlich oder vom Standpunkt der Praxis aus dem anderen übergeordnet. Jede disziplinäre Perspektive muss sich für einen der beiden Pole entscheiden und damit notgedrungen den anderen vernachlässigen. Um so wichtiger ist es für die organisatorische und betriebliche Praxis, sich nicht nur von solchen Disziplinen Rat zu holen, die alle am selben Pol angesiedelt sind. Die Betriebs- und Organisationssoziologie nimmt damit eine unerlässliche Korrektivfunktion gegenüber Betriebswirtschaftslehre, Organisationspsychologie und weiteren Perspektiven ein.
Der für die Betriebs- und Organisationssoziologie charakteristische Hinweis auf die Mannigfaltigkeit der zu berücksichtigenden Dimensionen und Aspekte führt weniger zu Rezept- als vielmehr zu Orientierungswissen. Es geht nicht um eindeutige und unverzüglich umsetzbare Handlungsempfehlungen, sondern um Anstöße und Rechtfertigungen für weiteres Nachdenken. Einer gelegentlich hyperaktivistischen Betriebsamkeit der Organisationsentwicklung, von entsprechenden Gestaltungshoffnungen beseelt, setzt die Betriebs- und Organisationssoziologie die abgeklärte Gelassenheit nicht eines Gestaltungspessimismus, wohl aber eines Gestaltungsrealismus entgegen. Wohlgemerkt: Wenn nur die soziologische Perspektive regierte, wäre das genau so defizitär wie das Gegenteil. Organisations- und betriebssoziologische Beratung versteht sich dementsprechend immer nur als eine Stimme unter anderen und als ein Angebot, das den Horizont der Praktiker erweitern will, anstatt ihnen Scheuklappen zu verpassen.
Literatur:
Altmann, N./Bechtle, G. : Betriebliche Herrschaftsstruktur und industrielle Gesellschaft, München 1971
Barnard, C. I. : The Functions of the Executive, Cambridge MA 1976
Blau, P. M./Scott, W. R. : Formal Organizations. A Comparative Approach, London 1970
Burns, T./Stalker, G. M. : The Management of Innovation, London 1961
Coleman, J. : Power and the Structure of Society, New York 1974
Crozier, M. : The Bureaucratic Phenomenon, Chicago 1964
Ferner, A./Hyman, R. : Industrial Relations in the New Europe, Oxford 1992
Friedberg, E. : Ordnung und Macht. Dynamiken organisierten Handelns, Frankfurt/M. 1995
Goodman, P. S./Sproull, L. S. : Technology and Organizations, San Francisco 1990
Hannan, M. T./Freeman, J. : The Population Ecology of Organizations, in: American Journal of Sociology, 1977, S. 929 – 964
Hartmann, H. : Funktionale Autorität, Stuttgart 1964
Kern, H./Schumann, M. : Das Ende der Arbeitsteilung, München 1984
Kieser, A. : Managementlehre und Taylorismus, in: Organisationstheorien, hrsg. v. Kieser, A., Stuttgart 1993, S. 57 – 89
Kirsch, W. : Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse, Wiesbaden 1977
Küpper, W./Ortmann, G. : MikropolitikRationalität, Macht und Spiele in Organisationen, Opladen 1988
Lawrence, P. R./Lorsch, J. W. : Organization and Environment – Managing Differentiation and Integration, Boston 1967
Lindblom, C. E. : The Science of „ Muddling Through “ , in: Readings on Modern Organizations, hrsg. v. Etzioni, A., Englewood Cliffs 1969, S. 154 – 173
Luhmann, N. : Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964
March, J. G./Simon, H. A. : Organizations, New York 1958
Mintzberg, H./McHugh, A. : Strategy Formation in an Adhocracy, in: Administrative Science Quarterly, Bd. 30, 1985, S. 160 – 197
Müller-Jentsch, W. : Soziologie der industriellen Beziehungen, Frankfurt/M. 1986
Nelson, R./Winter, S. G. : An Evolutionary Theory of Economic Change, Cambridge MA 1982
Pfeffer, J./Salancik, G. : The External Control of Organizations. A Resource Dependence Perspective, New York 1978
Powell, W./Maggio, P. di : The New Institutionalism in Organizational Analysis, Chicago et al. 1991
Pries, L./Schmidt, R./Trinczek, R. : Entwicklungspfade von Industriearbeit, Opladen 1990
Roethlisberger, F./Dickson, W. J. : Management and the Worker, Cambridge MA 1939
Schimank, U. : Funktionale Differenzierung, Durchorganisierung und Integration der modernen Gesellschaft, in: Funktionale Differenzierung und Organisation, hrsg. v. Tacke, V., Wiesbaden 2001, S. 19 – 38
Simon, H. A. : Administrative Behavior. A Study of Decision – Making Processes in Administrative Organizations, New York 1976
Thompson, J. D. : Organizations in Action, New York 1967
Weber, M. : Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972
Woodward, J. : Management and Technology, London 1958

 

 


 

<< vorhergehender Begriff
nächster Begriff >>
Betriebs- und Organisationsklima
 
Betriebsabrechnung