Arbeitsrecht, kollektives
Inhaltsübersicht
I. Dualistische kollektive Interessenvertretung der Arbeitnehmer
II. Autonome Interessenvertretung in Verbänden
III. Mitbestimmung als Staatsintervention
I. Dualistische kollektive Interessenvertretung der Arbeitnehmer
1. Schutzkonzept des Arbeitsrechts
Das Arbeitsrecht fußt auf der Erkenntnis, dass der Arbeitnehmer nicht dem Individualvertrag und dem individuellen Wettbewerb überlassen werden darf, weil seine Markt- und Vertragsschwäche ihn sonst der Willkür der Arbeitgeber ausliefert. Die Reaktion der Arbeitsrechtsordnung besteht in einem umfassenden Schutzkonzept. In diesem reguliert der Staat zuerst das Arbeitsvertragsrecht oder Individualarbeitsrecht, namentlich durch zwingende Vorgaben wie den Kündigungsschutz. Als Gegenstück zu diesem Arbeitsrecht, das die einzelne Rechtsbeziehung des jeweiligen Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber normiert ist in langer Tradition das kollektive Arbeitsrecht gewachsen. Es fußt auf der Erkenntnis, dass der Staat nicht in der Lage ist, umfassende Fürsorge für angemessene Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer zu leisten.
Dementsprechend sollen vor allem die Arbeitnehmer ihre Interessen in frei gebildeten Kollektiven oder immerhin selbst gewählten Interessenvertretungen dezentral kollektivieren und in einem zweiten Schritt mit den Interessen der Arbeitgeberseite zum Ausgleich bringen. Die Notwendigkeit dieses kollektiven Interessenausgleiches ist unter dem Stichwort Sozialpartnerschaft abgehandelt.
Wie das individuelle Arbeitsrecht ist auch das kollektive Arbeitsrecht Teil des Privatrechts: Das gilt für die autonomen Verbände des Arbeitslebens von vornherein. Auch für die Mitbestimmung, namentlich die Betriebsverfassung hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass trotz staatlicher Organisationsvorgabe die Mitbestimmungsorgane keine hoheitlichen Aufgaben (Arbeitsverwaltung) wahrnehmen, sondern Teil eines privatrechtlichen Regelungssystems sind ( „ Sozialprivatrecht “ ).
Dem privaten Arbeitsrecht steht das öffentliche Arbeitsschutzrecht im Sinne eines „ Arbeits-Polizeirechts “ gegenüber, mit dem der Staat Gefahr für Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer mit Hilfe der Arbeitsbehörden unterbindet. Ergänzt wird das Arbeitsrecht durch das Recht der Sozialversicherung. Es reguliert aber nicht Arbeitsbeziehungen, sondern die neben dem Arbeitsverhältnis stehende existenzsichernde Daseinsvorsorge.
Die unterschiedlichen Bereiche des Arbeitsrechts stehen nicht nebeneinander, sondern sind vielfach wechselbezüglich verwoben. Das kollektive Arbeitsrecht hat vielfache Auswirkungen auf die arbeitsvertragliche Ebene. So kann der Tarifvertrag wie die Betriebsvereinbarung widersprechende Arbeitsvertragsinhalte hindern; die Verletzung von Mitbestimmungsrechten führt zur individualrechtlichen Unwirksamkeit. Umgekehrt sind manche Vorgaben des Individualarbeitsrechts, ja selbst des Arbeitsschutzrechts (Arbeitszeit!) für den Tarifvertrag oder auch die Betriebsvereinbarung dispositiv.
2. Deutscher Dualismus
Während sich die autonome Kollektivierung von Arbeitnehmerinteressen in Gewerkschaften und ihr Gegenstück in den Arbeitgeberverbänden weltweit in den nicht totalitären Staaten durchgesetzt hat, weist die deutsche Rechtsordnung mit der zusätzlichen staatlich organisierten Mitbestimmung im Betrieb durch gewählte Arbeitnehmervertretungen (Betriebsrat, Sprecherausschuss, Personalrat) und Unternehmen (Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat) eine zweite Form der Kollektivierung von Arbeitnehmerinteressen auf. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Systemen besteht darin, dass die Gewerkschaft nur diejenigen Arbeitnehmer vertritt, die ihr freiwillig beigetreten sind, wohingegen der Betriebsrat (und: Sprecherausschuss, Personalrat) sowie der Aufsichtsrat die Interessen aller Arbeitnehmer im Betrieb oder Unternehmen vertritt. Insofern ist die Mitbestimmung eine erzwungene Repräsentation ohne Austrittsmöglichkeit und mit 100%igem Organisationsgrad.
Das Nebeneinander von gewerkschaftlicher Interessenvertretung und der Mitbestimmung in Betrieb oder Unternehmen führt zu erheblichen Kompetenzkonflikten, die das Grundgesetz, wie schon der Räteartikel 165 der Weimarer Reichsverfassung zu Gunsten der Gewerkschaften löst. Nur sie stehen unter dem Schutz der Verfassung, ihnen gebührt der Vorrang. Dahinter steht die Grundvorstellung, dass Betriebsrat und Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat nicht als staatlich organisierte Ersatzgewerkschaft fungieren dürfen und so den autonomen Gewerkschaften Konkurrenz machen dürfen.
Einfachrechtlich wird dieser Vorrang der autonomen Interessenvertretung durch drei Verbote konkretisiert: Der Betriebsrat darf mit Betriebsvereinbarungen Tarifverträgen keine Konkurrenz machen, insbesondere weder Entgelte, noch sonst üblicherweise tariflich geregelte Arbeitsbedingungen an sich ziehen (Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG). In der Betriebsverfassung gilt ein absolutes Arbeitskampfverbot (§ 74 Abs. 2 BetrVG) und der Betriebsrat darf keine Beiträge erheben (§ 41 BetrVG).
3. Probleme
Das deutsche dualistische System ist problematisch mit Blick auch auf die Machtbalance: Der Arbeitgeber sieht sich einer letztlich dreifachen Arbeitnehmerinteressenvertretung ausgesetzt: der Gewerkschaft, den Mitbestimmungsorganen und den staatlichen Arbeitsbehörden. Weil Gewerkschaften über den Wahlakt Zugriff auf die Mitbestimmungsorgane nehmen können (gewerkschaftliche Betriebsratslisten und Aufsichtsratvertreter). Insofern löst das dualistische System die Gefahr aus, dass die Machtbalance zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern nicht mehr stimmt (dazu das Mitbestimmungsurteil BVerfGE 50, 290).
Problematisch ist auch die Komplexität des Systems: Der Arbeitgeber muss sich mit Gewerkschaft, Betriebsrat (Personalrat), Sprecherausschuss und seinen Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat auseinander setzen. Vielfach muss der Arbeitgeber auch darauf achten, in welcher Rolle sein Gegenüber agiert: als Gewerkschaftsvertreter, Vorsitzender des Betriebsrats oder als Aufsichtsratsmitglied. Die Gemengelage führt dazu, dass das Arbeitsrechtssystem für einen Laien kaum mehr überschaubar ist. Während große Unternehmen diese Komplexität durch Arbeitsrechtler in den Personalabteilungen bewältigen, behelfen sich kleine und mittlere Unternehmen häufig mit Ignoranz gegenüber der komplexen Arbeitsrechtsordnung. Das ist dysfunktional.
4. Rechtsquellen
Die Mitbestimmung als Staatsintervention ist umfassend geregelt – und zwar die betriebliche Mitbestimmung im BetrVG 1972, dem Sprecherausschussgesetz sowie in den Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder; die Unternehmensmitbestimmung im BetrVG 1952 (Drittelparität), dem Mitbestimmungsgesetz 1976 (Parität mit Anteilseignervorsitzendem) und dem Montan-Mitbestimmungsgesetz 1951 sowie dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz 1956.
Die verbandliche Interessenvertretung hingegen ist kaum geregelt. Es gibt kein Verbändegesetz; die Praxis muss sich mit dem Vereinsrecht des BGB behelfen, das richterrechtlich modifiziert wird. Der Koalitionsbegriff wird der Verfassung eher untergelegt als entnommen. Auch die Betätigungsrechte der Koalitionen sind nur rudimentär geregelt. Das Tarifrecht kommt im Wesentlichen mit den ersten fünf §§ des TVG aus, die bei weitem das Tarifrecht nicht abschließend regeln. Der Arbeitskampf ist zur Gänze ungeregelt; ebenfalls das Recht der Mitgliederbetreuung durch Gewerkschaften insbesondere im Betrieb. Insofern greift ein von BVerfG und BAG entwickeltes Richterrecht, das einerseits dem Betätigungsrecht der Gewerkschaften Rechnung zu tragen sucht, andererseits aber auch Rücksicht auf Arbeitgeber und andere Betroffene nehmen soll. Dies alles entwickelt die Rechtsprechung auf Basis eines einzigen Absatzes im GG, der Gewährleistung der Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3.
II. Autonome Interessenvertretung in Verbänden
1. Leitprinzip: Autonome Gegenmacht
Die zentrale Säule des kollektiven Arbeitsrechts, hier beiderseits kollektive Interessenvertretung durch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, basiert auf einem marktwirtschaftlichen Konzept: Weil der einzelne Arbeitnehmer schwach ist, eröffnet die Koalitionsfreiheit ihm die Möglichkeit, seine Marktmacht mit anderen Arbeitnehmern in der Gewerkschaft zu bündeln. So gesehen sind die Gewerkschaften nichts anderes als Arbeitsmarktkartelle, die insbesondere Mindestpreise für ihre Mitglieder aushandeln. Dass auch die Arbeitgeber in den Arbeitgeberverbänden ihre Marktmacht bündeln dürfen, hat seinen Grund darin, dass andernfalls insbesondere kleinere Unternehmen der Gewerkschaft schutzlos ausgeliefert wären. Das Tarifsystem beruht so auf der hoffenden Unterstellung, es würde sich durch beiderseitige Kollektivierung von Marktmacht ein Kräftegleichgewicht einstellen. Deswegen misst das Tarifrecht dem Tarifvertrag besonderes Richtigkeitsvertrauen zu. Insbesondere im Arbeitskampfrecht meint das BAG, es könne durch Feinabstimmung Parität erzeugen.
Dieses Gegenmachtprinzip setzt in doppelter Weise auf Autonomie: Sein zentrales Merkmal ist die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft. Kein Arbeitnehmer muss Mitglied der Gewerkschaft sein und kein Arbeitgeber muss Mitglied des Arbeitgeberverbandes sein oder bleiben. Das ist der entscheidende Gegensatz zur Mitbestimmung.
Autonom ist das Gegenmachtprinzip auch mit Blick auf den kollektiven Interessenausgleich: Der Tarifvertrag ist ein autonom ausgehandelter Vertrag – ein freier Arbeitsvertrag auf kollektiver Ebene. Dass er mit Hilfe des Arbeitskampfes, namentlich des Streiks erzwungen werden kann, bedeutet keinen gewaltsamen Zwang, sondern ist im kollektiven System das marktkonforme Vorenthalten des eigenen Angebots oder der eigenen Nachfrage, um Preis- und Konditionsverhandlungen führen zu können. Dass auch der einzelne Arbeitgeber tariffähig ist, ist Ausdruck dieser Autonomie: Nur so kann einerseits den Gewerkschaften gegenüber Arbeitgeber-Außenseitern ein Regelungsinstrument in die Hand gegeben werden und nur so kann dem einzelnen Arbeitgeber die Freiheit vom Verband garantiert werden. Die Koalitionsfreiheit verbietet hier auch jedes System der Zwangsschlichtung, wie es die Betriebsverfassung prägt. Möglich ist nur ein Schlichtungszwang, der ein Schlichtungsverfahren vor dem Arbeitskampf vorschreibt, aber die Annahme des Schlichtungsspruches der freien Entscheidung der Tarifparteien überlässt.
Insofern trügt die mit der Rede von der Sozialpartnerschaft verbundene Vorstellung: Das Verbändewesen ist keine rechtlich notwendig zweiseitige Veranstaltung, bei der Gewerkschaft und Arbeitgeberverband die „ Ordnung des Arbeitslebens “ überantwortet wäre. Die Koalitionen können sich erstens auch ohne verbandliches Gegenüber betätigen, sei es durch Haustarife, sei es in der Betriebsverfassung oder in der Beratung ihrer Mitglieder. Richtiger Ansicht nach gibt es auch keinen „ partnerschaftlichen “ Verhandlungsanspruch zwischen Tarifparteien, solche Friedensgebote kennt nur die Mitbestimmung.
Der Preis, der für das Gegenmachtprinzip zu zahlen ist, besteht in einer erheblichen Vermachtung des Arbeitsmarktes. Zwar ist Wettbewerb insbesondere zwischen Verbänden, aber auch zwischen kollektiver und individueller Interessenwahrnehmung möglich. Gleichwohl prägen die Tarifparteien in ihrer Branche die Arbeitsbedingungen für alle Arbeitsverhältnisse. Effektiver Wettbewerb findet nicht statt. Das gibt immer wieder Anlass zur Kritik. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass ein Wechsel zum Wettbewerbssystem formal einer Verfassungsänderung bedürfte (Koalitionsfreiheit) und materiell dazu führte, dass die Arbeitnehmer womöglich der Willkür der Arbeitgeber ausgesetzt wären.
2. Koalitionen als Träger der Interessenvertretung
Träger der autonomen Interessenvertretung sind die Verbände des Arbeitslebens, also die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Ihre Gründung, der Beitritt zu ihnen und ihre Betätigung stehen unter dem Verfassungsschutz der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG). Sie müssen bestimmte Anforderungen erfüllen, damit sie Koalitionsstatus erlangen. Hierzu gehört vor allem die Unabhängigkeit von Staat und Gegner.
3. Aufgaben
Welche Aufgaben die Verbände im Arbeitsleben wahrnehmen, entscheiden sie im Rahmen ihrer autonomen Zwecksetzung notwendig selbst. Anders als bei Mitbestimmungsorganen ist es hier nicht möglich, dass der Staat ihnen einen Aufgabenkatalog zuweist. Vielmehr entscheidet jede Koalition mit ihrer Satzung, welche Aufgaben sie wahrnehmen will. Unter dem besonderen Verfassungsschutz bewegen sich die Verbände freilich nur, soweit sich ihre Aufgaben als „ Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen “ begreifen lässt, worunter nur die Interessenvertretung auf dem Arbeitsmarkt fällt.
Zentral ist hierbei der Abschluss von Tarifverträgen, mit der die Verbände ihre Kartellfunktion wahrnehmen – sowie der dem Tarifsystem zugeordnete Arbeitskampf, also Streik und Aussperrung, die nur zur Lösung von Tarifkonflikten eingesetzt werden dürfen (kein politischer Streik, kein Streik zur Durchsetzung von Rechten).
Hierher gehören aber auch die allgemeine Beratung, die Rechtsberatung und die Prozessvertretung ihrer Mitglieder vor den Arbeits- und Sozialgerichten. Auf der Arbeitnehmerseite kommt zusätzlich die Betätigung in der Betriebs- und Unternehmensverfassung hinzu. Überdies sind die Verbände machtvolle Lobbyisten, die politische Entscheidungen beeinflussen und vom Staat als Interessenvertreter angehört werden. Darüber hinaus beteiligt der Staat die Verbände insbesondere in der Arbeitsgerichtsbarkeit durch das Stellen ehrenamtlicher Richter und in der Sozialversicherung durch Beteiligung in der Selbstverwaltung.
Früher haben Gewerkschaften im Rahmen der konsumgenossenschaftlichen Tradition die Arbeitnehmer auch als Verbraucher angesprochen – mit Wohnungsbau (Neue Heimat), Versicherungen (Volksfürsorge) und sonstigen Konsumgütern (coop, Büchergilde Gutenberg, Automobilclub). Davon ist wenig geblieben. Solche Betätigung im Verbraucherinteresse ist zulässig, steht aber nicht unter besonderem Schutz.
III. Mitbestimmung als Staatsintervention
1. Leitprinzip: Staatliche verordnete Teilhabe
Die zweite Säule des kollektiven Arbeitsrechts ist die Mitbestimmung in Betrieb, Unternehmen und Konzern. Sie ist ihrerseits zweigeteilt in die betriebliche Mitbestimmung durch von Arbeitnehmern gewählte Organe (Betriebsrat, Sprecherausschuss, Personalrat), die mit dem Arbeitgeber Verhandlungen führen und in die Unternehmensmitbestimmung, die die Arbeitnehmervertretung gesellschaftsrechtlich in ein Entscheidungsorgan des Arbeitgebers integriert, den Aufsichtsrat, dem Vertreter beider Seiten angehören.
Die Mitbestimmung ist nicht autonom, sondern heteronom. Sie ist letzter deutsch-rechtlicher Rest der Vorstellung von einer Räterepublik. Die Apostrophierung als „ letzter Sowjet “ ginge freilich daran vorbei, dass dem Betriebsrat keine einseitigen Herrschaftsrechte zukommen, sondern nur Beteiligungsrechte, die er gemeinsam mit dem Arbeitgeber in Entscheidungen und Regelungen umsetzen kann.
Sie ist Staatsintervention, weil sie nicht auf Freiwilligkeit der von den Mitbestimmungsorganen vertretenen Arbeitnehmer setzt, sondern es im Fall der betrieblichen Mitbestimmung auch einer verschwindend kleinen Minderheit erlaubt, die Wahl des Betriebsrats gegen den Willen der Mehrheit durchzusetzen. Die Arbeitnehmervertretung ist entscheidend von der Organisation des Arbeitgebers abhängig, der durch die Auflösung und Verlagerung von Betrieb und Unternehmen auch die Existenz der gewählten Arbeitnehmervertretung bedrohen kann. Die Mitbestimmung zielt nicht auf Machtausgleich nach dem Gegenmachtprinzip, sondern auf Teilhabe an bestimmten die Arbeitnehmer betreffenden Entscheidungen des Arbeitgebers. Dieser Partizipationsgedanke drückt sich einmal im Gebot friedlicher und vertrauensvoller Zusammenarbeit aus (vgl. § 2 Abs. 1 BetrVG). Hier ist das Wort „ Sozialpartnerschaft “ angebracht, weil beide Seiten notwendig miteinander die Interessenkonflikte lösen müssen. Der Partizipationsgedanke zeigt sich auch daran, dass die Mitverwaltung vom Arbeitgeber zu bezahlen ist, der sämtliche Kosten der Mitbestimmung trägt.
Die Mitbestimmung wird gern als „ Demokratie “ in Betrieb und Unternehmen verstanden – weil sich mit diesem Wort Mitbestimmung als schlechthin positiv markieren lässt. Indes: Demokratie ist ein Prinzip der Staatsverfassung; in der Gesellschaft der Privatrechtssubjekte hat das Demokratieprinzip keine Geltung. Hier herrscht Privatautonomie und Wettbewerb. Mit der Demokratie hat die Mitbestimmung nur den Teilhabegedanken gemein. Funktion der Mitbestimmung ist aber die Interessenvertretung der Arbeitnehmer und nicht – wie im Staat – die Besinnung auf das Gemeinwohl.
Anders als bei der autonomen Interessenvertretung durch die Verbände findet hier die Kollektivierung nur auf Arbeitnehmerseite statt. Ihr Ansprechpartner ist stets der einzelne Arbeitgeber, gerade noch der Konzern als funktionaler Arbeitgeber. Die Mitbestimmungsorgane werden von den zwangsrepräsentierten Belegschaften gewählt, die Wahl ist nicht autonom, sondern in eingehenden staatlichen Wahlvorschriften festgelegt. Auch die Organisation der Mitbestimmungsorgane ist intensiv geregelt.
Entsprechend dem Zusammenarbeitsgebot findet die Konfliktlösung auch nicht durch Arbeitskampf statt. Vielmehr ist die betriebliche Mitbestimmung vom Prinzip der Zwangsschlichtung gekennzeichnet: Dort, wo der Betriebsrat ein echtes Mitbestimmungsrecht hat, entscheidet im Konfliktfall die Einigungsstelle verbindlich. Dieses Prinzip der Zwangsschlichtung wird allerdings in der Praxis dadurch unterlaufen, dass der Betriebsrat den Arbeitgeber unter Zeitdruck setzt und ihm so durch Spiel mit Mitbestimmungsrechten sachwidrige Zugeständnisse abpressen kann (Koppelungsgeschäfte). In der Unternehmensmitbestimmung findet die Konfliktlösung durch Abstimmung im Aufsichtsrat statt, wo die Anteilseignerseite außerhalb der Montanmitbestimmung stets das Stimmenübergewicht hat.
2. Träger der Mitbestimmung
Die Mitbestimmung ist aufgabenbezogen unterschiedlichen Organen zugewiesen. In den juristischen Personen des Privatrechts können in Betrieben ab fünf Arbeitnehmern Betriebsräte gewählt werden; in Unternehmen mit mehreren Betrieben ist ein Gesamtbetriebsrat auf Unternehmensebene zu bilden; im Konzern kann ein Konzernbetriebsrat errichtet werden. Für Unternehmen, die EU-weit tätig sind, ist zudem ein Europäischer Betriebsrat vorgeschrieben. Manche globale Unternehmen haben überdies freiwillig einen Weltbetriebsrat gebildet. Für leitende Angestellte kann ein Sprecherausschuss auf Betriebs- oder Unternehmensebene gebildet werden, daneben ein Konzernsprecherausschuss.
In Kapitalgesellschaften ist unabhängig vom Gesellschaftsrecht ab 500 Arbeitnehmern ein Aufsichtsrat zu bilden, in dem dann neben den Anteilseignervertretern auch Arbeitnehmervertreter sitzen. Deren Rechte bestimmen sich nach dem Aktienrecht.
In juristischen Personen des öffentlichen Rechts findet die betriebliche Mitbestimmung durch Personalräte statt. Aufsichtsräte gibt es nicht.
3. Aufgaben
Ebenfalls fehlt in der Mitbestimmung die Freiheit in der Aufgabenwahl. Die Mitbestimmung ist gekennzeichnet vom Enumerationsprinzip: Der Betriebsrat (Personalrat, Sprecherausschuss) hat grundsätzlich nur diejenigen Überwachungs-, Informations-, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte, die der Gesetzgeber vorgesehen hat. In der betrieblichen Mitbestimmung ist allerdings eine Erweiterung des Aufgabenkreises durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag möglich. Die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat hat keine eigenen „ Bank “ -Rechte; die Arbeitnehmervertreter wirken als gleichberechtigte Mitglieder im Aufsichtsgremium mit.
Grundsätzlich ist der Wirkungskreis der Mitbestimmungsorgane zusätzlich auf Betrieb und Unternehmen beschränkt. Anders als Gewerkschaften dürfen Betriebs- und Aufsichtsräte vom Prinzip her nicht unternehmens- oder konzernübergreifend tätig werden; auch politische Einflussnahme ist diesen Gremien versagt.
4. Kammern als Ergänzung
Ergänzt wird das kollektive Arbeitsrecht durch staatlich installierte Kammern. Freilich sind umfassende Kammerrepräsentationssysteme, die den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden wie in Österreich umfassende Konkurrenz machten, in Deutschland verfassungswidrig. Echte Arbeiter- oder Arbeitnehmerkammern gibt es auch nur in Bremen und im Saarland. Sie zielen auf die Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen in der Gesetzgebung. Das Konzept der Weimarer Reichsverfassung, mithilfe eines Reichswirtschaftrats die Arbeitgeber und Arbeitnehmer am politischen System mit Sonderrechten zu beteiligen, ist nie Realität geworden und wäre heute gleichfalls verfassungswidrig.
Auf Arbeitgeberseite entfalten die Kammern der freien Berufe, aber auch die Industrie- und Handelskammern keine Konkurrenztätigkeit zu den Verbänden, sieht man einmal von arbeitsrechtlicher Beratung ab. Ein bedenklicher Grenzfall sind die Handwerksinnungen und Innungsverbände, denen Tariffähigkeit verliehen ist. Damit wird die Entstehung und Betätigung von autonomen Arbeitgeberverbänden des Handwerks behindert, auch wenn das vom Bundesverfassungsgericht gebilligt ist.
Literatur:
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Gamillscheg, F. : Kollektives Arbeitsrecht 1, München 1997
Möschel, W. : Tarifautonomie – ein überholtes Ordnungsmodell?, in: Wirtschaft und Wettbewerb, 1995, S. 704
Picker, E. : Die Tarifautonomie in der Deutschen Arbeitsverfassung, Köln 2000
Reichold, H. : Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, München 1995
Richardi, R./Wlotzke, O. : Münchener Handbuch Arbeitsrecht, Bd. 3, Kollektives Arbeitsrecht, 2. A., München 2000
Rieble, V. : Walter Eucken und die Frage nach der Arbeitsmarktordnung, in: Freiheit und wettbewerbliche Ordnung, Gedenkband Walter Eucken, hrsg. v. Külp, B./Vanberg, V., Freiburg im Breisgau 2000, S. 199 ff
Söllner, A. : Der Flächentarifvertrag – ein Kartell?, in: Jahrbuch für das gesamte Arbeitsrecht Bd.35, hrsg. v. Dieterich, T., Berlin 1998, S. 21 – 32
Wiese, G. : Schutz und Teilhabe als Zwecke notwendiger Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten und deren Rangverhältnis, in: Zeitschrift für Arbeitsrecht, 2000, S. 117
Zöllner, W. : Arbeitsrecht und Marktwirtschaft, in: ZfA, 1994, S. 423
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