Sozialpartnerschaft
Inhaltsübersicht
I. Begriff
II. Historische Entwicklung
III. Funktionsbedingungen
IV. Ausprägungen
V. Zukunft der Sozialpartnerschaft
I. Begriff
Der Begriff Sozialpartnerschaft wird je nach Zusammenhang und Erkenntnisinteresse unterschiedlich verwendet. Ganz allgemein spiegelt sich darin die soziale Dimension von Arbeitsbeziehungen in Marktwirtschaften. Sinnvollerweise unterscheidet man aber zwischen der „ politisch-ökonomischen “ Funktion und ihrer engeren „ juristischen “ Funktion.
1. Die politisch-ökonomische Funktion (Neo-Korporatismus)
Im deutschsprachigen Bereich bezeichnet Sozialpartnerschaft vor allem in Österreich und der Schweiz, aber auch in Deutschland vorrangig die politisch-ökonomische Ordnungsfunktion von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften bei der gemeinsamen Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen (Genosko, 1996, S. 107). „ Partnerschaft “ meint dabei eine grundsätzlich konsensorientierte Verständigung im Wege der „ Vertragspartnerschaft “ (Tuchtfeldt, 1992, Sp. 2080 f.) zwischen Kapital und Arbeit. In politologischer und ökonomischer Sicht geht Sozialpartnerschaft über die „ industrial relations “ insoweit hinaus, als sie den Einfluss auf die Gesetzgebung und damit das Problemfeld der „ Herrschaft der Verbände “ (Eschenburg, 1956) mit umfasst. Sie kann dann auch als „ korporatistisches Arrangement “ der Sozialpartner mit der Staatsmacht zur Durchsetzung partikularer Interessen unter Ausschaltung des Wettbewerbs erscheinen (Berthold, /Hank, 1999, S. 26 ff.; Streit, 1988, S. 608 – näher dazu IV.1).
2. Die juristische Funktion (Tarifpartnerschaft, Sozialer Dialog)
Im engeren juristischen Sinn reduziert sich Sozialpartnerschaft herkömmlich auf die Tarifpartnerschaft der Koalitionen. Dabei muss freilich zwischen der Makro-Ebene der Volkswirtschaft (Branchentarife) und der Mikro-Ebene des Unternehmens (Firmentarif, Betriebs- und Vertragspartnerschaft) unterschieden werden (näher dazu IV.2, 3). In die Rechtssprache hat die Sozialpartnerschaft insoweit Eingang gefunden, als in der deutschen Version des EG-Vertrags die „ Anhörung der Sozialpartner “ (Art. 138 EG) und vor allem der „ Soziale Dialog “ zwischen ihnen (Art. 139 EG) eine eigenständige europäische Dimension belegen. Die Europäische Kommission hat die Aufgabe, die Anhörung der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene zu fördern (Art. 138 Abs. 1 EG). In ihrer Mitteilung KOM (93) 600 hat sie als Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene Organisationen anerkannt, die
- | branchenübergreifend, sektor- oder berufsgruppenspezifisch sind und über eine Struktur auf europäischer Ebene verfügen, | - | aus Verbänden bestehen, die in ihrem Land integraler und anerkannter Bestandteil des Systems der Arbeitsbeziehungen sind, Vereinbarungen aushandeln können und so weit wie möglich alle Mitgliedstaaten vertreten und | - | über die geeigneten Strukturen verfügen, um effektiv an dem Anhörungsprozess teilnehmen zu können (KOM (93) 600 Ziff. 24; Piazolo, 1999, S. 48). |
Die wichtigsten Sozialpartner auf europäischer Ebene sind UNICE (Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände), CEEP (Europäischer Zentralverband der Öffentlichen Wirtschaft) und EGB (Europäischer Gewerkschaftsbund). Der im EGV institutionalisierte „ Soziale Dialog “ (Art. 139 EG) hat in den Mitgliedstaaten kein Vorbild und begründet ein neues „ Europäisches Modell “ der Sozialpartnerschaft. Er findet bilateral (zwischen den Sozialpartnern) oder trilateral (zwischen der Kommission und den Sozialpartnern) statt und reicht von der Anhörung bis zur Teilnahme am Gesetzgebungsverfahren (Birk, 2000, S. 244; Piazolo, 1999, S. 37 ff.). In der Zuweisung einer legislativen Funktion wird dem Subsidiaritätsprinzip in doppelter Weise Rechung getragen: Vereinbarungen der Sozialpartner haben vom Inhalt und vom Verfahren her Vorrang vor europäischer Gesetzgebung.
II. Historische Entwicklung
Sozialpartnerschaft kann nicht ohne die historischen Erfahrungen mit den sozialen Folgen der Industrialisierung im 19. und 20. Jh. und dem Klassenkampfgedanken verstanden werden. Neben der staatlichen Gesetzgebung zum Schutz der Arbeiter trugen die Gewerkschaften und die Arbeiterausschüsse maßgeblich zur Integration der Arbeiterklasse in die bürgerliche Marktgesellschaft bei. Die deutsche Entwicklung ist besonders durch eine Verrechtlichung und Vergesetzlichung gekennzeichnet.
1. Anerkennung der freien Gewerkschaften und des Tarifvertrags
Ihre gesetzliche Anerkennung erfuhren die Gewerkschaften erst im Staatsnotstand des ersten Weltkriegs (Hilfsdienstgesetz 1916). Die Effektivität der Kriegswirtschaft hing von der freiwilligen Mitwirkung der Verbände ab. Durch ihre paritätische Beteiligung z.B. in Schlichtungsausschüssen und anderen Einrichtungen der Kriegswirtschaft wagten die Gewerkschaften den Schritt in den Bereich des „ institutionell Öffentlichen “ (Huber, 1978, S. 96). Außerdem wurden in allen Betrieben mit mindestens 50 Arbeitern ständige Arbeiterausschüsse zur Pflicht (Reichold, 1995, S. 189). Mit dem unter dem Eindruck der November-Revolution entstandenen Stinnes-Legien-Abkommen vom 15.11.1918 (Zentralarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände – ZAG) wurde die Partnerschaft zwischen Kapital und Arbeit besiegelt. Das Abkommen erkannte ausdrücklich die Gewerkschaften als die berufenen Vertreter der Arbeiterschaft an; der Tarifvertrag wurde als Mittel der Regelung der Arbeitsbedingungen auch von der Großindustrie akzeptiert. Damit war erstmals eine partnerschaftliche Lösung für die Bewältigung der Probleme des Arbeitslebens in gemeinsamer Verantwortung der Sozialpartner und unter Billigung durch die Staatsgewalt entstanden (Ambrosius, 2000, S. 302; Gamillscheg, 1997, S. 115). Bereits im Dezember 1918 wurde aufgrund des Abkommens die Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten (TVVO) erlassen. Sie verlieh den tariflichen Arbeitsbedingungen erstmals normative Kraft, d.h. zwingende und unmittelbare Wirkung für die zugehörigen Arbeitsverhältnisse (Ramm, 1988, S. 158). Die Tarifpartnerschaft wurde damit von Seiten des Staates anerkannt. Sinzheimer, entwickelte zudem in der Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 11.08.1919 den Gedanken der „ sozialen Selbstbestimmung “ durch Gewerkschaften und Betriebs(arbeiter)räte (Reichold, 1995, S. 233 ff.) wie in Abb. 1 ausgeführt.
Abb. 1: Sozialpartnerschaft in der Weimarer Reichsverfassung 1919
Von dem geplanten dreistufigen System der „ Arbeiterräte “ (Art. 165 Abs. 2 WRV) wurde mit dem Betriebsrätegesetz (BRG) vom 4.02.1920 nur die unterste Stufe verwirklicht. Der (vorläufig) errichtete „ Reichswirtschaftsrat “ erwies sich als korporatistische „ Verlegenheitsantwort “ auf soziale Unruhen; ihm war keine Dauer beschieden (Gamillscheg, 1997, S. 117 f.). Der zunächst als Konkurrent misstrauisch beäugte Betriebsrat wurde dagegen bald zum Stützpunkt der freien Gewerkschaften im Betrieb. Dieser Dualismus zwischen der Gewerkschafts- und der Rätekonzeption, d.h. zwischen der freiwilligen – auf Mitgliedschaft beruhenden – und der allgemeinen gleichen – „ demokratischen “ – Interessenvertretung (Ramm, 1977, S. 2; Richardi, 2000, § 7 Rn. 27) prägt die Sozialpartnerschaft in Deutschland bis heute (vgl. Abb. 2). Allerdings muss die seit 1920 gesetzlich geregelte Betriebsverfassung, die mit den Gesetzen (BetrVG) von 1952, 1972 und 2001 die Mitbestimmung des Betriebsrats in der Arbeitsorganisation zunehmend verrechtlichte, streng unterschieden werden von der Mitbestimmung auf Unternehmensebene. Während sich bei Tarifverhandlungen und in der Betriebsverfassung Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Verhandlungspartner gegenüberstehen (Konfrontationsmodell), wird bei der unternehmensbezogenen Mitbestimmung der Einfluss der Arbeitnehmer durch Sitz- und Stimmrechte im Aufsichtsrat des Unternehmens ermöglicht (Integrationsmodell). Hier fällt die Arbeitnehmerseite also zusammen mit den Anteilseignervertretern gemeinsame Entscheidungen in Bezug auf die Investitions- und Personalpolitik des Unternehmens. Rechtssystematisch gehört sie deshalb zur Unternehmensverfassung.
Abb. 2: Sozialpartnerschaft im Betrieb nach dem BRG 1920 und dem BetrVG 1972
III. Funktionsbedingungen
1. Ordnungspolitische Bedingungen
Die historische Entwicklung der Sozialpartnerschaft lässt trotz unterschiedlicher institutioneller Ausprägungen gemeinsame ordnungspolitische Funktionsbedingungen erkennen:
- | eine grundsätzlich liberale Wirtschaftsverfassung, die dezentral von Marktbürgern als Wirtschaftssubjekten und nicht zentral vom Staat gesteuert wird, deshalb auch einen Arbeitsmarkt ermöglicht; | - | eine grundsätzlich liberale Gesellschafts- und Rechtsverfassung, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit garantiert und damit auch den „ arbeitenden Klassen “ die Betätigung als Koalition ermöglicht (Stourzh, 1986, S. 20); | - | die (rechtliche) Anerkennung von Kollektivverträgen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften; | - | die daraus folgende Anerkennung von Arbeitskampf und Arbeitskampfrecht als Konfliktlösungsmittel; | - | die staatliche Förderung paritätisch besetzter und/oder mitbestimmter Institutionen in der Arbeits- bzw. Sozialverwaltung als formelle oder informelle Einbeziehung der Sozialpartner in die Gestaltung der Arbeits- und Sozialpolitik. |
2. Gesellschaftliche bzw. wirtschaftsethische Bedingungen
Damit die Institutionen der Marktwirtschaft ihre Funktionen erfüllen können, ist eine bestimmte Moral der kollektiven bzw. individuellen Akteure nötig. Insoweit setzt Sozialpartnerschaft neben einem (objektiven) Kräftegleichgewicht ( „ Parität “ ) der Sozialpartner vor allem (subjektive) Kooperationsbereitschaft und wechselseitige Information voraus (Tuchtfeldt, 1992, Sp. 2082 ff.). Diese „ Moral der Gegenseitigkeit “ (Molitor, 1989, S. 79 ff.) ist ethische Voraussetzung jeder Vertragspartnerschaft und setzt vor allem Vertragstreue, bei den Sozialpartnern aber auch Informations- und Kooperationsbereitschaft selbst in Situationen voraus, bei der z.B. die Arbeitgeberseite von vorne herein institutionelle Vorteile hat. Die Mitbestimmung des Betriebsrats im Betriebsverfassungsrecht soll etwa die Sozialverträglichkeit der Arbeitsbedingungen herstellen. Denn das Organisations- und Weisungsrecht des Arbeitgebers kann faktisch zur Ausbeutung der Arbeitnehmer führen. Insoweit ist der Betriebsrat „ Vertragshelfer “ für betriebliche (kollektive) Arbeitsbedingungen (Reichold, 1995, S. 486). Zur Durchführung seiner Aufgaben ist er „ rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu unterrichten “ (§ 80 Abs. 2 BetrVG).
IV. Ausprägungen
Den unterschiedlichen Funktionen der Sozialpartnerschaft folgend sollen ihre Ausprägungen für die Ebenen des nationalen Sozialstaats, der regionalen Branchen und der einzelnen Unternehmen getrennt vorgestellt werden.
1. Sozialpartnerschaft und Sozialstaat ( „ tripartistischer “ Korporatismus) a) Politisch-ökonomischer Interessenausgleich ( „ Sozialpakt “ )
Schon der Begriff „ Sozialpartner “ hebt die großen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften über bloße Interessenverbände hinaus in den Bereich des „ Öffentlichen “ , d.h. des gesamtpolitischen Interesses. Obwohl nur durch ihre Mitglieder legitimiert, „ repräsentieren “ sie in ihren Zuständigkeitsbereichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Gesamtheit. Mit ihren Spitzenorganisationen (z.B. BDA, DGB) bieten sie sich als Partner der (europäischen bzw. nationalen) Sozial- und Wirtschaftspolitik an. In (meist) informellen Gesprächsrunden werden zwischen Politik und Verbänden häufig „ Sozialpakte “ geschmiedet (Gamillscheg, 1997, S. 478 f.). In der Europäischen Union ist der Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA) als beratendes Hilfsorgan für Rat und Kommission (quasi als „ Ständekammer “ ) nach Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 257 ff. EG dagegen formell am allgemeinen Gesetzgebungsverfahren beteiligt, jedoch plural (z.B. auch Landwirtschaft, Verbraucher- und Umweltverbände etc.), nicht nur paritätisch zusammengesetzt. Der Soziale Dialog (vgl. I.2) dagegen ermöglicht einen EU-Korporatismus im eigentlichen Sinn. Wegen der besonderen Politikstruktur der Gemeinschaft, der makroökonomischen Vorteile von Konfliktregelung durch Information und geregelter Verhandlung sowie dem Gegengewicht gegenüber der EU-Bürokratie wird die „ korporative “ Sozialpartnerschaft hier überwiegend positiv gesehen, wenngleich sie schwierig zu organisieren ist (Genosko, 1996, S. 124 ff.; Piazolo, 1999, S. 173).
In Deutschland kam es zwar nicht zur von DGB und SPD seit 1950 geforderten korporativen „ Neuordnung der Wirtschaft “ (damit auch nicht zum „ Bundeswirtschaftsrat “ , vgl. Abb. 1; Nörr, 1999, S. 354 ff.), jedoch bleibt der „ informelle “ Korporatismus zwischen Staat und Verbänden ein typisches Anpassungsmuster in Krisensituationen. Der Interessenausgleich wird dabei nicht dem Wirken des Marktes überlassen, sondern einem „ politischen Kartell “ überantwortet (Berthold, /Hank, 1999, S. 33). Maßnahmen wie z.B. die „ Konzertierte Aktion “ von 1967, die eine Globalsteuerung „ von oben “ nach Maßgabe des Stabilitätsgesetzes unternahm, oder das „ Bündnis für Arbeit “ (seit 1998) blieben aber wegen ihrer schwachen Verbindlichkeit gut vereinbar mit dem parlamentarischen Politiksystem einerseits und dem wettbewerblichen Wirtschaftssystem andererseits (Rieble, 1999, S. 171 ff.).
Ein besonders prägnantes Muster von Sozialpartnerschaft als (Neo-)Korporatismus findet sich in Österreich. Dort führt die Zwangsmitgliedschaft von Unternehmern und Arbeitnehmern in den Wirtschafts- bzw. Arbeiterkammern zusammen mit der Monopolstellung des Dachverbands ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund), der den Einzelgewerkschaften Weisungen erteilen kann, zu einer Totalrepräsentation (fast) aller ökonomischen Interessen und zu einem umfassenden Einfluss der Sozialpartner auf die staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik (Gamillscheg, 1997, S. 266 f.; Genosko, 1996, S. 112 f.; Marko, 1992, S. 435 ff.). Anders als in Deutschland handelt es sich hier um ein dauerhaftes Muster der Politikgestaltung, das sich gleichwohl durch zunehmenden politischen und wettbewerblichen Veränderungsdruck in der Defensive sieht (Seiser, 2001, S. 20). Auch in Österreich bleibt Sozialpartnerschaft als freiwilliges System der Interessenabstimmung wie jedes Kartell von allseitiger politischer Akzeptanz abhängig; selbst bei der hier gegebenen Institutionalisierung (Paritätische Kommission für Lohn- und Preisfragen) gibt es keine Garantie für dauerhafte Stabilität, wenn nennenswerte Außenseiterkonkurrenz nicht zu unterbinden ist. In der Schweiz steht als Inbegriff der Sozialpartnerschaft das Friedensabkommen, das seit 1937 (nicht nur) in der Uhren- und Maschinenindustrie den grundsätzlichen Verzicht auf Arbeitskämpfe besiegelte – als eine Spielart des „ binären Korporatismus “ . b) Einbeziehung in die Sozialverwaltung
Der „ öffentlichen “ Funktion entsprechend wird den Sozialpartnern eine Vielzahl von Mitwirkungsrechten im Bereich der staatlichen Arbeits- und Sozialverwaltung eingeräumt. Besonders zu erwähnen ist ihr(e)
- | Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren durch Anhörung und Erörterung der Gesetzesentwürfe im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik, insbesondere bei Durchführungsvorschriften zum TVG (Tarifvertragsgesetz), zum HAG (Heimarbeitsgesetz) oder zum ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz); | - | Initiativrecht bei der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags (§ 5 TVG); | - | Mitwirkung in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit durch Benennung von ehrenamtlichen Richter/innen; | - | Mitwirkung bei der Behördenorganisation z.B. durch Entsendung in die Organe der Bundesanstalt für Arbeit (§ 392 SGB III) oder in die Selbstverwaltungsorgane der Sozialversicherung (§ 48 SGB IV). |
Die Sozialpartner sind auch in einer Vielzahl von Beiräten und Ausschüssen anderer Verwaltungszweige beteiligt; zudem ergeht kaum ein Gesetz von allgemeiner Bedeutung ohne Anhörung der Sozialpartner (Gamillscheg, 1997, S. 476 f.; Richardi, 2000, § 16).
2. Sozialpartnerschaft kraft Tarifpartnerschaft
Kernbereich der Sozialpartnerschaft ist und bleibt die Vertragspartnerschaft der Koalitionen als „ Tarifpartnerschaft “ . Sie ist in Deutschland durch Art. 9 Abs. 3 GG als Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich garantiert und im TVG einfachgesetzlich ausformuliert. Dabei werden die Arbeitsbedingungen (mit je nach Tarifgebiet unterschiedlich hohem Zentralisierungsgrad) in einem geregelten Verfahren der Konfliktlösung, nötigenfalls auch durch Arbeitskampf, durch gleichstarke Sozialpartner ( „ paritätischer “ Interessenausgleich) einem Tarifvertrag zugeführt; weitergehend werden auch informelle „ Sozialpartnervereinbarungen “ ohne direkten (normativen) Einfluss auf die Arbeitsverhältnisse (Zachert, 1999, S. 137 ff.) ausgehandelt. Der Staat greift hier in den entwickelteren Industriegesellschaften nicht mehr ein (keine Zwangsschlichtung, vgl. Gamillscheg, 1997, S. 1303 ff.). Die hohe Zahl von fast 55.000 gültigen Tarifverträgen in Deutschland zum Jahresende 2000 zeigt eine immer stärkere Differenzierung ihrer Inhalte, z.B. für besondere Materien wie Altersteilzeit, Beschäftigungssicherung oder Fort- und Weiterbildung. Trotz einer Zunahme der Firmentarife kann noch nicht von einer wesentlichen Verlagerung der Tarifautonomie in die Betriebe gesprochen werden: die Mehrzahl der Arbeitnehmer (ca. 22 Mio.) fällt nach wie vor in den Geltungsbereich der Verbandstarifverträge.
Der Vorteil zentraler Tarifabschlüsse über die Branche oder Fläche hinweg (sog. Flächen- oder Branchentarif) liegt in der Senkung der Transaktionskosten für die angeschlossenen Unternehmen und der Garantie des Arbeitsfriedens; ihr Nachteil in der jeder kollektiven Lösung immanenten mangelhaften Differenzierung z.B. zwischen Großunternehmen und Handwerksbetrieben, d.h. auch in der Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Unternehmen. So kam es vor allem in den neuen Bundesländern häufig zur Tarifflucht und als Reaktion darauf zur Flexibilisierung der Flächentarife, zu einer betriebsnahen Tarifpolitik, zu neuen Arbeitgeberverbänden „ ohne Tarifbindung “ (OT-Verbände) und zu einer neuen Gewerkschaftspluralität (Winkler, 2000, S. 12 ff.).
3. Sozialpartnerschaft kraft Betriebs- bzw. Vertragspartnerschaft und Vermögensbeteiligung
Ökonomisch effizientere Lösungen werden in Zeiten der Globalisierung zunehmend in der „ immateriellen “ (Mitbestimmung kraft Firmentarifs bzw. kraft Betriebsvereinbarung) oder „ materiellen “ Sozialpartnerschaft kraft Ertrags- oder Vermögensbeteiligung auf Unternehmensebene gesucht. Das führt zu einem Bedeutungsverlust der überbetrieblich agierenden korporativen Akteure. a) Immaterielle Sozialpartnerschaft auf Unternehmensebene
Immaterielle Partnerschaft meint die Mitwirkung der Arbeitnehmer an betrieblichen Entscheidungen, die unter Geltung des Betriebsverfassungsrechts weitgehend durch den Betriebsrat wahrgenommen wird. Allerdings verhindert § 77 Abs. 3 BetrVG die Lohnfindung auf Betriebsebene (selbst bei fehlender Tarifbindung des Arbeitgebers!). Damit wird dem Flächen- oder Firmentarif die Aushandlung der materiellen Arbeitsbedingungen auf Unternehmensebene von Rechts wegen reserviert, sodass Gewerkschaften und Betriebsrat (theoretisch) ohne Kompetenzüberschneidung die betrieblichen Arbeitsbedingungen mitbestimmen. Bei großen Unternehmen in der Rechtsform der AG, KGaA, Genossenschaft oder GmbH tritt die Mitbestimmung im Aufsichtsrat kumulativ hinzu (s.o. II.2).
Gerade in jungen Unternehmen z.B. der IT-Branche werden als Absage an herkömmliche Muster der „ industrial relations “ und zur Betonung eines eigenständigen Führungsstils neue Modelle betrieblicher Partnerschaft erprobt. Das führt zu einem Bedeutungsverlust der Tarifverhandlungen und der Mitbestimmung. Denn es gibt keinen Zwang zu den gesetzlich vorgesehenen Modellen. Mittels eines sog. „ Partnerschaftsvertrages “ können zwischen Unternehmensleitung und Repräsentanten der Belegschaft die Modalitäten der Partnerschaft festgeschrieben werden; sog. „ Partnerschaftsausschüsse “ gewährleisten die Funktionsfähigkeit des Modells (Tuchtfeldt, 1992, Sp. 2085). Immer flachere Hierarchien und zunehmende Gruppen- und Teamarbeit ermöglichen zudem ein Ausmaß an Arbeitszufriedenheit, das die ursprüngliche Vertragspartnerschaft kraft Arbeitsvertrag dem Grundsatz nach als selbstbestimmte Aufgabenabsprache ohne Hilfestellung durch „ kollektive Akteure “ wieder in Kraft setzt. Kollektive Fragen müssen wegen der Funktionsschwäche des Arbeitsvertrags selbst im „ aufgeklärten “ Partnerschaftsmodell dennoch durch Gruppen- oder Abteilungssprecher (mit oder ohne Betriebsratsunterstützung) mit dem Arbeitgeber geregelt werden. Die Novellierung des BetrVG 2001 versucht, diese neuen Entwicklungen durch normativ wirkende „ Gruppenvereinbarungen “ (§ 28a BetrVG) und Mitbestimmungsrechte über die Grundsätze der Gruppenarbeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG) in das bürokratische Schema des BetrVG zu integrieren (Reichold, 2001, S. 862 ff.). b) Materielle Sozialpartnerschaft auf Unternehmensebene
Die traditionelle Konfrontation von Kapital und Arbeit, die sich noch im (friedlichen) „ Gegenüber “ bei Tarif- und Betriebspartnerschaft (Konfrontationsmodell, vgl. II.2) spiegelt, wird aufgelöst in den vielfältigen Formen der Erfolgsbeteiligung bzw. Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer. Beide Formen der materiellen Partnerschaft sind aber strikt voneinander zu trennen:
- | Bei der Erfolgsbeteiligung erhalten die Mitarbeiter zusätzlich zum Arbeitsentgelt eine vom Unternehmenserfolg abhängige Zuwendung (als Komponente des Arbeitseinkommens), berechnet auf der Basis des in der Handels- oder Steuerbilanz ausgewiesenen Gewinns, des Umsatzes oder der Wertschöpfung, der Produktivitätsmenge oder -steigerung o.ä. Parametern. | - | Bei der Kapitalbeteiligung stellen die Mitarbeiter dem Unternehmen Fremd- oder Eigenkapital zur Verfügung, sei es als Mitarbeiterdarlehen, stille Beteiligung oder Genusskapital (schuldrechtliche Beteiligung, d.h. Fremdkapital), sei es als GmbH-Anteil oder Belegschaftsaktien bzw. Aktienoptionen (gesellschaftsrechtliche Beteiligung, d.h. Eigenkapital, vgl. Schanz, 2000, S. 626 ff.). |
Die Verbreitung von Mitarbeiterkapitalbeteiligungs-Modellen ist Anliegen der AGP, einem 1950 gegründeten, christlichen Grundlagen verpflichteten gemeinnützigen Verein, dem über 500 vorwiegend mittelständische Unternehmen angehören. Nach deren Angaben machen in den alten Bundesländern ca. 2.200 Betriebe mit 2,3 Mio. Arbeitnehmern und 15 Mrd. Euro Beteiligungskapital aus ihren Mitarbeitern auch Mitunternehmer. In den neuen Bundesländern praktizieren 500 Betriebe mit 20.000 Mitarbeitern und 40 Mio. Euro Beteiligungskapital die Mitunternehmerschaft mit Erfolgsbeteiligung. Die Zahl der Belegschaftsaktionäre beläuft sich in Deutschland auf ca. 1,8 Mio. Weiter gibt es 5.000 Mitarbeiter-GmbH-Gesellschafter, 15.000 Genossenschaftsanteilsinhaber, 280.000 stille Beteiligte, 100.000 Genussrechtsinhaber und 100.000 Mitarbeiterdarlehensgeber. Mitarbeiterkapital verbessert die Eigenkapitalbasis deutscher Unternehmen, die bei nur ca. 17,5% liegt (Lezius, 2000, S. 12). Mitarbeiterkapital steigert auch die Identifikation mit dem Unternehmen, ist Bestandteil von Anreizsystemen und kann Element der betrieblichen Altersvorsorge sein. Dass sich auch die Sozialpartner der kapitalbildenden Anlage der durch die sog. Riester-Rente geschaffenen Altersvorsorge aufgrund von Entgeltumwandlung annehmen (Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens vom 26.06.2001), zeigt die Akzeptanz (gesetzlich vorgesehener) materieller Partnerschaft auch von Seiten der Gewerkschaften.
V. Zukunft der Sozialpartnerschaft
Unter den Bedingungen globalen Wettbewerbs und offener Märkte verlieren nationale Modelle an Überzeugungskraft, soweit sie ihre sozialpolitischen Arrangements nicht der ökonomischen Logik der Globalisierung anpassen. Denn nun können Kosten der Umverteilungspolitik im tripartistischen Korporatismus nicht mehr wie zu Zeiten abgeschotteter Märkte und protektionistischer Politik auf den Verbraucher abgewälzt werden. Der institutionelle Wettbewerb zwischen den Sozialsystemen innerhalb der EU wird z.B. dazu führen, dass das Gut „ soziale Sicherheit “ zumeist privat und damit effizienter hergestellt wird als bisher. Genauso wird ein intensiverer Wettbewerb auf den Arbeitsmärkten die Tarifpartner zu dezentraleren Formen der Lohn- und Tarifpolitik zwingen, die nicht nur berufliche und betriebliche, sondern auch regionale und sektorale Eigenheiten viel stärker als bisher berücksichtigen müssen (Berthold, /Hank, 1999, S. 102). Insoweit wird die herkömmlich status quo-orientierte politische Logik der korporativen Sozialpartnerschaft sich zunehmend der ökonomischen Logik der Globalisierung anpassen müssen und dementsprechend zu einer Aufwertung betrieblicher Sozialpartnerschaft führen.
Ökonomen wie z.B. von Weizsäcker gehen allerdings noch weiter, wenn sie die Starrheit der deutschen Mitbestimmungsgesetze kritisieren, die ähnlich wie das deutsche Arbeitsrecht Reformen in deutschen Großunternehmen dem politischen Prozess der Kompromissbildung opferten: „ Angesichts der Schwerfälligkeit des Mitbestimmungsmodells ist es fraglich, ob die Kunden und Mitarbeiter denselben Nutzen ziehen wie beim Shareholder-Value-Modell. Die geringere Effizienz und Flexibilität macht das Modell unterlegen. Es ist daher zu vermuten, dass es in einem freien Wettbewerb gegenüber dem Shareholder-Value-Modell nicht würde bestehen können, ähnlich wie das Arbeiterverwaltungsmodell. Natürlich kann man es durch ein Legalmonopol wie in Deutschland vor dem Wettbewerb mit überlegenen Modellen schützen. Aber wenn es tatsächlich unterlegen sein sollte, so geht dieses Monopol zu Lasten des Wohlstands der deutschen Bevölkerung “ (Weizsäcker, von, 1998, S. 15). Dem ist entgegenzuhalten, dass die gesetzlich verankerte Sozialpartnerschaft in Unternehmen (und Betrieben) gewisse (halb zwingende) Standards setzt, die bisher als „ Geschäftsgrundlage “ des wirtschaftsfriedlichen Erfolgsmodells der „ sozialen Marktwirtschaft “ funktioniert haben und sich dennoch den Anforderungen des Wettbewerbs durch die Integration der Arbeitnehmer in die Unternehmenskultur erfolgreich anpassen ließen. Insoweit sollte die Anpassungsfähigkeit institutioneller Arrangements im „ rheinischen Kapitalismus “ nicht unterschätzt werden, soweit nur die politischen Rahmenbedingungen sich als ähnlich anpassungsfähig erweisen. Vertraglich geregelte kooperative Konfliktlösung – auf der jeweils ökonomisch einschlägigen Ebene – kann sich demgemäß als grundsätzlich zukunftsfähiges Modell auch in Zeiten der Globalisierung bewähren.
Literatur:
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Birk, R. : § 18: Grundlagen des Europäischen Arbeitsrechts, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht I, hrsg. v. Richardi, R./Wlotzke, O., 2. A., München 2000, S. 220 – 255
Eschenburg, T. : Herrschaft der Verbände, Stuttgart 1956
Gamillscheg, F. : Kollektives Arbeitsrecht I, München 1997
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Huber, E. R. : Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band V, Stuttgart 1978
Lezius, M. : Mitarbeiterbeteiligung und Vermögensbeteiligung in gemeinnützigen Organisationen, in: ZMV – Die Mitarbeitervertretung – Sonderheft 2000, Jg. 10, Sonderheft/2000, S. 10 – 14
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Molitor, B. : Wirtschaftsethik, München 1989
Nörr, K. W. : Binärer Korporatismus, in: Zeitschrift für Arbeitsrecht (ZfA), Jg. 30, 1999, S. 329 – 360
Piazolo, K. : Der Soziale Dialog nach den Abkommen über die Sozialpolitik und dem Vertrag von Amsterdam, Diss., Frankfurt/M. et al. 1999
Ramm, T. : Die Arbeitsverfassung der Bundesrepublik Deutschland, in: JZ, Jg. 32, H. 1/1977, S. 1 – 6
Ramm, T. : Das deutsche kollektive Arbeitsrecht zwischen den beiden Weltkriegen, in: Zeitschrift für Arbeitsrechts (ZfA), Jg. 19, 1988, S. 157 – 172
Reichold, H. : Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, Habil., München 1995
Reichold, H. : Die reformierte Betriebsverfassung 2001, in: NZA, Jg. 18, H. 16/2001, S. 857 – 865
Richardi, R. : § 7: System des Arbeitsrechts; § 16: Koalitionen und soziale Selbstverwaltung, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht I, hrsg. v. Richardi, R./Wlotzke, O., 2. A., München 2000
Rieble, V. : Bündnis für Arbeit - „ Dritter Weg “ oder Sackgasse?, in: RdA, Jg. 52, H. 3/1999, S. 169 – 177
Schanz, K. M. : Mitarbeiterbeteiligungsprogramme, in: NZA, Jg. 17, H. 12/2000, S. 626 – 635
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Streit, M. E. : The Mirage of Neo-Corporatism, in: Kyklos – Internationale Zeitschrift für Sozialwissenschaften, Jg. 41, H. 4/1988, S. 603 – 624
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Winkler, A. : Hat der Flächentarifvertrag eine Zukunft?, in: NZA, Sonderbeilage zu Heft 24/2000, Jg. 17, H. 24/2000, S. 10 – 17
Zachert, U. : Sozialpartnervereinbarungen – ein Modell für die Zukunft?, in: Arbeitsrecht und Sozialpartnerschaft – Festschrift für Peter Hanau, hrsg. v. Isenhardt, U./Preis, U., Köln 1999, S. 137 – 148
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