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Kundenanalyse


Inhaltsübersicht
I. Grundlagen
II. Analyse der Bedeutung des Kunden
III. Die Analyse der Geschäftsprozesse des Kunden

I. Grundlagen


1. Der Kunde als Koalitionspartner


Die besondere Bedeutung des Kunden im Unternehmen lässt sich theoretisch aus der Sichtweise der Behavioral Theory of the Firm begründen. Danach sind Unternehmen Koalitionen aus Individuen oder Gruppen von Individuen (Cyert, R. M./March, J. G. 1963). Die Ziele der Koalition ergeben sich in einem Abstimmungsprozess aus den teilweise kooperativen und teilweise konfligierenden Interessen der einzelnen Koalitionsmitglieder und sind im Zeitablauf Änderungen unterworfen.
Akzeptiert man das langfristige Überleben als das wichtigste Ziel eines Unternehmens, so ist ein Unternehmen darauf angewiesen, Koalitionspartner zu gewinnen, die durch die Überlassung wichtiger Ressourcen zur Erreichung diese Ziels beitragen (Pfeffer, J./Salancik, G. 1978). Ein Unternehmen wird seine Aktivitäten vorrangig auf solche Koalitionspartner ausrichten, die über eine kritische Ressource verfügen. Kritisch ist eine Ressource dann, wenn sie die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und damit das Überleben des Unternehmens nachhaltig beeinflusst. Derartige Ressourcen können durchaus unterschiedliche Formen annehmen. Zu denken ist z.B. an den Zugang zu technologischem Know-how, an Eigenkapital, an qualifizierte Führungskräfte, an politischen Goodwill oder an die Ressource Nachfrage, d.h. an die Bereitschaft der Kunden auf der Grundlage von »Zuneigung« gegenüber dem Leistungsangebot des Anbieters Gegenleistungen – überwiegend finanzieller Art – zu erbringen.
Die Marketing-Konzeption basiert auf der Annahme, dass die Ressource Nachfrage langfristig besonders kritisch ist (Plinke, W. 1992).

2. Kundenanalyse als Voraussetzung einer markt- und kundenorientierten Geschäftsführung


Kundenanalyse ist die systematische Sammlung, Ordnung, Verdichtung und Auswertung von Informationen über Kunden und Kundengruppen. Kundenanalyse dient also der Schaffung der informatorischen Basis für das Verhalten von Anbietern gegenüber der kritischen Ressource Kunde mit dem Ziel, die Verfügbarkeit dieser Ressource auf Dauer sicherzustellen.
Die Kundenanalyse trägt der besonderen Bedeutung der Kunden als Koalitionspartner in einem Unternehmen Rechnung. Sie berücksichtigt aber auch, dass es sich bei den Kunden keinesfalls um eine homogene Gruppe von Koalitionsteilnehmern handelt. Vielmehr unterscheiden sich die Kunden untereinander sowohl in Bezug auf ihre Ressourcen, die sie in das Unternehmen einbringen können, als auch in Bezug auf ihre Bedürfnisse. Ein Unternehmen muss daher in einer Kundenanalyse die Ressourcen eines Kunden nach Art und Menge bewerten und darüber hinaus die Anreize berücksichtigen, die erforderlich sind, um einen Kunden zur Koalitionsteilnahme zu motivieren. Daraus ergeben sich zwei Dimensionen der Kundenanalyse:

-

Die Analyse der Bedeutung von Kunden für das Unternehmen.

-

Die Analyse der Geschäftsprozesse des Kunden.


Auf die Analyse der Bestimmungsfaktoren des Konsumentenverhaltens und Organisationalen Kaufverhaltens wird hier verwiesen.

II. Analyse der Bedeutung des Kunden


1. Begriffe der Bedeutung


Der Kunde ist aus den Augen des Anbieters ein Koalitionspartner, der dem Anbieter Beiträge zur Erreichung seiner Ziele (»Problemlösungen«) ermöglicht.
Die Bedeutung eines Kunden ergibt sich aus dem Wert der Gesamtheit der Ressourcen, die er dem Anbieter zur Verfügung stellt. Dabei sind die einzelnen Ressourcen durchaus nicht alle gleich bedeutsam in den Augen des Anbieters, vielmehr bewertet er die erhaltenen oder erhältlichen Ressourcen unterschiedlich im Hinblick auf den geforderten Beitrag zu seiner Zielerreichung sowie im Hinblick auf die gegebene oder erwartete Situation, insb. die Knappheitssituation der Ressource.
Es lässt sich also als allgemeine Definition der Bedeutung eines Kunden K angeben:
Kundenanalyse
Der Gesamtnutzen des Kunden K ist der Nettoschaden, der eintritt, wenn dieser Kunde abwandert.
Die Höhe des Nutzens, den eine bestimmte Ressource für den Anbieter stiftet, hängt von drei Determinanten ab: der Art, der Beherrschbarkeit und der Menge. Die Art der Ressource bezeichnet den Engpasscharakter. Gegenüber den Inhabern kritischer Ressourcen besteht dann Abhängigkeit, wenn der Anbieter sie nicht untereinander substituieren kann. Die Beherrschbarkeit einer Ressource ergibt sich aus den Einwirkungsmöglichkeiten des Anbieters auf Situation und Zielsetzung des Kunden. Je größer die Einwirkungsmöglichkeiten und/oder je stärker die Substitutionsmöglichkeiten in Bezug auf die Beschaffung einer Ressource sind, desto geringer wird die subjektiv wahrgenommene Bedeutung dieser Ressource sein. Die Menge der Ressource bestimmt ebenfalls die Höhe des Nutzens. Dabei können durchaus unterschiedliche Funktionsverläufe auftreten.
Die Bedeutung eines Kunden ist also nicht absolut zu definieren, sondern sie ergibt sich aus dem Verlauf der Nutzungsfunktionen der von diesem Kunden bereitgestellten Ressourcen.
Darüber hinaus ist die Bedeutung eines Kunden in einen dynamischen Kontext zu stellen. Neben einer Veränderung der Nutzenfunktion für eine bestimmte Ressource des Kunden können auch der Koalitionsbeitrag des Kunden oder der erforderliche Anreiz für eine Koalitionsteilnahme des Kunden im Zeitablauf Änderungen unterworfen sein.

2. Kriterien und Maßgrößen der Kundenbedeutung

a) Operationalisierung und Quantifizierung


Die Kriterien und Maßgrößen der Kundenbedeutung lassen sich unterschiedlich präzise operationalisieren und quantifizieren. Einige sind exakt in ökonomischen Größen ausdrückbar, andere nicht. Einige sind als Istwerte sichere Größen, andere unterliegen einer Prognoseunsicherheit. Diese Unterschiede stehen einer praktischen Anwendung nicht im Wege. Sofern überhaupt eine Quantifizierung angestrebt wird, sind für die nachfolgend aufgeführten Einzelkriterien zu unterscheiden

1.

Istgrößen und Erwartungsgrößen,

2.

Periodengrößen und Durchschnittsgrößen,

3.

Bestandsgrößen und Veränderungsraten,

4.

Absolute Größen und relative Größen.

b) Einzelkriterien


Das wichtigste und verbreitetste Einzelkriterium zur Erfassung der Bedeutung von Kunden ist der Umsatz, den der Anbieter mit dem Kunden tätigt. Obwohl es betriebswirtschaftlich nicht zuträglich ist (es wäre korrekter, von »Lieferumfang« zu sprechen), wird der Umsatz als absolute Größe praktisch gleichgesetzt mit der Maßgröße der Ressource »finanzielle Mittel«, deren Bedeutung vor allem aus der Notwendigkeit des Anbieters resultiert, ausgabewirksame Kosten decken zu müssen.
Relative Umsatzgrößen sind beispielsweise der Umsatz mit einem Kunden in dieser Periode im Verhältnis zum gesamten Umsatz des Anbieters in dieser Periode (Umsatzanteil des Kunden) oder der Umsatz mit einem Kunden in dieser Periode im Verhältnis zu seinem gesamten Bedarf in dieser Produktklasse in dieser Periode (Lieferanteil des Anbieters) oder der Umsatz mit einem Kunden in dieser Periode im Verhältnis zu seinen Bezügen beim größten Wettbewerber des Anbieters (Lieferantenposition des Anbieters). Der Deckungsbeitrag des Kunden ist eine Größe, die (ohne Berücksichtigung von Verbundeffekten) die Gewinnveränderung anzeigt, die durch die Abwanderung eines Kunden eintritt. Streng genommen ist der Deckungsbeitrag keine eigenständige Ressource, da er rechnerisch im Umsatz enthalten ist. Es sollte jedoch als eigenständige Ressource betrachtet werden, da er mit anderen Zwecksetzungen als der Umsatz verbunden ist. Definiert man den Deckungsbeitrag als Überschuss des Nettoerlöses aller Lieferungen an diesen Kunden (Listenpreise ohne Mehrwertsteuer mal Menge abzüglich aller Rabatte) über die dem Kunden in dieser Periode direkt zurechenbaren Herstell-, Vertriebs- und Verwaltungskosten, so ist der Deckungsbeitrag verfügbar zur Deckung aller nicht von diesem Kunden verursachten Kosten (vor allem der irreversibel vordisponierten Kosten) und des Gewinns. Diese Verfügbarkeit des Deckungsbeitrages zeigt unmittelbar an, warum dieser Ressource große Bedeutung für die Erfolgsziele des Anbieters zukommt.
Relative Deckungsbeitragsgrößen sind z.B. der Deckungsbeitrag mit einem Kunden in dieser Periode im Verhältnis zum gesamten Deckungsbeitrag des Anbieters in dieser Periode (Deckungsbeitragsanteil des Kunden) oder der Deckungsbeitrag mit einem Kunden in dieser Periode im Verhältnis zu dem Deckungsbeitrag des deckungsbeitragsstärksten Kunden in dieser Periode.
Umsatz und Deckungsbeitrag sind Größen, die aus dem Rechnungswesen des Unternehmens entnommen werden können. Für eine Kundenanalyse reichen diese Daten mitunter jedoch nicht aus. Vielmehr sind häufig Verbundeffekte zwischen Absatzobjekten und Kunden zu beobachten, die unter dem Begriff Erlösverbunde zusammengefasst werden (Engelhardt, W. H. 1976). Zwei Kunden stehen unter Erlösverbund, wenn eine Veränderung der Erlöse des einen Kunden zu Erlösveränderungen bei dem anderen Kunden führt (und/oder umgekehrt).
Der Cashflow eines Kunden ist die Differenz aller Einzahlungen und aller Auszahlungen mit einem Kunden in einer Periode. Diese Größe ist insb. dann von großer Bedeutung, wenn der Anbieter liquiditätspolitische Ziele vorrangig verfolgt und Kunden danach bewertet, ob sie eine Liquidität entlasten oder belasten. Relative Cashflow-Größen sind beispielsweise der Cashflow mit einem Kunden in dieser Periode im Verhältnis zum gesamten Cashflow des Anbieters in dieser Periode (Cashflow-Anteil des Kunden) oder der Cashflow mit einem Kunden in dieser Periode im Verhältnis zu dem Cashflow des Cashflow-stärksten Kunden in dieser Periode.
Die Kapazitätsauslastung kann dann bedeutsam werden, wenn der Anbieter Kunden primär danach beurteilt, ob sie Beiträge zur Auslastung seiner Kapazitäten z.B. in der Fertigung oder der Entwicklung leisten.
Die Kundenanalyse kann sich auf weitere bedeutende Ressourcen ausrichten, indem Potenziale des Kunden, die für den Anbieter und seine Zielverfolgung wichtig sind, identifiziert und bewertet werden. Dazu gehören Kooperationspotenziale (z.B. für  Strategische Allianzen), Know-how-Potenziale des Kunden (z.B. für Simultaneous Engineering, Impulse für den Anbieter im Rahmen des Innovationsmanagements durch die technologische Entwicklungsdynamik des Kunden) sowie Ausstrahlungspotenziale des Kunden, die sich vor allem aus positiven Referenzwirkungen der Zusammenarbeit mit dem Kunden ergeben.
Die Nachhaltigkeit der Ressourcenbereitstellung durch den Kunden wird bestimmt durch dessen Stärken und Schwächen und geschäftspolitische Positionen. Die Zukunft des Kunden hängt ab vor allem von seiner Kapitalkraft, seinem Management und seiner Innovationskraft. Eine Möglichkeit eher qualitativer Analyse der Nachhaltigkeit ergibt sich, wenn man das Instrumentarium der Marktwachstums-Marktanteils-Portfolio-Analyse anwendet. Ist der Anbieter mit Teilen, Komponenten oder Dienstleistungen direkt an der Marktleistung des Kunden beteiligt, dann liegt es nahe, eine vertikale Portfolio-Analyse durchzuführen. Wachstum der Märkte des Kunden, relativer Marktanteil des Kunden in seinen Märkten sowie das Cashflow-Volumen des Kunden in seinen Geschäftsfeldern erlauben dann direkte Schlussfolgerungen im Hinblick auf die eigenen Aktivitäten mit diesem Kunden sowie auf die Bedeutung dieses Kunden für den Anbieter.

c) ABC-Analyse


Ein weit verbreitetes Instrument zur Bildung einer Rangordnung der relativen Bedeutung von Kunden stellt die ABC-Analyse (gelegentlich auch ABCD-Analyse) dar. Die ABC-Analyse teilt die Kunden in Kategorien ein wie z.B.
A = »Schlüsselkunden«
B = »Gute Kunden«
C = »Normale Kunden«
D = »Kleinkunden«
Eine solche Einteilung wird meist nach der Höhe des jährlichen Lieferumfangs vorgenommen. Die Methode liegt in der sog. Lorenz-Kurve, die das Ausmaß der Lieferkonzentration bei den gegenwärtigen Kunden beschreibt.
Die Lorenz-Kurve weist auf der Ordinate die kumulierten Lieferumfänge der Kunden in Prozent des Gesamtumsatzes des Anbieters und auf der Abszisse die Kundenzahl in Prozent der Gesamtkundenzahl des Anbieters aus. Die Wölbung der Kurve über die 45˚-Achse zeigt die Stärke der Lieferkonzentration an. Bei einer vollständigen Gleichverteilung der Lieferumfänge entspricht die Lorenz-Kurve der 45˚-Achse.

3. Kombination von Kriterien und Maßgrößen

a) Kennzahlen der Kundenanalyse


Durch Kombination von Kriterien entstehen Kennzahlen, die einen verdichteten Aussagewert enthalten. Beispielsweise ist die Kennzahl »Kundendeckungsbeitrag: Lieferumfang« eine Rentabilitätsgröße, die es erlaubt, die Kunden nach Umsatz und Deckungsbeitrag simultan zu beurteilen. Des Weiteren kann es mitunter sinnvoll sein, Kunden im Hinblick auf die vom Anbieter in die Geschäftsbeziehung geleisteten Investitionen zu beurteilen, indem ein Return on Investment als »Deckungsbeitrag: Investition« ermittelt wird.
Die »Qualität« der Deckungsbeiträge lässt sich durch das Ausmaß der Kapazitätsinanspruchnahme bewerten. Dieser Ansatz ist fruchtbar, wenn das anbietende Unternehmen Kapazitätsengpässe (= Vollbeschäftigung) hat und seine Ressourcen auf seine Kunden verteilen muss. Der engpassbezogene Deckungsbeitrag wird definiert als


und ergibt die Kennziffer »Ergiebigkeit«, d.h. die Effizienz eines Kunden, ausgedrückt in Euro Deckungsbeitrag pro physikalischer Engpasseinheit.
Besteht dagegen Unterbeschäftigung, so ist allein die Höhe der absoluten Deckungsbeiträge das adäquate Bedeutungskriterium auf kurze Sicht, da in dieser Situation Kapazität im Überfluss vorhanden ist und keine Begrenzung der Erfolgsmöglichkeiten darstellt.
Blois stellt einen Zusammenhang zwischen dem Anteil eines bestimmten Kunden am Gesamtumsatz des Anbieters und dem Break-Even-Punkt des Unternehmens (Gesamtumsatz – Gesamtkosten = 0) her (Blois, K. J. 1977). Er definiert einen Kunden als »bedeutend«, wenn der folgende Quotient größer als eins ist:


Die Definition besagt, dass ein Kunde bedeutend ist, wenn sein Weggang bei hundertprozentiger Kapazitätsauslastung das anbietende Unternehmen in die Verlustzone bringt. Je höher der Break-Even-Punkt des Unternehmens liegt, desto empfindlicher ist demnach das Unternehmen gegen die Abwanderung einzelner Kunden.

b) Kundenportfolios


Eine besondere Form der Kundenanalyse auf der Grundlage kombinierter Kriterien ist die sog. Kundenportfolio-Analyse (Dickson, P. R. 1983; Dubinsky, A. J./Ingram, T. N. 1984). Analog zur Unternehmens-Portfolio-Analyse wird ein zwei- oder mehrdimensionaler Beurteilungsraum über Kundenwachstum und relativen Lieferanteil und ggf. weitere Größen aufgespannt (Kieser, H. P. 1986; Götz, P./Diller, H. 1991; Böing, E./Barzen, D. 1992a; Böning, E./Barzen, D. 1992bFreter, H. 1992; Rieker, S. 1994). Diese Analogie ist allerdings rein formal. Inhaltlich beruht das Unternehmensportfolio auf vollständig anderen »Laws of the Marketplace«, nämlich dem Produktlebenszyklus und der Erfahrungskurve. Beide können auf Geschäftsbeziehungen mit Einzelkunden nicht angewendet werden. Vorfindbare Kundenportfolios, die am relativen Lieferanteil ansetzen, sind auch deshalb ungeeignet, weil sie keine Aussage über die Nachhaltigkeit der Beziehung zu dem Kunden ermöglichen. Ein hoher Lieferanteil bei einem Kunden kann sowohl Ausdruck einer festen, vergleichsweise ungefährdeten Geschäftsbeziehung als auch von hoher Substitutionsgefahr sein. Daraus ergeben sich allerdings erhebliche Bedeutungsunterschiede. Insoweit sind diese Kundenportfolios auf keinen Fall als Entscheidungshilfe oder gar als Basis sog. Normstrategien gegenüber Einzelkunden anwendbar.
Ein Portfolio kann allerdings dann eine Analysehilfe darstellen, wenn es die Bedrohungen und Chancen in einer Beziehung zwischen dem Anbieter und dem Kunden deutlich macht. Die Analyseaufgabe richtet sich dann nicht isoliert auf einen Kunden, sondern auf eine Geschäftsbeziehung.
Eine Geschäftsbeziehung hat für beide Seiten eine bestimmte Bedeutung. Beide Seiten weisen der Beziehung aufgrund ihrer Erwartungen und Erfahrungen einen bestimmten Wert zu, der sie veranlasst, in ihr zu bleiben.
Der Anbieter sieht den Wert der Geschäftsbeziehung prinzipiell als den Schaden, der eintritt, wenn der Kunde abwandert, also als den drohenden Verlust von Erfolgspotenzialen. Theoretisch ist dieser zu bestimmen durch den Barwert aller Ein- und Auszahlungen, die von diesem Kunden in Zukunft verursacht werden und damit diesem zurechenbar sind.
Die relative Wettbewerbsstärke eines Anbieters dem Kunden gegenüber ist umso stärker, je größer die Neigung des Kunden ist, in der Geschäftsbeziehung zu bleiben. Die Maßgröße dafür wird wie folgt bestimmt: Barwert der Nettonutzendifferenz zum bedeutendsten Wettbewerber bei dem betrachteten Kunden zuzüglich Barwert der Kosten des Wechsels zu diesem Wettbewerber. Je größer dieser Betrag, desto stärker ist die Bindung des Kunden an den Anbieter. Die Position einer Geschäftsbeziehung in der horizontalen Dimension ergibt sich also aus dem Bindungspotenzial, das der Anbieter seinem Kunden gegenüber hat.
Daraus ergibt sich eine zweidimensionale Darstellung, die jeder Geschäftsbeziehung eine Position einräumt (s. dazu Abb. 1). Auf der senkrechten Achse wird der Wert der Geschäftsbeziehung aus Anbietersicht abgetragen und damit der Ausdruck der Bedeutung, die der Anbieter der Beziehung zumisst. Auf der waagerechten Achse findet sich der – vom Anbieter wahrgenommene – Wert der Geschäftsbeziehung aus Nachfragersicht, also der Ausdruck der Bedeutung, die der Kunde der Geschäftsbeziehung beimisst, m.a.W. der Grad der Bindung des Nachfragers an die Beziehung.
Kundenanalyse
Abb. 1: Positionierungsraum der Geschäftsbeziehungen

4. Anforderungen an das Rechnungswesen


Die notwendige Voraussetzung für eine Kundenanalyse in dem hier beschriebenen Sinne ist ein konsequent kundenorientiertes Rechnungswesen, das in Form einer mehrdimensionalen Deckungsbeitragsrechnung auf der Grundlage von relativen Einzelkosten (Riebel, P. 1994) keine prinzipiell neuen Fragen aufwirft. Wichtig ist lediglich im Rahmen der Belegerfassung und der Grundrechnung, dass die kundenindividuelle Zurechnung aller Kunden-Einzelerlöse und Kunden-Einzelkosten gesichert ist.
Eine mögliche Problematik ergibt sich aus der Periodengebundenheit üblicher Kosten- und Erlösrechnungen in der Praxis. Die Geschäftsbeziehung ist dagegen prinzipiell transaktions- und periodenübergreifend. Sowohl die Kunden-Einzelerlöse als auch die Kunden-Einzelkosten sind häufig nicht transaktions- und periodenspezifisch erfassbar und zurechenbar. Investitionen, die für einen Kunden getätigt werden, beziehen sich definitionsgemäß auf mehrere Transaktionen und zumeist auch auf mehrere Perioden. Es wäre unter Controlling-Aspekten ein Fehler, solche Zahlungen in periodische Amortisationsraten zu transformieren. Stattdessen kann die konsequente Weiterführung der Deckungsbeitragsrechnung in eine transaktionsübergreifende und zeitraumübergreifende Rechnung weiterhelfen (Plinke, W. 1989).

III. Die Analyse der Geschäftsprozesse des Kunden


1. Identifizierung von Kundenvorteilen


Während die Analyse der Bedeutung von Kunden im Ergebnis zeigen soll, welchen Beitrag ein tatsächlicher oder potenzieller Kunde zur Zielerreichung des Anbieterunternehmens leisten kann, geht es in der Analyse der Geschäftsprozesse des Kunden darum festzustellen, welche Anreize einen Kunden zur Mitgliedschaft in der Unternehmenskoalition motivieren können. In diesem zweiten Teil der Kundenanalyse stehen somit nicht mehr die Ziele des Unternehmens im Vordergrund, sondern die Ziele des Kunden.
Ob ein Anbieter bedeutende Kunden für sein Angebot gewinnen und dadurch lebensnotwendige Ressourcen erwerben kann, hängt von seiner Fähigkeit ab, dem Kunden einen Vorteil zu schaffen.
Damit konzentriert sich die Analyse auf den Wertschöpfungsprozess des Kunden. Die Wertkette von Porter ist ein Unternehmensmodell, das die Tätigkeiten des Unternehmens (oder eines Bereichs im Unternehmen) systematisch abbildet, um Ansatzpunkte für eine Differenzierungsstrategie oder eine Kostenführerstrategie zu gewinnen (Porter, M. E. 1986). Insofern dient sie primär der Analyse von Wertschöpfungsprozessen im Anbieterunternehmen. Auf die gleiche Weise lassen sich aber auch die Tätigkeiten des Kundenunternehmens abbilden. Es werden damit Ansatzpunkte für Nutzen stiftende Aktivitäten des Anbieters gegenüber dem Kunden sichtbar. Dem Grundgedanken der Wertkette entsprechend lässt sich der Kunde als eine Konfiguration von Prozessen interpretieren, mit denen er seine Ziele verfolgt. Dazu gehören alle Funktionsbereiche des Kunden wie Forschung, Entwicklung, Produktion, Logistik, Vertrieb usw. mit allen ihren tatsächlichen Tätigkeiten. In der Wertkette des Kunden zeigt sich die Art und Weise, wie er seine Aufgaben erledigt. Damit ist die Wertkette auch das Abbild des Kunden mit seiner Geschichte, seiner Strategie, seinen Methoden zur Implementierung der Strategie und der wirtschaftlichen Grundregeln der Tätigkeiten selbst (Porter, M. E. 1986).
Die Analyse der Kundenwertkette schafft für einen Anbieter die Möglichkeit festzustellen, durch welche eigenen Aktivitäten und Leistungen er den Kunden in seinen Aktivitäten unterstützen und somit einen Anreiz für den Kunden zur Koalitionsteilnahme bieten kann. Jede einzelne Tätigkeit in einem Unternehmen kann auf diese Weise daraufhin geprüft werden, ob sie in der Wertkette des Kunden einen Beitrag zur Differenzierung der Leistung des Kunden liefern kann oder ob sie ein Kostensenkungspotenzial für den Kunden enthält. Eine Kundenanalyse in Form der Wertkettenanalyse lenkt den Blick auf die erlöstreibenden und kostentreibenden Faktoren des Kunden, um diesem zu helfen, in seinem Wettbewerb durch überlegene Leistung und/oder Kosten erfolgreich zu sein.
Ein Verständnis der Wertketten von Haushalten oder Einzelkonsumenten gelingt intuitiv nicht so leicht, ist aber nicht weniger wichtig als bei institutionellen Kunden (Porter, M. E. 1986). Auch Haushalte gehen einer Vielzahl von Aktivitäten nach und nutzen die von ihnen erworbenen Güter zur Realisierung dieser Aktivitäten. Dabei empfiehlt es sich nach Porter nicht, eine Wertkette aller Aktivitäten für einen Haushalt oder einen Konsumenten zu entwerfen, sondern sich auf solche Aktivitäten zu beschränken, die für die Verwendung eines bestimmten Gutes relevant sind. Darüber hinaus muss nicht für jeden Haushalt oder Konsumenten eine individuelle Wertkette erstellt werden. Ketten repräsentativer Haushalte und Konsumenten können nach Porter ein ebenso wichtiges Instrument für die Differenzierungsanalyse liefern.
Möglichkeiten zur Schaffung von Anreizen zur Koalitionsteilnahme entstehen somit aus der Verknüpfung der Wertkette des anbietenden Unternehmens mit der seiner Kunden. Daraus folgt ein komplexes Interaktionsmuster der Wertaktivitäten des Anbieters und der des Kunden, wie es Abb. 2 zeigt (Plinke, W. 1992).
Kundenanalyse
Abb. 2: Interdependenzen zwischen Wertaktivitäten auf Anbieter- und Kundenseite

2. Verteidigung von Wettbewerbspositionen


Eine Kundenanalyse ist unvollständig, wenn sie nicht explizit auch die Verteidigungsfähigkeit des Kostenvorteils berücksichtigt. Dabei ist zunächst festzustellen, inwieweit auch in Zukunft aus der Sicht des Kunden eine überlegene Problemlösung angeboten werden kann. Bei dieser Frage geht es letztlich um die relative Wettbewerbsstärke des Anbieters, die sich aus den Nettonutzenunterschieden für die Käufer und aus den Kosten für die Bereitstellung des Kundennutzens ergibt. Die Verteidigungsfähigkeit von Kundenvorteilen festzustellen, ist im konkreten Fall jedoch keineswegs einfach. Es ergeben sich gravierende Messprobleme und Informationsbeschaffungsprobleme. Wenn es um die Frage geht, ob ein Koalitionspartner auch in Zukunft gehalten werden kann, wird in der Konkurrentenanalyse und der Wettbewerbsanalyse deshalb häufig auf Indikatoren für Vorsprünge im Wettbewerb zurückgegriffen. Dazu gehören

-

die Produkte, die die Wettbewerber anbieten,

-

die Potenziale, die die Wettbewerber einsetzen,

-

die Prozesse, die die Wettbewerber vollziehen.


Die Kundenanalyse muss also mit einer Wettbewerbsanalyse verbunden werden, um in umfassender Weise die Basis für die Ausrichtung auf die kritische Ressource »Nachfrage« zu schaffen.
Literatur:
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Böing, E./Barzen, D. : Kundenportfolio im Praktiker-Test, Teil 1, in: asw, H. 2/1992a, S. 85 – 89
Böing, E./Barzen, D. : Kundenportfolio im Praktiker-Test, Teil 2, in: asw, H. 3/1992b, S. 102 – 107
Cyert, R. M./March, J. G. : A Behavioral Theory of the Firm, Englewood Cliffs/N.J. 1963
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Dubinsky, A. J./Ingram, T. N. : A Portfolio Approach to Account Profitability, in: IMM, vol. 13, 1984, S. 33 – 41
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Engelhardt, W. H. : Erlösplanung und Erlöskontrolle als Instrument der Absatzpolitik, in: Erlösplanung und Erlöskontrolle als Instrument der Absatzpolitik, hrsg. v. Schmalenbach-Gesellschaft e. V., , Opladen 1977, S. 10 – 26
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Velte, M. : Steuern Sie Ihre Kunden-Besuche »erfolgs«-orientiert. Die Portfolio-Analyse bietet sich an, in: MJ, H. 2/1987, S. 128 – 132

 

 


 

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