Kulturbetriebe
Inhaltsübersicht
I. Definitorische Grundlage
II. Kultur- und organisationstheoretische Basis
III. Empirische Befunde
IV. Organisatorische Spezifika von Kulturbetrieben
I. Definitorische Grundlage
Der Terminus Kulturbetrieb hat im realen Sprachgebrauch zwei Bedeutungsebenen: makroinstitutionell bezeichnet er das gesamte kulturelle Teilsystem einer Gesellschaft, mikroinstitutionell eine konkrete Organisation im Rahmen des Kultursektors. Aufgrund intensiver funktionaler Dependenzen zwischen Makro- und Mikroperspektive versteht sich die Wissenschaftsdisziplin der Kulturbetriebslehre als analytisch zuständig für beide Betrachtungsweisen (siehe im Detail Hasitschka, Werner 1992, S. 81 ff.). Makroinstitutionelle Forschungsinteressen beziehen sich z.B. auf aggregierte kulturstatistische Analysen (Kulturfinanzierungsstrukturen, Wertschöpfungsanteile, Beschäftigungseffekte, sog. Umwegrentabilitäten), Untersuchungen kultureller Rezeptionsmuster, kulturpolitische Studien, Kausalitäten zwischen kulturellen und ökonomischen Variablen, Entwicklungen von Kulturmärkten, kulturwissenschaftliche Theorien etc.
Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich ausschließlich mit der kulturbetrieblichen Mikroebene. Aufgrund der empirischen und theoretischen Komplexität und Heterogenität des Kultursektors erscheint eine kurze nominaldefinitorische Reflexion unumgänglich. Die Begriffe Kultur und Betrieb entstammen unterschiedlichen sozialen Teilsystemen mit unterschiedlichen Funktionen (Sinnkonstruktion, Güterallokation), Codes (Symbole, Geld), Organisationen (Kunst, Wirtschaftsunternehmen) etc. Dies erfordert, neben der interdisziplinären Ausrichtung der Kulturbetriebslehre, eine hinlänglich offene und heuristisch anschlussfähige Festlegung des Betriebsbegriffs. Insofern wird von einer rein technischen bzw. juristischen bzw. ökonomischen Einengung abgesehen und für einen soziologischen Ansatz plädiert (vgl. Raffée, Hans 1974, S. 27):
Betrieb sei somit definiert als zielorientiertes, institutionelles Sozialsystem, als Organisation im Sinne von Organisat (Türk, Klaus 1992, Sp. 1634).
Angesichts einer mehr als 2000-jährigen Tradition und Genese des Kulturbegriffs, verbunden mit einer enormen quantitativen und qualitativen Komplexität einschlägiger Begriffsarbeit, verwundert die mancherorts geäußerte Meinung nicht, dieser Begriff entzöge sich überhaupt jedwedem Bemühen, ihn zu konkretisieren. Diese (gelegentlich als Provokation verstandene) Resignation befriedigt wissenschaftlich nicht. Die Problematik einer nahezu unübersehbaren Vielfalt an Begriffsangeboten bedingt eine Transparenz der Auswahlbegründung definitorischer Merkmale. Vordringlich bedeutsam erscheinen in diesem Zusammenhang die Kriterien der Erfassung grundsätzlicher (abstrakter) Muster unterschiedlicher Kulturkonzeptionen, der Berücksichtigung wesentlicher begriffsgeschichtlicher Traditionen, der interdisziplinären Anschlussfähigkeit sowie der Einbeziehung internationaler Konventionen der realen Begriffsverwendung, z.B. der UNESCO-Definition (vgl. hierzu im Detail Hasitschka, Werner 1997, S. 13 ff.). Einen Überblick über die zahlreichen Begriffsalternativen kann man überhaupt nur mehr über Typologien oder gemeinsame Merkmalsdimensionen gewinnen (vgl. Reckwitz, Andreas 2000, S. 64 ff.; Kettner, Matthias 2004, S. 225 ff.).
Die anthropologische Charakteristik und damit kulturelle Fundierung des Menschen als animal symbolicum (Cassirer, Ernst 1990, S. 51) betont die (im Vergleich zur Tierwelt) verzögerte Reiz-Reaktion bedingt durch Symbolisierungsleistungen (Denken, Bewerten von Handlungsalternativen). „ Die knappste Definition von Kultur lautet daher \'Kultur ist Wertung\' “ (Weber, Max zitiert bei Baecker, Dirk 2000, S. 104).
Kultur sei somit definiert als Summe geteilter Werte und Normen (Mentefakte), die symbolisch über Artefakte (menschliche Praktiken, Handlungen und Produkte) kommuniziert werden.
Kulturbetrieb sei nun präzisiert als zielorientiertes, institutionelles Sozialsystem, das als dominantes Leistungsziel Werte und Normen thematisiert.
Organisationen verfügen über Leistungs- bzw. Sachziele (Angebote, Produkte, Leistungsprogramme) und Formalziele (Kriterien der Erfolgsbeurteilung wie z.B. Bildungsauftrag, Gewinn, Wirtschaftlichkeit; vgl. Grochla, Erwin 1972, S. 38 ff.). Hier wird also das dominante Leistungsangebot als entscheidend für die Zuordnung als Kulturbetrieb argumentiert. Realtypisch können unterschiedlichste Formalziele vorliegen, d.h. bei Kulturbetrieben handelt es sich um private wie öffentliche, um erwerbs- wie bedarfswirtschaftliche Organisationen.
Kultur, als anthropologischer Charakterisierungsansatz des Menschen, umfasst die ideelle (Werte- und Normen-)Dimension eines Sozialsystems. Aufgrund der Immaterialität muss Kultur über Artefakte symbolisch kommuniziert werden. Kultur ist in allen menschlichen Artefakten inkorporiert, meist jedoch lediglich latent bzw. implizit (z.B. in sozialen Praktiken, d.h. Routinen bzw. Habitualisierungen; vgl. Zembylas, Tasos 2004, S. 305 ff.). Explizit gemacht (thematisiert) werden kann die latente ideelle Basis durch reflektierte Handlungen bzw. (institutionalisiert) durch Organisationen (= Kulturbetriebe; vgl. Hasitschka, Werner/Tschmuck, Peter/Zembylas, Tasos 2005; Tschmuck, Peter 2003, S. 15 ff.). Kulturbetriebe sind somit spezialisiert auf die Präsentation, Diskussion, Kritik und Stabilisierung von Werten und Normen, funktional auf die soziale Bedeutungs- und Sinnkonstruktion.
II. Kultur- und organisationstheoretische Basis
Die Kulturbetriebslehre als Interdisziplin zwischen den Teilsystemen Organisation/Ökonomie und Kultur versucht schon durch die Wahl der theoretischen Basis eine Integration bzw. Interdependenz der beiden Sphären abzubilden (vgl. im Detail Hasitschka, Werner 1997, S. 13 ff.). Zweckmäßig erscheint diesbezüglich eine eklektische Verknüpfung von Handlungs-, Praxis-, Wert- und Symboltheorie.
Handlungen als bewertetes, zielorientiertes Verhalten unterstreichen die menschliche Reflexionsfähigkeit, d.h. die Verzögerung des Reiz-Reaktions-Mechanismus durch die explizite Bewertung von Alternativen (Handlungsplänen bzw. -zielen als angestrebte Güterwerte). Der Bewertungsvorgang setzt logisch und empirisch grundlegende Bewertungskriterien (= Orientierungswerte) voraus. Diese stellen somit unsere basale Verhaltensbegründung dar: „ Gründe sind Kulturleistungen par excellence “ (Kettner, Matthias 2004, S. 229). Pragmatisch bzw. praxistheoretisch gewendet, bleibt es jedoch häufig im Rahmen sozialer Praktiken (Handlungsroutinen, Habitualisierungen) lediglich bei einer latenten bzw. impliziten Berücksichtigung von Werten/Normen bzw. Regeln: „ Die gängigen Praktiken sind immer auch schon durch Gründe ausgelegt. “ (Kettner, Matthias 2004, S. 228). Menschliches Verhalten lässt sich somit durch unterschiedliche Grade der Explizitheit von Werten/Normen bzw. Begründungen charakterisieren: „ Praktisches Leben ist eine kontinuierliche Mischung von Routine und Reflexion ? “ (Hörning, Karl 2004, S. 145). Aufgrund der Immaterialität von Werten/Mentefakten müssen sie (gemäß Symbol- und Zeichentheorie) über Artefakte (Handlungen, Handlungsfolgen) vergegenständlicht werden. Symbole korrelieren für einen Interpreten Sinnliches (Signifikanten, Artefakte) mit Sinn (Bedeutung, Signifikate, Mentefakte). Sinn sei dabei festgelegt als Differenz zwischen Güterwert (einer Handlung) und Orientierungswert (idealer Maßstab) oder mit Luhmann, Niklas 1987, S. 100: Sinn als „ Differenz von Aktualität und Möglichkeit “ .
Begreift man Organisation (funktional) als Regelsystem für zielorientierte Prozesse und Strukturen, so folgt aus der Zielorientiertheit von Handlungen ( „ ? ziellose Handlungen sind ? eine contradictio in adjecto. “ Greve, Werner 2004, S. 238) die Unausweichlichkeit einer organisatorisch/ökonomischen Perspektive jedweder Handlung bzw. Praktik. Wichtig erscheint diesbezüglich die reale Wechselwirkung: Kultur (symbolisiert über Handlungen) bedingt immer auch Organisation/Ökonomie, Organisation/Ökonomie (einer Handlung) bedarf immer auch einer expliziten/impliziten Wertebasis (Kultur).
Kulturbetriebe thematisieren explizit Werte und Normen als dominantes Leistungsziel. Insofern muss eine (weiter unten folgende) Herausarbeitung der Spezifika von Kulturbetrieben werttheoretisch ansetzen. Andere Merkmale der Typenbildung verbleiben lediglich situativ/kasuistisch wie z.B. Dienstleistungsbetriebe, Öffentliche Betriebe, Nonprofit-Organisationen etc.
Wert sei definiert als Orientierungswert, d.h. als idealer Maßstab zur Beurteilung von Güterwerten (= subjekt-, objektabhängige Bewertung von Handlungsalternativen bzw.-folgen) (vgl. Oldemeyer, Ernst 1980, S. 702).
Werte kennzeichnen Handlungsalternativen als gut, Normen als sozial richtig (verbunden mit Sanktionsmöglichkeiten). Werte und Normen sind implizit in sozialen Praktiken inkorporiert (Tacit Knowledge) bzw. werden in Handlungen und Organisationen/Kulturbetrieben expliziert bzw. reflexiv, wobei Formalisierung, Generalisierung und Abstraktion als Modi der Bedeutungskonstruktion aus situativem Wissen in Frage kommen (vgl. Renn, Joachim 2004, S. 240).
Werte stellen sich als eminent komplexe Güter dar, bedingt u.a. durch ihre (häufige) Latenz, jedoch Zentralität sowohl individuell wie sozial. Als Handlungsbasis definieren sie Identitäten, entsprechend erweisen sich Konflikte um Werte als mit hohem ego-involvement und daher Konfliktintensität ausgezeichnet. Die Immaterialität von Werten bedarf der durchgängigen Symbolisierung. Der entsprechende kognitive, ethische oder ästhetische Zeichenprozess setzt ein hohes Maß an Dekodierungsfähigkeit und -bereitschaft beim Rezipienten voraus. Die Thematisierung von Werten kann lediglich als Reflexionsangebot realisiert werden, das grundsätzlich offen bleibt und dessen (kommunikativer) Erfolg wesentlich von Wahrnehmungs-, Interpretations- und Akzeptanzleistungen seitens der Nutzer abhängen (vgl. die Genese der Werte als „ ? Erfahrungen der Selbstbildung und Selbsttranszendenz ? “ , Joas, Hans 1999, S. 227).
Werte entstehen durch (und basieren) Kommunikation. Von der frühkindlichen Sozialisation an entwickeln und stabilisieren sich Normen und Werte im Wechselspiel zwischen Gesellschaft und Individuen. Werte erscheinen hier als deutlich grundsätzlicher und dauerhafter als z.B. situative, flexible Präferenzen. Durch die genetische und kommunikative Sozialität können (geteilte) Werte als gesellschaftliches Koordinationsmedium (neben z.B. Macht, Geld) dienen (vgl. dazu auch die Ansätze einer Analyse der Organisationskultur). Die kommunikative Grundlage von Wertbildungsprozessen macht es notwendig, den gesamten kommunikativen Kontext des symbolischen Werteangebots zu untersuchen (Sender, Medium, Rezipient, Umfeld). Die argumentierte Sozialität von Werten und die damit verbundene soziale Koordinationsfunktion haben zur Konsequenz, dass zumindest die ideellen Mentefakte ein kollektives Gut darstellen, d.h. es können und sollen keine privaten Eigentumsrechte an diesen Gütern definiert werden.
Kultur (bzw. Orientierungswerte) vermittelt individuellen und sozialen Sinn (= semantische Bedeutung eines Zeichens und pragmatische Bedeutung von Handlungsalternativen). Diese grundsätzliche Orientierungsleistung dient der Konstruktion von Identität (kontinuitätssichernde Selbstthematisierung und -charakterisierung, aber auch Abgrenzung/Distinktion), Motivation (emotional/kognitive Handlungsorientierung) und Integration (legitime Handlungskoordination).
III. Empirische Befunde
Der Cultural Turn im Bereich der Theoriekonstruktion verschiedenster Wissenschaftsdisziplinen (vgl. etwa im Überblick Jaeger, Friedrich/Straub, Jürgen 2004, S. 467 ff.; Reckwitz, Andreas 2000, S. 15 ff.) findet seinen Niederschlag auch in empirischen Arbeiten.
Die vielfach rezipierte kulturökonomische Initialzündung von Baumol, William/Bowen, William (zitiert bei Frey, Bruno 1990, S. 69 ff.) belegt das grundsätzliche ökonomische Dilemma vieler Kulturbetriebe, nämlich die Schwierigkeit, durch Produktivitätsfortschritte die steigenden Personalkosten egalisieren zu können, und argumentiert konsequenterweise für die Notwendigkeit staatlicher Kulturfinanzierung.
Interessante kulturalistische Zusammenhänge zwischen Kultur und Ökonomie bzw. Politik finden sich bei Harrison, Lawrence/Huntington, Samuel 2002 sowie bei Tanner, Jakob 2004, S. 195 ff.
Eine kulturalistische Soziologie der Gesellschaft liefert Schulze, Gerhard 1993. Gestützt durch umfangreiche empirische Erhebungen diagnostiziert der Autor eine Hinwendung individueller wie sozialer Verhaltensweisen in Richtung einer subjektiven alltagsästhetischen Erlebnisorientierung mit entsprechend kulturell definierter Milieustruktur (Stilmuster), die mit den Variablen Alter und Bildung korrespondiert. Persönlicher Stil bzw. (Kultur-)Verhalten kann dabei zeichentheoretisch drei Bedeutungsebenen ausdrücken: Genuss, Distinktion (soziale Abgrenzung) und Lebensphilosophie (Werte). Die Abhängigkeit des Kulturverhaltens vom Alter und vom Bildungsgrad (d.h. auch von der Rezeptionsfähigkeit) lässt sich durchgängig bestätigen (vgl. Hasitschka, Werner 1995, Sp. 1325 f.; Hasitschka, Werner 1977). Zahlreiche Studien zum Einfluss von Kognitionen (Bedeutungswerten) auf die Motivation liefern Kreitler, Hans/Kreitler, Shulamith (zitiert bei Seibt, Johanna 2005, S. 211 ff.). Überblicke über kulturpsychologische Evidenzen bieten Straub, Jürgen 2004, S. 568 ff.; Trommsdorff, Gisela/Friedlmeier, Wolfgang 2004, S. 358 ff. und unter der Perspektive des KulturmarketingHasitschka, Werner 1995, Sp. 1325 f.
IV. Organisatorische Spezifika von Kulturbetrieben
1. Umfeld
An immateriellen Orientierungswerten können und sollen (bedingt durch die sozialintegrative Leistung der Kultur) keine Eigentumsrechte definiert werden. Sie stellen somit kollektive Güter dar. Diese Charakteristik, verbunden mit der zentralen Verhaltensrelevanz von Werten, impliziert in der Regel ein hohes öffentliches bzw. politisches Interesse an kulturbetrieblichen Angeboten (vgl. etwa die Erfordernis qualifizierter parlamentarischer Mehrheitsbeschlüsse im Rahmen der Bildungspolitik, verfassungsrechtliche Freiheitsgarantien für Wissenschaft und Kunst, Schulpflicht als Zwang zur kulturellen Sozialisation, intensive Diskussionen über künstlerische oder religiöse Manifestationen bzw. über entsprechende Subventionen etc.). Aufgrund dieser hohen öffentlichen Relevanz (verbunden mit dem ökonomischen Dilemma) von Kulturbetrieben resultiert historisch ein starkes staatliches Engagement (z.B. Trägerschaft von Kulturbetrieben, Kulturfinanzierung bzw. Kulturpolitik). Kulturbetriebe begegnen also einer enormen Bandbreite unterschiedlichster Interessentengruppen. Die typische Abhängigkeit von öffentlicher Finanzierung bedeutet in Phasen volkswirtschaftlicher Budgetsanierungen ein hohes Risiko für die kulturbetriebliche Leistungserstellung. Budgetäre Kürzungen führen zu erhöhter bzw. prioritärer Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeitszielen bzw. Marktorientierung bis hin zur privatwirtschaftlichen Transformation. Die Komplexität der Kulturpolitik (Werte können z.B. nicht verordnet werden) sowie deren Zersplittertheit (unterschiedliche Ressorts auf Gemeinde-, Länder- und Bundesebene) versehen das kulturbetriebliche Umfeld mit zusätzlicher Instabilität.
Die individuelle und soziale Erlebnisorientierung (siehe Abschnitt III) im Rahmen einer Erlebnisgesellschaft bzw. Freizeitgesellschaft verstärkt die Konkurrenzsituation für viele Kulturbetriebe beträchtlich. Das gewinnorientierte Anbieten von Erlebnissen, charakterisiert durch Schematismus, Imageprofilierung und Suggestion von Neuartigkeit (vgl. Schulze, Gerhard 1993, S. 439 ff.), verläuft, ebenso wie die Nachfrage, weitgehend hedonistisch. Komplexere Kultursymbole müssen sich bezüglich der Widmung von Aufmerksamkeit, Zeit und Budget gegenüber einfacher zu rezipierenden Marktprodukten durchsetzen.
Eine weitere wichtige Umfeldvariable stellt die Medienentwicklung dar. Der mediale Kontext kultureller Symbolproduktion von Grafik über Elektronik bis zur Digitalität prägt wesentlich die Bandbreite und formale Qualität kultureller Artefakte (vgl. hierzu Smudits, Alfred 2002; Schmidt, Siegfried 2000).
2. Zentrale kulturbetriebliche Spezifika
Die wohl gravierendste Besonderheit von Kulturbetrieben ergibt sich aus der hohen Komplexität des Zielsystems mit entsprechenden Konsequenzen für Planungs-, Organisations- und Kontrollentscheidungen. Kulturbetriebe thematisieren als dominantes Leistungsziel Werte und Normen, d.h. sie „ produzieren “ Sinn (= Bedeutungen). Formalziele (Beurteilungskriterien für Entscheidungen) können erwerbswirtschaftlich (gewinnorientiert) oder bedarfsorientiert vorliegen. Relativ unproblematisch erscheint das Zielsystem für gewinnorientierte Kulturbetriebe (z.B. Galerien, private Weiterbildungsanbieter, Tonträgerindustrie, private Medien): Das oberste Beurteilungskriterium (= Formalziel Gewinn) dominiert das Leistungsangebot an Kultur. Zielkonflikte zwischen Formalziel und Kulturleistungen (z.B. stärkere Abnehmerorientierung durch Marktnähe von Arte- und Mentefakten) müssen situativ entschieden werden.
Im Nonprofit-Bereich kann nur die Sinnkonstruktion mittels Kultur als oberstes Formalziel herangezogen werden. Die immaterielle Kommunikation von Werten (symbolische Interaktion) wird dabei begleitet von einer Tausch-Interaktion (Artefakte gegen Ressourcen wie Geld, Zeit, Aufmerksamkeit; vgl. im Detail Hasitschka, Werner 1997, S. 29 ff.). Die direkt (handlungskausal) zurechenbaren Ziele bzw. Erfolge eines Kulturbetriebs können nun interaktionsanalytisch als Stufenmodell präsentiert werden:
Formalziel: Sinnkonstruktion (Identität, Motivation, Integration; siehe Abschnitt II) bzw. kommunikative Vorbedingungen (Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Interesse, Verständnis).
Ersatzindikatoren:
- | Kognitive/ethische/ästhetische Symbolqualität (E1) Sektorale Typologie bzw. Spezialisierung von Kulturbetrieben durch vorherrschenden Symbolmodus: kognitiv (Wissenschaft, Bildung, Medien), ethisch (Religion, Recht), ästhetisch (Kunstsparten) mit entsprechend kommunikativer Spezialisierung bezüglich Senderintention (objektiv, normativ/evaluativ, expressiv), Interaktionsstil (explizierend, implizierend, demonstrierend), Artefaktform (Modelle, Imperative, ikonische Zeichen), Rezeption (wissens-reflexiv, normen-reflexiv, sensual-reflexiv), Erkenntnisleistung (Wissen um, Evaluierung und Wahrnehmung von Werten), Rationalitätstypus (Wahrheit, Richtigkeit, Ikonizität d.h. Grad der Entsprechung von Form/Inhalt). | - | Immaterielle Gegenleistung (Inanspruchnahme, quantitative Rezeption) z.B. Besuchsfrequenzen, Quoten, Auslastung, Schüleranzahl (E2) | - | Materielle Gegenleistung z.B. Eigendeckungsgrad durch Einnahmen, öffentliche Kulturfinanzierung, Wirtschaftlichkeit (E3) | - | Leistungsangebot (quantitativer Output) z.B. Anzahl Veranstaltungen, Produktionen, Publikationen, Absolventen (E4) | - | Input (Ressourcen als Produktionsbedingungen) (E5). |
Streng genommen gilt nur die Sinnkonstruktion als kulturbetriebliches Formalziel. E1 bis E5 stellen lediglich Ersatzindikatoren der Zielbildung bzw. der Erfolgsmessung dar, charakterisiert durch zunehmend einfachere Messbarkeit, geringere Validität (Entsprechung zwischen Formalziel und Messindikator), geringeren Einfluss der Rezipienten und größeren Erfolgsbeitrag des Kulturbetriebs. Formalziel und Ersatzindikator E1 verweisen auf die bedeutende Abhängigkeit einer erfolgreichen Kommunikation vom Rezipientenverhalten (Impact). E2 bis E4 folgen der Tausch-Interaktion (Gegenleistung, Leistung).
Neben den direkten Zielen einer erfolgreichen Interaktion zwischen Kulturanbietern und -nutzern existieren auch indirekte Effekte, d.h. kausal nur mehr partiell dem Kulturbetrieb zurechenbare Leistungen, z.B. berufliche oder ökonomische Erfolge der Abnehmer kultureller Angebote, Umwegrentabilitäten etc.
Das oben argumentierte Zielsystem demonstriert seine Komplexität durch die Vielzahl an Zielen bzw. Zielbeziehungen und durch die zeitliche Veränderbarkeit (Dynamik) der Zielbildungsprozesse bedingt durch die Teilnahme unterschiedlichster Interessentengruppen am Entscheidungsprozess. Insbesondere Zielkonflikte (z.B. zwischen kultureller Symbolqualität und Wirtschaftlichkeit) und schleichende Transformationen von Kulturbetrieben (z.B. de facto dominiert Ziel der Einnahmenerhöhung) lassen sich beobachten. Als weiteres Spezifikum gilt, dass wesentliche Ziele von Kulturbetrieben (z.B. künstlerische Qualität) messtheoretisch nicht simpel bis naiv über quantitative Erfolgsindikatoren abbildbar sind. Die notwendige Operationalisierung von Zielen und Erfolgskontrollen muss stattdessen mittels Vereinbarung über bestimmte Verfahren erfolgen (z.B. Qualitätsdiskussion, Werteforschung, Demoskopie, Peer Review, Schiedsverfahren, Bargaining), die sich jedoch kontrollökonomisch rechtfertigen lassen sollten (Kosten-Nutzen-Relation der Kontrollintensität).
Weitere kulturbetriebliche Spezifika betreffen den Produktionsprozess kognitiver, ethischer bzw. ästhetischer Symbole. Dieser setzt hochqualitatives und -spezialisiertes Wissen und entsprechend autonome Freiräume als Bedingungen kreativer Handlungen voraus. Daraus ergeben sich in der Regel ein geringes Routinisierungs- bzw. Standardisierungspotenzial, dezentrale Projekt- bzw. Matrixorganisationen, flache Hierarchien und geringere Formalisierungsgrade der Planung (u.a. aufgrund der Problematik von Prognosen kommunikativer Erfolge).
Kulturbetriebe weisen charakteristisch eine äußerst hohe quantitative Personalintensität (verbunden mit entsprechend hoher Fixkostenstruktur) auf. Kreative und spezialisierte Symbolisierungsprozesse führen qualitativ zu einer Expertenkultur mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften (Bildungsgrad, hohes ego-involvement, intrinsische Motivation, Neugier, Autonomie, Energie- und Konfliktpotential) und geeigneten organisatorischen Konsequenzen wie z.B. partizipative Führung, Vermeidung motivationshemmender Kontrollverfahren, hohe Bedeutung informeller Kommunikation und analoger Organisationskultur sowie Zulassen eigenständiger Symbolproduktion ohne unmittelbare Kundenorientierung im Rahmen eines sich vorwiegend auf den Service-Bereich konzentrierenden spezifischen Kulturmarketing (vgl. Hasitschka, Werner 1995, Sp. 1319 ff., Hasitschka, Werner/Hruschka, Harald 1982).
Literatur:
Baecker, Dirk : Wozu Kultur?, Berlin 2000
Cassirer, Ernst : Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur, Frankfurt a.M. 1990
Frey, Bruno : Ökonomie ist Sozialwissenschaft, München 1990
Greve, Werner : Handeln in Widerfahrniskontexten. Handlungsabsichten, Handlungsbedingungen und Bedingungen von Handlungsabsichten, in: Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 2, hrsg. v. Jaeger, Friedrich/Straub, Jürgen, Stuttgart 2004, S. 220 – 248
Grochla, Erwin : Unternehmungsorganisation, Reinbek bei Hamburg 1972
Harrison, Lawrence/Huntington, Samuel : Streit um Werte. Wie Kulturen den Fortschritt prägen, Hamburg 2002
Hasitschka, Werner : Marketing für Nonprofit-Organisationen. Eine empirische Studie über Barrieren des Kulturverhaltens, Arbeitspapier der absatzwirtschaftlichen Institute der Wirtschaftsuniversität Wien, Wien 1977
Hasitschka, Werner : Kulturbetriebslehre. Konturen eines neuen Wissenschaftsbereichs, in: Musik &, Jahrbuch Nr. 1 der Hochschule für Musik und darstellende Kunst, hrsg. v. Schwarz, Helmut, Wien 1992, S. 81 – 99
Hasitschka, Werner : Kulturmarketing, in: Handwörterbuch des Marketing, hrsg. v. Tietz, Bruno/Köhler, Richard/Zentes, Joachim, 2. A., Stuttgart 1995, Sp. 1319 – 1328
Hasitschka, Werner : Kulturbetriebslehre und Kulturmanagement. Interaktionsanalytischer Ansatz, Arbeitspapier Nr. 1, Institut für Kulturmanagement, Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Wien 1997
Hasitschka, Werner/Hruschka, Harald : Nonprofit-Marketing, München 1982
Hasitschka, Werner/Tschmuck, Peter/Zembylas, Tasos : Cultural Institutions Studies. Investigating the Transformation of Cultural Goods, in: The Journal of Arts Management, Law and Society, Jg. 35, H. 2/2005, S. 147 – 158
Hörning, Karl : Kultur als Praxis, in: Handbuch der Kulturwissenschaften. Bd. 1, hrsg. v. Jaeger, Friedrich/Liebsch, Burkhard, Stuttgart 2004, S. 139 – 151
Jaeger, Friedrich/Straub, Jürgen : Handbuch der Kulturwissenschaften. Bd. 2, Stuttgart 2004
Joas, Hans : Die Entstehung der Werte, Frankfurt a.M. 1999
Kettner, Matthias : Werte und Normen. Praktische Geltungsansprüche von Kulturen, in: Handbuch der Kulturwissenschaften. Bd. 1, hrsg. v. Jaeger, Friedrich/Liebsch, Burkhard, Stuttgart 2004, S. 219 – 231
Luhmann, Niklas : Soziale Systeme, Frankfurt a.M. 1987
Oldemeyer, Ernst : Wert, in: Handbuch wissenschaftstheoretischer Begriffe. Bd. 3, hrsg. v. Speck, Josef, Göttingen 1980, S. 701 – 702
Raffée, Hans : Grundprobleme der Betriebswirtschaftslehre, Göttingen 1974
Reckwitz, Andreas : Die Transformation der Kulturtheorien, Weilerswist 2000
Renn, Joachim : Wissen und Explikation. Zum kognitiven Geltungsanspruch der „ Kulturen “ , in: Handbuch der Kulturwissenschaften. Bd. 1, hrsg. v. Jaeger, Friedrich/Liebsch, Burkhard, Stuttgart 2004, S. 232 – 250
Schmidt, Siegfried : Kalte Faszination. Medien-Kultur-Wissenschaft in der Mediengesellschaft, Weilerswist 2000
Schulze, Gerhard : Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a.M. et al. 1993
Seibt, Johanna : Kognitive Orientierung als epistemisches Abenteuer, in: Orientierung. Philosophische Perspektiven, hrsg. v. Stegmaier, Werner, Frankfurt a.M. 2005, S. 197 – 224
Smudits, Alfred : Mediamorphosen des Kulturschaffens, in: Schriftenreihe „ Musik und Gesellschaft “ , Wien, Bd. 27, 2002
Straub, Jürgen : Kulturwissenschaftliche Psychologie, in: Handbuch der Kulturwissenschaften. Bd. 2, hrsg. v. Jaeger, Friedrich/Straub, Jürgen, Stuttgart 2004, S. 568 – 591
Tanner, Jakob : „ Kultur “ in den Wirtschaftswissenschaften und kulturwissenschaftliche Interpretationen ökonomischen Handelns, in: Handbuch der Kulturwissenschaften. Bd. 3, hrsg. v. Jaeger, Friedrich/Rüsen, Jörn, Stuttgart 2004, S. 195 – 224
Trommsdorff, Gisela/Friedlmeier, Wolfgang : Zum Verhältnis zwischen Kultur und Individuum aus der Perspektive der kulturvergleichenden Psychologie, in: Positionen der Kulturanthropologie, hrsg. v. Assmann, Aleida/Gaier, Ulrich/Trommsdorff, Gisela, Frankfurt a.M. 2004, S. 358 – 386
Tschmuck, Peter : Kreativität und Innovation in der Musikindustrie, Innsbruck 2003
Türk, Klaus : Organisationssoziologie, in: Handwörterbuch der Organisation, hrsg. v. Frese, Erich, 3. A., Stuttgart 1992, Sp. 1633 – 1648
Zembylas, Tasos : Kulturbetriebslehre. Grundlagen einer Inter-Disziplin, Wiesbaden 2004
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